Atlant

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englisch: Atlas, telamon, atlante; französisch: Atlante, télamon; italienisch: Atlante, telamone.


Edmund W. Braun (1937)

RDK I, 1179–1194


RDK I, 203, Abb. 3. Lukas Moser, 1431.
RDK I, 317, Abb. 27. Tangermünde, St. Stephan.
RDK I, 411, Abb. 2. Goslar, Museum.
RDK I, 957, Abb. 18. Potsdam, Schloß Sanssouci, 1745-47.
RDK I, 1181, Abb. 1. M. A. Raimondi.
RDK I, 1181, Abb. 2. Vitruv-Ausgabe des Caporali, 1536.
RDK I, 1183, Abb. 3. Andlau, um 1150.
RDK I, 1183, Abb. 4. Hirsau, Anf. 12. Jh.
RDK I, 1183, Abb. 5. Königslutter, M. 12. Jh.
RDK I, 1185, Abb. 6. Mainz, um 1240.
RDK I, 1185, Abb. 7. u. 8. Frankfurt a. M., um 1240-50.
RDK I, 1187, Abb. 9. Prag, 1562-64.
RDK I, 1187, Abb. 10. Schloß Troja bei Prag, 1685.
RDK I, 1189, Abb. 11. Mathias Braun(?), Anf. 18. Jh.
RDK I, 1189, Abb. 12. J. J. Kändler, 1745.
RDK I, 1189, Abb. 13. Giov. Giuliani, 1. H. 18. Jh.
RDK I, 1191, Abb. 14. Dresden, 1. H. 18. Jh.
RDK I, 1191, Abb. 15. Passau, 1695.
RDK I, 1191, Abb. 16. Wien, 1721/22.

I. Begriff und Herkunft

A. (seltener von den Römern Telamon genannt; auch die Bezeichnung Gigant und Herkulant, letzteres als Bezeichnung für Herkulesfiguren als A. kommt vor): männliche nackte oder teilweise oder ganz bekleidete ganze Figur, die ähnlich dem antiken Atlas, dem Träger des Himmelsgewölbes (s. Herkules), an Stelle einer Säule, eines Pfeilers oder eines Pilasters dazu verwendet wurde, eine Konsole, Gesims, Decke oder Gebälk eines Bauwerks zu tragen. Das im 18. Jh. sehr populäre Baulexikon des Göttinger Professors und Oberbauinspektors Joh. Fr. Penther (Augsburg 1744 S. 10) definiert den A. folgendermaßen: „Man hat dieses von der heydnischen Dichtung, welche dem Atlanti (Nominativ Atlas) den Himmel auf die Schultern legt, angenommen. Artige Beispiele von Atlantibus finden sich in dem Eugenischen Palast in Wien, da selbe statt der Pfeiler ansehnliche Creutz-Gewölbe tragen müssen“ (s. Abb. 16). Die A. bildeten schon in der Antike die männlichen Gegenstücke zu den Karyatiden, den weiblichen Trägerfiguren, ohne sich von ihnen prinzipiell zu unterscheiden.

Im Hinblick auf die stetigen Schwankungen in der Terminologie muß der sachliche Unterschied zwischen dem A., der Karyatide und dem Halbfiguren- oder Büstenträger, der sog. Herme betont werden. Diese drei Bezeichnungen waren schon der italienischen Renaissance geläufig und werden klar zum Ausdruck gebracht in dem Stiche des M. A. Raimondi (B 538; Pass. 279; [1 S. 3]; Abb. 1). Die obere Reihe zeigt Karyatiden und eine Büstenherme, die untere A., Männer in Toga, die auf dem Kopfe das Gebälk tragen. Die Anregungen zu diesem Stiche entnahm Raimondi ohne Zweifel den kommentierten Ausgaben des Vitruv, dessen Architekturwerk in einer großen Anzahl von Handschriften seit dem Beginn des 9. Jh. vorlag und seit 1484 in zahlreichen, vielfach illustrierten Drucken verbreitet wurde (Abb. 2; [2. 3]). Ein Holzschnitt in der italienischen Vitruv-Ausgabe des Caporali (Perugia 1536, welche die Illustrationen des Comasker Vitruv von 1521 wiederholt, Abb. 2) erweitert den Typenvorrat bedeutend (stehende, sitzende und kauernde Träger sowie Hermen); sie tragen und stützen mit Kopf, Händen, Schulter und Nacken und sind nackt oder verschiedenartig gekleidet. Der Text nennt sie „Pregioni“ (Gefangene), die an „luogo di Colonne“ (an Stelle von Säulen) das Gebäude tragen, welches die Lakedämonier ihrem Fürsten Pausanias nach dem über die Perser bei Platää errungenen Siege als Triumphmal errichteten. In ähnlicher Weise zeigen andere Holzschnitte des Comasker Vitruv von 1521 die Karyatiden und Hermen in reicher Verschiedenartigkeit. Paraphrasiert in die Baugesinnung der deutschen Renaissance erscheinen sie in den Holzschnitten der beiden Hauptwerke des Straßburger Gelehrten Walter Ryff (Rivius), des „Architekten“ Nürnberg 1547 und „Vitruvius Teutsch“ ebenda 1548 [4].

II. A. in der antiken Kunst

A. sind eben so wie Karyatiden (vgl. Erechtheion auf der Athener Akropolis) in der antiken Architektur nachweisbar. Im Zeustempel zu Agrigent standen im Innern solche „in strengem Stile“ über den unteren Wandpfeilern der Cella, welche statt Säulen das Gebälk trugen; ein kniender nackter Gigant trägt das Gebälk an einem Skenenrelief des Dionysostheaters zu Athen, wie am untersten Teil des Obergeschosses links auf dem Holzschnitt des Comasker Vitruv (Abb. 2); das Vorkommen von A. in römischer Zeit wird belegt im Tepidarium der Forumsthermen zu Pompeji.

III. Mittelalter

Obwohl das Wort A. anscheinend im Mittelalter nicht nachweisbar ist, sind die antiken Trägerfiguren auch in altchristlicher und mittelalterlicher Zeit in Gebrauch geblieben, wie es bei der geradezu kanonischen Geltung, die Vitruv in den Klöstern hatte, naheliegt und durch erhaltene Baudenkmäler bewiesen wird. Da wir A. und Karyatiden wohl inhaltlich, aber nicht prinzipiell und funktionell trennen dürfen, ist das Auftreten von „karyatidenähnlichen Figuren“ (geflügelte Siegesgöttinnen, Apostelfiguren, Gewandfiguren mit Schriftrollen) in der altchristlichen und byzantinischen Kunst auch für die Verwendung von A. beweiskräftig (O. Wulff, Altchristl. u. byzant. K., Hdb. d. Kw., S. 54, 58, 322, 344 m. Taf. 16, 346).

Im Mittelalter finden sich A. besonders früh und häufig an romanischen Bauwerken der Lombardei:

1. Dom von Modena, 1099ff.; Pilaster von Meister Wiligelmus am Hauptportal von bekleideten Männern in Relief (kniend und gebückt stehend) getragen [5 S. 39]. 2. Dom zu Ferrara, Portal von Meister Nicolaus, 1135. Die Pfeiler ruhen auf Tragefiguren: sitzenden Männern mit gekreuzten Beinen, die mit Nacken und Händen die Basis stützen [5 S. 74]. 3. Verona, S. Zeno, Portal von Meister Nicolaus. Hockende Männer auf Säulenkapitellen, die den Aufbau tragen [5 S. 87]. 4. Piacenza, Dom, nördl. und südl. Westportal der Fassade, Kreis des Meister Nicolaus, nach 1122. Als Säulenträger sitzende Männer, davon einer auf einem Adler reitend [5 S. 93 u. 94]. 5. Borgo S. Donnino (jetzt Fidenza), Dom, nördl. Westportal, kniende Männer (Hamann, Südfranzös. Protorenaissance S. 68). 6. Borgo S. Donnino, Dom, Weihwasserbecken, um 1160. Sitzender bekleideter Mann, die Hände auf die Knie aufgestützt, trägt mit Nacken und Kopf die Wasserschale [5 S. 102]. 7. Ferrara, Dom, Bischofsstuhl von Benedetto Antelami (tätig 1177–1233). Zwei stehende Männer tragen mit Händen und Nacken die Seitenwangen des Stuhls [5 S. 113]. 8. Modena, Dom, Kanzel. Zwei auf liegenden Löwen sitzende vorgeneigte Männer mit gekreuzten Beinen, die Hände auf die Knie aufgestützt, tragen mit Nacken die Säulen [5 S. 163].

Innerhalb der deutschen Architekturplastik bildet der eine Lisenenträger am Turm von St. Peter und Paul in Hirsau (nach Christ, Romanische Kirchen I, Stuttgart 1925, frühes 12. Jh.; Abb. 4) wohl eins der ältesten Beispiele für das A.-Motiv. Bei einem sitzenden A. an der Klosterkirche zu Königslutter (1135ff., Abb. 5) können wir das direkte Vorbild an der rechten Säule des Portalvorbaus von S. Zeno in Verona nachweisen (A. Goldschmidt, Monatsh. f. Kw. 3, 1910 S. 311 m. Abb.). Auch das Westportal der Klosterkirche Andlau im Elsaß (um 1150, Abb. 3), an dem bärtige Männer die Figurennischen tragen, ist lombardisch beeinflußt. Ferner im Straßburger Münster, Kapitelle an der Innenseite des nördlichen Querschiffportals. In ganzer Figur erscheinen bei einem Lesepult aus Alpirsbach in Freudenstadt die vier Evangelisten in der Rolle von A. (um 1150); ebenfalls ganze Figuren, eingehakt und in Bewegung dargestellt, tragen mit den Schultern ein Weihwasserbecken in Altheim bei Dieburg (Anf. 13. Jh., Abb. J. Baum, Hdb. d. Kw. S. 302). Ganze Reihen von A. tragen die mittlere Arkade am Regensburger Schottenportal.

Das zunehmende Interesse für die Funktionen des menschlichen Körpers führt in der Bildhauerkunst des 13. Jh. zu häufigerer Verwendung und naturalistischer Durchbildung des A.-Motivs besonders im oberen und mittleren Rheingebiet: Straßburg, Münster, am Querschiff frühgotische Konsolen mit Tragfiguren in Gestalt von stehenden oder knienden, bekleideten oder halbnackten Jünglingen. Weiterhin zahlreiche Beispiele im Elsaß: Rufach, Chorkonsolen, um 1270; Maursmünster, Gewölbekonsolen im Seitenschiff; Weißenburg, Stiftskirche, Gewölbekonsolen. Eine Gewölbekonsole um 1300 im Dollingersaal zu Regensburg ist vom Elsaß abhängig. Eine der großartigsten Darstellungen des A.-Motivs, angeregt durch die Tragfiguren am Hochschiff der Kathedrale von Reims, stammt vom ehemaligen Ostlettner des Mainzer Doms (um 1240, Abb. 6). Ein A. als Träger eines Wasserspeiers vom frühgotischen Langhaus des Frankfurter Doms, jetzt im Hist. Mus. (Abb. 7 u. 8). Auch sonst kommen Tragfiguren häufig als Konsolen an Wasserspeiern u. dgl. vor, z. B. Marburg (vgl. Konsole). Nicht seltener, aber sehr viel weniger atlantenhaft sind sie im späteren Mittelalter. Doch beachte man etwa den Knienden am Sockel des Nassauer Hochgrabes in Eberbach und einzelne Gestalten an den großen Chorleuchtern im Dom zu Havelberg. In der Regel erscheinen die Figuren mehr den tragenden Gliedern angefügt und in der Pose des Tragens als wirklich in tragender Funktion. Eine nackte und damit dem A.-Typus so stark angenäherte Tragfigur, wie sie an Lukas Mosers Tiefenbronner Altar vorkommt (Sp. 204 Abb. 3), gehört ganz zu den Ausnahmen. Etwas häufiger sind, besonders in der Spätgotik, Träger in profaner und modischer Kleidung, in denen man wohl mit Recht Meister- bzw. Gesellendarstellungen zu erkennen glaubt; vgl. das Heilbronner Sakramentshaus, das R. Schnellbach dem Meister Pilgram zuschreibt (Wallraf-Richartz-Jb. N. F. 1, 1930 S. 202ff.), oder die Tulpenkanzel in Freiberg i. S.

Außerhalb der Architektur und der Monumentalplastik finden wir A., vor allem als kniende und mit den Händen tragende Männer, besonders in der Erzkunst: Am Goslarer Crodo-Altar (Sp. 412 Abb. 2); am Hildesheimer Taufbecken und an zahlreichen norddeutschen Fünten dienen die Paradiesesflüsse oder andere Figuren als A. (vgl. A. Mundt, Die Erztaufen Norddeutschlands von der Mitte des 13. bis zur Mitte des 14. Jh., Leipzig 1908). In dieser Verbindung bleibt das A.-Motiv das ganze spätere Mittelalter hindurch üblich.

IV. Renaissance

Im Gegensatz zu den bisher betrachteten mittelalterlichen Denkmälern, an denen der Archetypus des Vitruv nur ausnahmsweise erkennbar ist und dem Künstler meist Sinn und Form des Urbildes nicht mehr bewußt war, weil er aus einer uralten, in langer Reihe ablaufenden Tradition schuf, hat die Renaissance, ausgehend von Italien, in allen europäischen Ländern auf Grund der Kommentare und Illustrationen des Vitruv das alte antike Tragmotiv der Atlanten, Karyatiden und Hermen bewußt wieder aufgegriffen und mit reicher Erfindungsgabe dekorativ aus- und weitergebildet. Im Holzschnitt von 1521 (s. Abb. 2) sehen wir bereits zwei Typen von A., den nackten und bekleideten, letzteren entweder in Toga und Unterkleid oder im Panzerhemd mit Beinschienen.

Nicht bloß inhaltlich, sondern auch funktionell erfuhren die A. in Italien eine Erweiterung während der Renaissance. Wir finden neben den A. die Karyatiden und Hermen öfter kombiniert als Träger an den Fassaden der Paläste, an Portalen bzw. Balkonen, an Kaminen, Grabdenkmälern, in der dekorativen Malerei und im Kunstgewerbe.

Eine Handzeichnung von Marten v. Heemskerk in London (bei Sir Campbell Dodgson, um 1535-38, Abb. Belvedere 1, 1922 Taf. 2) gibt eine der Antike entnommene Fassadenordnung: im Erdgeschoß zwischen zwei Bogen ein nackter A., im Obergeschoß eine Herme. – Als Portalgebälk- und Balkonträger findet sich der A. beispielsweise am Palazzo Bargellini in Bologna [6 S. 173], in Genua, Via degli Orefici, von Gian Giacomo della Porta [7 S. 123]. Hierher gehören auch die „Omenoni“, die Riesenatlanten am Palazzo des Leone Leoni in Mailand und einige weitere Genueser Paläste (vgl. das Stichwerk von Rubens).

Für A. an Kaminen nennen wir den im großen Saal des Pal. Doria in Genua von Giov. da Fiesole und den im Anticollegio des Dogenpalastes zu Venedig von Tiz. Aspetti [8 S. 561], für den Planiscig [8 S. 563] auch den Entwurf zu einem Kaminatlanten nachgewiesen hat (Wien, Albertina). Grabmaler zeigen das A.-Motiv am Epitaph des Pietro Mocenigo in SS. Giovanni e Paolo in Venedig (drei sitzende Römer als Träger des Sarkophags) und am Grabmal Contarini in Padua [8 S. 447]. Auch die Malerei verwendet Trägerfiguren, z. B. an Michelangelos sixtinischer Decke und in den Fresken des Ag. Carracci im Pal. Farnese zu Rom. Ebenso sind sie im Kunstgewerbe der italienischen Renaissance, besonders an Möbeln, häufig.

Die deutsche bzw. niederländische Renaissance übernimmt das Atlantenmotiv bereits recht früh und variiert es in reicher und selbständiger Weise, in erster Linie vermittelt durch die Architekturtheoretiker (Rivius) und Ornamentstecher; vgl. Berliner, Ornamentale Vorlageblätter Taf. 111 (Ant. Fantuzzi), Taf. 152, 155/56 (Cornel. Bos), Taf. 162 (C. Floris) und Taf. 152 (Corn. Matsys). Auch die Atlantenentwürfe des Wendel Dietterlin müssen hier genannt werden. Die Hauptanregungen boten die beiden Werke des Walter Rivius. Die Holzschnitte im „Vitruvius Teutsch“ zum 1. Cap. des Vitruv zeigen paraphrasierend die A. der Abb. 2, bärtige, reich gekleidete Männer, die mit Nacken und Armen tragen, die kauernden und knienden und endlich die Satyrn, mit hermenartig nach unten laufenden Beinen, aber naturalistisch gebildeten Füßen (fol. 18 r). Die Anregung für letztere entnahm der Zeichner einem Stiche des Agost. Veneziano (B 304) von 1536, der dann am Portal des Piastenschlosses zu Brieg kopiert wurde. Derartige Figuren finden sich auch an der Fürstengruft in Emden (1548) und am Hallengrab in Jever (1561-64). Der Meister des Ottheinrichsbaus zu Heidelberg verwendet einen Konsolatlanten, dessen Vorbild A. Haupt (Peter Flettner, der erste Meister des Otto-Heinrichsbaus, Leipzig 1904 S. 31) am Pliniusdenkmal des Domes von Como nachwies. Daneben ist ein A. am Untergeschoß des Heidelberger Palastes direkt nach „Vitruvius Teutsch“ (fol. 18 v) kopiert worden (Haupt a. a. O. S. 83). Ein Treppenturmportal des Dresdener Schlosses bringt neben Herkulanten wilde Männer als A. Im allgemeinen aber überwiegen in der Architektur der deutschen Renaissance die Hermen weitaus die A. und Karyatiden.

In Gestalten der christlichen Religion übersetzt spielt der A.-Gedanke eine große Rolle bei Kanzeln: Moses (Sp. 317 Abb. 27), Simson, St. Michael und andere Heilige (Christophorus) und Engel sind als Kanzelträger beliebt und verbreitet (s. Kanzel). Selten sind Profanfiguren als Kanzelträger wie etwa der Knappe an der Bergmannskanzel von 1638 in Freiberg i. S. An Epitaphien dienen neben Engeln und Tugenden gelegentlich Türken (Lossow-Epitaph in Magdeburg von Seb. Ertle) oder die Gestalten von Adam und Eva (Brösicke-Epitaph in Ketzür von Christoph Dehne) als Tragfiguren. Christliche Abwandlungen des A.-Typs bieten mitunter auch Altäre mit Engeln (Torgau, Sp. 431 Abb. 1; Bückeburg, Sp. 433/34 Abb. 4) oder Evangelistensymbolen (Schmalkalden, Sp. 437 Abb. 12) und Taufbecken (Adrian de Vries, Bückeburg; Magdeburg, Heiliggeistkirche).

Als Beispiel für A. an Brunnen nennen wir den „singenden Brunnen“ im Prager Belvederegarten, entworfen 1562 vom Hofmaler Ferdinands I., Franz de Terzio, Holzmodell von Hans Peysser, Guß von Th. Jarosch in Brünn (Abb. 9); für Möbel und Gestühle ein Schreibkabinett, das 1555 der Augsburger Kistler Lienhart Stromeier für Karl V. fertigte, jetzt in Madrid, bei Prinz Bourbon (Bildhauerarbeit vielleicht von Viktor Kels; Feulner, Kg. des Möbels, Berlin 1927); das Brendelsche Chorgestühl im Mainzer Dom, c. 1580, wohl nach einem Entwurf des Georg Robyn, mit Putten und Satyrn als A., neben Sphinxen und anderen phantastischen Tieren; die Bibliothekstüre im Wiener Landhaus, sehr reiche Holzarchitektur mit je zwei ausgezeichneten A. und Karyatiden, 1571 und 1572 von dem auch als Architekturtheoretiker bekannten Hoftischler Rudolfs II. Georg Has; schließlich die Fürstenloge in der Schloß-Kapelle zu Bückeburg. Goldschmiedekunst: Pokalentwurf von Hans Holbein d. J. mit Karyatiden und Satyrn, in Basel, Nautilusentwürfe von Cornelis Floris, vier vergoldete Jahreszeitfiguren aus Bronze vom silbernen Lustbrunnen, den W. Jamnitzer für den Kaiser verfertigte (jetzt Kunsthist. Mus. in Wien). In der Werkstätte Jamnitzers und seiner Familie ist das A.- bzw. Karyatiden-Motiv sehr beliebt, sowohl in den gestochenen Pokalentwürfen als in ausgeführten Werken. – Ein lehrreiches Beispiel der so beliebten Kombination von A., Karyatiden und Hermen bietet ein Glasfensterentwurf von J. Amman von 1564 im Besitze der Antiquarischen Ges. Zürich.

V. Barock, Rokoko und Klassizismus

Der Barock hat das Erbe der Renaissance vollinhaltlich übernommen und auch vielseitig weiter ausgebildet. Besonders die mächtigen italienischen Portalbauten verwendet man gern und erfüllte sie mit deutschem Formgefühl. In Italien waren unterdessen die Portalträger aus ihrer starren architektonischen Gebundenheit gelöst und realistisch umgeformt worden. Die Deutschen ergriffen das Problem mit großem Ern st und einer leidenschaftlichen Wucht, welche die Verhältnisse der Gestalt weit übertrieb und einer starken Monumentalität zustrebte. Der Weg, auf dem die italienischen A. zur Kenntnis der Deutschen kamen, ist klar und beweisbar. Einerseits waren es die zahlreichen illustrierten Werke der Architekturtheoretiker, andererleits Studienreisen der Künstler, endlich Modelle. Giuliani und Mattielli, die beiden Wiener Bildhauer, denen wir zahlreiche A. verdanken, waren geborene Italiener. Von Matthias Braun, dem größten Bildhauer Böhmens, der ein geborener Tiroler war, von Permoser und von vielen anderen Zeitgenossen wissen wir, daß sie in Italien reisten. Es trab aber auch andere Vermittler, z. B. italienische Modelle und Kleinbronzen. Ein 31 cm hoher A. italienischer Herkunft im Braunschweiger Landesmuseum war das Vorbild für einen getönten Stuckbozzetto im Bayerischen National-Museum München (Abb. 11, Höhe 27 cm), den stilistische Verwandtschaft mit dem Portalatlanten M. Brauns am Prager Clam-Gallas-Palast des J. B. Fischer von Erlach verbindet [9 Taf. 35]. Auch Gipsabgüsse von plastischen Architekturdetails kamen neben Glieder- und Muskelmännern als Studienmaterial in den Norden, wo sie häufig auf Atelieransichten dargestellt sind (E. W. Braun, Die Slg. G. v. Rhò in Wien, Wien 1908 Taf. 40 und 48 c).

Sehr beliebt waren die A. an Portalen und Balkonen von Palästen, namentlich in der Wiener Barockarchitektur. Schon ein handschriftlicher Architekturband der Wiener Nationalbibliothek von W. W. Praemer (1637–1716, publiziert von H. Tietze im Wiener Kunsthist. Jb. Bd. 3 3 S. 347) zeigt A. als Träger eines Balkons an einer Gartenfront. Anregung hierzu können die Bauten Palladios gegeben haben (Gartenarchitektur der Villa Maser mit Skulpturen des A. Vittoria). Öfters Gebrauch von Portalatlanten (und -hermen) machten Fischer von Erlach [9], L. v. Hildebrandt [10], Martinelli und Prandtauer [12]. Auch die Meister der A. sind zum Teil bekannt; zumeist sind es Giuliani und Mattielli, doch auch andere Bildhauer sind nachweisbar.

Fischer von Erlach: Palais Clam Gallas in Prag, zwei Portale mit je zwei Doppelatlanten [9 Taf. 37], Bildhauer M. Braun; Palais Trautson in Wien (jetzt ungarische Gesandtschaft), Treppenatlanten, Bildhauer wohl Mattielli [11 Taf. 38]; Stadtpalais des Prinzen Eugen in Wien, Himmelpfortgasse, Treppenatlanten, Bildhauer wohl Mattielli. – Martinelli: Stadtpalais des Fürsten Liechtenstein in Wien, Bankgasse; Portalatlanten, wohl von Giuliani [11 Taf. 13]. – Unbekannter Meister des Palais Neupauer-Bräuner, Wien, Singerstraße: Seitenportal des Palais Liechtenstein, Wien, Bankgasse, c. 1710-15 (Phot. Reiffenstein, Wien, Nr. 3459). – Unbekannter Architekt: Palais Geymüller in Wien, früher Graf Caprera, jetzt Niederösterreich. Landesmus., wohl Giuliani (Phot. Reiffenstein, Wien, Nr. 6136). – Lukas von Hildebrandt: Palais Daun-Kinsky in Wien, begonnen 1713, Portalatlanten von Giuliani [10 Taf. 77]; ebd. Stiegenhausatlanten [10 Taf. 79]; Oberes Belvedere, Wien, A. in der Sala terrena, von Penther angeführt, s. o. Sp. 1179, Bildhauer Mattielli (Abb. 16). – Prandtauer: Portal in Stift St. Florian, vier A. (im Obergeschoß Hermen), Bildhauer Leonhard Sattler, 1712/13 [12 Taf. 36]; Kamin ebd., Putten als Gebälkträger (Phot. Reiffenstein, Wien, Nr. 3950). – Unbekannter Architekt: Portal des Propsteihofs in Wiener Neustadt, um 1725, Giuliani-Kreis [11 Taf. 76]. – Unbekannter Architekt: Palais Morzin in Prag, Balkonatlanten von F. M. Brokoff (Abb. Pollok, Brokoff, Prag 1910 Taf. IV). – J. J. Matthey, Schloß Troja bei Prag, A. an der Freitreppe von dem Dresdner Bildhauer Th. Heermann, 1685 (Abb. 10). – Mauriz Grimm, Minoritenkirche zu Brünn, A. am Portal in Gestalt von geflügelten Engeln vom Bildhauer J. Christ. Pröbstl, c. 1730 (Phot. Univ.-Prof. Dr. E. Dostal, Brünn).

Drei Bozzetti aus Ton von Giuliani in Kloster Heiligenkreuz (s. Abb. 13); zwei aus Holz im Österreich. Mus. zu Wien sind wohl nur Werkstattarbeiten.

Auch die in Stichen und Handzeichnungen überlieferten Augenblicksdekorationen der Barockzeit (Triumphbögen, Castra doloris usw.) verwenden als architektonische Schöpfungen gerne A. Genannt seien der Wiener Triumphbogen von 1699, entworfen von Fischer von Erlach mit Herkulesatlanten als Bogenträgern [9 Taf. 20], und das Castrum doloris für Kaiser Leopold I. in der Wiener Augustinerkirche von Hildebrandt: nackte sitzende Fackelhalter als Träger der Säulenbasen [10 Taf. 40]. Ebenso kommen sie – wie in der Renaissance – in verschiedensten Abwandlungen neben Putten als Träger von Brunnenschalen vor (Brunnen in Friesach in Kärnten, Samsonbrunnen von Josef Dietrich in Budweis, 1727).

In der Barockarchitektur Deutschlands spielen Hermen die weitaus größere Rolle (Dresden, Zwinger; Potsdam, Sanssouci, Sp. 958 Abb. 18; Schleißheim; Pommersfelden, Treppenhaus; Fulda, Kaisersaal usw.). Ganz selten sind Karyatiden (Brühl, Treppenhaus, als Gegenstück zu einer A.-Gruppe). Etwas häufiger kommen A. vor: In reiner Form werden sie fast nur verwendet, wo Italiener in irgendeiner Weise die Hand im Spiel haben (Passau, Dom; Würzburg, Mittelbau des Juliusspitals). In ganz freier Abwandlung bringt sie Schlüter im Treppenhaus und im Elisabethsaal des Berliner Schlosses. Pöppelmann ließ sie im Japanischen Palais in Dresden durch Joh. Gottl. Kirchner als Chinesen staffieren (Abb. 14); am Zwinger kommen an der Galerie Satyrn vor. In der Bibliothek von Waldsaßen sind phantastische – wohl allegorisch zu deutende – Figuren Träger der Empore (Inv. Bayern II, 14 Taf. 14 u. 15). Am Portal der ehemaligen Hofkapelle in Passau (1695) tragen A.-Paare in burlesker Bewegung das Gebälk (Abb. 15), ebenso in der Bibliothek des Klosters Metten (Inv. Bayern IV, 17 S. 160 und Taf. 17). Mehr im Rahmen des kanonischen Typus halten sich die A. am Portal des Gymnasiums in Rothenburg (1703).

Die architektonische Bindung ließ die Stukkateure und Deckenmacher gern zu den Tragefiguren greifen. Doch sind hier Putten und Engel (München, Theatinerkirche; Salzburg, Dom; Sakristei von St. Stefan in Wien) häufiger als A., für die wir als Beispiel den Kaisersaal in Ottobeuren (um 1725) nennen. Für Kanzeln, Altäre, Chorgestühle, Orgeln usw. gilt, ähnlich wie im Zeitalter der Renaissance, daß als Tragfiguren meistens Gestalten der christlichen Ideenwelt verwendet werden; Engel und Engelputten sind viel häufiger als A., wie sie an der Orgelempore der Hl. Kreuzkirche in Schwäbisch Gmünd (1688) vorkommen. – In der Goldschmiedekunst ist das Motiv des von einem knienden oder sitzenden Satyr getragenen Trinkbehälters als Knauf des Gefässes, das schon die Jamnitzer gerne verwendeten, zur höchsten künstlerischen Leistung in dem von Permoser entworfenen und Bernhard Quippe in Berlin um 1690 ausgeführten Nautiluspokal des Grünen Gewölbes gelangt. Die deutsche Porzellanplastik kennt das A.-Motiv in J. J. Kändlers Herkulesfiguren als Gebälkträger für einen „Ehrentempel“ (Dresden und Stuttgart, Abb. 12).

Zu den Abbildungen

1. Marc Anton Raimondi (c. 1480 bis c. 1530), Stich B 538. Nach Thode [1].

2. Holzschnitt der Vitruv-Ausgabe des Caporali, Perugia 1536, fol. 10 r.

3. Andlau, Klosterkirche, c. 1150. Träger einer Figurennische am Westportal. Phot. Kunstgesch. Seminar Marburg.

4. Hirsau, Klosterkirche St. Peter und Paul, Fries am nördl. Westturm, Anf. 12. Jh., Ausschnitt. Träger einer Lisene. Phot. Landesbildstelle Württemberg, Stuttgart.

5. Königslutter, Klosterkirche, 1135ff. Träger einer Kämpferkonsole im Kreuzgang. Phot. Kunstgesch. Seminar Marburg.

6. Mainz, Dommuseum, A. vom ehem. Ostlettner im Dom, um 1240. Phot. Staatl. Bildstelle, Berlin.

7. u. 8. Frankfurt a. M., Hist. Mus., A. unter einem Wasserspeier von der Südseite des Doms, c. 1240 bis 1250. Phot. Staatl. Bildstelle, Berlin.

9. Prag, Belvederegarten, der „Singende Brunnen“. Entwurf Franz de Terzio, 1562; Holzmodell von Hans Peysser, Guß von Th. Jarosch in Brünn, 1564. Phot. Österreich. Lichtbildstelle, Wien.

10. Schloß Troja bei Prag, erbaut v. J. J. Matthey. A. an der Freitreppe vom Dresdener Bildhauer Th. Heermann, 1685. Phot. Zikmund Reach, Prag.

11. Matthias Braun (?, 1684-1738), Stuckbozzetto, Höhe 27 cm. München, BNM. Phot. Mus.

12. J. J. Kändler, Herkulanten von einem Ehrentempel, Meißener Porzellan, 1745. Stuttgart, Landesgewerbemus. Phot. Mus.

13. Giov. Giuliani (1663-1744), A.-Bozzetto in Kloster Heiligenkreuz (Österreich), Mus. Nach Inv. Österreich 19 S. 234.

14. Dresden, Japanisches Palais (1715ff., erweitert 1728ff.) von M. D. Pöppelmann. A. von Joh. Gottl. Kirchner. Nach Max Sauerlandt, Die dt. Plastik des 18. Jh., München o. J. (1926).

15. Passau, Portal der ehem. Hofkapelle, 1695. Phot. Bayer. Landesamt f. Denkmalpflege, München.

16. Wien, Oberes Belvedere (erbaut von J. L. v. Hildebrandt 1721/22), A. in der Sala terrena von Lorenzo Mattielli. Phot. Österreich. Lichtbildstelle, Wien.

Literatur

I. 1. Henry Thode, Die Antiken in den Stichen des M. A. Raimondi, Leipzig 1881. 2. J. Prestel, Zehn Bücher der Architektur des Marcus Vitruvius Pollio, Zur Kg. d. Auslandes 108, Straßburg 1914. 3. Bodo Ebhardt, Die zehn Bücher der Architektur des Vitruv, Berlin 1918. 4. Heinr. Röttinger, Die Holzschnitte zur Architektur und zum Vitruvius Teutsch des Walter Rivius, Stud. z. dt. Kg. 167, Straßburg 1914.

II. Abbildungswerke: 5. Max Georg Zimmermann, Oberitalienische Plastik im frühen und hohen Mittelalter, Leipzig 1897. 6. Jos. Durm, Die Baukunst der Renaissance in Italien, Hdb. d. Arch. Tl. II Bd. 5, Leipzig 1914. 7. Wilh. Suida, Genua (Berühmte Kunststätten 33), Leipzig 1906. 8. Leo Planiscig, Venezianische Bildhauer der Renaissance, Wien 1921. 9. Hans Sedlmayr, Fischer von Erlach d. Ä., München 1925. 10. Bruno Grimschitz, Joh. Lucas v. Hildebrandt, Wien 1932. 11. Hans Sedlmayr, Österreichische Barockarchitektur, Wien 1930. 12. Hugo Hantsch, Jakob Prandtauer, Wien 1926.

Verweise