Dämonen
englisch: Demons; französisch: Démons; italienisch: Demoni.
Hans Weigert (1953)
RDK III, 1015–1027
I. Begriff
D. kommt von griech. δαίμων oder δαιμόνιον. Beides bedeutet bei Thales einen der die Welt erfüllenden Geister. Sokrates als Träger der Aufklärung meint damit das Gewissen. Die Neuplatoniker nahmen den Volksglauben an δαιμόνια als Naturgeister wieder auf. Ihnen folgte Augustin, bei dem δαιμόνια hilfreiche und übelwollende Geister sind. Ulfilas übersetzte δαιμόνιον mit „unhultho“ (Unhold), Luther mit „Teufel“.
Die heutige Wissenschaft versteht unter D. die auf der Frühstufe jeder Kultur, im Animismus, geglaubten Geister. Diese sind nach Taylor „personifizierte Ursachen“ von Vorgängen, die erst auf der Stufe empirischer Naturforschung erklärt werden können. Gute Geister sind häufig die Fruchtbarkeit schaffenden Vegetations-D., böse die Verursacher von Krankheiten und Alpdrücken, von unheimlichen Naturerscheinungen in Moor, Wald und Nebel oder auch die „Wiedergänger“ genannten Seelen der Toten. In der Tiefenpsychologie erklärt C. G. Jung die D. als Archetypen, die aus dem kollektiven Unbewußten stammen und in Traum, Märchen, Mythus und bildender Kunst in die Welt projiziert werden.
Die D. werden gebannt durch Besprechung und Beschwörung (Wortmagie) oder schon dadurch, daß man ihren Namen weiß (Rumpelstilzchen), oder durch Abbildung (Bildmagie), z. Beispiel die Eherne Schlange 4. Mos. 21,8. Siehe auch Magie.
II. Bibel und Urchristentum
Im Alten Testament tauchen D. nur selten auf und stammen wohl aus anderen Religionen als der Jahwes. Bei Jesaia 13, 21 heißt es z. B., an der Stelle des zerstörten Babylon sollten „Feldgeister hüpfen“ (Luther). Ps. 90 (91), 6 spricht vom D. der Pest. Ps. 95 (96), 5 sagt: „Alle Götter der Völker sind D.“ Um Christi Geburt wucherte der D.-Glaube in den apokryphen Schriften der Juden. Das Buch der Jubiläen spricht Kap. 10 von D., die „verführen, verfinstern und töten“. Das Buch Henoch sagt Kap. 15, 9 auf Grund von 1. Mos. 6, 1ff., Engel hätten sich mit Weibern vermischt und böse Geister gezeugt.
Die D. des Neuen Testamentes sind im Gegensatz zu den germanischen Naturgeistern Krankheitsbringer oder von Gott unter Führung Luzifers abgefallene Engel (Luk. 10, 18; Apok. 12, 7–10). Nebeneinander kommen ἅγγελοιτοῦ ϕωτός und ἅγγέλοι σάτανᾶ vor (2. Korinth. 12, 7). Matthäus spricht 25, 41 von τῶ διαβόλω καὶ τοῖς ἀγγέλοις ἀυτοῦ. Dieser Teufel heißt Mark. 3, 22 ἅρχων δαιμονίων und Apok. 12, 7 δράκων. Die D. bringen Blindheit (Matth. 12, 22–24), Stummheit (Matth. 9, 32f.; 12, 22), Gicht (Luk. 13, 11–13) und Besessenheit (Mark. 5, 8–16; und 9, 17–29). Nach Matth. 10, 8 gab Christus den Jüngern den Auftrag: „Treibet die Teufel aus!“ Die apokryphen Apostelgeschichten des 2. und 3. Jh. sind übervoll von D.-Bannungen. „Daß es zur Austreibung böser Geister kein sicheres Mittel gibt, als die „Besprechung“ durch den Namen des Herrn, gilt der gesamten alten Kirche als ein Axiom ... Auch die Taufe im Namen Jesu Christi bedeutete für den Durchschnittschriften eine Einlieferung in den Machtbereich dieses großen Namens, durch die der Getaufte den bisherigen Besitzern, dem Satan und den D., endgültig entrissen war ... Bereits in den ältesten Liturgien stehen exorzistische Akte im Mittelpunkt (neben der Beschwörung durch den Namen Jesu z. B. Anblasen des Täuflings)“ [1].
III. Germanische Kunst
Die Germanen haben in der Bronzezeit eine Magie des Vertrauens, der Herbeiziehung der Sonne (Wagen von Trundholm) und Thors (Amulette) getrieben. In der Zeit der Völkerwanderung dagegen überwog eine Magie der Furcht, der Abwehr böser Geister. B. Kummer [3] erklärt diesen Gegensatz aus einer allgemeinen Verdüsterung des germanischen Weltbildes.
Daß die Germanen D. bannten, Bildmagie trieben, wird erwiesen durch das wikingische Gesetz (Landnámabok 95), „daß man nicht segeln solle gegen Land mit aufgesperrten Rachen“, d. h. daß man die Drachenköpfe, wie sie der Osebergfund und noch der Teppich von Bayeux zeigen, vom Steven nehmen solle, „damit die Landgeister nicht erschreckt würden“. Die Drachenköpfe dienten der Abwehr gegen die See-D. und waren „minantes incendia de navibus“ (Cnutonis regis gesta I, 4).
Viele Bildwerke zeigen eindeutig ihren apotropäischen Charakter, so die westfränkische Schnalle mit dem nilpferdhaften Unhold unter einem Totenschädel, der durch Abbildung und die seitlichen Flechtbänder gebannt wird [9, Abb. 18, 4]. Wie ihn, hat man sich den Dämon Grendel aus dem Beowulfsliede vorzustellen, der mit seiner Mutter im Moor, an der Stätte des Unheimlichen wohnte. Im Osebergfund des 9. Jh. können die Köpfe der Vögel und glotzenden Halbaffen wie die Kobolde des Stevens nichts anderes als eine Walpurgisnacht unreiner Geister bedeuten. Daß die Köpfe, die an Fibeln der Stufe Salin I den Fuß oder die Ränder bilden, als Abwehrzauber wirken sollten, ist wahrscheinlich. Auch die drohenden Köpfe des Stiles Salin II mit ihren Bandleibern scheinen als D.-Bannungen entstanden zu sein, wenn diese Bedeutung auch allmählich hinter die Absicht zu schmücken zurückgetreten sein mag [9; 10].
Schon bei den Germanen war eine apotropäische Form das „Bedrohungsmotiv“: ein Mensch, den beiderseits je ein Unhold anfällt. So zeigt es mit ganzen Figuren die Geldbörse von Sutton-Hoo aus M. 7. Jh. (Nordelbingen 20, 1952, S. 12 Abb. 2). Nur den Kopf des Bedrohten gibt die Silberspange von Galsted (Abb. 1). Ihre Form dürfte von keltischen oder römischen Schmuckstücken angeregt sein, die einen Menschenkopf zwischen Tieren zeigen (Scheiternd). Hinter diesen stehen letztlich die gegenständigen Tiere des alten Orients. Vielleicht hatten schon die keltischen Stücke eine apotropäische Bedeutung. Bei der Galstedter Fibel scheint sie sicher. Die Germanen hätten also in ihre sonst bildlose Kunst neben dem Lanzenreiter, der zu Wodan wird, gerade dies Motiv aufgenommen, von dem sie sich Beistand gegen die D. versprachen.
IV. Frühes MA
Frühes Mittelalter. Das 4. Laterankonzil von 1215 formulierte: „Diabolus enim et alii daemones a Deo quidem natura creati sunt boni, sed ipse per se facti sunt mali.“
Thomas von Aquin nennt die D. unter Berufung auf Augustin 10 (De Civitate Dei c. 11) einen „genus simulans deos et animas defunctorum“ (Sum. Theol. p. 1 qu. 63, art. 4). Daselbst qu. 114, art. 3 sagt er: „Omnia hominum peccata a daemone indirecte causantur, directe ex arbitrii libertate“.
Die D. wurden oft in Gestalt von Ungeziefer vorgestellt, als dessen Gott immer Beelzebub gegolten hat. Noch im Faust heißt er „der Herr der Ratten und der Mäuse, der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse“. Cäsarius von Meisterbach (um 1180 – um 1240) und Abt Richalm von Schöntal († 1220) wollten die Erregung vieler Krankheiten und zumal von Insektenstichen durch D. an sich selbst erfahren haben.
Die Geistes- und auch die Kunstgeschichte des MA sind bestimmt von dem allmählichen erfolgreichen Vordringen der Religion der Gottesliebe gegenüber einem Volksglauben, in dem ebenso wie bei den Germanen der Wanderzeit am wichtigsten eine Zauberpraxis gegen die D. war. Deren Zahl vermehrte sich seit der Bekehrung um die gestürzten Heidengötter, die zum „Wilden Heer“ wurden, und um die sündigen Triebe, die vom Teufel gesandten Versuchungen. Der Angriff der D. kommt nun sowohl aus den unheimlichen Bereichen der Natur, wie aus dem Menschen selbst.
Wie fließend der Übergang von der heidnischen zur christlichen Magie war, zeigt die Übernahme des Tierornaments auf den Tassilokelch in Kremsmünster und in die irischen Handschriften des 8. Jh.
In der Bekehrungszeit verschmolzen die germanische und die christliche Vorstellung vom Weltuntergang. Die Germanen glaubten an die Schlacht am Weltende, in der die Asen unter Freyr oder die aus Walhall ausziehenden Krieger unter Wotan mit ungewissem Ausgang gegen die D. kämpfen. Die Apokalypse sagt 12, 7–9: „Und es erhob sich ein Streit im Himmel: Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen, und siegeten nicht ... Und es ward ausgeworfen Satanas, der die ganze Welt verführet und ward geworfen auf die Erde, und seine Engel wurden auch dahin geworfen.“ Diesen apokalyptischen Kampf sah das MA als gegenwärtigen und dauernden Zustand. Die D. wurden, als Antipoden des Heiligen, im Westen wohnend gedacht, von wo sie gegen die Kirchen andrängen. Hier werden sie von den magischen Mitteln gebannt, vom Kreuz ([11] S. 302; [2] Abb. 22) und von Glocken, wie auf dem Teppich aus Skog in Schweden (Weigert, Gesch. d. dt. K., S. 635), und an der Westfront der Kirchen trifft sie der Gegenangriff der Engel unter Führung des Erzengels Michael (Abb. seines Kampfes über Mont St. Michel bei Weigert, Gesch. d. europ. K. I, S. 265). Dessen Altar stand in Centula im Westen des Atriums, sonst im Westwerk, das in Lorsch „castellum“ heißt, Festung in der D.schlacht (s. auch Engelkult).
Wie der Kirchenbau zeigt auch die Bildkunst die Bedeutung der D. Die ottonische Zeit pflegte die Passion nur mit dem Gekreuzigten darzustellen, die Wunder aber, in denen sich der Magier Christus als Herr der D. erweist, breit auszuspinnen. Die Reichenauer Schule zeigt in ihren Wand- und Buchzyklen die Heilung des Besessenen bei Gerasa (Luther: Gadara; Mk. 5, 1–16); hier fahren die Dämonen in eine Sauherde, die sich im See ersäuft: das Muster eines Exorzismus. Ein solches Bild entspricht dem Malerbuch vom Athos, das sagt: „Einige der D. reiten auf den Schweinen, andere schlüpfen ihnen in die Schnauzen.“ Diese D. sind nicht mehr als Tiere, sondern als menschengestaltige Teufelchen mit Flügeln gegeben und stammen von dem εἴδωλον ab, das bei den Griechen ein geflügeltes Abbild des Menschen war und nach dessen Tode in den Hades entwich.
Die christliche Kunst hat es 586 mit dem Rabulaevangeliar aufgenommen, Deutschland um 830 mit dem Drogosakramentar der Metzer Schreibstube [7]. Der Hortus deliciarum zeigt in der Darstellung der D.-Austreibungen nicht nur Teufelchen in Gestalt geflügelter Menschen, die dem Mund des Besessenen entfliegen (fol. 123), sondern auch phantastische Vögelchen (Abb. 2 und fol. 116).
Menschengestaltig ohne Flügel erscheinen die D. auch im Engelsturz. Das Malerbuch vom Athos beschreibt ihn: „Luzifer und sein ganzes Heer stürzt aus dem Himmel. Ganz oben erscheinen sie sehr schön, weiter unten werden sie zu Engeln der Finsternis ... noch tiefer unten sind sie halb Engel, halb Teufel, schließlich werden sie ganz zu schwarzen und scheußlichen D.“ Der Hortus deliciarum folgt diesem Schema auf fol. 3 b.
Das Bauornament zeigte in karolingischer Zeit keine D., weniger weil Karl d. Gr. auf D.-Opfer die Todesstrafe gesetzt hatte (M.G. Leg. sect. II, I, 45), als weil damals spätantike Formen importiert und imitiert wurden. Um 1000 gab es keine D.-Darstellungen, weil nur der anorganische Stein sprach. Mit dem Auftauchen von organischem Leben aus dem Stein um 1100 aber beginnt in allen germanisch durchdrungenen Ländern eine Unzahl von D.-Darstellungen. Sie haben die Gestalt von Schlangen, Drachen, Ungeheuern, Fabelwesen, Löwen, Hunden, Affen oder auch menschengestaltigen Teufeln. Dehios Meinung, alle diese greulichen Unwesen seien „Spiele eines phantastischen Humors, den ernst zu nehmen erst den gelehrten Exegeten unserer Tage vorbehalten blieb“ (Dt. K. I, 1, S. 177) und die entsprechende Meinung Künstles (I S. 121) entstammen einer Zeit, die am Magischen vorüberging. Köpfe wie die der Abb. 4, die an zweifellos D. bannende Skulpturen der „Naturvölker“ erinnern, zeigen, daß die Deutschen damals deren Geisterglauben teilten.
Der D.-Bannung am und im Bauwerk dienen:
1. Das aus der germanischen Kunst übernommene oder neu geprägte Bedrohungsmotiv. Die Fassade des Domes zu Pisa zeigt es in Inkrustation mit der Umschrift: „De ore leonum libera nos Domine“ nach Ps. 22, 22. Daß das Motiv apotropäisch wirken soll, ist wahrscheinlicher, als daß es, wie Goldschmidt (Der Albanipsalter in Hildesheim, Berlin 1895, S. 77ff.) meint, eine Illustration zu Psalm 70,2 ist: „Eile, Gott, mich zu erretten, Herr, mir zu helfen.“ Jedenfalls sind die gegenständigen Tiere des alten Orients, die von byzantinischen Geweben nur als Dekoration übernommen waren, wieder mit Bedeutung erfüllt worden. Schon burgundische Schnallen des 7. Jh. hatten Daniel zwischen zwei Löwen gezeigt, die mitunter die Köpfe der D. auf germanischen Fibeln haben (Weigert, Gesch. d. dt. K., S. 529). Die romanischen Kapitelle geben dem Motiv des von D. angefallenen Menschen oder Menschenkopfes zahllose Abwandlungen [11, Abb. 143–155]. Oft ist der Kopf selbst dämonisiert, hat Teufelsohren, und die D. emanieren aus seinem Munde (Abb. 4; vgl. auch [4]).
2. Portalzonen, wie in S. Michele in Pavia (um 1170) und an der wohl von Oberitalien angeregten Schottenkirche St. Jakob in Regensburg (um 1180; zu den verschiedenen Interpretationen s. Künstle I S. 129f.). Wahrscheinlich soll der dämonischen Welt, zu der Heidentum, Naturgeister und Teufel gehören, der Eintritt am Portal durch Bildmagie verwehrt werden (Abb. 3).
3. Bestiensäulen (s. RDK II 366–71).
4. Die „Trutzköpfe“, einzeln und unregelmäßig vermauerte, oft primitive Masken oder ganze Figuren, von denen Mailly [6] sagt: „Sie hatten im Mittelalter dieselbe Bedeutung, wie die Gorgonenköpfe in der Antike ..., sollten Schutz- und Abwehrzauber bewirken.“ Noch 1783 erwähnt Thiers in „Superstitions anciennes et modernes“ den Glauben, daß das Drachen- oder Teufelsbild den Teufel abwehre. Apotropäische Masken kennen alle Kulturen von Peru bis Polynesien. Zu ihnen gehören auch die Bildwerke, in denen Jung [2] ein Nachleben germanischer Götter im Volksglauben annimmt. Die Skulpturen sind als deren Bannungen anzusehen.
5. Taufsteine. Der zu Freudenstadt z. B. steht auf Affen und zeigt am Becken Flügelechsen und andere Bestien.
6. Drache und Basilisk oder Löwe zu Füßen Christi, nach Ps. 91, 13. Künstle erwähnt (I S. 123) solche Darstellungen seit dem 5. Jh. Dementsprechend bedeuten die Tiere zu Füßen von Grabfiguren das überwundene Dämonisch-Böse.
Neben der apotropäischen kann das romanische Bauornament auch andere Bedeutungen haben: epische, satirische oder, am häufigsten, symbolisch-sakrale, wie die Tiere aus dem Physiologus (Künstle I S. 119ff.). Oft mag auch die Magie in bloßer Dekoration aufgehen. „Die Grenze zwischen bedeutungsvoller Symbolik und bedeutungsloser Ornamentik ist im Mittelalter stets fließend gewesen“ (H. Bergner).
Mit dem Beginn der Gotik verschwanden die D. aus den Kirchen und zogen sich als Wasserspeier unter die Dächer zurück. Schon um 1140 schrieb Bernhard von Clairvaux: „Was soll in den Kreuzgängen jene lächerliche Ungeheuerlichkeit? ... Wozu hier die unreinen Affen, Löwen, Kentauren, Halbmenschen, Tiger, kämpfenden Soldaten, blasenden Jäger? ... Wenn man sich des Unpassenden nicht schämt, warum scheut man nicht wenigstens die Kosten?“ (Migne, P. L. 182, S. 913; deutsch bei Künstle I S. 120). Bernhard verstand den Sinn der D.-Bannungen nicht mehr oder wollte ihn nicht mehr verstehen, weil er die Hochreligion rein vertrat. Er war der Führer zur Kreuzesmystik und vertieften Marienverehrung, die nach ihm an Stelle der Dämonenfurcht den Volksglauben zu erfüllen begannen. Auch die höfische Dichtung um 1200 weiß ebensowenig von den D., wie die homerische von den chthonischen Mächten wußte, die an fast allen Tempeln durch Bildwerke dargestellt wurden.
Daß die Wasserspeier von der Kirche gebannte oder aus ihr ausfahrende D. darstellen, ist daraus zu schließen, daß sie mitunter tierische und teuflische Fratzen haben (Abb. 6) oder dem Teufel benachbart sind (Paris, Notre Dame). Ihre Verwandten sind die Drachen, die von den Firsten vieler norwegischer Stabkirchen ausschwingen und von den Stevenendigungen der wikingischen Schiffe abstammen. Die Wasserspeier leben nach in den Drachenkopfendigungen von Dachrinnen österreichischer Häuser des 16. Jh. (Jahn, Wörterb. d. K. S. 687).
V. Drolerie
Drolerien setzen das in der romanischen Bauplastik angeschlagene Thema fort: die Gegenüberstellung des Heiligen und des Unheiligen, das sich hier zu allen Seiten des niederen Lebens weitet und das Dämonische mit vielgestaltigen anderen Inhalten mischt. Diese Überwucherung der D. mit Unterhaltsamem und noch mehr die Wandlung ihrer Gestalt ins Drollige zeigt, daß sie ihre Schrecken verloren haben (Abb. 7). So trägt ein Drache einen Narrenkopf mit Schellenkappe.
VI. D. als Versucher
Die Dämonen als Versucher. Eine neue Welle von D.-Darstellungen brachte die Zeit um 1500, besonders in der Peinigung des hl. Antonius [12]. Diese war vereinzelt an einem Kapitell des 12. Jh. in Vézelay vorgekommen (Phot. Marburg Nr. 33088). Um 1480 zeigte sie Schongauer in einem Kupferstich, 1512/16 Grünewald im rechten inneren Flügel des Isenheimer Altars.
Über die Plagegeister des hl. Antonius schrieb bald nach dessen Tode in der 2. H. 4. Jh. der hl. Athanasius, Abt von Alexandria, im Martyrologio Aegyptio: „Irrumpentes in ipsum multis crudelibusque acceperunt flagellis ... diaboli variis sub larvis et phantasmatibus illi sese obtulerunt, sub formis scilicet ferarum, ut luporum, leonum, draconum, serpentum, scorpionum ac eiusmodi ...“ [2, S. 51]. Den hier aufgezählten Bestien entsprechen die D.-Darstellungen des MA. Das 15. Jh. überbietet sie durch „Phantasmata“, Verschmelzungen von Menschen, Raubtieren, Vögeln und Insekten mit Krallen und Flügeln von Fledermäusen zu greulichen Monstrositäten (Abb. 8). Physiognomische Studien an Irren, wie sie zuerst um 1250 der große Meister der Masken der gnadenlosen Seelen unter dem Querschiffsims der Reimser Kathedrale gezeigt hat (H. Weigert, Die Masken der Kathedrale zu Reims, Pantheon 14, 1934, 246), sind in sie verwoben. Auch albdruckhafte Angstträume von Malern, die an der Grenze des Psychopathischen standen, müssen beteiligt sein.
Die paradoxesten „Phantasmata“ fand Hieronymus Bosch († 1516), oft aus Organischem und Anorganischem gemischt, surrealistische Gebilde, mit ihren Panzern zuweilen moderne Kriegsmaschinen vorwegnehmend. Die Mischwesen bedeuten wohl schon bei Schongauer und Grünewald eine teuflische Störung des Ordo, der göttlichen Ordnung, eine „verkehrte Welt“. Der Pessimismus des Bosch erfüllt die ganze Welt mit ihnen. Die Erde wird zur Hölle (L. v. Baldass, Hieronymus Bosch, Wien 1943).
VII. Nachleben der D.
Aus den Natur-D., besonders der süddeutschen Gebirge, scheinen die Wilden Männer und Frauen entstanden zu sein, die in der Graphik des 15. Jh. in Zeichnungen der Donauschule und als Wappenhalter auftreten (R. Bernheimer, Wild men in the middle ages, Cambridge [Mass.] 1952).
Abermals tauchen dämonische Fratzen A. 17. Jh. im Knorpelwerk, sowohl im Ornamentstich wie in Reliefs, auf. Sie entstanden aus dem Versuch, den anorganischen Stoff des Beschlagwerks zu organischen Gebilden zu verlebendigen, sind also kaum mehr als artistische Formenspiele. Zahlreiche Beispiele in Ornamentstichen des Maximilians-Mus. Augsburg, die phantasievollsten von Wendel Dietterlin d. J. im G.N.M. (P. Jessen, Der Ornamentstich, 1920, Abb. 90, 97 a, und R. Berliner, Ornamentale Vorlageblätter, 1926, Taf. 240, 272–4).
An die D. glaubte man noch bis lang in die Neuzeit. 1697 bestiegen zwei schlesische Adlige die Schneekoppe „mit sich habende pro Exorzista des Ribenzahlss den Ehrwürdigen Pater Fr. Eustachius Kahl Ord. Min. Konv.“ (Gipfelbuch der Schneekoppe). Man traute sich nicht ohne einen Teufelsaustreiber ins Reich der Bergdämonen.
Erst im 18. Jh. lehrten die Schotten (Ossian) und der Sturm und Drang, nach 1800 die Landschaftsmaler J. A. Koch und C. D. Friedrich die Gebirge als erhaben ästhetisch zu begreifen. Von den Spätromantikern gibt M. v. Schwind (München, Schackgalerie) den Rübezahl noch als geheimnisvolle (Abb. 9), L. Richter aber schon als freundliche Märchenfigur. Bei diesem werden die anderen Waldgeister zu Gnomen, Wichteln oder Heinzelmännchen.
Am längsten lebte der D.-Glaube bei niedersächsischen Imkern nach, die ihre Bienenkörbe durch Bannmasken schützen, die sie freilich zuletzt rationalisiert als Diebesabwehr erklärten (Beispiele in den Museen Celle und Nienburg/Weser). Endlich ist der Lärm des Polterabends ein Abklang der D.-Abwehr, und in der süddeutschen Fastnacht löst sich mit Teufelsfratzen und Besenritten uraltes Grauen zum Gelächter [8].
Zu den Abbildungen
1. Kopenhagen, Nat.-Mus., Fibel aus Galsted bei Hadersleben. Silber, vergoldet. 6. Jh. Phot. Mus.
2. Hortus deliciarum, fol. 106 r. Fragment einer Dämonenaustreibung. Ende 12. Jh. Nach E. Straub u. G. Keller. Taf. XXIX bis.
3. Soest, St. Peter, Kapitell in der Vorhalle. Ende 12. Jh. Phot. Landeskonservator Westfalen, Münster.
4. Hamersleben, Prov. Sachsen, Stiftskirche, Kapitell im Mittelschiff. 1. H. 12. Jh. Phot. Stoedtner 98 239.
5. Zürich, Kreuzgang des Großmünsters, Pfeilerkapitell an der Westseite. Um 1200. Nach [11] Abb. 60.
6. Straßburg, Münster, Wasserspeier von der Südseite des Langhauses, jetzt im Alten Steinhof. Um 1250. Phot. Marburg 68 202.
7. Köln, Dom, Chorgestühl. Miserikordie an der Nordseite, hintere Reihe, Stuhl 9. Um 1330. Phot. Marburg 22 252.
8. Meister H. L. (Meister des Breisacher Hochaltars), rechter Seitenflügel vom Altar in Niederrothweil b. Breisach. Michaels Kampf mit den Teufeln. Um 1514–18. Phot. Krucker, Freiburg i. Br.
9. Moritz von Schwind, Rübezahl. München, Schackgalerie. Öl auf Leinwand. 1851. Phot. Bayer. St. Gem. Slgn. München.
Literatur
1. Franz Jos. Dölger, Der Exorzismus im altchristl. Taufbekenntnis, Paderborn 1909. – 2. Erich Jung, Germanische Götter und Helden in christl. Zeit, München-Berlin 19392. – 3. B. Kummer, Germanischer Kult und Glaube in den letzten heidnischen Jahrhunderten. Diss. Leipzig 1926. Als Buch: „Midgards Untergang“, Leipzig 1935. Rez.: A. Heusler in Dt. Lit.Ztg. 1928, 34ff.; Genzmer in Hess. Bll. f. Volkskunde. 1927, 217ff.– 4. J. H. F. Kohlbrugge, Tier- und Menschenantlitz als Abwehrzauber, Bonn 1926. – 5. R. G. G. II, Art. „Exorzismus“, Sp. 474ff. (Jülicher und Bertholet); Art. „Geister“, Sp. 959ff. (van der Leeuw). – 6. Anton Mailly, Abgötter an christl. Kirchen, Die christl. Kunst 25, 1928/29, 42ff. – 7. O. A. Erich, Die Darstellung des Teufels in der christl. Kunst, Berlin 1931, S. 41ff. – 8. Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens II, Berlin-Leipzig 1929/30, Sp. 140–68 (K. Beth). – 9. Hans Weigert, Die Bedeutung des germanischen Ornaments. Festschrift Wilh. Pinder, Leipzig 1938, S. 81–116. – 10. Karl Heinz Clasen, Die Überwindung des Bösen. Ein Beitrag zur Ikonographie des frühen MA. Festschrift Wilh. Worringer, Königsberg 1943, S. 13ff. – 11. Wera von Blankenburg, Heilige und dämonische Tiere, Leipzig 1943. – 12. Enrico Castelli, Il demoniaco nell’arte, Mailand-Florenz o. J. (1952).
Empfohlene Zitierweise: Weigert, Hans , Dämonen, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. III (1953), Sp. 1015–1027; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=93107> [05.04.2022]
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