Bursa
englisch: Burse, purse; französisch: Bourse; italienisch: Borsa del Corporale.
Hans Martin von Erffa (1951)
RDK III, 225–231
I. Begriff
bursa (altlat. byrsa von βύρσα = abgezogenes Fell, Schlauch; seit 12. Jh. in der heutigen Form; frz. bourse, ital. borsa, engl. purse) ist zunächst der Beutel (RDK II 452ff.) aus Leder oder Stoff, dann auch die Tasche. Im heutigen Sprachgebrauch ist B. „ein taschenförmiger durch Pappdeckeleinlage gesteifter Behälter zur Aufnahme und Aufbewahrung des Korporales“ [1]. Über ihre Verwendung als Reliquienbehälter s. Bursareliquiar Sp. 231ff. Im weiteren Sinne wird der Begriff dann für gemeinsame Kassen, besonders von Studenten, verwendet und auf deren Gemeinschaftswohnung (Burse, Sp. 235ff.) ausgedehnt, so daß der Bursner (bursarius; boursier oder bourselier) sowohl ein Hersteller von Taschen wie Angehöriger einer Burse sein kann.
Das MA kennt zwei Formen der B.: a) die Taschenform (bursa, pera, in nachma. Zeit auch sacculus; Abb. 1) und b) die Schreinform (capsa, capsella, cassus, domus corporalium; schrein, korporalienhus, -lade; corporalier, estuit; Abb. 2, 3). Der heutige Brauch hat nur die Korporalientasche bewahrt. Der Zelebrant trägt das Korporale zum und vom Altar in der B., die während der Messe neben den Leuchtern steht, im späten MA zuweilen gegen die Predella gelehnt wird (Gregorsmesse um 1500 in Aschaffenburg). Bei Versehgängen nahm sie das Allerheiligste auf; heute unterscheidet man die Meß-B. in der Farbe des Meßgewands (Rituale celebr. tit. I n. 1) und die weiße Verseh-B. Beide dürfen mit einem aufgenähten Kreuz geziert, ihr Futter aus Leinen oder Seide sein. Der Gebrauch der B. ist nach den Rubriken des Missale vorgeschrieben [4].
II. Korporalientasche
Die Korporalientasche ist aus Stoff, innen gefüttert, außen mit Stickerei oder aufgenähtem Schmuck verziert und an drei Seiten zugenäht; die vierte ist heute allgemein offen, früher war sie meist mit einer überhängenden Klappe mittels Knöpfen, Knebeln oder Metallhaken verschließbar. An den vier Ecken der B. und an den Enden der Klappe hingen Quasten in Stoff oder Metall. Die genau oder annähernd quadratische Form unterscheidet die B. von der meist trapezförmigen Almosentasche (RDK I 393ff.). Ihre Größe schwankt zwischen 15 und 25 cm im Quadrat, doch ist eine Seitenlänge von etwa 20 cm die Norm.
III. Korporalienschrein
Im MA verwendete man als B. neben der Korporalientasche auch ein mit Stoff bespanntes Holz- oder Pappkästchen. Dieser Korporalienschrein hatte die gleiche Größe und war etwa 4–7 cm hoch. Er öffnete sich mit einem Deckel oder flügeltürartig mit zwei halben Deckeln. Als Verschluß dienten ebenfalls Knöpfe oder Schließen.
Welche Form die ältere ist, läßt sich nicht sicher feststellen. Die B. im Kloster Ebstorf [11] könnte eine zum Schrein umgearbeitete Taschen-B. des späten 12. Jh. sein. Eine Taschen-B. aus Lüne im Mus. f. K. u. Gewerbe in Hamburg ist mit Bronzegußreliefs der 2. H. 13. Jh. benäht, doch ist der Stoff jünger. Ein B.-Fragment im Schnütgenmuseum [15, Tf. 48, 1] ist erst später aus französischen Stickereien der Zeit um 1200 zusammengesetzt. Es ist möglich, daß der Gebrauch eines Korporalienbehälters auf das Reimser Konzil (1049) zurückgeht [4]; sein Auftreten läßt sich in Frankreich und Deutschland nicht vor A. 13. Jh. sicher nachweisen, nachdem man vorher gewohnt war, das Korporale ins Meßbuch gelegt zum Altar zu tragen. Aus Italien ist die Benutzung von B. erst später bekannt, doch nennt Rohault de Fleury [9] auch ein frühes griechisches Beispiel. In England hat die B. weite Verbreitung gefunden, ein altes Inventar von Lincoln zählt 70 Stück. Die deutschen Inventare lassen erkennen, daß im MA die Kastenform die häufigere war. In nach-m.a. Zeit, offenbar schon im 16. Jh., kam der Korporalienschrein ganz außer Gebrauch. Die zahlreichen Erwähnungen in nach-m.a. Inventaren sagen indessen nicht, ob es sich um Kästen oder Taschen handelt.
Der Schrein konnte auch die Form eines Buchdeckels annehmen (Inv. Dom Brandenburg S. 318, B. 11; Inv. Dom Halberstadt S. 286, Nr. 294).
IV. Schmuck der B.
Im Gegensatz zur Reliquienbursa (Sp. 231ff.) wurde die B. schon im MA für den Gebrauch als Korporalienbehälter eigens gefertigt. Der Bedeutung des Korporale als Sindon (s. Grabtuch) entsprechend, erhielt sie oft reichen Schmuck. Bei der Tasche werden Vorder- und Rückseite, zuweilen auch die Klappe, beim Schrein die Innen- und Außenseite des Deckels und die Innenseite des Bodens, zuweilen auch die äußeren Seiten, figürlich oder mit Ornament geschmückt. Die Stickerei herrscht vor. Neben Plattstich findet sich Perl-, Pailletten- und Goldfadenstickerei. Die spät-m.a. Kästchen verwenden aber auch Temperamalerei auf Leinwand oder Seide, und zwar sind hier die künstlerisch wertvollsten Stücke erhalten, wie die B. in Wimpfen (Abb. 2), Basel (Inv. Schweiz Bd. 4 S. 308 und Abb. 237) oder der B.-Deckel der Lochnerschule in Niederberg, Krs. Euskirchen (Inv. Rheinprov. 4 Tf. X). Man kennt ferner Korporalienschreine mit Pergamentüberzug (Brandenburg); in Frankreich sind sie zuweilen mit Elfenbein, Email oder Goldschmiedearbeit geschmückt, in Deutschland mehr mit Perlen oder Korallen, taschenförmige auch mit durchbrochenen Reliefs in vergoldeter Bronze wie die B. in Hamburg (Mus. f. K. u. Gewerbe, aus Lüne) oder Salzburg (Inv. Österr. 16, S. 291, Abb. 378).
Die Darstellungen auf erhaltenen B. sind zumeist der Passion entnommen, wobei die Kreuzigung weitaus vorherrscht. Daneben finden sich: Schmerzensmann, Veronikatuch (schönes Kästchen im B.N.M. München), Abendmahl [18], Gregorsmesse (Riddagshausen), Gethsemane (Mus. für Hamburg. Geschichte AB 620) und andere Darstellungen der Passion, aber auch Verkündigung, Geburt Christi, Anbetung des Kindes, Pfingsten und Himmelfahrt (Kopenhagen Nat.Mus., M. 14. Jh.), und verschiedene Heilige. Die zwei ältesten deutschen B. in Ebstorf [11] und Hamburg zeigen die Majestas Domini, der Deckel einer anderen Hamburger B. ist in 9 Felder mit verschiedenen Tieren aufgeteilt (Abb. 3).
Insgesamt sind im deutschen Sprachgebiet etwa 50 B. in Schreinform und 40 B. in Taschenform (oder Stickereien von solchen) aus dem MA auf uns gekommen. Dazu kommen einige schöne Exportstücke in Skandinavien, wie die erwähnte B. in Kopenhagen und die B. des 15. Jh. im Bergbaumuseum in Falun, Schweden [18] und im Dom von Turku, Finnland [19]. Der Bestand an nach-m.a. B. ist sehr viel größer, doch ist ihre Ausbildung durch die Vorschrift des Hl. Karl, die B. in Art und Farbe des Ornats zu halten, einfacher geworden. Dennoch verwahren die deutschen Kirchenschätze, aber auch die der Schweiz, noch reicher verzierte Barock-B., wie sie u. a. das Schnütgenmuseum [15, Taf. 64] in schönen Exemplaren besitzt. Wie reich der Bestand auch kleiner Kirchen im 17. Jh. war, zeigt die Bemerkung eines Pfarrers von Sachseln, Kanton Unterwalden, der sich 1626 rühmt, den Paramentenschatz seiner Kirche vergrößert zu haben: „Item Corporaldeschen keine gefunden; 17 verlasse ich. – Item Corporalia hab ich gefunden 13; verlasse 50.“ (Inv. Schweiz, Erg. Bd. S. 501).
Zu den Abbildungen
1. Halberstadt, Domschatz. Korporalientasche mit Seidenstickerei, A. 15. Jh. Marburger Photo 87780.
2. Wimpfen a. B., Stadtpfarrkirche. Korporalienschrein, Deckel mit Dornenkrönung, Tempera auf Leinwand. 1488. Phot. Günter Mayer, Darmstadt.
3. Hamburg, Mus. für K. und Gewerbe. Korporalienschrein mit Goldstickerei. Deutsch 14. Jh. L = 21,5 cm. Phot. Museum Nr. 4979.
Literatur
1. J. Braun: Liturg. Handlexikon2 S. 54. – 2. Ders.: Hdb. der Paramentik, Freiburg 1912, S. 246–8. – 3. Ders.: Die liturgischen Paramente2, Freiburg 1924, S. 215. – 4. Enciclopedia Cattolica. Città del Vat. (1949) Bd. II Sp. 1934/35. – 5. Du Cange4 I S. 790. – 6. Buchberger II S. 647. – 7. Wetzer-Welte II 1545/6; III 1106. – 8. Gay I 198 an. 1462; 433. – 9. Rohault de Fleury: La Messe Bd. VI, 202–4; Tf. 504. – 10. Otte I S. 235. – 11. Schuette Bd. II. S. 31 und Tf. 19. – 12. Walter Mannowsky: Der Danziger Paramentenschatz, Berlin 1932, Tf. 179–81. – 13. Jakob Stammler: Der Paramentenschatz im Historischen Museum Bern. Bern 1895. – 14. Ders.: Le trésor de la cathédrale de Lausanne. Lausanne 1902. – 15. Fritz Witte: Die liturgischen Gewänder und kirchlichen Stickereien des Schnütgenmuseums Köln. Berlin o. J. – 16. Hans Stegmann: Katalog der Gewebesammlung des G.N.M. II. Teil, Nürnberg 1901, Nr. 2441; 2462–66. – 17. Max Sauerlandt: Werkformen deutscher Kunst. Königstein i. T. 1926, S. 74. – 18. Agnes Geijer und Marita Lindgren-Fridell: En medeltida bursa. Dalarnas Hembygsbok 1942, S. 37–50. – 19. Agnes Geijer: En textil målning. Sigtuna Fornhems minnesskrift 1247–1947. Halmstad 1947, S. 96 bis 104.
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