Commodité
englisch: Commodity, convenience; französisch: Commodité; italienisch: Commodité, comodità.
Luisa Hager (1953)
RDK III, 826–831
Die C. (= Bequemlichkeit im Wohnen) spielt als architekturtheoretischer Begriff eine große Rolle im Schloß- und [Lemma::Hotel|Hotelbau]] des Régence und Rokoko. Man verstand darunter eine möglichst sinnvolle und zweckmäßige Anordnung der Wohn- und Festräume, Nebenräume, Treppenhäuser, Korridore und Nebentreppen, sowie der Ein- und Ausgänge für Dienerschaft (dégagements), Wirtschaftsräume, Stallungen usw., die das „Wohnen“ sich möglichst schnell und reibungslos abwickeln läßt. Dabei war es gleichgültig, ob es sich um eine größere oder kleinere Hofhaltung handelte oder um die Wohngepflogenheit in einem Stadtpalais, Hotel oder Maison. Die C. wird also erreicht durch den Grundriß, den der Architekt dem betreffenden Bau gibt. Sie setzt eine genaue Kenntnis der repräsentativen, gesellschaftlichen und intimen Gepflogenheit voraus und fordert die Konzeption der Distribution (Raumeinteilung) nach den Forderungen der C. Nicht mehr die Forderung nach der repräsentativen Fassade, nämlich der monumentalen und regelmäßigen Achsenführung des Aufrisses ist nun entscheidend auch für den Grundriß eines Baues, sondern umgekehrt, die Forderung nach möglichster C. modifizierte zwangsläufig auch die Fassade.
Die Zeit des Régence hielt sich viel darauf zugute, den Wohnstil im Sinne der C. reformiert zu haben, und es gibt Schulbeispiele hierfür (s. u.). Doch ist die primäre Notwendigkeit der C. bereits weit früher von maßgebenden französischen Bausachverständigen erkannt und gefordert worden.
So lehrt schon Lemuet in seiner „Manière de bien bâtir pour toutes sortes de personnes“, Paris 1633, neben der „bienséance“ (Zweckmäßigkeit) die „commodité“. Daß die Bedürfnisse des gesellschaftlichen Lebens und der Etikette die Reformierung der Baukunst im Sinne der C. herbeiführten, läßt sich vielfach belegen. Madeleine de Scudéry spricht davon, daß über dem Bemühen um die prunkvolle Fassade zu wenig daran gedacht würde „à ce qui peut rendre ces beaux lieux les plus commodes pour ceux qui en sont les maîtres“. Herr von Chantelou berichtet, Colbert habe das Louvreprojekt Berninis abgelehnt, „da für die Person des Königs und ein bequemes Appartement in keiner Weise gesorgt sei“. Mit dem beginnenden Hochbarock hat auch der Ulmer Baumeister Jos. Furttenbach d. Ä. in Wort und Bild auf die Raumdisposition als wichtigstes Erfordernis für den Patron des Hauses und seine Bequemlichkeit verwiesen.
Als Bahnbrecher der neuen Raumkunst gilt mit Recht Louis Levau, der das Corps de logis zwei Räume tief bildet und damit das sog. „Appartement double“ mit der Möglichkeit einer Detaillierung des Grundrisses erfindet, unter Vorwegnahme der Motive der C. (Schloß Vaux-le-Vicomte, 1657/60).
Es sei besser, gelegentlich von dem Herkömmlichen abzuweichen, als dem Bauherrn für seine Ausgaben keinerlei C. einzuräumen, empfiehlt J. Fr. Blondel als einer der führenden Architekten des 18. Jh. in seiner der „Distribution“ gewidmeten Abhandlung 1737. Die „Monuments érigés à la gloire de Louis XV“ von P. Patte rühmen „toutes ces distributions agréables ... qui dégagent les appartements avec tant d’art“ als eine Erfindung seiner Zeit und R. de Cotte bemüht sich um die „commodités indispensables“ in seinem Mémoire zur Planlegung des Palais Thurn und Taxis in Frankfurt a. M. von 1727 (u.a. Verlegung des Grand Appartement ins Erdgeschoß, gedeckte Bogengänge zu seiten des Ehrenhofes, Salons und Schlafzimmer im 1. Obergeschoß mit den üblichen Kabinetten und dégagements). Einen der ersten Versuche äußerst differenzierter Raumgestaltung stellt das alte Palais Bourbon in Paris (beg. 172.2) dar, dessen Grundriß statt der überlieferten Symmetrie wechselnde Raumformen vorsieht, die die Möglichkeit geben, die Fragen der C. zu lösen (A. E. Brinckmann, Hdb. d. Kw. II, Abb. 262). Ein gutes Beispiel ist auch das Pariser Hôtel de Matignon (1721) mit der durch die beengten Platzverhältnisse bedingten Verschiebung der Enfiladen auf der Vorder- und Rückseite des Baues zum Zwecke der C. (Ebd. Abb. 265). Besonders bezeichnend für die intime Appartements bevorzugende Wohnkultur des Rokoko sind die Umbauprojekte Ludwigs XV. in Versailles, denen die berühmte Gesandtentreppe und die Galerie de Mignard zum Opfer fielen.
Daß die C. Kernproblem der Rokokoarchitektur ist, beweist auch Schloß Benrath bei Düsseldorf (beg. 1755. – Abb. 1, 2). Nic. de Pigage hat hier zur Erreichung eines möglichst hohen Grades von C. den Grundriß weiter verfeinert. Bei letzter Ausnützung wurde der verfügbare Raum so ausgeklügelt, daß das Corps de logis des eingeschossigen Baues über 55 Räume verfügte, wobei u.a. neben den beliebten ovalen und rechteckigen Kabinetten auch ein stattliches Vestibül und der durch die beiden Geschosse geführte, repräsentative Kuppelsaal nicht fehlen. Das „Gewirre“ der Räume ist durch die üblichen dégagements in Verbindung gebracht und somit das Wohnideal der Zeit vollendet erreicht.
Die Vorliebe des Rokoko für eingeschossige Bauwerke (à l’italienne) findet auch ihre Begründung in der C.
Die in der Regel auf den Grundriß anzuwendende C. hat in übertragener Bedeutung selbst auf die Möbelkunst Einfluß genommen. Schon J. Furttenbach (Mannhafter Kunstspiegel, Augsburg 1663, S. 256) erfand für seinen „Schauspielsaal“ eine Kredenz, die vom Nebenraum aus bedient werden konnte. Berühmt war die „table volante“ (Tischlein-deck-dich) im Speisezimmer des kleinen Schlosses von Choisy (1754/56).
Zu den Abbildungen
1. Schloß Benrath b. Düsseldorf, Grundriß des Hauptbaues, Erdgeschoß. Begonnen 1755. Nach [13] S. 31 Abb. 20.
2. Schloß Benrath, Querschnitt durch den Hauptbau in der Mittelachse (Kuppelsaal und Vestibül). 1755–65. Zeichnung von Nic. Pigage als Stichvorlage für seine „Architecture Palatine“, 1769. Nach [13] Taf. IV b.
Literatur
A. Quellen: 1. Jos. Furttenbach d. Ä., Architectura civilis, Augsburg 1638; Mannhafter Kunstspiegel, Augsburg 1663, S. 257f. – 2. Pierre Lemuet, Manière de bien bâtir pour toutes sortes de personnes, Paris 1647, Vorrede. – 3. Paul Fréart, Sieur de Chantelou, Tagebuch über die Reise des Cavaliere Bernini nach Frankreich. Bearbeitet von H. Rose, München 1919. – 4. Decordemoy, Nouveau traité de toute l’architecture, Paris 1706. – 5. Rob. de Cotte, Mémoire pour le prince de Tour et Taxis à Francfort, Versailles, 1727. Bibl. Nat. Cab. Est., Papiers de R. de Cotte III (veröff. von L. Réau in [15]). – 6. Charles Étienne Briseux, Architecture moderne ou l’art de bâtir pour toutes sortes de personnes, Paris 1727; L’art de bâtir des maisons de campagne, Paris 1743, I S. 25. – 7. Cl. Jombert, Architecture moderne, Paris 1728/29, II S. 90. – 8. Jacques François Blondel, De la distribution des maisons de plaisance et de la décoration des édifices en général, Paris 1737/38, II S. 123, 125; Architecture française, Paris 1752/54, I S. 218. – 9. Germain Boffrant, Livre d’architecture, Paris 1745. – 10. Pierre Patte, Étude d’architecture; Monuments érigés à la gloire de Louis XV, Paris 1765, S. 6.
B. Schrifttum: 11. K. Cassirer, Die ästhetischen Hauptbegriffe der frz. Architekturtheoretiker von 1650–1780, Diss. München 1909. – 12. A. E. Brinckmann, Hdb. d. Kw. I, S. 11, 243/49, 266. – 13. Edm. Renard, Das Neue Schloß zu Benrath, Leipzig 1913. – 14. Hans Rose, Spätbarock, München 1922, S. 174, 180, 200, 204, 271. – 15. Louis Réau, L’art français sur le Rhin au 18e s., Paris 1922, S. 30ff., 50, 87ff., 145. – 16. Jac. Burckhardt, Geschichte der Renaissance in Italien, Eßlingen 19247, S. 320. – 17. H. Wölfflin-H. Rose, Renaissance und Barock in Italien, München 1926, S. 151, 311, 313. – 18. L. Benoist, Versailles et la Monarchie, Paris 1947, S. 64. – 19. M. H. von Freeden, Würzburger Residenz und Fürstenhof zur Schönbornzeit. Volkach 1948. – 20. L. Hautecoeur, Histoire de l’architecture classique en France, Bd. III, Paris 1950, S. 179ff., 199ff.
Verweise
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