Diptychon (Malerei)
englisch: Diptych (painting); französisch: Diptyque (peinture); italienisch: Dittico (pittura).
Karl-August Wirth (1955)
RDK IV, 61–74
I. Allgemeines
Seit wann und aus welchen Gründen die Form des D. auch für Tafelbilder zugrunde gelegt wurde, ist noch nicht untersucht. Diese Tatsache und die Zufälligkeiten des Erhaltenen erlauben hier nur einen vorläufigen Überblick. Bei Veränderung der ursprünglichen Anordnung kann allein noch aus der Beschaffenheit des Rahmens eine D.-Tafel erkannt werden, nach Verlust auch des Rahmens ist eine Rekonstruktion nur mehr auf Grund ästhetischer Beurteilung möglich.
Das Format der gemalten D.-Tafeln reicht vom Quadrat bis zum schmalen Hochrechteck; Tafeln in Breitformat sind sehr seltene Ausnahmen und durchweg nur aus der Spätzeit der D.-Produktion bekannt. Der obere Abschluß ist bei den ältesten gemalten D. meist waagrecht; erst seit der Wende zum 15. Jh. kommen, vor allem im Bereich der Niederlande, oben rundbogig geschlossene Tafeln häufiger vor (diese Form findet sich jedoch schon in romanischer Zeit für bildlose Darstellungen des D. als Attribut, s. IV.).
Die Aufbewahrungsart von D. kann z. T. aus ihrer formalen Beschaffenheit erschlossen werden: D., deren Tafeln auf Vorder- und Rückseiten bemalt sind, dürften zum Aufstellen bestimmt gewesen sein. Unbemalte Rückseiten lassen an Aufhängung an der Wand denken (Abb. 3). Außerdem begegnen D., bei denen eine Tafel doppelseitig, die andere nur einseitig bemalt ist; die doppelseitig geschmückte Tafel ist dann als beweglicher Flügel der an der Wand befestigten Tafel anzusehen.
Den Verwendungszweck teilten die gemalten D. des 13.–16. Jh., soweit sie religiöse Themen abbilden, mit den gleichzeitigen Elfenbein-D.: sie dienten als Andachtsbilder und Reisealtärchen. Ihre Auftraggeber waren vorzüglich adelige Laien und geistliche Würdenträger. Erst im späten 15. Jh. trat ein neuer Stand als Stifter auf, das städtische Patriziat. Es ist wahrscheinlich, daß das sprunghafte Ansteigen der Produktion von D. im 15./16. Jh. u.a. in Zusammenhang mit dieser Erweiterung des Auftraggeberkreises steht.
II. Entwicklung bis A. 15. Jh.
Das älteste mit Malerei geschmückte D., das sich erhalten hat, ist das Elfenbein-D. des Boëthius in Brescia (487); seine Rückseiten – die Vorderseiten tragen Reliefschmuck – wurden bei späterer Wiederverwendung (A. 7. Jh.) mit den Brustbildern dreier Kirchenlehrer und einer Darstellung der Lazaruserweckung versehen. Die Malereien sind nach Art einer Zierleiste der Commemoratio-Liste vorangestellt (Wulff, Hdb. I, Abb. 287). Die Ausstattung mit Malerei bedeutet einen zusätzlichen Schmuck, wodurch sich dieses D. ebenso wie durch Malgrund und -technik von späteren gemalten D. grundsätzlich unterscheidet (ein ebenfalls auf Elfenbein gemaltes D. aus dem 2. V. 14. Jh. bewahrt die Bibl. Ambrosiana in Mailand, vgl. Toesca II, Abb. 672).
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, daß in romanischer Zeit mit bildlichen Darstellungen geschmückte D. geschaffen wurden. Die ältere Tradition lebte in der Anbringung von Elfenbeintafeln auf Bucheinbänden fort; die ursprüngliche Bedeutung des D. überlieferten nach Form und Gehalt die bildlosen Zehn-Gebote-Tafeln, die als Attribute dargestellt wurden (s. IV). Das D. als selbständiger Bildträger kam in der 2. H. 13. Jh. etwa gleichzeitig in der Elfenbeinplastik und der Malerei auf. Während bei Elfenbein-D. häufig durch Aufteilung der einzelnen Tafel in mehrere Streifen oder Felder (im Anschluß an ältere Werke dieser Gattung) Gelegenheit zur Darstellung mehrerer Szenen gegeben war, ist für gemalte D. die Ausgestaltung jeder Tafel mit nur einer Szene die Regel (die ältesten Beispiele sind hierfür nicht charakteristisch). Die thematische Auswahl ist bei den gemalten D. des 13. u. 14. Jh. strenger als bei den Elfenbein-D., die den didaktischen Grundcharakter durch Szenen- und Figurenreichtum verwässern.
Als D. angeordnete Tafelbilder begegnen vielleicht zuerst in dem D. des Bonaventura Berlinghieri (oder aus dessen Werkstatt), im 3. V. 13. Jh. in Lucca geschaffen (Florenz, Accademia; van Marle I, S. 326, Abb. 171; Rückseite mit Kreuzabnahme, s. Evelyn Sandberg-Vavalà, La croce dipinta italiana, Verona 1929, Abb. 245): auf der linken Tafel ist die Gottesmutter mit dem Kind in Halbfigur, umgeben von Heiligen und dem Erzengel Michael, dargestellt, auf der rechten die Kreuzigung Christi sowie – in kleinerem Maßstab – Kreuztragung und -abnahme. Die Gegenüberstellung eines Marienbildes und der Kreuzigung blieb auch für die folgenden Jahrhunderte der charakteristischste thematische Vorwurf für gemalte D.
Das älteste erhaltene Beispiel in Deutschland ist das D. des D.M. Berlin, kölnisch A. 14. Jh. [3, Bd. 1, Abb. 25, 26]. Es hat mit dem toskanischen D. die Thematik gemein, bildet jedoch nur die Hauptszenen ab. Auffällig ist – hier wie bei den meisten D. des 13. und 14. Jh. – die Bevorzugung solcher Marienbilder, bei denen das Kind die Mutter liebkost; offenbar sollte damit die Vorstellung „Maria typus Ecclesiae est“ bildlich ausgedrückt werden. Den im Abendland ziemlich selten gestalteten Kanon der Pelagonitissa zeigt die linke Tafel eines böhmischen D. in Wiener Privatbesitz, 3. V. 14. Jh. (Abb. 2). Statt der Muttergottes mit dem Kinde kann auch eine andere Szene des Marienlebens dargestellt werden, z. B. die Krönung Mariens (Bocholt; [3] Bd. 1, Abb. 32); entsprechend anstelle der Kreuzigung der Schmerzensmann (Abb. 2; für Italien, das diese Variante geprägt hat, vgl. das früher Simone Martini, jetzt der Werkstatt des Barna da Siena zugeschriebene D. in der Casa Horne; Millard Meiss in: The Metropolitan Mus. of Art Bull. 12, 1954, 308f., m. Abb.). Eine für das 14. Jh. außergewöhnliche Abkehr von der ikonographischen Regel bedeutet das D. des Wallraf-Richartz-Mus. Köln mit der Darstellung der Marter der Zehntausend [3, Bd. 1, Abb. 31].
Im ausgehenden 14. und frühen 15. Jh. fand das D. in der französischen Hofkunst besondere Pflege.
Neben einfachen Tafeln, die sich in Abmessung und Aufbau an das Herkömmliche anschließen (z. B. Berlin, K.F.M., um 1400; [2] Nr. 7, Taf. 19), kommen jetzt auch D. mit äußerst kompliziertem Aufbau und von stattlicher Größe vor, etwa die beiden D. des Bargello in Florenz [2, Nr. 6 und 15]. In ikonographischer Hinsicht halten diese an der Tradition, ein Christus- und ein Marienthema gegenüberzustellen, fest, jedoch bereichern sie, von Elfenbein-D. angeregt, diese durch Ausführlichkeit der Erzählung und Aufnahme von Propheten und Engeln. Neue Züge zeigt das Berliner Beispiel: auf der linken Tafel ist die Kreuzigung geschildert, auf der rechten der Schmerzensmann in einer Mandorla und die trauernde Gottesmutter, zwischen beiden in kleinerem Maßstab der betende Stifter in Ordenstracht, ferner in einer Gloriole, segnend und mit aufgeschlagenem Buch, der Weltenrichter. Die hier erstmals bei einem D. vorkommenden Motive: Stifterbild und Anspielung auf das Sondergericht für den Stifter (s. Dinge, die vier letzten) fanden im 15. Jh. eine folgenreiche Weiterentwicklung.
III. 15. und 16. Jh.
Im 15. Jahrhundert wurde der Themenkreis der gemalten D. erheblich erweitert. Mehrere, sich klar voneinander absetzende Gruppen sind zu unterscheiden: die eine führt die Tradition des 14. Jh. weiter und schmückt beide D.-Tafeln mit religiösen Themen (a), eine zweite stellt einer biblischen oder religiös-symbolischen Darstellung ein Stifterbild gegenüber – Devotions-D. – (b), eine dritte Gruppe ist der Bildnismalerei gewidmet (c).
Die Bildform des D. wurde im 15. und A. 16. Jh. vor allem von den niederländischen Malern aufgegriffen. In manchen Werkstätten, z. B. der des Aelbrecht Bouts in Löwen, wurden D. serienmäßig hergestellt; „vermutlich ... Erzeugnisse einer orthodoxen Kirchenkunst“ waren sie „ein Ausfuhrartikel und gingen nach Deutschland, nach den nordischen Ländern und nach Spanien“ [1, Bd. 3, S. 68]. Im niederländischen Gebiet lassen sich die Züge der Entwicklung am klarsten erkennen, und Werke dieser Landschaft beeinflußten die Gestaltung von D. an anderen Orten maßgeblich.
(a) D. mit Darstellungen biblischer Themen wurden dort erst im 3. Dr. 15. Jh. häufig (ältere Beisp.: Jan van Eyck, D. mit Kreuzigung Christi und Weltgericht, New York, Metropolitan Mus.; Meister v. Flémalle, D. mit Trinität und Muttergottes, Leningrad, Eremitage; beide bei [5] Bd. 2, Abb. 210/11 und 301). Auch jetzt blieb die Gegenüberstellung von Tafeln christologischen und mariologischen Inhalts das Hauptthema; doch gingen nunmehr die beiden D.-Tafeln, über den gedanklichen Bezug hinaus, durch die Komposition eine auch formale Verbindung ein. Ermöglicht wurde diese Entwicklung durch die Verknüpfung von Christus und Maria, die, mit den Abzeichen der Passion und als Mater dolorosa dargestellt, Passio Christi und Compassio Mariae verbildlichen. Es ist denkbar, daß das Aufkommen derartiger Passions-D. in Zusammenhang mit der devotio moderna steht.
Nicht weniger als zehn vollständig und über zwanzig teilweise erhaltene Wiederholungen sind von einem auf Dieric Bouts zurückgeführten D. bekannt, dessen linke Tafel die trauernde Gottesmutter zeigt, während auf der rechten Christus mit der Dornenkrone in frontaler Haltung, wie Maria im Brustbild dargestellt ist, und das um 1440 entstand (Martin Davies, Les primitifs flamands III, The Nat. Gall. London, Antwerpen 1953, S. 21–24, Taf. 77–86; Wolfg. Schöne, Dieric Bouts u. s. Schule, Berlin u. Leipzig 1938, Nr. 19, S. 129–32, Taf. 48). Bei den jüngeren Wiederholungen macht sich die Tendenz bemerkbar, die Frontalität Christi aufzugeben zugunsten einer der Hinwendung Mariens entsprechenden Haltung. Dasselbe gilt auch für ein gleichartiges, für Rogier van der Weyden in Anspruch genommenes D. und seine Kopien (vgl. A. Janssens de Bisthoven und R. A. Parmentier, Les primitifs flamands I, Le Musée communal de Bruges, Antwerpen 1951, S. 66–70, Abb. Nr. 14, II, 1–8). Anstelle des Schmerzensmannes erscheint der Salvator in einem sonst typengleichen Limousiner Email-D., um 1530 (Auktionskat. Lempertz-Köln 410, Nov. 1940, Nr. 277, Taf. 51). Alle genannten Beispiele gehören demselben D.-Typ an; seine Herkunft ist nicht völlig gewiß: ein Tafelbild in der Ste. Chapelle in Paris, dessen Darstellung sich auf den Besuch der Herzöge von Burgund und der Normandie bei Papst Klemens VI. in Avignon bezieht (1344), zeigte den Papst bei der Betrachtung eines D., auf dem die Brustbilder Christi und Mariä abgebildet sind (Gem. zerst., in einer Kopie des 17. Jh. überliefert; Abb. 1). Da kein erhaltenes Werk des 14. Jh. die Kopie bestätigt, so ist deren Treue nicht zu erweisen und auch mit der Möglichkeit zu rechnen, daß der D.-Typus von Bouts und Rogier van der Weyden durch Abwandlung eines themengleichen Tafelbildes vom Meister von Flémalle (Philadelphia, Pennsylvania Mus.; [5] Bd. 2, Abb. 216) zu einem D. entstanden ist. Einen bedeutsamen Schritt unternahm Memling mit seinem D. in der Capilla Real zu Granada, um 1475–80 [1, Bd. 6, Nr. 13, Taf. 15 u. 16]: die beiden D.-Tafeln bilden zusammen eine geschlossene Komposition der Kreuzabnahme; links wird der Leichnam Christi vom Kreuz abgenommen, rechts steht die klagende Maria; die beiden Hauptfiguren sind aus der Schar der übrigen hervorgehoben, so daß das alte Grundmotiv der Bezugsetzung von Christus und Maria auch weiterhin erhalten blieb. Dieses hatte sich derart fest mit der D.-Form verbunden, daß Quentin Massys, als er jenes Thema für das Mittelbild seines 1518 für Lucas Rehm in Augsburg geschaffenen Altares zu gestalten hatte, die D.-Form zugrunde legte (München, A. Pin.).
Neben den Passions-D. gibt es, seltener zwar, solche mit anderen Vorwürfen. Außer der Anbetung der Könige [1, Bd. 4, Nr. 43] begegnet in Barent van Orleys D. von 1513 [1, Bd. 8, Nr. 90, Taf. 74–6] die Zusammenstellung von Maria Verlöbnis und dem zwölfjährigen Jesus im Tempel; fraglich bleibt, ob die Tafeln Memlings im Wiener Kh. Mus. ursprünglich als D. angeordnet waren: ein zwingender thematischer Zusammenhang zwischen Sündenfall und Kreuzabnahme ist nicht erkennbar; die Grisaillemalerei der Rückseite (Heilige), dem Flügelaltar abgesehen, findet sich allerdings auch sonst gelegentlich bei D. wieder.
In Deutschland sind D. mit religiösen Darstellungen seit der Wende zum 15. Jh. ziemlich selten geschaffen worden. Die überkommene Tradition fortführend, die von der böhmischen Hofkunst begründet worden war, gestaltete man in der 1. H. 15. Jh. vornehmlich in Böhmen solche D.; das des Meisters von Hallein von 1453 im G.N.M. (Kat. 1936, Nr. 1120, Abb. 293–96) bezeichnet das Ende der kontinuierlichen Überlieferung: in der 2. H. 15. Jh. entstanden in Böhmen wie im übrigen Deutschland nur sporadisch D., z. T. in Formen, die selbständig neben den niederländischen Typen stehen.
Der Meister des Marienlebens knüpfte an Elfenbein-D. an, von denen er die architektonische Ausgestaltung der D.-Tafeln übernahm: D. im Bonner Landesmus., [3] Bd. 5, Abb. 63 und 64. – In Lübeck wurden die Abmessungen von D. ins Monumentale gesteigert, so daß sie für Altäre Anwendung finden konnten: die Marienkirche der Stadt besaß in dem Altar der Greverardenkapelle, 1494 von Hermen Rode (Harald Busch, Meister des Nordens, Die altniederdeutsche Malerei 1450–1550, Hamburg 19432, Nr. 61, Abb. 205, 206), und dem Schinkelaltar von 1501 (Ebd. Nr. 176, Abb. 263, 264) zwei solcher D.-Altäre (vgl. auch Max Hasse, Neue Beiträge z. Gesch. d. lübeck. K. im MA, Zs. d. Ver. f. Lübeck. Gesch. u. Alt.kde. 32, 1951, 96). Der Greverardenaltar war eines der ganz wenigen D., dessen Tafeln Breitformat zeigen. – Von der D.-Form abgeleitet ist die feststehende Doppeltafel, die um 1500 in der Werkstatt des Meisters des Johannisaltares geschaffen wurde, jetzt im G.N.M.; [3] Bd. 6, Abb. 257. – Aus der 1. H. 16. Jh. stammt eine österreichische Wiederholung des niederländischen Halbfiguren-D.-Typs in Zwettl (Inv. Österreich 29, S. 142, Abb. 195f.).
(b) D., die auf einer Tafel ein sakrales Thema, auf der anderen den knieenden, oft von Heiligen empfohlenen Stifter darstellen (Devotions-D.), sind – nach dem Erhaltenen zu urteilen – eine Schöpfung des 15. Jh., deren Voraussetzungen in der Buchmalerei liegen, vgl. etwa Jacquemart de Hesdins um 1402 gemalte Miniaturen in den Très belles Heures des Herzogs von Berry [2, Taf. 21]. Etwa ein Jahrzehnt später hat der englische Maler des sog. Wilton D. in London (Martin Davies, Nat. Gall. Catalogues, French School, London 1946, S. 46–49) diesen Typus in die Tafelmalerei übertragen. Wenn die Kopien, durch die die Kirchenmadonna des Jan van Eyck als linke Tafel eines Devotions-D. ausgewiesen wird, auch für die Rekonstruktion der Stiftertafel herangezogen werden dürfen, so war Jan van Eyck der erste, der den Stifter ohne die Begleitung von ihn empfehlenden Heiligen darstellte (Abb. 3). Der Stifter kniet vor der Muttergottes, die nicht wie im 14. Jh. durch ihren Bildtyp, sondern durch eine Fülle von Attributen „als Gotteshaus und Tempel Christi“ gekennzeichnet ist (Erich Herzog, Zur Kirchenmadonna van Eycks, Schüler-Festschr. f. Hans Jantzen, Bd. 4, München 1951, [masch.]).
Die unmittelbare Auswirkung der Typenschöpfung ist durch Denkmälerverlust nicht zu beurteilen; 1461 war der Typus jedoch bereits so verbreitet, daß Nicolas Froment bei seinem Florentiner Altar für die Gestaltung der Außenflügel auf ihn zurückgreifen konnte: in geschlossenem Zustand zeigt der Altar eine in jeder Beziehung mit den Devotions-D. übereinstimmende Darstellung [2, Taf. 121 und 122]. Ferner darf aus der später im 15. Jh. nachweisbaren Vorliebe für Darstellungen der Maria lactans auf einer der D.-Tafeln auf die ursprüngliche Verwendung der vielen kleinen Täfelchen gleichen Themas zurückgeschlossen werden (vgl. auch G. Hulin de Loo, Diptychs by Rogier van der Weyden, Burl. Mag. 43, 1923, 53–58; Ebd. 44, 1924, 179–89).
Seit dem 4. V. 15. Jh. trat das Bemühen, die beiden Tafeln zu einheitlicher Komposition zusammenzufassen und in einem einheitlichen Raum szenisch zu erzählen, immer deutlicher hervor. Auch für dieses Ziel hatte die Buchmalerei bereits früher eine vorbildliche Lösung geschaffen: während van Eyck Gottesmutter und Stifter in verschiedene Räume stellte, ist im Stundenbuch des Etienne Chevalier, zwischen 1452 und 1460 von Jean Fouquet [2, Taf. 75 und 76], eine im Räumlichen einheitliche Komposition geschaffen, die sich über zwei Seiten der Handschrift erstreckt. Entsprechendes findet sich bei den gemalten D. erst mit dem von Jan Mostaert für Anna von Burgund (?) angefertigten, wo die Stifterin im Vordergrund einer Darstellung von Christus in der Vorhölle kniet ([1] Bd. 10, Nr. 4, Taf. 5; bei Fouquets „D.“ von Melun – Berlin, K.F.M., und Antwerpen, Mus. – scheint es sich doch wohl um zwei Tafeln eines Triptychons zu handeln). Bemerkenswert ist bei den Devotions-D. des 16. Jh. die Zunahme christologischer Themen, die aber auch fortan zahlenmäßig weit übertroffen wurden von solchen D., die den Stifter und Maria mit dem Kinde darstellen.
Die deutsche Kunst bedurfte des niederländischen Vorbilds, um im 3. V. 15. Jh. zur Gestaltung von Devotions-D. zu kommen. (Ein erster Versuch, das Stifterbild einzubeziehen, wurde A. 15. Jh. vom Meister des Göttinger Jacobikirchenaltars unternommen: sein doppelseitig bemaltes D. in der Landesgal. Hannover – Kat. Gert v. d. Osten, 1954, Nr. 195 – enthält auf dem Rahmen die Darstellung eines knienden Chorherren; die Innenseiten zeigen den Schmerzensmann und die trauernde Muttergottes, die Außenseiten die Verkündigung an Maria und einen hl. Einsiedler.) Die deutschen Devotions-D. waren und blieben Werke bedeutender Einzelner und vermochten nicht in Konkurrenz mit den hier weit verbreiteten kleinen Triptychen zu treten; auch hie und da mögliche Rekonstruktionen verändern das Bild nicht wesentlich (einige Rekonstruktionsvorschläge bei [4]; die dort als Tafel eines D. angesprochene Madonna Strigels, Textabb. 25, ist aus formalen Gründen eher als Mitteltafel eines Triptychons anzusehen).
Um 1460 entstand Pleydenwurffs D. für den Bamberger Domherrn und Subdiakon Georg Graf von Löwenstein [4, Textabb. 30]. Der Typus der niederländischen Devotions-D., fraglos vorbildlich, ist selbständig variiert: abgesehen davon, daß eine ältere Darstellung des Schmerzensmannes auf niederländischen Devotions-D. bisher nicht bekannt ist, unternahm Pleydenwurff in der Preisgabe des Gebetsgestus bei dem Stifter eine Akzentverschiebung zugunsten des Bildnisses; auch das rechteckige Format der Tafeln könnte er der deutschen Überlieferung entnommen haben. Es begegnet ferner bei Strigels D. für Hans Lupin, gegen 1500 [4, S. 101f., Textabb. 24], wohingegen Schongauer den rundbogigen oberen Abschluß, der in den Niederlanden gebräuchlich war, für seine Marientäfelchen, die teilweise zu D. gehört haben könnten, wählte. Die Ablehnung, auf die das Devotions-D. in Deutschland stieß, begünstigte die Tendenzen zur Verschmelzung beider Tafeln (und damit das Einschwenken in eine von Werken wie Jan van Eycks Marienbild mit dem Kanzler Rolin ausgehende Entwicklung): Hermen Rode, der um 1485 den niederländischen Typus aufgegriffen hatte, kam bereits um 1500 zur Vereinigung beider Bildtafeln [4, S. 42f., Abb. 26 und 27].
c) Bei der Entstehung des Bildnis-D. dürften äußere Gründe eine entscheidende Rolle gespielt haben. Neben der Zweiteiligkeit des D., die sich für die Darstellung von Bildnispaaren als sehr geeignet anbot, mag die Beweglichkeit der D.-Tafeln ausschlaggebend gewesen sein: es war zunächst üblich, die Bildnisse nur gelegentlich aufzustellen; zumeist lagen sie in Schränken oder Truhen. Das zusammengeklappte D. war leicht aufzubewahren und trug den sich aus zeitweiser Aufstellung ergebenden Notwendigkeiten in besonderer Weise Rechnung.
Aus denselben Bedingungen heraus entstandene Bildformen des Porträts: das mit einem Schiebedeckel versehene Bildnis, vgl. z. B. das miniaturhaft kleine Bildnispaar des Jacometto Veneziano, 1. V. 15. Jh. (Alfr. Stix und Erich V. Strohmer, Die fürstl. Liechtensteinsche Gemäldegalerie in Wien, Wien 1938, S. 89, Abb. 2); die Bildniskapsel, wie sie etwa bei dem 1564 von Heinrich Königswieser gemalten Bildnis des Markgrafen Albrecht von Brandenburg 1606 durch Zufügen eines Porträts seiner Enkelin, geschaffen von Daniel Rose, zustande kam (Bln. Mus. 31, 1909/10, Sp. 5ff., Abb. 2 und 3).
Innerhalb der Geschichte des Bildnisses sind die Gründe dafür zu suchen, daß reine Bildnis-D. erst zu einem Zeitpunkt häufiger wurden, als mit einer Versteifung der beiden D.-Tafeln eine Entstellung der ursprünglichen D.-Form eintrat; diese war eine der Erscheinungen, die den letzten Abschnitt der Geschichte des D. einleiteten (vgl. etwa das Devotions-D. des Antwerpener Mus., Inv. Nr. 517–18, südniederländisch, E. 15. Jh.). Jedoch ist auch das Beibehalten faltbarer D. z. T. durch Allianzwappen auf der Rückseite einer D.-Tafel bezeugt.
Die Ahnen der Bildnis-D. sind die Stifterflügel der Altarschreine, die bei geschlossenem Zustand Stifter zeigen (s. Stifterbild). Die Verselbständigung solcher Stifterflügel zum reinen Bildnis-D. ist daher zuerst dort zu erwarten, wo die humanistische Persönlichkeitsauffassung voll verwirklicht wurde, in Italien: Piero della Francescas Montefeltre-Bildnisse in den Uffizien, vor 1466, waren sehr wahrscheinlich zu einem D. zusammengefügt und bilden das älteste derzeit bekannte Bildnis-D. Die italienische Kunst folgte diesem Beispiel nur zögernd. Um 1475 entstand das Bildnis-D. des Königs René von Anjou und seiner zweiten Frau, Jeanne de Laval, gemeinhin Nic. Froment zugeschrieben und um 1475 datiert (Abb. 4).
In Deutschland trug die Sitte der Brautleute, sich an ihrem Hochzeitstag malen zu lassen, wesentlich zur Gestaltung von Bildnis-D. bei (Hochzeitsbild, Verlöbnisbild). Ihr und dem Repräsentationsbedürfnis der Humanisten verdanken wir nahezu sämtliche deutschen Bildnis-D., unter deren Malern die bedeutendsten der Spätgotik und Dürerzeit zu finden sind: Dürer, Cranach usw. (Beispiele bei [4]). Häufiger als Bildnis-D. waren allerdings die korrespondierenden Einzeltafeln.
Die Problematik des reinen Bildnis-D. zeigt sich deutlich an den Versuchen, die im Bildnis festgehaltene Persönlichkeit in einen die dargestellte Person übergreifenden gedanklichen Zusammenhang zu stellen. Dies geschah durch die Einbeziehung heiliger Personen bzw. durch augenfälliges Hervortreten des Todesbewußtseins im Bild.
Um 1475 schuf der Meister von St. Jean de Luz das D. mit den Bildnissen des Hugo von Rabutin und seiner Frau [2, Nr. 235, Taf. 131, 132]: beide sind in betender Haltung dargestellt, ihre Devotion gilt den in Grisailletechnik gemalten, auf Wandkonsolen unter einem Baldachin stehenden kleinen Skulpturen der Gottesmutter und des Evangelisten Johannes.
Strigel verzichtet zwar in seinem Rehlinger-D. (München, A. Pin.) darauf, die Figuren betend darzustellen und erletzt das übliche Brustbild durch Ganzfiguren von monumentaler Größe, doch wird durch die Erscheinungen in den Wolken und die an sie gerichteten Gebetsworte auf den Devotionscharakter der Darstellung hingewiesen, der äußerlich so wenig augenfällig ist.
Charakteristisch für die zweite Form des erweiterten Bildnis-D. sind die für den Lizentiaten und späteren Kartäuserprior Hieron. Tschekkenbürlin in Basel geschaffenen D., die das Halbfigurenbild des Stifters einem solchen des Todes gegenüberstellen (das ältere 1487 dat., das zweite wenig später; [4], Textabb. 8 und 9).
Im 2. V. 16. Jh. entstanden die letzten D.; nach diesem Zeitpunkt wurden nur sehr selten und völlig vereinzelt stehende D. angefertigt, Nachzügler der allgemeinen Entwicklung (z. B. das auf breitformatige Kupfertafeln gemalte D. mit Familienbildnis; Auktionskat. Lempertz-Köln 436, Nov. 1952, Nr. 1263, Taf. 44). Das Versiegen der Produktion erfolgte keineswegs überraschend: die Tendenz zur Vereinheitlichung beider Tafeln in der vorausgegangenen Zeit führte konsequent zur Aufgabe der D.-Form. Hinzu kam, daß die von der Gegenreformation entwickelten Andachtsformen mit dem urspr. Verwendungszweck der religiösen D. kaum vereinbar waren. Die Aufgabe des Bildnis-D. hatte andere Gründe; unter ihnen mag der bedeutsamste die Einordnung der Gemälde – Bildnisse nicht ausgenommen – in ein einheitliches Dekorationssystem des Innenraumes gewesen sein.
Als man vor 1627 das völlig übermalte Lukretia-Bild Cranachs durch einen Klapprahmen mit Dürers themengleicher Darstellung verband (beide München, A. Pin.), geschah dies, um die als anstößig empfundene Aktdarstellung zu verdecken. Die Grundidee des D., die Gegenüberstellung zweier thematisch zusammengehöriger Tafeln, ist in ihr Gegenteil verkehrt; dieses ehemalige „Lukretia-D.“ könnte nur durch seinen Mechanismus die Bezeichnung D. rechtfertigen, sachlich steht es in einer Reihe mit Goyas Maja-Bildern.
Nur scheinbar hat die D.-Form in der barocken religiösen Volkskunst Aufnahme gefunden. Für deren Werke ist nicht die Verbindung zweier planer Tafeln durch ein Scharnier das Wesentliche, sondern die Schachtel- bzw. Kapfeiform, dazu bestimmt, Reliquien und Andenken zu bewahren. Trotz z. T. großer äußerer Verwandtschaft mit D. müssen jene Produkte in andere Zusammenhänge gestellt werden; vgl. Reliquienanhänger, Betnuß.
Vereinzelt wurde die D.-Form in der 1. H. 19. Jh. wieder aufgegriffen, allerdings stets mit feststehenden Flügeln. Nunmehr blieb die Produktion auf Bildnis-D. beschränkt, vgl. etwa das D. der Slg. von Stedmann in Besselich, dessen Tafeln 1836 und 1838 entstanden (Inv. Rheinprovinz 16, 3, S. 39, Abb. 37f.).
IV. D. als Attribut
Seine ursprüngliche Bedeutung als Schreibtafel hat das D. in den Zehn-Gebote-Tafeln bewahrt. Das MA konnte sich diese gar nicht anders als in Form eines D. vorstellen; auch wenn das D. ohne Inschrift blieb, wurde es ohne weiteres als Darstellung einer Zehn-Gebote-Tafel begriffen. Dieses Verständnis bildet die Voraussetzung für die Verwendung des D. als Attribut (Ekklesia, Moses, Darbringung im Tempel), s. Zehn-Gebote-Tafel. – Ausnahmsweise kommt ein bemaltes D. mit Darstellungen der hl. Petrus und Paulus bei der Holzskulptur eines hl. Papstes als Attribut vor (Bozener Meister, E. 15. Jh.; Berlin, D.M., Kat. Demmler, S. 279, Nr. 2598).
Zu den Abbildungen
1. Paris, B.N., Kopie eines ehem. in der Ste. Chapelle befindlichen Tafelbildes: Hzg. Eudes IV. von Burgund führt Papst Klemens VI. (wahrsch. 1344) ein D. mit Maria und Christus vor. Original M. 14. Jh., Aquarellkopie 17. Jh. Fot. B.N. Paris.
2. Wien. Privatbesitz. D. mit Muttergottes (Pelagonitissa) und Schmerzensmann. Böhmisch M. 14. Jh. Nach [3] Bd. I, Abb. 155/56.
3. Antwerpen, Mus. des Beaux-Arts, D. für Christian de Hondt, Abt von Dunes (1495–1505). Dem sog. Brügger Meister von 1499 zugeschriebene Kopie nach einem Devotions-D. des Jan van Eyck (linke Tafel davon im K.F.M. Berlin). Fot. Archives centrales iconogr. d’art national, Brüssel.
4. Paris, Louvre, Bildnis-D. des Königs René von Anjou und seiner 2. Gemahlin Jeanne de Laval. Nicolas Froment zugeschrieben, um 1475. Nach Charles Terrasse, Musée du Louvre, Les primitifs français, Paris o. J., Taf. 20.
Literatur
Eine monographische Behandlung des Themas steht noch aus; mehrfach zitiert wurden:
1. Friedländer Bd. 1ff. – 2. Grete Ring, A Century of French Painting 1400–1500, London 1949. – 3. Stange Bd. 1ff. – 4. Ernst Buchner, Das deutsche Bildnis der Spätgotik u. der frühen Dürerzeit, Berlin 1953. – 5. Erwin Panofsky, Early Netherlandish Painting, Havard 1953.
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