Archivolte

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englisch: Archivolt; französisch: Archivolte; italienisch: Archivolto.


Dagobert Frey (1936)

RDK I, 1018–1025


RDK I, 1019, Abb. 1. St. Remy, Triumphbogen, augusteisch.
RDK I, 1019, Abb. 2. Köln, St. Cäcilien, merowingisch.
RDK I, 1021, Abb. 3. Straßburg, Münster, um 1200.
RDK I, 1021, Abb. 4. Mödling, Karner, M. 13. Jh.
RDK I, 1021, Abb. 5. Goslar, Neuwerkkirche, um 1200.
RDK I, 1021, Abb. 6. Freiberg i. S., Goldene Pforte, um 1235.
RDK I, 1023, Abb. 7. Erfurt, Universität, um 1525.
RDK I, 1023, Abb. 8. Görlitz, Brüderstr. 8, 1526.

Archivolte, profilierte oder dekorierte Stirnseite eines Bogens. Wortbildung analog zu Architrav, daher im engeren Sinne ein architravartig profiliertes Bogenhaupt. Ihrem Wesen nach gehört die A. dem Gliederbau an, in dem der Bogen durch eine Rahmenleiste längs des Bogenrückens als selbständiges tektonisches Bauglied von der Mauermasse gesondert wird. In dieser Form wird sie in der hellenistischen Baukunst ausgebildet (Abb. 1) und aus ihr in die römische übernommen (R. Delbrueck, Hellenistische Bauten in Latium, Bd. II, S. 64). Im engeren Sinne kann daher der Terminus in der deutschen Baukunst nur angewandt werden, insoweit Nachahmung antiker Formensprache vorliegt. Doch hat sich die weitergehende Verwendung des Worts für jedes architektonisch hervorgehobene Bogenhaupt allgemein eingebürgert.

Der Baukunst des Mittelalters, die ihrem Wesen nach Massenbau ist, erscheint die Sonderung des Bogens an sich fremd. In der karolingisch-ottonischen Zeit ist das Bogenhaupt fast stets ungegliedert. Seltene Fälle einer architravartig profilierten A. (Aachen, Arkadenfragment vom Atrium des Münsters) oder einer Randleiste (St. Michael in Hildesheim, Querschiffemporen 1033) gehen auf antike Reminiszenzen zurück. (Antikisierende Archivolten erhalten sich in der Kleinkunst.) Mit Oberitalien hängt wohl die Stucktechnik zusammen, in der die Archivolten in Mals und Disentis aufgetragen sind (9. Jh.). Zumeist erfolgt die Hervorhebung des Bogenhauptes, wenn dieses überhaupt in Erscheinung tritt, bloß flächig durch den Steinschnitt (Lorsch, Michaelskapelle) oder durch Malerei. Die Wirkung des Steinschnittes kann noch verstärkt werden durch den Wechsel farbiger Keilsteine (Hildesheim, St. Michael, 1. H. 11. Jh.; Königslutter, M. 12 Jh.) oder den Wechsel von Haustein und Ziegel, wobei der Bogen mitunter mit einer Deckschicht von Ziegeln gerahmt ist (schon in fränkisch-merowingischer Zeit an Mauerresten von S. Cäcilia in Köln, Abb. 2; karolingisches Tor in Ingelheim, frühmittelalt. Torbogen in Lorsch). Daß auch bei einer Gliederung der Hochschiffwände durch Wandmalerei ein Herausheben der Bogenhäupter der Arkaden und Fenster nicht als notwendig empfunden wurde, zeigt die Georgskirche in Oberzell auf der Reichenau (um 1000).

In der weiteren Entwicklung geht die plastische Durchbildung des Bogens im Gegensatz zur Antike von der Leibung aus in der Form der Abstufung der Leibung von außen nach innen. Diese Grundform ergibt sich aus der Einstellung einer Unterteilung in den Bogen (Aachen, Münster, Emporen, sonst vielfach bei zwei- oder mehrteiligen Fenstern) und entwickelt sich vor allem am Stufenportal (ältestes Beispiel Gernrode, Stiftskirche, 2. H. 10. Jh.), das seiner Genesis nach ebenfalls als Einstellung einer rechteckigen Türe in einen Entlastungsbogen zu verstehen ist. Die Ausgestaltung der Archivolte ist schon durch die Gliederung des Gewändes (Wechsel von Pfosten und Säulchen) bestimmt (Abb. 3; vgl. auch Sp. 947/48, Abb. 6). Die Profilierung setzt in bezeichnender Weise für den Massenbau an den Ecken an (Rundstäbe; Arkadenprofilierungen mit Rundstäben, z. B. Paulinzelle) und ist ebenso wie die Ornamentierung nicht auf die Fläche aufgetragen, sondern in die Körperform eingeschnitten. Daher ist auch der deutschen romanischen Baukunst eine über die Mauerflucht vortretende Rahmenleiste im allgemeinen fremd, während sich diese Form in Frankreich und Italien auch in romanischer Zeit erhält. Einfache Rahmenleisten, durch eine flachliegende Ziegelschicht über einer Rollschar gebildet, finden sich im norddeutschen Backsteinbau (z. B. Salzwedel, St. Lorenz, M. 13. Jh.). Ein Vortreten der A. vor die Mauerflucht wird in der Hirsauer Schule durch Herumführen des Sockelprofils erreicht (unter Hirsauer Einfluß: Maulbronn; Hildesheim, St. Godehard; Braunschweig, Dom; Goslar, Neuwerk, Abb. 5), wobei aber Sockel und A. eine einheitliche Mauerschicht bildeten, die durch das nach außen abfallende A.-Profil mit der Mauermasse verbunden erscheint.

Die ornamentale Ausgestaltung der A. im 12. Jh. wird im Wesentlichen durch oberitalienische und französische Einflüsse bestimmt. Ein geometrisch-oramentaler Typus (Zickzackbänder, Rauten, verzahnte Zapfen) geht von der Normandie aus und dringt bis Österreich und Ungarn vor (Abb. 4, ferner Regensburg, St. Jacob, E. 12. Jh.; Wien, St. Stefan, Riesentor, M. 13. Jh.; Ják; Lebény). Die flach reliefierten bandartigen A. (Abb. 4; Schloß Tirol; Landsberg – an der schrägen Leibung – 1180) und die seltenen figurierten A. (Andlau, Remagen; Großenlinden, 12. Jh.) gehen auf lombardische Vorbilder zurück (charakteristisch hierfür die Unterteilung der A. in einzelne Relieffelder, vgl. Pavia, S. Michele), wogegen die konzentrisch angeordneten vollplastischen Figuren an den A. der goldenen Pforte in Freiburg i. S. (Abb. 6) und an der Liebfrauenkirche in Trier (M. 13. Jh.) auf Frankreich zurückzuführen sind, wo dieses Motiv schon im 2. V. 12. Jh. nachweisbar ist (Angoulême, Kathedrale, Engelsbogen der Fassade) und in der Gotik zur vollen Entwicklung gelangt. Wahrscheinlich über Sachsen dringt die figurierte A. bis Schlesien vor (Breslau, Magdalenenkirche, um 1200).

Die Grundauffassung der A. als Gliederung der Leibung bleibt auch in der Gotik erhalten. Entscheidend für die Umgestaltung werden aus den allgemeinen Tendenzen der Gotik heraus die Verschmelzung von Gewände und A. durch Ausschalten des Kämpfers und die Umwandlung der Körperformen in Hohlformen (große Kehlen zwischen zarten Stegen, Rundstäben oder Birnprofilen). In die Kehlen werden häufig nach französischem Muster Statuetten auf Konsolen, oft unter Baldachinen, eingestellt (frühe Beispiele: Straßburg, Münster, s. Sp. 950, Abb. 9; Freiburg i. Br., Münster; Mainz, Liebfrauenkirche, abgebrochen; vgl. auch Sp. 953, Abb. 12). Die Spätgotik treibt die Profilierung der Leibung über die Mauerflucht hinaus und umgibt den Bogen mit einem Wasserschlag, auf den Krabben aufgesetzt werden, wodurch die Kontur des Bogens optisch aufgelöst wird. Die Verselbständigung der Stege, die sich am Bogenfuß und im Scheitel überschneiden, sowie die Emanzipation der Form des Bogenrückens von der inneren Bogenlinie (Eselsrücken über Spitzbogen) löst in der spätesten Gotik den einheitlichen Charakter der A. vollkommen auf (Abb. 7; ferner z. B. Halle a. S., Marktkirche; Göß in Steiermark, Klosterkirche, beide 1520).

Mit dem Eindringen der Renaissanceformen wird wieder die tektonisch behandelte A. der Antike aufgenommen (bezeichnend hierfür die Einführung des Schlußsteins, den die mittelalterliche Baukunst nicht kennt). Vereinzelt ist auch die Rezeption romanischer Formen nachweisbar, wie z. B. im Querflügel des Domkreuzganges in Regensburg (Stufung mit ornamentierten Rundstäben, Anf. 16. Jh.) und am Südportal von St. Georg in Köln (gebogene Säulchen mit Schaftringen, um 1530). Dabei zeigt das zähe Festhalten an Profilierungen, die in die Leibung einschneiden, wie stark sich das Massengefühl als charakterologische Konstante erhält (Abb. 8; Freising, bischöfliche Residenz, 1519; dekorierte Abschrägung der Leibung häufig in Sachsen und der Lausitz); der gleichen Grundauffassung entspricht auch die auf das Bogenhaupt aufgelegte bandartige A. (Dresden, Goldenes Tor, 1555, unter französischem Einfluß, der auch sonst zu dieser Zeit in Sachsen nachweisbar ist). In der 2. H. 16. Jh. wird die A. häufig, vor allem in Norddeutschland unter niederländischem Einfluß (Floris-Stil), durch Rustika (oft mit Diamantquadern) oder Maskarons im Sinne einer optischen Auflösung dekoriert (z. B. Bremen, Stadtwaage, 1587; Lüneburg, Ratsapotheke).

Im Barock wird die A. einerseits durch Heraustreiben der Profilierung aus der Mauermasse, andererseits durch Raumkurven des Bogens (Vorwölben des Bogenhauptes) in die Dynamik des ganzen Baukörpers einbezogen, wogegen der Klassizismus vielfach ganz auf eine Profilierung verzichtet und den Bogen aus der glatten Wand herausschneidet (z. B. Berlin, Neue Münze von Gentz, 1800).

Zu den Abbildungen

1. St. Remy (Provence), Triumphbogen, augusteisch. Nach alter Aufnahme.

2. Köln, St. Cäcilien, sog. merowingische Mauer, Tuffstein mit Ziegeldurchschuß. Phot. Prov. Konservator der Rheinprovinz, Bonn.

3. Straßburg, Münster, Ostportal der Andreaskapelle, um 1200. Phot. Münsterbauamt Straßburg.

4. Mödling (Niederösterreich), Karner, M. 13. Jh. Nach R. K. Donin, Roman. Portale in Niederösterreich, Jb. d. Kunsthist. Inst. d. K.K. Zentralkomission 1915.

5. Goslar, Neuwerkkirche, Nordportal, um 1200. Phot. Kunstgesch. Seminar Marburg.

6. Freiberg i. S., Goldene Pforte, um 1235. Phot. Dr. F. Stoedtner, Berlin.

7. Erfurt, Portal der Universität, um 1525. Phot. Ed. Bissinger, Erfurt.

8. Görlitz, Haus Brüderstr. 8, 1526. Nach alter Aufnahme.

Literatur

K. Erdmann, Der Bogen. Eine Studie zur Geschichte der Architektur, Jb. f. Kw. 1929, S. 100ff. – Siehe auch Bogen, Kirchenportal und Portal.

Verweise