Diogenes
englisch: Diogenes; französisch: Diogène; italienisch: Diogene.
Edmund W. Braun (1955)
RDK IV, 22–34
I. Leben
Den im 4. Jh. v. Chr. lebenden D. von Sinope hat die Tradition zur charakteristischsten Gestalt unter den kynischen Philosophen gemacht. Er ist der Begründer der kynischen Lebensweise [1], nach anderer Auffassung auch der der kynischen Philosophie (E. Schwartz, Charakterköpfe aus der antiken Literatur II, Leipzig 1919, S. 1ff.), die die Bedürfnislosigkeit und das „natürliche Leben“ zu Grundlagen ihres Systems machte. D. wandte sich gegen die Verfeinerung der Sitten seiner Zeit und verhöhnte das Herkommen durch seine Lebensführung sowie durch Wort und Schrift. Von der freimütigen Rede, die er über alles schätzte, machte er reichlich Gebrauch: sein Biograph Diogenes Laertios überliefert eine Fülle von Anekdoten aus dem Leben D., deren allerdings z. T. zweifelhafte Echtheit die Vorstellung vom Lebensgang des D. verunklären.
Sicher ist, daß D. nach dem Tode seines Lehrers Antisthenes Athen freiwillig verließ und sich nach Korinth begab; zweifelhaft hingegen die romanhaft wirkende Überlieferung seiner Fahrt nach Ägina, auf der er von Seeräubern gefangen und als Sklave nach Korinth verkauft worden sein soll, um dort als Erzieher der Söhne eines Kaufmanns zu wirken: nach [1, Sp. 768] könnte diese Geschichte erfunden sein, um das pädagogische Programm der Kyniker zu entwickeln. Fest steht, daß er abwechselnd in Athen und Korinth lebte, wo er hochbetagt starb, feierlich bestattet und von der Stadt durch die Errichtung eines Denkmals in Gestalt eines Hundes – eine Anspielung auf sein Leben in äußerster Bedürfnislosigkeit und seine Lehre – geehrt wurde (das Denkmal beschrieben von Pausanias II, 2, 4).
II. Literarische Überlieferung
Bereits in der Literatur der griechischen Spätklassik werden Anekdoten aus dem Leben des D. berichtet; ob sie tatsächlich Geschehenes überliefern oder frei erfunden sind, läßt sich fast nie mit Sicherheit entscheiden. D.-Anekdoten teilen u. a. Dio Chrysostomos, Epiktet, Plutarch, Lukian, Maximos Tyrios, Julian und vor allem Diogenes Laertios mit [1]. Die Sammlung des Valerius Maximus (IV, 34; dt. Übersetzung von F. Hoffmann, Stuttgart 1829, S. 281f.) erzählt die Geschichte von dem Besuch Alexanders d. Gr. bei D. (neben einer weniger bekannt gewordenen, auf den Tyrannen Dionys von Syrakus bezogenen); auch Q. Curtius Rufus schildert sie ausführlich (I, 11; dt. Übersetzung von J. F. Wagner, Leben und Thaten Alexanders d. Gr., Lemgo 1768, S. 78f.).
Für die Überlieferung sorgten sowohl Anekdotensammlungen als auch das biographische Interesse an der Person Alexanders. Die Gesta Romanorum verzeichnen in ihrer altdeutschen Bearbeitung (hrsg. von J. G. Th. Graesse, Leipzig 1905, II S. 133f.) die Begegnung von D. und Alexander als einzige der D.-Anekdoten. Es ist hier nicht möglich, die vielfach sich kreuzenden Wege der Überlieferung einzeln zu verfolgen; entscheidend ist, daß sie auch im MA nicht unterbrochen wurde. Sie war bis zur Renaissance fast ausschließlich an das Wort gebunden, s. III.
In der deutschen Dichtung der Renaissance begegnet D. gelegentlich, so im Narrenschiff des Sebastian Brant, 1494 in Basel erschienen (Alexanders Besuch bei D.), und in einigen Gedichten des Hans Sachs (W. Abele, Die antiken Quellen des Hans Sachs, Beitr. z. Programm der Cannstatter Realanstalt 1897 und 1899, Index S. 133).
Die pädagogischen Bestrebungen der Barockzeit beförderten das Interesse an der Gestalt des D. Aus einer stattlichen Zahl von Anekdotenbüchern und ähnlichen Sammelwerken, die zumeist auf Diogenes Laertios’ Biographie zurückgehen (Hans Sachs beruft sich auf Plutarch), sind folgende hervorzuheben:
Die sehr verbreitete „Acerra Philologica“ (acerra = Kästchen zum Aufbewahren von Weihrauch) des Joh. Wilh. Lauremberg, die „400 auserlesene ... Historien aus den griechischen und lateinischen Scribenten“, darunter „des gelehrten Eulen-Spiegels Diogenes Leben und Thaten“, enthält; sie erschien erstmals 1645 in Leiden und erlebte verschiedene Auflagen. Die Bedeutung dieser humanistischen Enzyklopädie erhellt aus der Art, in der Goethe ihrer gedenkt: „Gottfrieds Chronik, mit Kupfern desselben Meisters (Matth. Merians), belehrte uns von den merkwürdigsten Fällen der Weltgeschichte, die Acerra philologica that noch allerlei Fabeln, Mythologien und Seltsamkeiten hinzu“ (Werke 1. Abt., Bd. 26, 1889, S. 49f.). – In dem „Nucleus Historiarum“ des Samuel Meigerius (Ulm 1649) ist eine reiche Sammlung von D.-Anekdoten enthalten: wie D. bei Antisthenes Schüler werden wollte (S. 274); die Erlebnisse des D. mit König Philipp von Mazedonien und mit dessen Sohn Alexander (S. 591, 1170. 1183); der Disput mit Aristipp, dem Augendiener des Tyrannen Dionys (S. 935); D. Spott über die prächtig gekleideten Rhodiser (S. 987); die Kritik über das zum Verkauf bestimmte Haus eines Säufers (S. 1146); das enthusiastische Lob des Korinther Kaufmanns über die Tätigkeit des D. als Hauslehrer (S. 1225). – Schließlich hat Joh. Heinr. Zedler in seinem Konversationslexikon (Bd. 7, 1743, S. 978) mehrere D.-Anekdoten mitgeteilt, darunter die Episode in der Akademie des Plato (s. u.).
III. Darstellungen
In der bildenden Kunst fand die Charakterisierung des D. als Philosoph (a) weniger Interesse als die Schilderung seiner absonderlichen Lebensweise (b) und die D.-Anekdoten (c); aus mehreren Szenen bestehende Zyklen (d) sind äußerst selten.
a) In dem Fresko der Stanza della Segnatura hat Raffael den D. der Gruppe der Dialektiker unter den griechischen Philosophen zugesellt; er schildert D. als edle, gelöste Gestalt, die auf den Treppenstufen ruht und ein Blatt, das die Linke hält, betrachtet (eine Studie im Städel, Frankfurt a. M.). Zusammen mit seinem alten Lehrer ist der jugendliche D. in Achille Bocchis 1555 erschienenem Emblemenbuch „Symbolicarum quaestionum de Universe Genere quas serio hidebat Libri Quinque“ dargestellt. Im Kreis disputierender Philosophen schildert der Entwurf Le Bruns für eine Gobelinfolge den D. (s. III d).
In der deutschen Kunst hat vornehmlich die Graphik die Gestalt des Philosophen dargestellt. Zusammen mit Demokrit und von zwei Narren assistiert erscheint D. in einem Holzschnitt zu Seb. Brants Narrenschiff (Abb. 1). Die Darstellung ist in dieser Form, die an Darstellungen von Demokrit und Heraklit gemahnt, völlig singulär; auch als Illustration wirkt sie überraschend, da Demokrit im Text nicht genannt ist. D. trägt die Kleidung eines Vornehmen der Zeit, nicht – wie üblich – ein lose um den Körper drapiertes Tuch. 1580 erschien in Frankfurt ein Gedicht des Hans Sachs im Neudruck, ein Einblattholzschnitt in Folio. Die Illustration zeigt den stattlichen D., der gestikulierend in eine Menschenmenge eilt: „ein straffred D. Philosophi über das viehische verkehrtes leben Menschliches geschlechts“ erläutert die Überschrift. Ferner ist der Philosoph D. auf dem Titelblatt der deutschen Ausgabe von Ripas Iconologia, Augsburg, bei J. G. Hertel 1750; ebenso mehrfach in Klosterbibliotheken: Kopfkonsole in Admont (Gert Adriani, Die Klosterbibl., Graz 1935, Abb. 20); Deckenfresken in Schussenried und Wiblingen (Alfons Kasper, Der Schussenrieder Bibliothekssaal usw., Erolzheim 1954, S. 58–60, Abb. 18).
b) Schilderungen des D. in einer für seine Lebensgewohnheiten charakteristischen Situation kommen zunächst fast ausschließlich in Zusammenhang mit Anekdotendarstellungen vor. Von den seine Bedürfnislosigkeit und Eigenarten illustrierenden Zügen, die Diogenes Laertios überliefert hat, begegnen folgende: die spärliche Bekleidung des D.; der „Philosoph im Faß“ – D. habe gelegentlich ein Faß (worunter jene in der Antike üblichen großen Vorratsfässer aus Ton zu verstehen sind) als Wohnung benutzt; die auch bei Tag brennende Laterne des D., die ihm auf der Suche nach einem „Menschen“ dienlich sein sollte.
Nur die Art der Bekleidung, zumeist ein um den Körper geschlagenes und diesen nur teilweise verhüllendes Tuch, ist ziemlich regelmäßig, doch keineswegs ohne Ausnahme, bei den Darstellungen anzutreffen. D. im Faß oder mit Laterne kommen nur hie und da als selbständige Themen außerhalb von Anekdotenschilderungen vor.
Keine jener Gestaltungen reicht bis ins MA zurück. Die ältesten Beispiele gehören der italienischen Kunst des 16. Jh. an. „D. in doleo“ lautet die Beschriftung einer Miniatur in der Hs. Pal. lat. 1726 der Vatikan. Bibl., 1. H. 16. Jh.; ihre Quelle waren die Moralitäten des 1349 † englischen Dominikaners Rob. Holkoth (Fritz Saxl, Sber. der Heidelberger Akad. d. Wiss., phil. hist. Classe 6, 1915, S. 37). Im gleichen Zeitraum schuf Parmigianino ein D.-Bild, das nur noch im Stich des Jacopo Caraglio (Abb. 2) und in dem Farbenholzschnitt des Ugo da Carpi (Journal of the Warburg Institute I, 1937/38, S. 261 m. Abb.) überliefert ist. Neben den genannten Motiven begegnet hier ein gerupfter Hahn, ein dem D. auf Grund einer Anekdote beigegebenes Attribut: „Als Plato einen Menschen dergestalt beschrieben, daß er sey animal bipes implume / als ein zweibeiniges ungefiedertes Tier / brachte er (D.) einstens einen Hahn, dem die Federn ausgerupffet, in die Schule, schmiß ihn vor seinen (des Plato) Schülern nieder und sagte, daß dieses ein Platonischer Mensch wäre“ (nach Zedler, a. a. O.). Eine entsprechende Darstellung des Tieres für Bocchis Emblemenbuch schuf Bonasone; sie trägt die Inschrift „Hic est Homo Platonis“. Seit der 1. H. 16. Jh. ist das D.-Bild nicht mehr aus der italienischen Graphik verschwunden (Stiche von B. Castiglione, G. B. Cavazza, Lor. Lolli, V. Pizzoli-Minardi, M. San Martino usw. im K.K. Berlin).
In Petrarkas Trostspiegel, Augsburg 1532, erscheint D. im Faß liegend, vor ihm kriechen zwei Knaben (Romulus und Remus? – Th. Musper, Die Holzschnitte des Petrarkameisters, München 1927, Nr. 250).
D. mit der Laterne wurde erst seit dem 17. Jh. und in der Folgezeit häufig dargestellt. Während Rubens um 1620 das Thema episodisch darstellte (Schülerskizze im Städel: Ad. Rosenberg, Kl. d. K., Stuttgart-Leipzig 1905, Abb. 171, für ein Schülergemälde im Louvre: Rooses, Oeuvre IV S. 9; wiederholt in einer Jac. Jordaens zugeschriebenen Zeichnung in Schloß Windsor, Abb. 3; vom gleichen Meister eine selbständige Gestaltung des Themas in Dresden, P. Buschmann jr., Jac. Jordaens, Amsterdam 1905, Taf. 30), hat Ribera ein Halbfigurenbildnis durch die Laterne als D. charakterisiert (Kat. Dresden I, Die romanischen Länder, Dresden und Berlin 1929, Nr. 682; gestochen von Jean Daullé, 1703–63).
Aus der Vielzahl erhaltener Beispiele seien genannt: das Gemälde des C. B. van Everdingen (1652 dat., im Mauritshuis zu Den Haag) und die des Adriaen van der Werff (Aukt. Kat. Lepke-Berlin vom 20./21. Nov. 1904, Nr. 78, Taf. 10; für das zweite, etwas kleinere Gemälde in Dresden vgl. Karl Woermann, Kat. der kgl. Gem.Gal., Dresden 1908, Nr. 1821, S. 587). In der deutschen Kunst wurde das Thema erst im 18. Jh. (und besonders in dessen 2. H.) beliebt: Nach Joh. Heinr. Schönfeld schuf G. Ehinger einen Stich (Abb. 4), der alle Attribute des D. vereinigt; er trägt die Unterschrift „Quaero homines“ (unerklärt sind die Leichen von 5 Kindern vorn rechts). Ein Gemälde von Joh. Adam Schoepf befindet sich in Schloß Nymphenburg (Ad. Feulner, Kat. der Gem. im Residenzmus. München und in Schloß Nymphenburg [= Inv. der Ksamml. des ehem. Kronguts in Bayern I, 1], München 1924, Nr. 339). 1783 erschienen in Berlin Bernh. Rodes „Radierte Blätter nach eigenen historischen Gemählden und Zeichnungen“, unter ihnen befindet sich ein Blatt mit dem seine Laterne tragenden D. auf dem Markt. Für den Physiognomischen Almanach auf das Jahr 1792 entwarf Chodowiecki eine (von D. Berger gestochene) Darstellung. 1794 entstand ein Gemälde des Jan. Zick (Düsseldorf, Gem.Gal.; Ad. Feulner in Wallr.-Rich.-Jb. 9, 1936, S. 178, Abb. 125); ferner haben J. H. Tischbein d. J. und Joh. David Schubert (Entwurf, gestochen von J. F. Boldt, 1808) das Thema behandelt. Die Skulptur hat der reichen Produktion in Malerei und Graphik nur wenig entgegenzustellen. Genannt seien eine französische Bronzestatuette um 1700, „D. mit der Laterne“, 16 cm hoch, im Grünen Gewölbe zu Dresden (IX. 112), und Jos. Ant. Feuchtmayers Stuckplastik im Schlößchen Birnau-Maurach (Wilh. Boeck, J. A. Feuchtmayer, Tübingen 1948, S. 181–86, Abb. 272f.). c) Unter den Anekdoten-Darstellungen nahm im Hinblick auf Thema und Entstehungszeit ein Bildteppich, der im Chor von St. Maximin in Trier hing und vor 1224 entstand, eine Sonderstellung ein; erhalten hat sich allein der Titulus, der in einer Hs. des 15. Jh. aufgezeichnet wurde (Stadtbibl. Trier, Cod. Trev. 1337; Kurth, Bildteppiche, S. 32). Es war die sonst nicht nachweisbare Darstellung des in seinem Fasse ruhenden und von einem Dieb bestohlenen D. geschildert.
Wie in der literarischen Überlieferung, so ist auch in der bildenden Kunst der Besuch Alexanders bei D. das meistgestaltete Thema: D., der sich in einer Vorstadt Korinths sonnte, wurde von Alexander d. Gr. besucht und aufgefordert, sich eine Gnade zu erbitten; D. bat den König, er möge zur Seite treten, damit er ihm nicht in der Sonne stünde.
Diese Begebenheit ist schon in antiker Zeit gelegentlich dargestellt worden (Marmorrelief in der Villa Albani in Rom; Enc. Ital. XII, 928), doch das MA übernahm sie nicht. Offenbar wurde das Thema erst kurz vor 1500 wieder aufgegriffen, zunächst von der italienischen Malerei.
Ein Majolikateller aus dem letzten Jahrzehnt des 15. Jh. im Vict. u. Alb. Mus. London zeigt D. und Alexander im Gespräch; hinter ihnen stehen zwei Gruppen berittener Gefolgsleute des Königs, der orientalische Gewandung trägt. Die Zuschreibung des Entwurfs an Signorelli ist umstritten (Bern. Rackham in Burl. Mag. 71, 1937, Taf. vor S. 277). Das gleiche Thema behandelt Hans Leonh. Schäufelein in einem Holzschnitt (B. XII S. 100 Nr. 90). Die meisten gemalten Darstellungen der Folgezeit haben die Vielfigurigkeit beibehalten (Ausnahme: in dem 1591–94 von Gg. Hoefnagel illustrierten Schriftmusterbuch des Gg. Bocskoy stehen D. und Alexander aufrecht neben einem riesigen Faß mit der Inschrift „O vas sapientiae plena“; Ed. Chmelarz, G. u. J. Hoefnagel, Jb. Kaiserh. 17, 1896, S. 285), z. B.: die Entwürfe Le Bruns, die für zahlreiche Gobelins zugrunde gelegt und noch A. 18. Jh. in England (Soho?) kopiert wurden (Göbel III, 2, S. 189f.); in der von Goethe genannten Chronik Gottfrieds von 1710 findet sich ein auf M. Merian zurückgehender Stich (S. 185); im Deckenfresko der Bibliothek zu Wiblingen, 1744 von Franz Martin Kuen geschaffen, ist die Begegnung von D. und Alexander in ein größeres Bildprogramm eingefügt (G. Adriani a.a.O. S. 77). Mit besonderer Vorliebe nahm sich die Plastik des Vorwurfs an. In der Mitte der Stuckdecke in Schloß Sofdeborg (Schonen) ist in Anwesenheit von Gefolgsleuten des Königs dessen Besuch bei dem Philosophen geschildert, 2. V. 17. Jh. (Br. L. Grandjean in Tidskrift f. Konstvetenskap 28, 1952, S. 37); ebenfalls aus dem 17. Jh. stammen ein farbiges deutsches Wachsrelief im Vict. u. Alb. Mus. zu London (Weltkunst 13, 1939, Nr. 16, S. 1) und wenigstens die Vorlage für das Birnholzrelief, das sich früher in der Berliner Kunstkammer befand und 1917 mit der Slg. Salomon versteigert wurde (Aukt. Kat. Lepke-Berlin 1783, Nr. 171; es trägt die Inschrift „Joh. Georg Schwandaler inv.“; ein Träger dieses Namens ist – nach Thieme-Becker 30, S. 355 – nur in der Zeit zwischen 1773 und 1790 nachweisbar und müßte – wenn er nicht doch einen namensgleichen Vorfahren, der in der 2. H. 17. Jh. lebte, gehabt haben sollte – sein Relief nach einer graphischen Vorlage jener Zeit geschnitten haben). Eine getriebene Silbertafel, 90 × 130 cm, in holländischem Priv.bes. und wohl holländischen Ursprungs, aus 2. H. 17. Jh. zeigt D. in einem aufrechtstehenden Faß mit Dach sitzend im Gespräch mit Alexander (J. W. Frederik, Dutch Silver, Den Haag 1952, Nr. 314 S. 443). Von Johann Platzer ist das Flachrelief aus der Slg. Wilm geschaffen, sign. und 1780 dat. (Abb. 5, Aukt. Kat. Lempertz-Köln 435, 1952, Nr. 177, Taf. 66). Auch als Hauszeichen kommt die Darstellung vor (Potsdam, Gasthaus zum Einsiedler, 18. Jh., RDK I 343, Abb. 9).
Eine andere Anekdote berichtet, daß D. voller Beschämung seine hölzerne Trinkschale weggeworfen habe, als er einen Knaben, der das Wasser aus der hohlen Hand trank, sah. Diese, die Bedürfnislosigkeit des D. charakterisierende Episode ist vor allem in Italien zur Darstellung gelangt, seltener auch in Frankreich, aber – soweit bekannt – niemals in Deutschland.
Sehr lebendig ist die Begebenheit von Maratti geschildert, nach dessen Vorlage Procaccini seinen Stich schuf (Abb. 6). Salvatore Rosa gestaltete das Thema in einem Gemälde (Florenz, Pal. Pitti) und in einem Stich (B. 6). Der in der 1. H. 17. Jh. besonders beliebte Vorwurf liegt ferner einer Illustration des Emblematabuches Florentii Schonhovii (Gouda 1618, S. 125) und einem Gemälde Poussins zugrunde. Eine thematische Variante, das Zerbrechen der hölzernen Trinkschale, zeigt das 1747 dat. Gemälde von Ilauret im Louvre.
d) Bildzyklen mit Darstellungen aus dem Leben D. sind außerordentlich selten. Zwar sind bisweilen von einem Meister mehrere Schilderungen bekannt (z. B. von Rubens, zu dessen Frankfurter Skizze noch die Begegnung von D. und Alexander kommt, in einem Stich von 1784 überliefert), doch lediglich in der Bildwirkerei des Barock kam es zu zyklischer Erzählung. Jene Bildreihen, die z. T. auf Entwürfe Le Bruns zurückgehen, enthalten fünf Darstellungen: 1. D. in der Tonne, von Alexander besucht; 2. D. im Disput mit Philosophen; 3. D. schreibt auf eine Supraporte, die die Inschrift „nihil hic ingrediatur mali“ aufweist; 4. D. in den Ruinen von Karthago; 5. die Schulen des Sokrates und des Plato. Diesen Zyklus zeigen in zwei Exemplaren bekannte Gobelinfolgen einer englischen Manufaktur (Soho?), A. 18. Jh. (Göbel III. 2, S. 189f.).
Zu den Abbildungen
1. Sebastian Brant, Das Narrenschiff, lateinische Ausgabe 1. 3. 1497, Basel, bei Joh. Bergmann. Holzschnitt auf fol. 108, „De larvatis fatuis“. 11,8 × 8,5 cm. Nach Faksimiledruck.
2. Gian Jacopo Caraglio (um 1500–65), Kupferstich nach Parmigianino (1503–40), B. XV S. 94 Nr. 61. 21,4 × 16,3 cm. Um 1530–40. Nach älterer Repr. unbek. Ursprungs.
3. Jacob Jordaens zugeschrieben. Feder und Pinsel in Schwarz, Grau und Rot auf Papier. Windsor Castle, Royal Libr. Nr. 6440. 24,2 × 38,7 cm. Um 1620. Fot. Warburg Institute, London. Crown Copyright reserved.
4. Gabriel Ehinger (1652–1736), Radierung nach Joh. Heinr. Schönfeld (1609–82/3). 41,8 × 31,7 cm. 1. Dr. 18. Jh. Fot. St. Graph. Slg. München.
5. Johann Platzer (1745–nach 1780), Flachrelief, sign. u. dat. 1780. Buchs, 27,3 × 18,5 cm, ungefaßt. Ehem. München, Slg. Hubert Wilm. Nach Aukt. Kat. Lempertz-Köln 435, Dez. 1952, Taf. 66 Nr. 177.
6. Andrea Procaccini (1671–1734), Radierung nach Carlo Maratti (1635–1713). Vgl. Nagler, K.Lex. 13, 303. Anf. 18. Jh. Fot. Warburg Institute, London.
Literatur
1. Pauly-Wissowa V 765–73.
Verweise
Empfohlene Zitierweise: Braun, Edmund Wilhelm , Diogenes, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. IV (1955), Sp. 22–34; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=95603> [05.04.2022]
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