Cloelia
englisch: Cloelia; französisch: Clélie; italienisch: Clelia.
Edmund W. Braun (1953)
RDK III, 796–801
I. Ursprung und Verwendung der Fabel
C. war eine vornehme römische Jungfrau, die zusammen mit anderen Römerinnen dem die Stadt Rom belagernden etruskischen König Porsenna als Geisel übergeben war. Nächtlicherweile brach sie aus, bestieg ein Pferd und durchquerte den Tiber (Valerius Max. III, 2, 2; die Hauptquelle ist Livius II, 13). Dion. Halic. 5, 34ff. und Plutarch, de virtut. mulierum 14, erweitern den Vorgang dahin, daß die Geflüchtete – mit den sie begleitenden Gefährtinnen – von den Römern dem König zurückgesandt wurde, welcher sie aber voll Bewunderung für ihren Mut wieder freigab.
Die C.-Erzählung gehört in eine Reihe römischer Heldentaten aus der Geschichte des Krieges gegen Porsenna. Zu dieser Reihe gehören ferner die Szenen von Mucius Scaevola, Horatius Cocles und im weiteren Sinne auch der Mythus von Lukretia. Außerdem aber gehört die Flucht C. zu dem allerdings recht ausgedehnten Inventar der Gerechtigkeitsdarstellungen: ruhmvolle Taten, gerechte Entscheidungen von Fürsten und abschreckende Verbrechen, die ihre Sühne finden. Seit E. 15. Jh. waren derartige Darstellungen in und an Rathäusern in Deutschland und den Niederlanden sehr beliebt.
II. Darstellungen in der Spätgotik und Renaissance
Die antiken Quellen, vor allem Livius, waren E. 15. und A. 16. Jh. schon durch z. T. illustrierte Ausgaben oder Übersetzungen zugänglich. Aber für die C.-Erzählung stand als Text noch Boccaccios „De mulieribus claris“ zur Verfügung; er erschien 1473 erstmalig bei Zainer in Ulm in 4 Ausgaben, lateinisch und deutsch (Übersetzung von Steinhöwel), mit Holzschnitten eines uns unbekannten Meisters (Abb. 1. – Leo Baer, Die ill. Historienbücher des 15. Jh., Straßburg 1903. – Schramm, Frühdrucke 5). C. und eine Genossin reiten hier auf einem Pferd durch den reißenden Tiber, auf dessen beiden Ufern zwei Frauengruppen lebhaft Anteil nehmen. Anton Sorg ließ 1479 die Holzschnitte Zainers für seinen deutschen Boccaccio im Gegensinne kopieren. Das Kompositionsschema Zainers blieb, mit einigen Bereicherungen und Modifikationen, durch die ganze Renaissance erhalten.
1508 gab Joh. Grüninger in Straßburg einen deutschen Livius heraus und verwendete für die ganze C.-Erzählung nur die genannte Fluchtszene, deren Holzschnitt, von 3 Stöcken gedruckt, zusammengesetzt wurde (fol. 25 v.); links sieht man Porsennas Zelt, in der Mitte C. und ihre Gefährtin auf 2 Pferden, rechts die Stadt Rom. An diese Darstellung schließen sich noch eng die Holzschnitte des Schöfferschen Livius von 1557 an (im Gegensinn).
Unter den zahlreichen, ziemlich frühen Wandmalereien zur antiken Mythologie und Geschichte im Schloß zu Wittenberg, die ein zu Unrecht wenig beachteter Bericht von 1507 beschreibt (G. Bauch im Rep. f. Kw. 17, 1894, 425–32), befand sich auch die C.-Erzählung zwischen Horatius Codes und Mucius Scaevola; die Bilder entstammten wahrscheinlich der Werkstatt Cranachs.
Auch auf einem der Brettsteine des Hans Kels im Wiener Kh. Mus. von 1537 ist C. dargestellt (Jb. Kaiserh. 3, 1885, Taf. XII). Sie reitet hier allein auf einem gewappneten Roß durch den Tiber; ein deutscher Brückenturm ist ihr Ziel.
Eine klassische, oft wiederholte Lösung fand der C.-Mythus in einer der Salzburger Bocksberger-Werkstatt entstammenden Komposition. Das Buch „Neuwe Liuische Figuren“ gibt im Titel an, „Darinnen die ganze Römische Historien künstlich begriffen und angezeigt. Geordnet und gestellt durch den fürtrefflichen Johann Bockspergern, den jüngeren, und mit sonderm Fleiß nachgerissen durch den auch kunstreichen und wol erfarnen Jost Amman“, Frankfurt a. M. bei Sigm. Feyerabend 1563. Max Goering hat einige Vorzeichnungen Bocksbergers im Weimarer Schloßmuseum nachgewiesen (Münchner Jb. N. F. 7, 1930, 242ff.). Sie lagen Amman vor und erschienen in seinen Liviusillustrationen im Gegensinn. Der C.-Holzschnitt aus den Neuwen Liuischen Figuren (Blatt 19. – Abb. 2) ist eine vielfigurige, bewegte Szene in weiter Landschaft; er wird noch öfters in anderen Drucken Feyerabends wiederverwendet, so im Livius von 1568 (Folio), 1573 und weiteren Ausgaben, bis der Holzstock abgenutzt und flau wurde (C. Becker, Jobst Ammann, Leipzig 1854, S. 56–61). Eine Bleiplakette im D. M. Berlin aus E. 16. Jh. (Kat. Bange II, 1923, S. 127 Nr. 5760, Taf. 27) geht ersichtlich auf Ammans Holzschnitt zurück. Daß der Archetypus tatsächlich in der Bocksberger-Werkstatt entstanden ist, beweisen Varianten desselben in Entwurfszeichnungen für die Regensburger Rathausfassade (Goering a. a. O. Abb. 30, 49 und 55). Doch erscheint das Motiv bereits beim älteren Bocksberger in den Grisaillen des Saales im Schloß Freisaal zu Salzburg, 1557–58 (Inv. Österr. 13, S. 251). – Amman hat die Fabel dann, zusammen mit der des M. Curtius, in einer Randleiste verwendet; C. flieht hier mit fünf Gefährtinnen zu Pferd nach links durch den Tiber (Andresen I, S. 268, Nr. 133).
Eine durchaus andere Komposition der C.-Erzählung zeigt, ebenfalls zwischen anderen Szenen des Porsennakrieges, eine schöne silbervergoldete Treibarbeit am sog. Rappoltsteiner Pokal in der Schatzkammer der Münchner Residenz (Abb. 3. – Kat. Hausladen, 1931, S. 43 Nr. 141); das Schwergewicht der Darstellung liegt hier auf der Gruppe um den unterm Zelt sitzenden Porsenna, den einige Krieger auf die in der Ferne davonschwimmenden 6 Reiterinnen aufmerksam machen. Die Komposition geht auf einen genau kopierten Stich von Georg Pencz zurück (B. 81. – H. W. Singer, Die Kleinmeister, Leipzig 1908, S. 52). Die gleiche Vorlage ist in einem Bernsteinrelief benutzt, das sich in der Mitte einer in vergoldetem Silber montierten Bernsteinschüssel des Grünen Gewölbes befindet (Sponsel IV, 49, mit irriger Deutung).
Auch in der italienischen Kunst des 16. Jh. wird die Szene häufig behandelt. Giulio Romano, der in den Fresken der Villa Lante um 1524 – jetzt im Pal. Zuccari in Rom – die Erzählung in zwei Bildern wiedergibt, hat mehrere Nachahmer gefunden; das erste seiner Bilder gibt die bekannte Fluchtszene, durch die rechts vorn liegende Gestalt des Flußgottes Tiber mit der kapitolinischen Wölfin noch im lokalrömischen Sinne bereichert und in eine weite Landschaft gestellt; das andere (Münchner Jb. N.F. 8, 1931, S. 55 Abb. 7) zeigt die Entlassung der C. und ihrer Gefährtinnen durch Porsenna. Beides sind figurenreiche Kompositionen. Zur letzteren ist eine Vorzeichnung Romanos, ehemals in römischem Privatbesitz, erhalten (Ebd. S. 57 Abb. 8), während eine flämische Kopie des ersteren Bildes sich in Privatbesitz in Genua befindet (Ebd. S. 67 Abb. 16 und S. 68 Anm. 20). C. H. v. Heinecken berichtet (Nachr. v. Künstlern u. K.sachen II, Leipzig 1769, S. 474) von einem Querfoliostich nach Giulio Romano mit der Aufschrift „Raphael pinxit“ (Stich v. P. Cauchy nach dem Bild der Villa Lante), sowie von einem italienischen Stich nach Rosso (Nachr. usw., Leipzig 1768, S. 339). Ein anonymer Stich aus der Schule von Fontainebleau (Bartsch XVI, S. 395 Nr. 49) zeigt neben der Hauptdarstellung wieder den Tibergott und die Wölfin. Ein weiterer, von G. Bonasone bezeichneter Stich (B. XV, S. 134 Nr. 83) trägt die Verlegeradresse Ant. Lapario. Auf einem C.-Blatt von Gaspar Reverdino (B. XV, S. 474 Nr. 16) erscheint wiederum der Flußgott. Eine Variante findet sich auf einem Stich des Andrea Schiavone (B. XVI, S. 86 Nr. 21), wo C. eine der anderen Geiseln zu sich aufs Pferd genommen hat, ein Motiv, das auch ein Helldunkelblatt des Niccolo Vicentino nach Maturino (B. XII, S. 96 Nr. 5) übernommen hat. Eine Zeichnung der Uffizien in der Art Pinturicchios kennzeichnet Rom durch die Marc-Aurel-Säule im Hintergrund (Jb. d. preuß. K.slg. 38, 1917, Beiheft S. 129). Eine Holztafel, auf der C. mit der Gefährtin nach links reitet, aber rechts zwei sitzende Gefährtinnen zurückläßt, schreibt Schubring (Cassoni, Leipzig 1923, S. 343, Taf. 121 Nr. 517) dem Matteo Balducci zu.
Ein römisches Holzrelief der Zeit um 1600 in der ehem. Slg. Rich. Kaufmann (Aukt. Kat. Cassirer-Helbing, Berlin, Dez. 1917, Nr. 295 ohne Abb., 24 × 50 cm groß) zeigt C. mit den übrigen Geiseln vor Porsenna. Das Relief gehört zu einer Folge von Füllungsbrettern mit Darstellung weiterer Gerechtigkeitsbilder (Geschichte Josephs, Salomons Urteil, die Königin von Saba vor Salomon, die Großmut des Scipio, dessen Opfer auf dem Kapitol am Jahrestag der Schlacht von Zama, Mucius Scaevola), ein Beweis für die Gleichzeitig- und Gleichartigkeit solcher Szenen in der italienischen und deutschen Kunst der Renaissance. Bei der klassizistischen Bildung der Bocksberger liegt die Annahme nahe, daß die italienischen Stiche kompositionell die deutschen Fassungen seit Pencz maßgebend beeinflußt haben.
III. Barocke Darstellungen
Auch Rubens hat sich mit dem Bildvorwurf der Flucht der C. beschäftigt. Ein ihm früher selbst zugeschriebenes Bild in Dresden (Kat. 1930, Nr. 1016 A) gilt jetzt als Schulwerk, geht aber zweifellos auf seinen Entwurf zurück. Die Szene ist stark bereichert und zusammengedrängt: C., mit einer Gefährtin auf gleichem Pferd, betritt den Fluß; fünf Römerinnen entkleiden sich am Ufer, andere steigen zu Pferde, zwei schwimmen bereits im Tiber. Links im Bild der Flußgott, auf einen Stein mit Darstellung der kapitolinischen Wölfin gestützt. – Aus Rubens’ Nachlaß erhielt Albert Rubens eine „Cuelia“, ein anderes Bild erwähnt P. C. Hooft, vor 1647, im Besitz des Prinzen Friedrich-Heinrich von Oranien, ein drittes, das 1686 der St. Lukasgilde in Antwerpen vorgelegt wurde, wurde als Rubenswerk erkannt (Max Rooses, L’oeuvre de P. P. Rubens IV, Antwerpen 1890, S. 23f.). Auch die verschiedenen Fassungen, die Abraham van Diepenbeeck zugeschrieben werden, halten sich an Rubens’ Komposition (Louvre Nr. 118, vgl. Rooses a. a. O.; Berlin Nr. 964, möglicherweise mit dem 1647 erwähnten Bild identisch; Schloß Wörlitz, vgl. Inv. Anhalt II, 2, 1939, S. 63 und Taf. 48 b, sowie W. Hosäus, Wörlitz, Dessau 19023, S. 22 und 86).– François Chauveau schuf die Illustrationen zu dem Roman „Clélie“ der Madeleine de Scudéry (Paris M. 17. Jh.; Warburg Journal 14, 1951, 269).
Zu den Abbildungen
1. Cloelia überquert den Tiber. Holzschnitt aus Boccaccios Buch von den berühmten Frauen. Ulm, Johann Zainer, 1473. Phot G. N. M., Nürnberg.
2. Jost Amman nach Hans Bocksberger, Cloelia. Holzschnitt aus Neuwe Liuische Figuren, Frankfurt a. M., Sigmund Feyerabend, 1563. Phot. G. N. M., Nürnberg.
3. München, Schatzkammer der Residenz, sog. Rappoltsteiner Pokal. Treibarbeit, Silber vergoldet. Deutsch (Straßburg) Mitte 16. Jh. Phot. Bayer. Schlösserverwaltung, München.
Literatur
1. Pauly-Wissowa IV 110f. (Münzer).
Verweise
Empfohlene Zitierweise: Braun, Edmund Wilhelm , Cloelia, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. III (1953), Sp. 796–801; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=95612> [04.04.2022]
Dieser Text wird veröffentlicht gemäß der "Creative Commons Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland Lizenz". Eine Nachnutzung ist für nichtkommerzielle Zwecke in unveränderter Form unter Angabe des Autors bzw. der Autorin und der Quelle gemäß dem obigen Zitationsvermerk zulässig. Bitte beachten Sie dazu die detaillierten Angaben unter http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/de/.