Danaë
englisch: Danae; französisch: Danaé; italienisch: Danae.
Leopold Ettlinger (1954)
RDK III, 1029–1033
I. Der Stoff und seine Darstellung im Altertum
D., Tochter des Akrisios und durch Zeus Mutter des Perseus. Dem Akrisios hatte das Orakel von Delphi geweissagt, daß ein Sohn seiner Tochter D. ihn töten würde. Um diesem Schicksal zu entgehen, schloß er sie mit ihrer Amme in einem ehernen Gemach ein. Zeus jedoch, in D. verliebt, kam als Goldregen durch eine Öffnung im Dach zu ihr. Als Akrisios entdeckte, daß seine Tochter einen Sohn geboren hatte, ließ er Mutter und Kind in einem Kasten auf der See aussetzen. Der Kasten wurde nach der Insel Seriphos getrieben und dort von Diktys aufgefunden. (Für den weiteren Verlauf der Geschichte s. Perseus.)
Bereits Nikias hat die Geschichte der D., die den Goldregen auffängt, auf einem Gemälde dargestellt (Plinius, nat.hist. XXV, 131). Die Sage begegnet uns auf rotfigurigen Vasenbildern (Leningrad; J. D. Beazley, Attic Red Figure Vase Painters, Oxford 19422, S. 239); sie erscheint auch auf pompejanischen Wandbildern (W. Helbig, Wandgemälde der vom Vesuv verschütteten Städte Campaniens, Leipzig 1868, Nr. 115 und 116). Merkwürdig ist eine bereits frühchristlicher Zeit angehörende Palombinoplatte in Sgraffitotechnik (Berlin, K. F. M.). D. liegt auf einem Ruhebett; Zeus erscheint als nimbierte Büste in den Wolken, aus denen der Regen auf D. herabfällt (O. Wulff, Amtliche Berichte 35, 1913, S. 28). Die Darstellung des Zeus entspricht ikonographisch genau der Gottvaters oder Christi.
II. Mittelalter
Im Mittelalter finden wir den D.-Stoff erst spät, vielleicht deshalb, weil er von Ovid nicht ausführlich behandelt worden war. Er tritt dann aber in verschiedenen Stoffkreisen auf.
Zunächst bemächtigt sich die allegorisierende Mythenauslegung der Sage. Für John Ridewall, den sog. Fulgentius Metaforalis, ist D. ein Beispiel der Pudicita (Rom, Cod. Pal. lat. 1066, fol. 238; vgl. H. Liebeschütz, Fulgentius Metaforalis, 1926, Taf. VII), und von dort geht der Stoff in spät-m.a. Allegoriensammlungen und Enzyklopädien über, wie die von Saxl veröffentlichte deutsche Hs. 1404 der Bibliothek Casanatense beweist. D. steht auf einem Turm, neben ihr sind Wächter, die jedoch den Goldregen, der von Jupiter aus einer Wolke oben rechts kommt, schwer aufhalten können (Fol. 24 v; F. Saxl, Festschrift für Julius Schlosser, Zürich 1927, S. 104).
Ins Novellistische umgebogen und im Sinne der Antike arg mißverstanden ist die D.-Geschichte in französischen Bilder-Hss. des 15. Jh., im Troja-Roman des Raoul Lefèvre „Recueil des Histoires de Troye“.
Ganz anderer Art ist jedoch die mariologische Auslegung des Stoffes, die uns, wohl in Fortführung bestimmter Anregungen Augustins, in Franz von Retz’ Defensorium, das um das Jahr 1400 entstand, begegnet. D. ist, zusammen mit anderen, eine Präfiguration Mariä, da auch sie jungfräulich empfing. Handschriften, Blockbücher und Drucke dieses Werkes waren illustriert, und der Text bestimmte auch den Bildkreis von Marienaltären. Unter diesen ist ein Tafelbild des Marienaltars in Stams (Tirol) von 1426 ein typisches Beispiel (Sp. 1209/10, Abb. 1). D. ist hier ein Mädchen, das unter einem Baldachin im Freien schläft. Auch ein demselben Stoffkreise angehöriges Bild in den Bayer. St.Gem.Slgn. zeigt D. ungewöhnlicherweise im Freien ruhend (Jb. Kaiserh. 23, 1902, Taf. XVII). Die Illustration im Blockbuch des Joh. Eysenhut von 1471 zeigt uns aber D. im Gefängnis, ersetzt den Goldregen durch Sonnenstrahlen und Zeus durch die Sonne (Abb. 1; s. auch Jb. Kaiserh. 23, 1902, S. 311, wo noch weitere Beispiele aufgezählt sind).
Die moralisierende Tendenz im Erzählen des D.-Stoffes kam mit dem MA keineswegs zu Ende. In den Emblemata Horatiana des Vaenius (Otto van Veen), 1607, wird D. zum Beispiel der Habgier: D. auf dem Bett wird zusammen mit einer Schar von Leuten vorgeführt, die eiligst das vom Himmel fallende Gold aufklauben (S. 127).
Wenn auch ohne moralisierende Tendenz, so setzt doch ein Brettstein aus dem Spiel des Hans Kels von 1537 die mittelalterliche ikonographische Tradition fort. D. steht vollbekleidet neben einem Turm – ihrem Gefängnis – und fängt in einem Bausch ihres Kleides den Goldregen auf. In den Strahlen aber, die vom Himmel strömen, schwebt die winzige Figur des Perseus auf sie zu, genau so wie bei Verkündigungsszenen zuweilen das Christuskind vom Himmel zu fliegen scheint (Abb. 2; vgl. Jb. Kaiserh 3, 1885, S. 67 Taf. XIII).
III. Renaissance
Erst die Renaissance brachte das D.-Thema wieder als antiken Mythos in antikem Gewande. Correggio (Rom, Gal. Borghese) und vor allem Tizian (Neapel, Museo Nazionale; Madrid, Prado) haben einen D.-Typus geschaffen, dessen sinnliche Nacktheit durch die Jahrhunderte gewirkt hat, während der Norden zunächst noch an einem mehr mittelalterlich anmutenden Bildtypus festhielt (J. Gossaert, Bild von 1527, München, A. Pin.). Panofsky hat darauf hingewiesen, daß das D.-Thema erst spät erscheint, da die Renaissance keine ihr gemäße Bildüberlieferung vorfand und es durch „Neuschöpfung“ oder „Analogiebildung“ erst neugestalten mußte.
In der dt. Kunst ist, im Gegensatz zur italienischen, das Thema nicht häufig; doch mag Rottenhammers Bild in Stockholm (Abb. 3; Kat. Nr. 237) beweisen, wie sehr die Tizianische Tradition nachwirkt: D. liegt nackt auf einem Bett; die Amme, die einen Vorhang zurückzieht, versucht den Goldregen in einer Schüssel aufzufangen (vgl. auch die Beschreibung eines italienischen (?) D.-Bildes bei Goethe, Werke IV, 49, S. 1–4; Brief an Zelter, 8. 7. 1831.
Zu den Abbildungen
1. Johann Eysenhut, Blockbuch des Defensorium inv. virg. b. M. 1471. Ehem. Gotha, hzgl. Bibl. Nach Jb. Kaiserh. 23, 1903, Taf. XXII.
2. Hans Kels d. Ä., Spielstein aus dem Brettspiel von 1537. Wien, Kh. Mus. Nach Jb. Kaiserh. 3, 1885, Taf. XIII.
3. Hans Rottenhammer, Danaë. Öl auf Kupfer, 21 × 25 cm. Stockholm, Nat.Mus., Kat. Nr. 237. Anf. 17. Jh. Phot. Mus.
Literatur
1. Pauly-Wissowa IV, 2, 2084–87 (Escher). – 2. Erwin Panofsky, Der gefesselte Eros (zur Genealogie von Rembrandts Danaë), Oud Holland 50, 1933, 203–17.
Verweise
Empfohlene Zitierweise: Ettlinger, Leopold , Danaë, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. III (1954), Sp. 1029–1033; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=88918> [04.04.2022]
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