Doppelfigur

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englisch: Double figure; französisch: Statue à deux faces; italienisch: Figura doppia.


Elisabeth Hohmann und Karl-August Wirth (1955)

RDK IV, 171–186


RDK III, 281, Abb. 8. und 9. Köln, St. Ursula, E. 15. Jh.
RDK IV, 173, Abb. 1. Konstanz, 1438-46.
RDK IV, 173, Abb. 2. Querschnitt zu Abb. 1.
RDK IV, 175, Abb. 3. Oldenburg i. O., um 1510.
RDK IV, 177, Abb. 4. Berchtesgaden, Slg. Kriß, 1. H. 17 Jh.
RDK IV, 179, Abb. 5. Ehem. München, um 1510/20.
RDK IV, 179, Abb. 6. Ehem. München, um 1510/20.
RDK IV, 181, Abb. 7. Salzburg, 3. Dr. 15. Jh.
RDK IV, 183, Abb. 8. Salzburg, 17. Jh.
RDK IV, 185, Abb. 9. Ehem. Slg. Figdor, A. 16. Jh.

I. Begriff

D. sind zu freiplastischer Aufstellung bestimmte Bildwerke, die durch thematisch und formal gleichwertige Ausgestaltung der Vorder- und Rückseite des Figurenblockes gekennzeichnet sind und zwei mit ihrem Rücken zusammengewachsene Figuren zeigen. Die Gegenseiten einer D. müssen sich nicht notwendig gleichen: dieselbe Figur (oder Figurengruppe) kann in abweichender Haltung als Gegenstück erscheinen, auch ist die Darstellung verschiedener Personen oder Gruppen möglich. Die Auswahl der miteinander verkoppelten Themen richtet sich nach dem Verwendungszweck der D. – Auch für die Form der D. gibt es verschiedene Möglichkeiten: die Darstellungen können zu vollrunder, säulenartiger Form zusammengeschlossen, bei flacherem Relief aber auch scheibenartig aneinandergefügt sein, so daß an den Profilseiten Nähte sichtbar bleiben; ferner können beide Seiten jeweils in nahezu vollrundem Relief gestaltet sein. Oftmals bilden das Kreuz Christi oder ein Strahlenkranz eine Art Reliefgrund für die beiden Darstellungen der D. und verbergen die Nahtstelle.

II. Geschichte

Das Götter- und Menschenbild der Antike ließ Gestaltungen von D. nicht zu.

Darstellungen des doppelköpfigen Janus sind keine Vorformen von D. Hier sind – wie bei der D. – die in entgegengesetzte Richtung gewendeten Köpfe am Hinterhaupt miteinander verwachsen. Im Gegensatz zur D. haben sie nur einen, freiplastisch gestalteten Körper und blicken nicht nach vorn und hinten, sondern erscheinen stets im Profil. Altitalischer Gewohnheit entsprechend waren Bilder der Janusgottheit auf einer Stele vor dem Haus oder den Stadttoren aufgestellt, um Haus und Stadt gegen äußere Feinde sowie innere Not und Zuchtlosigkeit zu schützen: das Doppelgesicht ist durch den Bedeutungsgehalt des Bildwerks motiviert.

Aus römischer Kaiserzeit sind Doppelhermen bekannt (Herodes-Attikus-Theater. vor 170 n. Chr.), die keine Verbindung mit dem Januskult erkennen lassen. Zu einem die ganze menschliche Gestalt verdoppelnden Bildwerk ist es in der Antike nicht gekommen.

Die D. ist aus formalen und gedanklichen Bedingungen heraus entstanden, die erst am Ende des Hochmittelalters gegeben waren.

In formaler Hinsicht ist die D. eine von der spätgotischen Plastik geschaffene Form der Freifigur; Italien hat an ihrer Gestaltung keinen Anteil. Die D. verbreitete sich im Norden etwa in der Entstehungszeit der Freifigur der Renaissance. Zwei Typen sind zu unterscheiden:

a) Für den einen ist die Identität der auf Vorder- und Rückseite dargestellten hl. Person kennzeichnend.

Die Wurzeln zur Gestaltung solcher D. reichen bis ins Hoch-MA zurück: vgl. die mit dem Rücken gegen eine Stütze gelehnten Figuren, wie sie z. B. an Portalmittelpfeilern, die an der Innenseite ein themengleiches Patronatsbild aufweisen, vorkommen. Die Stütze diente den Figuren als Rücklage und ordnete sie in den architektonischen Verband ein. Erst als sich im späten MA diese Bindung lockerte, konnte es zur Entstehung echter D. kommen.

Eine gewisse Sonderstellung innerhalb dieser Entwicklung nahmen die Doppelkruzifixe (Abb. 7) ein. Bei ihnen verband der Kreuzbalken die Figuren; die stilistischen Voraussetzungen für die Gestaltung der Doppelkruzifixe waren daher wesentlich früher gegeben als diejenigen für D. im engeren Sinne.

b) Bei den D., deren Ansichtsseiten verschiedene Figuren zeigen, entspricht die Einheit des Figurenblockes der gedanklichen Beziehung zwischen den dargestellten hl. Personen.

Am Beginn der Geschichte dieses Typs stehen auf Vorder- und Rückseite mit plastischen Figuren ausgestattete Vortragekreuze (z. B. das Niello-Kreuz von St. Trudpert, um 1160; Hans-Joachim Heuser, Zs. f. Kw. 6, 1952, 27–46), also jene Gruppe von D., bei denen das Kreuz den Reliefgrund bildet. Nicht mehr durch eine Figurenrücklage geschiedene D. des zweiten Typs entstanden ebenfalls erst im ausgehenden Mittelalter.

Darstellungen des gleichen Menschen als Lebender und als Toter kommen ebenfalls vor; sie wurden durch Memento mori-Vorstellungen angeregt.

Trotz der mannigfachen Möglichkeiten, die D. in thematischer Hinsicht boten, kam es nur zu einer beschränkten Anzahl fest geprägter und das Ende der Spätgotik überdauernder Typen: Doppelkruzifix, Doppelmadonna (Marienleuchter bzw. Rosenkranzmuttergottes) sowie D. als Bekrönungen von Säulenmonumenten und Brunnenstöcken. Auch innerhalb dieser Aufgaben gingen sie nur selten über den Bereich sakraler Thematik hinaus.

III. Denkmäler

A. Bis 1450

Aus der Zeit bis zur M. 15. Jh. sind nur wenige D. erhalten; wahrscheinlich wurden D. damals nur dann angefertigt, wenn es galt, allgemein übliche figurenplastische Aufgaben den besonderen lokalen Verhältnissen anzupassen.

Es liegt an der formalen Beschaffenheit der D., daß sie in der Bauplastik unverwendbar ist (die doppelköpfigen oder mit doppeltem Rumpf dargestellten Fabelwesen der romanischen Bauplastik sind als Reliefs nicht in Zusammenhang mit D. zu bringen; sie stehen z.T. in der Tradition antiker Vorstellungen, s. a. Januskopf). Damit schied bereits der größte Aufgabenbereich ma. Plastik für D. aus. Das zu doppelseitiger Ansicht bestimmte Tympanon aus dem Eichstätter Domkreuzgang mit einer Ölbergdarstellung, heute im B.N.M. (um 1420; Kat. Halm-Lill Nr. 225), ist eine auf Grund besonderer Bedingungen entstandene und – soweit bekannt – einmalige Lösung. Ganz ungewiß sind bislang die Rekonstruktion und die ursprüngliche Verwendung eines doppelköpfigen Fragments, das in der Passauer Stadtmauer vermauert war (15. Jh.; jetzt Passau, Diözesanmus.).

Die Propheten am sog. Schnegg im nördl. Querschiff des Konstanzer Münsters (Abb. 1) bezeichnen eine Art Grenzscheide zwischen den hoch-ma. und spätgotischen Auffassungen von D. Im architektonischen Aufbau ist das 1438–46 geschaffene Treppengehäuse von französischen Vorbildern angeregt; da der Stil der Skulpturen ebenfalls die Kenntnis burgundischer Plastik verrät (Gg. Troescher, Die burgund. Plastik des ausgehenden MA u. ihre Auswirkungen auf die europäische Kunst I, Ffm. 1940, S. 156–9), so liegt es nahe, auch für die D. westliche Vorbilder zu vermuten (s. u.); bislang sind allerdings keine älteren französischen Beispiele bekannt geworden. Die ganz außergewöhnliche Bearbeitungstechnik mit ihrem auferlegten Blockzwang ist von Troescher (a. a. O.) eingehend beschrieben; die D. sind aus demselben Block geschaffen wie die jeweils nach links anschließende Platte des Brüstungsreliefs und wie Teile des architektonischen Aufbaues (Abb. 2). Eine so enge Verbindung von D. hatte es bis dahin (nur in Deutschland?) noch nicht gegeben; von allen früheren und späteren D. unterscheiden sich die Propheten am Schnegg grundsätzlich durch ihre Architekturgebundenheit. Zu den weiteren Besonderheiten gehört, daß die eine D. bildenden Propheten weder inhaltlich noch ästhetisch zu einer Einheit verbunden sind, sondern als am oberen Teil der Brüstungsreliefs gegenüberstehende Figuren miteinander korrespondieren.

Die üblichen plastischen Ausstattungsstücke ma. Kirchen boten ebenfalls keine Veranlassung zur Gestaltung von D. Die Ausnahmen waren durch lokale Gegebenheiten bedingt.

So diente z. B. in der Klosterkirche Doberan, Meckl., der ehemals freistehende und mit doppeltem Schrein ausgestattete Altar auf der einen Seite als Kreuzaltar, auf der Gegenseite als Marienaltar; beiden Altären zugehörig ist das Hochkreuz, an dessen der Gemeinde zugekehrter Seite das Bild des Gekreuzigten, auf der nur vom Mönchschor aus sichtbaren Seite das der Muttergottes angebracht ist (14. Jh.; Dehio II, S. 119f.). Dieses Werk ist nach Thema und Verwendungszweck eine Übersetzung von Vortragekreuzen ins Monumentale. – Als man, etwa gleichzeitig, das frühgotische Muttergottesbild in Doberan in einen Marienleuchter einstellte, wurde eine doppelseitig ausgeführte Mondsichelbasis angefertigt (H. Wentzel, Lübecker Plastik 1250–1350, Bln. 1937, Nr. 13).

Die Gestaltung von Doppelbüsten-Reliquiaren setzte voraus, daß man die Reliquien zweier Heiligen besaß und in der Form des Reliquiars diesen doppelten Besitz sichtbar machen wollte.

Ein lombardisches Doppelkopfreliquiar der 2. H. 12. Jh. (Adrian Prachoff, Album de l’exposition rétrospective d’objets d’art de 1904 à St.-Petersbourg, St. Petersburg 1907, S. 111, Abb. 44) darf vielleicht in Verbindung mit doppelköpfigen Gestaltungen der Antike gebracht werden. Es ist anzunehmen, daß derartige Reliquiare später zur Anfertigung von Doppelbüstenreliquiaren führten, wie sich eines in St. Ursula in Köln erhalten hat (RDK III 281/82, Abb. 8 u. 9). Ein typengleiches Bildwerk ebenfalls rheinischer Herkunft befand sich in der Slg. Figdor (Theod. Demmler, Holzbildwerke der Gotik, in: Die Slg. Dr. Alb. Figdor Wien I, 4, Berlin 1930, Nr. 157, Taf. 82).

Bedeutender ist der Beitrag der ma. Kleinplastik. Nur hier kam es vor der Spätgotik zur Ausbildung eines eigenen Typus, des beiderseits plastisch geschmückten Vortragekreuzes; die doppelseitige Ausgestaltung ergab sich aus der Orientierung nach der Monstranz einerseits und den Gläubigen andererseits. Zahllose Werke haben sich erhalten; sie bilden eine lückenlose Denkmälerreihe bis zum ausgehenden 18. Jh. und haben auch die Volkskunst zu ähnlichen Gestaltungen angeregt (vgl. etwa das Begräbniskreuz in der Pfarrkirche zu Chotieschau, E. 16. oder A. 17. Jh.: Inv. Böhmen 30, S. 13 Abb. 7).

Bei einer Gruppe französischer Bischofsstäbe des 14. Jh. sind in flachem Relief der Gekreuzigte, Maria und Johannes dargestellt, denen auf der Gegenseite eine stehende Muttergottes mit dem Kinde und je ein Engel entsprechen (B. N. M., um 1350; Kat. Berliner Nr. 38). – Ein kleines doppelseitig gebildetes Bronzeköpfchen im Schloßmuseum zu Berlin, um 1300 in Frankreich (Otto von Falke, Bronzegeräte des MA, in: Die Slg. Dr. Alb. Figdor Wien I, 5, Berlin 1930, Nr. 454, Taf. 165) oder Deutschland (Neuerwerbungen 1933–35, Ausst.Kat. Schloßmuseum Berlin 1936, Nr. 55, Abb. 85) entstanden, pflegt – ob mit Recht? – als Knauf eines Schwertgriffes bezeichnet zu werden. Der Anschluß an Janusvorstellungen wird durch die Gleichheit der beiden jugendlichen Köpfe, die aus derselben Form gegossen sind, ausgeschlossen, doch ist auch eine Rekonstruktion des Fragments als D. nicht ohne weiteres möglich.

Im Hinblick auf die D. späterer Zeit bedeutet auch der relativ große Reichtum an D. in der ma. Kleinplastik kaum mehr als ein Vorspiel.

B. Ab 1450

1. Doppelmadonnen machen unter den kirchlichen Ausstattungsstücken, die als D. geschaffen wurden, die weitaus größte Denkmälergruppe aus. Die Kette der Beispiele beginnt – wenn man von der isoliert stehenden „Madonna à deux faces“ in Villeneuve-lès-Avignon, 13./14. Jh., absieht – im 2. Dr. 15. Jh.: mit den Figuren in St. Léonard in Léau (Eugen Lüthgen, Die niederrhein. Plastik v. d. Gotik b. 2. Renss. [= Stud. z. dt. Kg. 200], Straßburg 1917, Taf. 22, 3), in Corsaint, Côte d’Or (H. David, De Sluter à Sambin I, Paris 1933, S. 31ff., Abb. 9), und in Anholt (Inv. Westf. 46, S. 56).

Mit den genannten D. erscheinen bereits die beiden (im folgenden nicht weiter unterschiedenen) Gestaltungsmöglichkeiten: die themengleiche D. (Léau) und die mit der Figur eines Heiligen verbundene Muttergottes (Corsaint). Beide Formen der D. scheinen in Burgund geprägt worden zu sein. Von Bedeutung für die Verbreitung der Doppelmadonnen in Deutschland war ihre Verwendung als Marienleuchter und ihre Verbindung mit der Vorstellung von den Rosenkranzgeheimnissen (s. Rosenkranzmuttergottes).

Wenn die Denkmälererhaltung dem historischen Vorgang entspricht, so waren die Rheinlande (Kalkar; Erkelenz; Kempen; Kiedrich b. Eltville; Aachener Münster), Westfalen (Vreden, Pfarrkirche; Bevergern Krs. Tecklenburg; Köln, Schnütgenmus.; Münster, L. M.; dazu zahlreiche an den Stil des Meisters von Osnabrück anschließende D., etwa Oldenburg, L. M., Abb. 3, und Wesermünde, Mus.), Niedersachsen und Lübeck (Lübeck, St.-Annen-Mus.; Lauenburg a. d. Elbe, Pfarrkirche; Lüneburg, Johanniskirche; ehem. Ratzeburg, vgl. Vincent Statz und G. G. Ungewitter, Gothisches Musterbuch, Leipzig 1856–61, Taf. 216) sowie Mitteldeutschland (Schulpforta; Wittenberg, Schloßkirche) diejenigen deutschen Landschaften, die sich – schon in der Dürerzeit – dem fremden Vorbild öffneten. Während in Mainfranken das Vorbild Riemenschneiders sich auswirkte (D. im Mainfränk. Mus. Würzburg), gestalteten die übrigen süd- und südostdeutschen Landschaften wohl erst nach der Dürerzeit Doppelmadonnen (das Beisp. aus der Slg. Oertel, Aukt. Kat. Lepke-Berlin 6./7. Mai 1913, Nr. 164, gehört, wenn überhaupt alt, nicht dem A. 16. Jh., sondern dem 17. Jh. an).

In den meisten Fällen scheinen die Doppelmadonnen im Kirchenschiff gehangen zu haben; von der Aufstellung einer D. auf einer Säule erfahren wir erstmals durch Christ. Scheurl (Libellus de Sacerdotum, Landshut 1511), der ein in der Wittenberger Schloßkirche befindliches, heute verschollenes Bildwerk des Konrat Meit beschreibt: „Et ut cetera taceam in medio basilice optimorum principum jussu et impensis columna marmorea tante pulchritudinis ut enea putetur nuper erecta/erecte simulachrum deipare virginis ex utraque parte quippe duplicatum est / filiolum et sceptrum gestantis impositum conspicitur“ (Text nach H. Michaelson in Jb. d. preuß. K.slgn. 21, 1900, 275 Anm. 4). Mit Sicherheit ist eine derartige Aufstellung dann anzunehmen, wenn die D. aus Stein gearbeitet ist.

Während des 17. Jh. blieben Doppelmadonnen selten, erst an der Schwelle zum 18. Jh. und vor allem in diesem wurden sie wieder häufig.

Besonders in Südwestfalen: die Inventarisation verzeichnet allein in den Kreisen Büren und Brilon 10 Beispiele (Inv. Westfalen 38, S. 13, 25, 134, 151, 206; Ebd. 45, S. 58, 211, 332, 382, 421). Auch in diesem Zeitraum sind Doppelmadonnen in Süddeutschland ziemlich selten: Schierling (Inv. Bayern III, 6, S. 149); Slg. Rud. Kriß (Abb. 4). Daß die Zahl der Denkmäler in Süddeutschland ehemals größer war, wird man auf Grund doppelfiguriger Gestaltungen bei Zunftleuchtern (Ad. Pfeuffer, Königshofen [= Kl. Kirchenführer S. 240/41], München 1937, S. 10) und auf Prozessionsstangen (Inv. Württemberg, ehem. Krs. Wangen, S. 53 und 105) vermuten dürfen.

Als Ausstattungsstücke der Kirchen begegnen vereinzelt Apostel-D., die sich bisher aber nur in der 1. H. 16. Jh. nachweisen lassen, so als Bekrönung der Dorsalwand des Chorgestühls in Schwäb. Gmünd, 1550 von Adolf Daucher d. J. (Otto Schmitt, Das Heiligkreuzmünster in Schwäb. Gmünd, Stuttgart 1951, S. 26, Taf. 84f.), und zwei in ihrer urspr. Verwendung nicht bekannte D., die sich 1954 im Münchener Kunsthandel befanden, fränkisch-mitteldeutsche Arbeiten um 1510/20 (Abb. 5 a, b und 6 a, b). Im Kronleuchter des Merseburger Doms sind die beiden Patronatsheiligen Johannes d. T. und Laurentius als D. dargestellt, 1510–30 (Herm. Deckert, Dom u. Schloß M., Burg 1935, S. 53f. Nr. 212, Abb. 127–29).

2. Monumentale (oder in monumentaler Art aufgestellte) Doppelkruzifixe dürften in Nachbildung von Vortragekreuzen in größerem Maßstab entstanden sein. Beide Grundtypen von D. kommen vor: der erste zeigt auf beiden Seiten das Bild des Gekreuzigten, beim zweiten ist ein Kruzifixus durch ein Muttergottesbild ersetzt.

Am häufigsten sind diese Denkmäler in Frankreich, wo sie auch am frühesten an bestimmte, durch die Jahrhunderte hin gleich gebliebene Aufstellungsorte gelangten: als Wegkreuze, Friedhofkreuze und auf dem Dorf- bzw. Marktplatz aufgestellte Monumente (croix de village) sind solche Bildwerke seit dem 13. Jh. (Viollet-le-Duc, Architecture 4, 434–44), zunächst vereinzelt, im 15., 16. und 17. Jh. in unübersehbarer Zahl erhalten. Burgund (H. David a.a.O. I, S. 69f.; II, S. 129f.), die Auvergne (Congr. arch. 87, 1924, 380–83), die Champagne (Marcel Aubert, Mus. Nat. du Louvre, Description raisonnée des sculptures I, Paris 1950, Nr. 376), Lothringen (vgl. André Laurent, Les Croix de la plaine des Vosges aux XVIe et XVIIe siècles, Bull. arch. du Comité des Travaux historiques et scientifiques 1950 [1952], S. 223–45), vor allem aber die Bretagne besitzen solche Denkmäler. In der Bretagne (Hans Leerink, Merkwaardige Beeldhouwwerken in Bretagne, Phoenix 1, 7, 1946, S. 13–22) sind die Kreuzstöcke häufig in die Mitte figurenreicher Monumente gestellt und zeigen auf den astartig aus dem Kreuzstock hervorwachsenden Armen vielfach D., die bald in einfacher Aufreihung nebeneinanderstehen, bald sich zu bildhafter Komposition zusammenschließen. Eine Übersicht über die vielfältigen Möglichkeiten der Figurenkoppelung zu D. gibt die Tabelle bei Victor-Henry Debidour (La sculpture bretonne, Rennes 1953, S. 48 Anm. 24).

In Deutschland kamen, wie es scheint, derartige Werke erst in spätgotischer Zeit auf, als außerhalb der Kirche aufgestellte figurenreiche Kalvarienberg-Gruppen üblich wurden (Hans Backofen).

Aus dem 3. Dr. 15. Jh. stammt die auf einem Felsvorsprung des Kapuzinerberges bei Salzburg an der Straße nach Wien unweit des Linzer Tores errichtete Gruppe (Abb. 7). Sie besteht aus dem überlebensgroßen Doppelkruzifix und den beiden Schächern, deren Kreuze rechtwinklig zum Kreuz Christi angeordnet sind (für diese räumliche Anordnung vgl. etwa die Gemälde L. Cranachs d. Ä. im Kh. Mus. Wien und in der A. Pin.). Die Figurengruppe ist nach dem Straßenverlauf orientiert, nicht nach der nahegelegenen Richtstätte.

Aus dem 18. Jh. haben sich einige Doppelkruzifixe erhalten. Dasjenige im Hofe des Stifts Tepl bei Karlsbad, dat. 1709, bildet die Mitte einer Figurengruppe. Zu Füßen des Gekreuzigten an der Vorderseite stehen Maria und Johannes, am Kreuzstamm ist Maria Magdalena niedergesunken. Ihr entspricht auf der Gegenseite eine schmerzhafte Muttergottes, die unter dem Gekreuzigten steht. Maria und Johannes sind nicht als D. gebildet. – Das heute in der Stadtmitte von Bernkastel errichtete Doppelkruzifix von 1750, durch Restauration von 1952 beeinträchtigt, diente urspr. als Wegekreuz (Inv. Rheinprov. 15, 1, S. 69 Abb. 41 B). – Ebenfalls im 18. Jh. entstand das Doppelkruzifix auf dem Friedhof in Nittel Krs. Saarburg (Inv. Rheinprov. 15, 3, S. 150, Abb. 111).

3. Die Aufstellung als freiräumliches Monument teilt eine Anzahl weiterer D. mit den Doppelkruzifixen.

Bildstöcke:

Viel seltener als Marienthemen (z. B. Hornstein, D.-Pietà, Inv. Österreich 24, S. 215, Abb. 244; Retzbach, Ufr., zwei Muttergottesbilder, 1698, Inv. Bayern III, 6, S. 149; Salzburg, am Anfang der Fürstenallee, Maria mit dem Kind und Maria mit dem Leichnam ihres Sohnes, Abb. 8 a, b) sind christologische Themen gestaltet worden: die überlebensgroße D. des Linzer Bildhauers Peter Spatz v. J. 1675, die heute im Park des Schlosses Neuburg bei Passau aufgestellt ist (Inv. Bayern IV, 4, S. 191, Abb. 155), zeigt beiderseits die Darstellung eines Schmerzensmannes. Sie knüpft thematisch an ältere Prozessionsplastik an (vgl. D.M., Kat. Demmler S. 198, Nr. 382, fränkisch, E. 15. Jh.). Marienbildstöcke haben sich in Österreich besonders lange großer Beliebtheit erfreut; als um 1824 die beiden D. unweit Trauersdorf entstanden (Inv. Österreich 24, S. 305, Abb. 332), war andernorts die Gestaltung von D. längst erloschen.

Auf Grund ihrer Verwendung als Bekrönung von Brunnenstöcken schließen sich einige, untereinander recht verschiedene D. zu einer Gruppe zusammen. Auch hier wurden vornehmlich Marienthemen gestaltet, wie überhaupt diese Verwendungsart Bildtypen und Aufstellungsformen der Doppelmadonna zur Voraussetzung hat (s. o.).

Unter den erhaltenen Denkmälern sind die D. des Marktbrunnens zu Großgmain, 1693 von Johann Schwaiger geschaffen (Inv. Österreich 11, S. 120 u. 152, Abb. 140f.), und Schwäb. Gmünd, 18. Jh. (Werner Lindner, Schöne Brunnen in Deutschland, Berlin 1920, Abb. 97), hervorzuheben: dieser mit Darstellungen der Immakulata und der Muttergottes, aus deren Brüsten sich ehem. 2 Strahlen in das Brunnenbecken ergossen, jener mit der Immakulata und der Muttergottes mit dem Kind. Durch das Gegeneinandersetzen zweier Reliefs entstand die D. mit ausnahmsweise profanem Thema auf dem Brunnen in Bischofsheim, Ufr., 1582 (Inv. Bayern III, 22, S. 36, Abb. 24). Nicht ganz sicher ist die Verwendung einer dem 17. Jh. entstammenden D. (Christus mit der Weltkugel – Muttergottes) im Danziger Museum als Brunnenbekrönung zu erweisen.

D. in Form von Halbfiguren wurden im 18. Jh. vereinzelt zur Ausschmückung von Portalen und Dockengeländern benutzt: Andechs, hl. Benedikt (Dehio-Gall, Obb., S. 147); Wittlich, sog. Siebenschläfer (Inv. Rheinprov. 12,4, S. 347 m. Abb.; dort der Hinweis auf ähnliche D. in Enger).

4. D. der Kleinplastik lassen eine ganze Reihe eigengesetzlicher Formen und Themen erkennen. Sie alle tragen auf beiden Seiten verschiedene Darstellungen, z. T. sehr außergewöhnliche thematische Verbindungen: ein aus dem 2. V. 15. Jh. stammendes Elfenbein (Koechlin III, Taf. 170 Nr. 975) verbindet Marienklage und Ölberg, eine wohl durch persönliche Initiative ausgelöste Darstellung der Compassio Mariae und der Compassio Christi (im Sinne von Innozenz III., De s. altaris myst. V, 9). Ebenso läßt die Themenwahl aus den Vorstellungsbereichen des Memento mori und der Vanitas, wie sie kleinfigürliche D. der 1. H. 16. Jh. in sehr unterschiedlicher Gestaltung zeigen, die Bestimmung dieser D. für den privaten Gebrauch erkennen; es sind oft kunstvoll gearbeitete Kabinettstücke, deren Auftraggeber im Humanistenkreis vermutet werden dürfen. Als charakteristische Werke seien zwei dem A. 16. Jh. angehörende Elfenbein-D. genannt (Koechlin Nr. 1239 und 1245): die eine zeigt auf der Vorderseite ein sich umarmendes Liebespaar (Halbfiguren), auf der Rückseite eine Figur des Todes als Skelett mit Sense und Spruchband „En moi vous mirez tes cu ce sui seres“; die zweite D. (Abb. 9) hat C. Enlart (La Volupté et la Mort. A propos d’une figurine d’ivoire du Musée de Cluny, Mém. de la Soc. nat. des Antiquaires de France 67, 1908, 126ff.) als Allegorie der Fleischeslust und des Todes gedeutet. Diese D. hatte vielleicht ein Gegenstück: ein in gleicher Weise außergewöhnlicher Figurensockel hat sich in der Slg. Spitzer erhalten (Koechlin Nr. 1246).– Für die Thematik anderer D. ist das Hervorwachsen aus ma. Vorstellungen von der Luxuria bzw. deren Allegorien kennzeichnend. Nur von Fall zu Fall läßt sich entscheiden, ob es sich bei derartigen D. um Gegenüberstellung zweier verschiedener allegorischer Figuren oder um Darstellung derselben, als lebend und tot geschilderten Person handelt. Jedenfalls gehören Werke wie der im 1. V. 14. Jh. geschaffene Fürst der Welt von der Nürnberger Sebalduskirche (Kurt Martin, Die Nürnberger Steinplastik im 14. Jh., Berlin 1927, Taf. 37) in thematischer Hinsicht in die Ahnenreihe solcher D.; vgl. auch Doppelgrab II, Sp. 192ff.

Dieser Zusammenhang ist auch für eine Reihe von Doppelköpfen entscheidend, zumeist elfenbeinerne Rosenkranzanhänger, Stockknäufe u. dgl., von denen fast alle europäischen Museen Beispiele bewahren. Jene Doppelköpfe, die seit der Wende zum 16. Jh. bekannt sind, zeigen regelmäßig auf einer Seite den Kopf des Gekreuzigten, auf der zweiten meist einen Totenschädel oder einen nur von Fall zu Fall zu identifizierenden Kopf.

Aus der Vielzahl der Beispiele seien erwähnt: der Rosenkranzanhänger der Braunschweiger Elfenbeinsammlung mit der Inschrift „vado mori alle hernach f.“ (Christuskopf) bzw. „mane thetet phates 1504“ (Kopf des Sterbenden; Kat. Scherer Nr. 16, S. 37) und der Stockknauf (?) des B.N.M. (Kat. Berliner Nr. 79) mit der Inschrift „der: not der biteren: Tot: aller nocht oberst 1522“.

Dem Kunstgewerbe sind D.-Bildungen nicht unbekannt geblieben. Das Chorpult der Kirche zu Le Moutier-d’Ahun, 17. Jh., bekrönt eine D. in Gestalt eines Löwen (Louis Lacrocq, Creuse [= Les églises de France], Paris 1934, S. 108 m. Abb.). Den Deckel eines Prunkhumpens im Lüneburger Rathaus ziert ein Doppelkopf (bärtiger Alter – Jugendlicher).

Zu den Abbildungen

1. Konstanz, Münster, Treppenturm im nördl. Querschiff, sog. Schnegg. 1438–46. Fot. Gustav Jack, Konstanz.

2. (wie 1.), Querschnitt in Höhe der Plattform. Umzchg. nach Gg. Troescher, Die burgund. Plastik des ausgehenden MA I, Ffm. 1940, S. 157.

3. Oldenburg i. O., Landesmus. f. K.- u. Kulturgesch., Doppelmadonna eines Marienleuchters aus Westerstede (Muttergottes auf der Mondsichel und hl. Anna selbdritt). Beide Figuren ehem. im Strahlenkranz und von Engeln umgeben. Holz, Reste alter Fassung, H. 1,59 m. Um 1510–20. Fot. Mus.

4. Berchtesgaden, Slg. Rud. Kriß, Doppelmadonna (stehende Muttergottes und eine Krone in Händen tragende Maria). Holz, unterlebensgroß. 1. H. 17. Jh. Fot. Erika Martin, Passau.

5. und 6. Ehem. München, Kunsthandel (1954), Doppelfiguren von Aposteln und Heiligen. Holz, ungefaßt, H. ca. 60 cm. Fränkisch-mitteldt. um 1510/20 (Mitt. Dr. Th. Müller). Fot. Kunsthandel München.

7. Salzburg, Kalvarienberg am Linzer Tor mit Doppelkruzifix und Schächern. Holz, überlebensgroß. 3. Dr. 15. Jh. Fot. Landesbildstelle Salzburg 206/ 318.

8. Salzburg, Fürstenallee, Mariensäule mit Doppelfigur (Marienklage und Muttergottes). Stein, ca. 50 cm h. 17. Jh. Fot. Landesbildstelle Salzburg 208/342 und 344.

9. Ehem. Wien, Slg. Figdor, allegorische Doppelfigur (Voluptas und Mors). Elfenbein, H. ca. 35 cm. Nach Koechlin III, Taf. 205 Nr. 1254.