Federkielstickerei
englisch: Featherstitch; französisch: Point de tige broderie au plumetis; italienisch: Ricamo di cannelli di penne.
Ferdinand Herrmann (†) (1979)
RDK VII, 967–969
I. F. ist das Ergebnis des Bestickens von Leder mit Federkielen. Als Material dienten von Hühner-, Gänse- und vor allem – der Länge wegen – Pfauenfedern genommene Kiele, die der Länge nach gespalten wurden. Aus ihnen schnitt man dann die „Fäden“ („Riemen“) von verschiedener Breite.. Dieses Riemenschneiden, das zumeist freihändig vorgenommen wurde, setzt viel Geschick und eine besondere Sicherheit der Hand voraus. Das Mark der Kiele wurde nicht ganz entfernt, da sonst die Fäden zu dünn wurden und der für die Wirkung der F. so entscheidende Silberglanz verlorenging. Vereinzelt wurden eingefärbte Federkiele verwendet (etwa im Salzburgischen: [2] S. 82; vgl. auch Abb.). Waren größere Bündel von Riemen vorbereitet, die nach Breite sortiert waren, so konnte mit dem Besticken („Ausnähen“) begonnen werden. Das Leder – in der Regel schwarzes Lackleder – wurde gern durch daruntergeklebte Pappe oder sonstiges Material verstärkt, wodurch man eine glatte, feste Stickfläche erhielt. Auf einem Tisch wurden mittels der Ahle die Muster auf das Leder gezeichnet. Zum Besticken bediente man sich im allgemeinen des „Nährößls“, eines schmalen, rechteckigen Hockers, auf dem an einer der beiden Schmalseiten oben zwei bewegliche, durch eine Holzschraube verbundene, zangenförmig zulaufende Holzklammern („Backen“) herausragen [2, Abb. S. 76]. Zwischen diese wurde das Lederstück gespannt, mit der Ahle von links nach rechts an den eingezeichneten Stellen durchstochen und der Riemen mit der Hand (ohne Nadel) durchgezogen. Die Stiche liegen zumeist dicht nebeneinander. Bevorzugt wurden Platt-(Blatt-) und Stielstich.
II. Bekanntgeworden ist die F. vor allem durch die Männergürtel der ostalpenländischen Tracht, die „Fatschen“ und „Ranzen“, die vordem mit Metallstiften verziert waren. Beliebt war die F. auch beim Ledergehänge der Frauentracht für Messer, Schere und Schlüssel. Außerdem findet man F. auf Tabaksbeuteln, Taschen, Besteckfutteralen, Schuhen, Glockenbögen der Kühe, Pferdegeschirren usw. (vgl. [7] S. 25).
Hauptverbreitungsgebiete sind Tirol, insbesondere S-Tirol,wo im Sarn-, Puster- und Ahrntal die F. blühte, dann das oberösterr. Mühlviertel, Kärnten und die Steiermark (zu Niederösterr. vgl. Helene Grünn, Volkstracht in Niederösterr., 2, Linz 1971, S. 41f.). In Oberbayern scheint sich die F. von Tirol her ausgebreitet zu haben ([2] S. 82; für Ndb. vgl. Oskar von Jaborski-Wahlstetten, Die Tracht im unteren Rott- und Vilstal, Mchn. 1959, S. 22); in Obersteier wurden die Trachtengürtel offensichtlich von Weinfuhrleuten aus dem steirischen Unterland eingeführt (Konrad Mautner und Viktor Geramb, Steir. Trachtenbuch, Bd. 1, Graz 1932 bis 1935, S. 46); auch in Böhmen hat die F. vielleicht als Import Eingang gefunden (Josef Blau, Böhmerwälder Hausindustrie und Volksk., 2 [= Beitr. zur dt.-böhm. Volkskde. 14,2], Prag 1918, S. 188, Abb. 34 [Gürtel 1811 dat.]).
Eingestickte Jahreszahlen geben einen gewissen Aufschluß über das Alter der F. Die ältesten dat. Stücke weisen auf die 2. H. 18. Jh. (ausnehmend früh ein Stück von 1738: [1] S. 105f.), so daß die Annahme berechtigt ist, daß erst nach 1700 die F. aufkam. E. 19. Jh. kam die F. außer Übung, sieht man von kunstgewerblichen Neubelebungsversuchen ab [3, S. 51].
Da auch die ältesten Arbeiten schon höchste Vollendung zeigen und eine allmähliche Entwicklung nicht festzustellen ist, hat man eine Einführung der F. von außerhalb angenommen. Namentlich wurde eine Übertragung der Technik aus N-Amerika erwogen (Felix von Luschau, Mitt. der Anthropolog. Ges. in Wien 24, 1894, 105f.; vgl. dagegen [2] S. 83f.), wobei man insbes. an die Arbeiten mit Stachelschweinborsten erinnerte, die aber Applikationsarbeiten sind und aufgenäht wurden. Auch eine Herkunft aus Asien (Persien) über Osteuropa (?, F. kommen hier jedenfalls im 20. Jh. vor: [3] S. 51) ließ sich bisher nicht befriedigend nachweisen (vgl. [2] S. 84f.).
III. Bevorzugte Motive sind in starker Stilisierung aus der Pflanzenwelt Tulpe und Granatapfel, aus der Tierwelt Gemse, Hirsch, Reh, Steinbock, aus der Heraldik Doppeladler und Löwe, zumeist umgeben von Blumen und Rankwerk. Neben chr. Zeichen wie IHS oder den Namen Jesu und Mariä ist auch der „Lebensbaum“ zu nennen (Aufzählung von Motiven unter oft sehr freier Ausdeutung bringt Anna-Maria Link, Sinnzeichen und Formen auf den alpenländ. Trachtengürteln, in: „Brauch und Sinnbild. Fs. Eugen Fehrle“, Karlsruhe 1940, S. 179–86, Taf. 21–27). Selten sind Szenen (vgl. Abb). Häufig sind Standeskennzeichen und Handwerksgerät: Zange, Hammer, Hobel usw., bei Fuhrleuten das Pferd. Vielfach sind Name oder Initialen des Besitzers eingestickt. Gelegentlich gibt es Inschriften (vgl. Abb.; [7] S. 21f., 34f.).
IV. Die F. war Sache der Sattler oder „Riemer“, bes. aber der Gürtel- und Beutelmacher, der „Fatschenmacher“ („Pfeidler“), Gürtler, Beutler und Taschner, manchmal auch der Schneider [5, S. 111].
Der Traunsteiner Joachim Schuster, der von 1839 an bei Sattlern in Altbayern und Oberösterreich gearbeitet hatte, nannte sich in seinem Wanderbuch „Pfauenfedernarbeiter“ [4, S. 115f.]. F. ist typische Hausindustrie [5, S. 111], im 19. Jh. gab es vielerorts Familienwerkstätten (vgl. [4] S. 115f.). Der Beruf war in manchen Gegenden verbreitet (z. B. in Tirol E. 18. Jh.: [5] S. 111). Mit dem Hinschwinden der Tracht erlag E. 19. Jh. auch das Handwerk, das heute nur von ganz wenigen ausgeübt wird (so versorgte z. B. Ludw. Furthmoser in Freistadt † 1936 das ganze Mühlviertel und das südl. Böhmen mit F.: Gustav Brachmann, erwähnt bei [2] S. 81; [7] S. 8).
Zur Abbildung
Leipzig, Mus. des K.handwerks, Inv.nr. 55.73, Fuhrmannsgürtel. Rindsleder, Lederfutter, gravierte Messingschnalle, Stickerei aus gefärbten Federkielen (zwei Schützen, Harlekin, Inschrift: „Fuirio, es Print, Schizen hilf, o durst. Bruder lösch sich an das Zilen von Hans Wurst“), 1. 107 cm, br. 16 cm. Tirol, A. 19. Jh. Fot. Haller-Hartmann, Lpz.
Literatur
1. Ferd. Herrmann, Die Federkielstickereien der Tiroler Lederfatschen, Oberdt. Zs. f. Volkskde. 6, 1932, 104–113. – 2. Ders., Das Federkielsticken, ebendort 13, 1939, 73 – 85. – 3. Anna-Maria Link, Über Federkielstickerei, Bayer. Hh. f. Volkskde. 13, 1940, 49–51. – 4. Dies., Zur Gesch. der Federkielstickerei, Oberdt. Zs. f. Volkskde. 15, 1941, 110–120. – 5. Karl Schädler, Die Lederhose ... (= Schlern-Schr. 219), Innsbruck 1962, S. 111 bis 116. – 6. Gebrauchsgraphik 37, 1966, H. 7, 33–39. – 7. Otfried Kastner, Ranzen, Gürtel, Federkiel. Alte volkstümliche Lederk., Linz 1974.
Verweise
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