Custodia

Aus RDK Labor
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englisch: Custodia, monstrance; französisch: Custode; italienisch: Custodia.


Edmund W. Braun (1953)

RDK III, 891–895


RDK III, 891, Abb. 1. Ratibor, 1495.
RDK III, 893, Abb. 2. Wiener Heiltumsbuch, 1501.

I. Begriff

C. nennt man die vor allem im 15. und 16. Jh., in Spanien bis heute gebrauchte turmartige, ständerlose Monstranz, die am Fronleichnamsfest zur Aussetzung des Allerheiligsten dient und auch mittels Trage oder Wagen bei der Prozession herumgeführt wird. Infolge ihrer Größe kann sie ihrerseits eine Monstranz in sich aufnehmen.

„C. es tempio rico, fabricado / Para triunfo de Christo verdadero, Donde se muestra en pan transsubstanciado, En que esta Dios, y Hombre todo entero“ (C. ist ein Prachttempel, errichtet für den Triumphzug des wahren Christus, wie er sich offenbart in dem verwandelten Brot, in dem er ganz Gott und Mensch ist). So beschreibt Joan d’Arphe, Abkömmling niederrheinischer Goldschmiede in Valladolid, den Sinn der C. (De varia commensuracion para la Esculptura y Arquitectura, Sevilla 1585; nach [2] Sp. 341). Im heutigen kirchlichen Gebrauch ist die C. ein lediglich zur Aufbewahrung der zur Aussetzung in der Monstranz bestimmten konsekrierten großen Hostie dienendes, kleines, verschließbares Metallgehäuse von zylindrischer oder rechteckiger Form; sie kam erst in jüngerer Zeit in Gebrauch (J. Braun, Liturg. Handlexikon, Regensburg 19242, S. 186; vgl. auch Altargerät, RDK I 490).

II. Name

Seit dem 13. Jh. gebrauchte man die Bezeichnung C. (lat. = Bewahrung; frz. custode) zunächst für den Speisekelch, das Ziborium (Belege: [1]; [3] S. 289). Später, vor allem in Südfrankreich im 15. und frühen 16. Jh., ist C. der Name für die Monstranz. Noch heute wird in Spanien die Monstranz C. genannt, und zwar unterscheidet man hier zwischen der C. portatil, de mano oder pequeña (Trag-, Hand- oder kleinen Monstranz) einerseits und der C. de asiento (Stehmonstranz) andrerseits [3, S. 351 u. 398]. Mit der letzteren haben wir es hier allein zu tun.

III. Verbreitung

Nahezu alle erhaltenen C. befinden sich in Spanien. Die meisten von diesen, die Justi [2] zusammengestellt hat, sind in den Werkstätten der in drei Generationen tätigen Goldschmiedefamilie d’Arphe entstanden. Der älteste nachweisbare Goldschmied dieser Familie, Enrique d’Arphe (1501 als Enrique de Colonia, platera, genannt), stammte jedoch aus Deutschland, wahrscheinlich aus dem niederrheinischen Harff a. d. Erst, und vom Rheinland oder aus dem burgundischen Kunstkreis haben die C. vermutlich ihren Ausgang genommen. Außerhalb Spaniens scheint allerdings nur eine C. sich erhalten zu haben, die im Auftrag der Przemysliden entstandene in der Pfarrkirche in Ratibor, O. S. (Abb. 1). Doch verzeichnet auch das Wiener Heiltumsbuch von 1501 im dritten Umgang eine C. in St. Stephan („In ainer Silbern hohen Monstrantz geschigkt als ain Thurn ...“ – Abb. 2). Die Prozession mit der von zwei Priestern getragenen C. erläutert anschaulich eine Miniatur aus dem 1871 verbrannten Stundenbuch des Juvenal des Ursins, EB. von Reims († 1473; P. Lacroix, La vie militaire et religieuse au moyen-âge, Paris 1873, S. 255). Eine von einem Träger gehaltene ständerlose Monstranz findet sich bereits in der Darstellung einer Sakramentsprozession auf einer Miniatur von 1374 [3, S. 397]; auch in England ist diese Form im späten 14. und im 15. Jh. nachweisbar [3, S. 398]. Und noch gegen E. 16. Jh. ist die Form der C. in Deutschland lebendig: in dem vom Vikar des Regensburger Hochstifts Dr. Jacob Müller 1591 in München bei Adam Berg herausgegebenen Werk „Kirchen-Geschmuck“ zeigt der Holzschnitt S. 38 eine Monstranz, die deutliche Anklänge an die C. aufweist. – Die älteste spanische C., die der Kathedrale von Gerona, wurde 1430 in Auftrag gegeben und 1458 vollendet [3, S. 399].

IV. Form

Die C. ist im allgemeinen vierseitig, in mehreren sich verjüngenden Geschossen turmartig (durchbrochen) aufgebaut und erhebt sich über einer, oft von Löwen, Evangelistensymbolen oder dgl. getragenen profilierten Fußplatte. Dieser Mangel eines Fußes oder Ständers ist ihr typisches Merkmal. An den Ecken sind Strebepfeiler und -bögen angeordnet.

Ein solcher Aufbau zeigt aber die nahe Verwandtschaft der C. mit Werken wie der burgundischen Standuhr Philipps des Guten im G. N. M.. um 1430 (Heinr. Kohlhaußen im 90. Jahresbericht des G.N.M., 1944, S. 7–26, Abb. 1–5). Kohlhaußen weist hier nachdrücklich darauf hin, daß die Form der Standuhr eng mit der niederrheinischen Goldschmiedekunst verknüpft ist (vgl. die zwei Aachener Reliquiare, nach 1361 und um 1400, ebd. Abb. 10 und 11). Auch andere gotische Reliquiare, etwa die des Hallischen Heiltums (Halm-Berliner Nr. 141 Taf. 63 und Nr. 199 Taf. 94 b, beide deutsch 1. H. 15. Jh.), oder gotische Tischbrunnen, wie der vom niederländischen Meister WA m. d. Pfeilspitze gestochene, um 1470 (Lehrs VII, S. 90 Nr. 62), gehören zu den Ahnen der C.; auch dieser Meister arbeitete für den burgundischen Hof (W. Boerner, Der Meister WA m. d. Pfeilspitze, Diss. Bonn, Leipzig 1927, S. 32). Vom gleichen architektonischen Geist getragen ist der erste Entwurf Peter Vischers d. Ä. für das Sebaldusgrab, 1488 (Wien, Akad. d. bild. Künste), Wie die erste Fassung des Schönen Brunnens in Nürnberg.

Die Ratiborer C. (Abb. 1) baut sich, von Löwen mit den emaillierten Wappen der Troppauer und Ratiborer Przemyslidenfürsten getragen, in zwei Geschossen auf, deren unteres eine Statuette des im Sarkophag stehenden Schmerzensmannes enthält, wie es auch von einer englischen C. der 2. H. 14. Jh. in St. Albans berichtet wird [3, S. 398]; das obere Geschoß trägt den zylinderförmigen Glasbehälter für das Allerheiligste, über dem, wiederum auf einem Sockel, eine Statuette der Muttergottes in der Strahlenglorie erscheint.

Die C. sind im allgemeinen erheblich größer als die Monstranzen. So ist die Ratiborer 1,27 m hoch; die größte spanische, die schon ganz in Renaissanceformen gehaltene C. der Kathedrale von Sevilla, hat eine Höhe von 3,33 m. Eine der kleinsten C. ist die der Kathedrale von Silos mit 0,90 m Höhe. (Abb. der C. von Cordoba und Cadix bei [3] Taf. 79).

Zu den Abbildungen

1. Ratibor, O. S., Pfarrkirche. Custodia mit den Wappen der Troppauer und Ratiborer Przemyslidenfürsten. Silber, z. T. vergoldet und emailliert, 1.27 m h. Dat. 1495. Nach Hinze-Mesner, Schlesische Goldschmiedekunst.

2. Wiener Heiltumsbuch, Custodia im dritten Umgang zu St. Stephan. 1501. Phot. G. N. M.

Literatur

1. Gay I 526–28. – 2. Carl Justi, Die Goldschmiedefamilie der Arphe, Zs. f. christl. Kunst 7, 1894, 289–302; 333–46. – 3. Braun, Altargerät, S. 281, 289, 351, 397–400. – 4. Fr. Schneider in: „Kirchenschmuck“ 16, 1885, 11–14.