Architekturplastik
englisch: Sculpture, architectural; französisch: Sculpture monumentale décorative; italienisch: Scultura a complemento dell'architettura.
Alexander von Reitzenstein (1936)
RDK I, 940–959
Architekturplastik: figürliche Plastik im Verbande der Architektur; vornehmlich Steinplastik. Andere Werkstoffe (Stuck, Holz, Bronze) spielen eine untergeordnete Rolle, kommen auch nur in Perioden eines losen Verhältnisses zwischen Architektur und Plastik zur Verwendung. Für rein ornamentalen Schmuck der Architektur s. Bauornament; für Keramik s. Baukeramik.
Technisches. Bearbeitung vor oder nach Versatz (avant la pose, après la pose). Die erste war (und ist) die Regel. Bearbeitung après la pose dürfte sich in der Hauptsache auf kleinere Werkstücke (Profile, Kapitelle, Friese usw.) beschränkt haben; eine nennenswerte Bedeutung kam ihr wohl nur im 11. und 12. Jh. zu. So ist die außerordentlich reiche Bauplastik am Querhause des Speyerer Doms (E. 11. Jh.) erst nach dem Versatz gearbeitet (beweisend sind unbearbeitete Teile – Bossen – in sonst bearbeiteten Verbänden). In der Folgezeit wird die Arbeit avant la pose das durchaus übliche.
Prinzipielles. Plastik kann sich in drei Weisen zur Architektur verhalten: 1. Sie ersetzt ein architektonisches Glied, übernimmt auch dessen (technische) Funktion, bringt diese anthropomorph oder zoomorph zum Ausdruck (Karyatide, Atlant und Herme der Antike, der Renaissance, des Barock); 2. sie bezieht sich auf ein architektonisches Glied, findet ihren Halt in der Achse dieses Gliedes, bringt sie gleichsam zu konkretem Ausdruck (statuarische Plastik der Gotik; Säulenstatue); 3. sie „schmück t“ eine architektonische Fläche, verkleidet sie in Reliefzusammenhängen oder tritt in Nischen in sie ein (diese Weise haftet nicht an bestimmten Perioden, herrscht aber zeitweise, z. B. im 16. Jh., vor). – Die A. des Barock nimmt eine Zwischenstellung ein: ist sie auch vorwiegend dekorativ, so beteiligt sie sich doch in so großen Zusammenhängen und an so entscheidenden Stellen des Baukörpers, daß sie ihm, ähnlich der statuarischen Plastik des hohen Mittelalters, auf Gedeih und Verderb verbunden erscheint.
Geschichte. Eine deutsche A. setzt, zögernd, im 11. Jh. ein. Verbirgt eine sehr schmale Denkmälerüberlieferung ihren tatsächlichen Umfang, so kann dieser zunächst doch nur eng umgrenzt gedacht werden. In der Kleinkunst beheimatet, an architekturfremden Werkstoffen (Metall, Elfenbein) erwachsen, verbindet sich die deutsche Plastik der Frühzeit nur gelegentlich und auch dann nur locker mit der Architektur. Sie sucht ihre Gelegenheiten weniger am Bau als im Bau (und bevorzugt diese in einer ihr, und nur ihr, eigentümlichen Weise noch in der Zeit ihrer Blüte, im 13. Jh.). Befinden sich die ersten (überlieferten) Zeugnisse deutscher A., die Hochreliefs Christi und zweier Heiliger in Regensburg, St. Emmeram (1048-64), über einem Portal, so erscheint es bedeutsam, daß sich dieses Portal in eine Vorhalle, also wieder in einen Raum und nicht unmittelbar ins Freie öffnet. – Die Regensburger Reliefs sind Übertragungen aus einem der („edlen“)Werkstoffe der damals gepflegten Kleinkünste in den Werkstoff der Architektur (vgl. den Regensburger Christus mit einer Elfenbeinmadonna im Mainzer Mus., Goldschmidt, Elfenbeinskulpturen II, Taf. 13); hieraus mag sich die Weite des Weges ermessen lassen, den die deutsche Plastik zurückzulegen hatte, um, in einem mehr als äußerlichen Sinne, Architekturplastik zu werden. Wollte die frühe deutsche Plastik (wie alle mittelalterliche) nicht nur schmücken, sondern, sogar vornehmlich, etwas aussagen, sich an einen „Leser“ wenden, so trug sich ihr innerhalb der Architektur vor allem das Portal an. Die ersten Andeutungen einer deutschen A., ornamental beschriebene Türstürze aus fränkisch-karolingischer Zeit (Ingelheim, Geisenheim), stammen von Portalen. Daß sich eben der Türsturz, in der Frühzeit meist wuchtig geformt, schon im 11. Jh. zu einem nicht ganz unwichtigen Träger plastischen Schmuckes entwickelt hatte, mag der erhaltene der Werdener Abteikirche (Abb. 1) ahnen lassen. Auch skulptierte Bogenfelder (s. Tympanon) werden sich schon im 11. Jh. voraussetzen lassen; die ersten bekannten Beispiele stammen aus dem frühen 12. Jh.: ein Tympanon aus Egmond mit den Halbfiguren Petri und zweier Stifter (Amsterdam, Rijksmuseum; um 1120-30), ein anderes mit der Steinigung des hl. Stefan in Mehringen b. Aschersleben (um 1130), die Tympana in Clus b. Gandersheim, Hamersleben, Alpirsbach, Köln, St.Cäcilien(um 1130–40), Soest, Dom (Sp. 753/54, Abb. 1) u. a. m. (vgl. auch Sp. 345/46, Abb. 1). Auch die von Italien her angeregten Portallöwen kommen jedenfalls früher vor als die ältesten erhaltenen Denkmale; frühe Beispiele: Speyer (Dom, heute Museum; um 1100), Bamberg (heute vor dem Ostchor des Doms; wohl Anf. 12. Jh.), Schleswig (Dom; um 1150). Löwen im alten Portalverbande vergegenwärtigt das Portal der Pfarrkirche in Bozen (um 1200). Die Portallöwen des an Beispielen besonders reichen Salzburger Gebiets gehören der Wende des 12. Jh., teilweise auch schon der 1. H. 13. Jh. an.
Wichtiger als die Gelegenheiten am Bauäußeren waren der deutschen A. auch noch im 12. Jh. die im Bauinneren. Etwa, um einen der deutlichsten Fälle herauszugreifen: die Chorschranken. Auch die Anfänge monumentaler Chorschrankenplastik werden in das 11. Jh. zurückreichen. So sind die für die Bamberger Michaelskirche literarisch überlieferten 24 „statue que circa chorum sunt locate“ (um M. 11. Jh.) doch wohl auf Chorschranken zu beziehen; waren sie (wahrscheinlich) metallen, so bezeugen sie die Chorschranke doch schon als mögliche Gelegenheit. Die ältesten überlieferten Schrankenskulpturen sind die (fragmentarisch erhaltenen) des Trierer Domes (um 1160); die nächsten, die Hildesheimer (um 1180–90), die etwas späteren Hamerslebener, die Halberstadter (Anf. 13. Jh., Abb. 3), endlich die Bamberger (um 1230, Sp. 821, Abb. 9) sind schon die Höhen einer sich in ihnen beschließenden Entwicklung. – Ein früher Versuch, die Wandflächen eines Baus einheitlich mit Relief zu verkleiden, liegt in der Heiliggrabkapelle der Stiftskirche in Gernrode vor (Anf. 12. Jh., Abb. 2). Abkunft aus der Kleinkunst (Elfenbein) ist deutlich.
Das Resultat einer ungleich stärker von der Architektur her bestimmten Entwicklung, die statuarische Plastik der Isle de France (Porta regia der Kathedrale von Chartres, um 1150) konnte die deutsche Plastik nicht ohne vorbereitende Schule übernehmen. Sie schulte sich folgerichtig an italienischer (oberitalienischer, lombardischer) Plastik, die eine gute alte Steinmetztradition vor ihr voraus hatte, wenngleich ihr Verhältnis zur Architektur auch kein wesenhaft anderes war. Die außerordentlich reiche Bauplastik am Querhaus des Speyerer Doms (E. 11. Jh.), in Quedlinburg (um 1100), an der Apsis der Stiftskirche in Königslutter (nach 1135, Abb. 4), das Andlauer Portal (um 1150, Sp. 137/38, Abb. 10, 11), die Galluspforte des Basler Münsters (um 1170, Abb. 6) und die zahlreichen Portale des bayerischen Gebiets (Moosburg, Straubing, Salzburg usw.) bezeichnen einige der deutlichsten Berührungen deutscher und italienischer Plastik. (In einzelnen Fällen mögen die italienischen Formen auf direkte Weise vermittelt worden sein, durch muratori, die sich beispielsweise um Mitte des 12. Jh. in Regensburg nachweisen lassen.) – In den Gewänden der Galluspforte und eines (nur in Resten erhaltenen) Portals der Klosterkirche in Petershausen b. Konstanz siedelt sich (nach dem Stande unserer Denkmälerkenntnis) erstmals großfigurige Plastik an. Aber diese Figuren sind nicht Statuen im Sinne der allseitig runden „Säulenstatuen“ von Chartres; sie sind aus Pfeilern des Portalgewändes genommen, stecken gleichsam noch in der Pfeilermasse, besitzen noch nicht die Freiheit, sich vor dem Gewände in einer eigenen Zone zu behaupten. – Die fruchtbare Berührung mit oberitalienischer Plastik hatte, verbunden mit durchschnittlicher Steigerung handwerklichen Könnens, zunehmende Dichte der Hervorbringung zur Folge. Um die Wende des 12. Jh. beginnt sich die Plastik in breiteren Zusammenhängen am Außenbau (der freilich nach wie vor in der Portalregion die stärkste Anziehung ausübt) festzusetzen (Schottentor in Regensburg, Chorapsis der Kirche in Schöngrabern, Johanneskirche in Schwäbisch Gmünd, Walderichskapelle in Murrhardt u. a. m.). In steigendem Maße überspielt jetzt auch ein reicher plastischer Dekor die Werkstücke des Bauinneren, Basen, Kapitelle, Friese usf. (spätromanische Teile der Münster in Basel, Straßburg, Freiburg; Schottenkirche in Regensburg; Krypta des Freisinger Domes – hier ein gänzlich in plastische Figur übersetzter Säulenstamm, sog. Bestiensäule, Abb. 5 –; Kreuzgänge der Stiftskirche in Berchtesgaden, der Neumünsterkirche in Würzburg usw.). Daß in den erwähnten Fällen verschiedene Einflüsse (neben den oberitalienischen vor allem burgundische) statthatten, darf hier außer Betrachtung bleiben. Um die gleiche Zeit beginnt aber auch schon die französische (nordfranzösisch-gotische) A. vorbildlich zu werden. Die Verbindung nach dem Süden hin – wenn auch durch geraume Zeit, vor allem in den konservativen bayerischen Ländern, noch wirksam – lockert sich und bricht schließlich ab. Die italienische Lehre hatte gegeben, was sie geben konnte; die überlegene französische tritt an ihre Stelle. – Die Aneignung der im französischen Kernlande seit St. Denis erwachsenen statuarischen (gotischen) Plastik, die sich in (relativ) selbständiger Körperlichkeit gegen die Architektur behauptet und doch aufs strengste auf deren Gliederungen bezieht, geschah schrittweise, etwa im Zeitraum zweier Generationen. Ein erster, am Magdeburger Dom etwa um 1225 unternommener Versuch, ein Statuenportal konsequent nach den Lehrsätzen französischer Gotik aufzubauen, blieb auf halbem Wege stecken; die Statuen gelangten in das Dominnere (Abb. 7). Die Statuenportale in Straßburg (Südquerschiff) und Bamberg (Adamspforte), um 1230-40, kennzeichnen sich als Kompromisse; ihre Statuen sind spätromanischen Gewändeportalen nachträglich eingefügt. – Es lag nun sicher auch, aber eben so sicher nicht nur an dem Mangel einer der neuen statuarischen Plastik gleichgerichteten, ihr bestimmte Plätze anweisenden Architektur, wenn ein großer Teil der deutschen monumentalen A. des 13. Jh. das Dominnere aufsuchte (Bamberg, Mainz, Straßburg, Naumburg, Meißen); diese Rückkehr entsprach auch einer Neigung, nicht nur einer Not; ein so absolut eigentümliches Gebilde wie der Straßburger Engelspfeiler (Abb. 8) ist aus einem ganz ursprünglich deutschen Verhältnis zum geschlossenen Raume herausgewachsen. – In diesem Zusammenhang ist auch auf die Statuenzyklen in den Vorhallen der Dome in Münster und Paderborn (um 1240-50) und der Münster in Basel (Vorhalle nicht erhalten) und Freiburg (1280ff.) hinzuweisen. Und schließlich sind hier auch die großen figurenreichen Lettner der Dome zu Mainz (um 1240), Gelnhausen (um 1240–50, Sp. 485, Abb. 18), Straßburg (um 1250-60) und Naumburg (um 1260) zu erwähnen. Auch an den Lettnern des 14. und 15. Jh. sammele sich figürliche Plastik in beträchtlicher Menge; beispielsweise in Marburg, Elisabethkirche, um 1340–50; Havelberg,Dom,um 1400(Abb. 11);Halberstadt, Dom, um 1500. – Gegen die oben erwähnten französisch-gotisch gewollten Portale setzen sich das Fürstentor in Bamberg und die Goldene Pforte in Freiberg (sind sie auch tatsächlich schon durch die Kenntnis französischer Portalanlagen bedingt) als ganz große Leistungen einer eigentümlich deutschen A. ab: ihre wider alle Erfordernisse einer monumentalen Plastik klein gehaltenen Gewändefiguren verflechten sich in die kreisenden Bahnen eines großen irrationalen Ornaments. Die deutsche Plastik ist auch jetzt noch und auch am Außenbau willens, sich von der Architektur zu emanzipieren, sich innerhalb eines ausgeschiedenen Ganzen, eines angeschobenen Portalkörpers, in eigener Ordnung zu behaupten. – In den außerordentlich fruchtbaren ersten Jahrzehnten des 13. Jh. erfährt auch das alte romanische Thema des Tympanonreliefs seine klassische Bearbeitung: in Bamberg (Gnadenpforte, Fürstenportal), Freiberg und Straßburg (Südportal) – in Bamberg (Fürstenportal, Sp. 822, Abb. 10) und Straßburg durch Meister französisch-gotischer Schulung.
War der Umfang der statuarischen A. in der 1. Hälfte des 13. Jh. gegenüber seiner 2. Hälfte und vor allem dem 14. Jh. noch ein relativ beschränkter, so kam es doch kaum jemals mehr zu einem vergleichbar innigen Verhältnis zwischen Architektur und Plastik. Baumeister und Bildhauer sind vielleicht in Bamberg und Naumburg, möglicherweise auch in Straßburg eine Person. Der wachsende Umfang der Hervorbringung in der Folgezeit spaltete diese, in ihren Ergebnissen (Naumburg!) so großartige Union wieder in Baumeister und Bildhauer auf.
Der Bruch mit den langlebigen spätromanischen Überlieferungen erfolgte um Mitte 13. Jh.; die Zäsur bezeichnet etwa das Jahr der Grundsteinlegung des Kölner Domes (1248). Die Liebfrauenkirche in Trier bezeugt in ihrem Hauptportal prinzipielle Beherrschung der französisch-gotischen Formenlehre (um Mitte 13. Jh.). Hier lösen sich nun auch die Archivolten (zuvor schon allerdings einmal an dem nicht vollendeten Magdeburger Portal und an der Freiberger Goldenen Pforte) in Kränze figürlichen Bildwerks auf.
Ist die deutsche A. der 1. Hälfte des 13. Jh., bei (äußerlich) formaler Abhängigkeit von der französischen, durchaus eigenwillig, verwirklicht sie, wie die Architektur selbst, mit den fremden Mitteln alte eigene Ziele, so unterwirft sie sich in der 2. Hälfte des 13. Jh. bis zu einem erreichbaren Grade, da und dort sogar absolut, den französischen Regeln; sie bezieht die vorgeschriebenen Plätze an der Außenarchitektur, überspinnt diese in relativ großen Zusammenhängen (Straßburg, Abb. 9; Freiburg, Wimpfen), unterstellt sich ihren vertikalen Bewegungsläufen bis zur Verkümmerung aller körperlichen Eigenwerte (Propheten an der Westfassade des Straßburger Münsters, um 1280). – Die Portale sind jetzt groß und weit, stellen in die Nischen ihrer Gewände Reihen statuarischer Plastik ein, bieten in ihren Bögen ausgedehnte Füllflächen für Tympana, die sich, der Höhe des Feldes entsprechend, streifenweise gliedern (Straßburg, Westportal, Abb. 9). Hier dürfen auch die großen Portale des 14. Jh. angereiht werden: Lorenzkirche in Nürnberg (um 1350), Theobaldskirche in Thann, Dom in Erfurt (Sp. 817/18, Abb. 5), Nürnberger Frauenkirche, Augsburger Dom (Nordportal, 1343). – In ausgiebiger Weise bevölkern sich jetzt auch die zahlreichen Plattformen des (in der 1. H. 13. Jh. fast überall noch abgelehnten) Strebewerks mit statuarischer Plastik. Hier sind die großen Beispiele für das späte 13. Jh. die Münster in Straßburg und Freiburg (Abb. 10), die Stiftskirche in Wimpfen; für das 14. Jh. vor allem der Chor der Heiligkreuzkirche in Schwäbisch Gmünd, der Sebalduskirche in Nürnberg. Mit der in der 2. Hälfte des 14. Jh. einsetzenden Verkümmerung des Strebewerks gehen der A. diese neuen Plätze wieder zum großen Teile, aber doch nicht gänzlich, verloren; späte Beispiele bieten die Marienkirchen in Eßlingen (um 1490) und Würzburg (1492, Riemenschneider). – Aber auch über der Eroberung des Außenbaus behauptete der Innenbau seine alte Anziehungskraft; besonders beliebt wird in Deutschland die Schmückung der Schiffspfeiler mit Figuren: Zyklen im Langhaus des Freiburger Münsters (um 1300), im Chor des Kölner Doms (um 1320), im Schiff der Nürnberger Sebalduskirche (um 1350), im Chor des Halberstadter Doms (um 1420) u. a. m.
In der 1. Hälfte des 14. Jh. beginnt die zwingende Kraft der Architektur nachzulassen. Die Ausrichtung der Skulpturen durch die architektonische Achse lockert sich mit dem Wandel vom Gliederbau zum Raumbau (Rottweil, Kapellenturm, um 1330; Augsburg, Dom, Nordportal, 1343). In der Hohlkehle des Portals, die sie räumlich umfaßt, beginnt sich die Statue zum Träger einer gesteigerten Wirklichkeitserfahrung vorzubereiten (Nordportal der Heiligkreuzkirche in Schwäbisch Gmünd, Südportal des Augsburger Doms, um 1360, Abb. 12). Im Verfolg dieser Entwicklung zieht sich die Plastik aus der Bauhütte, in der sie sich seit dem 12. Jh. herangebildet hatte, und das heißt schließlich auch aus der Architektur, zurück. Zeigt sich die 2. Hälfte des 14. Jh., auch quantitativ, noch durch die Leistungen der großen Hüttenverbände (Parler) bestimmt, so wird doch schon in der Frühzeit des 15. Jh. die Einbuße der Hütte deutlich. Ließe sich die Geschichte der deutschen Plastik des 14. Jh., fast ohne Wesentliches zu verbergen, auf eine Geschichte der A. einschränken, so würde eine derart beschränkte Geschichte der Plastik des 15. Jh. gerade das Wesentliche verbergen. Die A. geht nun auch quantitativ augenfällig zurück. Immerhin sind noch einzelne beachtliche Leistungen zu verzeichnen: aus dem Anfang des 15. Jh. etwa die Memorienpforte des Mainzer Doms, die Skulpturen der Westvorhalle des Ulmer Münsters, das Westportal des Regensburger Doms, aus der Spätzeit des Jh. die außerordentlich reiche Laurentiuspforte des Straßburger Münsters (Abb. 13), die Riemenschneiderschen Figuren am Südportal der Würzburger Marienkirche. Indessen dürften gerade diese beiden letzten Beispiele deutlich machen, daß nun an die Stelle des Hüttensteinmetzen der „zünftige“ Künstler-Handwerker getreten ist. Werke wie die „schöne Tür“ der Annaberger Stadtkirche (1512) oder das Nordportal der Chemnitzer Schloßkirche (1525) – hier ließe sich die Reihe früher Renaissanceportale anschließen – sind, als in sich beschlossene künstlerische Einheiten, der Architektur gleichsam vorgeblendet.
Eine erneute Einigung zwischen Architektur und Plastik beginnt sich gegen Mitte des 16. Jh. anzubahnen. Diese neue A. ist nun eine ausschließlich dekorative. Ihr Ort ist jetzt vorwiegend der Profanbau, der, auf reiche schmuckhafte Schauseite abzielend, sich ihrer in ausgiebiger Weise bedient. Die Aufteilung der Wandfläche in Folgen rechteckiger Felder drängt zu Relieffüllungen, die sich intarsiengleich in die Mulden der Rechtecke einlegen (Görlitz, Haus Neissestr. 29, um 1550–60; Brieg, Torbau des Piastenschlosses, 1552; vgl. auch die Parallelen im niederdeutschen Fachwerkbau: Hildesheim, Knochenhaueramtshaus, 1529, und Wedekindsches Haus, 1598, u. a. m.). – Stärkere Existenz eignet der Plastik am Ottheinrichsbau des Heidelberger Schlosses (beg. 1556): Statuen in Nischen, doch durchaus in die (vor allem durch horizontale Gliederungen bestimmte) Wandfläche einbezogen (Abb. 14). Das neue antikische Motiv der Nischenstatue findet vielfach Nachfolge, sowohl am Bauäußeren (Grottenhof der Münchener Residenz, Fassade der Münchener Michaelskirche, um 1580–90) als im Bauinneren (Antiquarium der Münchener Residenz, Michaelskirche, Hofkirche in Neuburg usw.). – Am Ottheinrichsbau zeigen sich zwei weitere sehr beliebte, ebenfalls antikische Motive der A. deutscher Renaissance: der Hermenpilaster (Teilungsstützen der Fenster) und die Karyatide, (Portal-) Motive, die, wie das der Nischenstatue, an die folgenden Jahrhunderte weitergegeben werden.
Um die Wende vom 16. zum 17. Jh. erfolgt ein in gewissem Sinne „klassizistischer“ Protest gegen die dekorative Lust der abgelaufenen Epoche. Die Plastik, die sich eben jetzt mit Vorliebe architekturfremder Materialien (Bronze; Hubert Gerhard’s Michael an der Münchener Michaelskirche, Reichle’s Michael am Augsburger Zeughaus; Portale der Münchener Residenz, Abb. 15) bedient, zieht sich auf bestimmte Plätze, vor allem auf die Portale, und hier wieder auf das Gebälk, die Giebelschrägen zurück (Nürnberger Rathaus, Münchener Residenz); in den großen Wappenstücken über den Portalen öffnet sich ihr einer der vornehmsten der nun sehr beschränkten Zugänge zur Architektur (Hauptportal des Schlosses Hartenfels in Torgau, 1623; Neutor der Marienburg in Würzburg, um 1650).
Das späte 17. Jh. setzt sich gegen seine konstituierende Frühzeit weniger durch äußere als durch innere Wandlungen ab. Es wächst die Aufnahmebereitschaft der Architektur für skulpturalen Schmuck. Die Architektur selbst gewinnt wieder „plastische“ Körperlichkeit (Fassade der Bamberger Martinskirche, um 1680–90), bewegt sich, wie lebendiger Körper, in elastischen An- und Abschwellungen. Diese Entwicklung zum Plastischen und tatsächlich auch zur Plastik hin erreicht ihren Höhepunkt in den ersten Jahrzehnten des 18. Jh. Die reiche Architektur dieser Zeit besitzt einen Überschuß plastischer Energien, der sich in konkreter plastischer Form erlösen will. – Am Bamberger Böttingerhaus (Abb. 16), am Mainzer Statthalterpalais in Erfurt (1713) ist die A. entscheidend an der Erscheinung des Baukörpers beteiligt. Am Mittelpavillon des Dresdener Zwingers (nach 1711) ist sie schlechthin elementar in die baumeisterliche Rechnung einbezogen. Baumeister und Bildhauer finden sich in einer seit dem Mittelalter nicht mehr erlebten Gemeinschaft (Pöppelmann, Permoser; auch L. v. Hildebrandt darf hier genannt werden: die Treppenwangen in Schloß Mirabell in Salzburg [Abb. 17] und im Palais Daun in Wien sind klassische Fälle deutscher A.), treffen wohl auch gar, wie bei Schlüter, in einer Person zusammen. Freilich ist gerade Schlüter ein Beweis für die herrschaftliche Stellung der Architektur: sein baumeisterliches Werk – sehen wir von den Keilsteinmasken über den Fenstern des Berliner Zeughauses (allerdings Spitzenleistungen deutscher A.) ab – ist, trotz außerordentlicher Fülle an plastischem Ausdruck, arm an tatsächlicher Plastik. – Die Gelegenheiten, die sich der Plastik am Bau bieten, sind keine eigentlich neuen, aber sie werden mit einer neuen Intensität erfaßt. Wollte (etwa) im 16. Jh. die Karyatide (das gleiche gilt von der Herme) ein Tragen bedeuten, nicht sinnlich vergegenwärtigen, so trägt sie jetzt mit allen Muskeln ihres meist männlich-herkulisch gebildeten Körpers: Atlanten – die Bezeichnung spricht! – am Seitenportal des Palais Liechtenstein in Wien, um 1700; im Gartenvestibül des Wiener Belvedere, um 1720 (Abb. s. Atlant); im Treppenhaus des Schlosses Brühl, 1743-48; Hermen am Ministerium des Innern in Wien, an Schloß Sanssouci (Abb. 18) usw. – Ist die A. im 18. Jh. ein beachtlicher, sogar sehr beachtlicher Faktor, so sind ihre Verwendungsmöglichkeiten, vor allem im Schaffen der großen Baumeister, etwa Neumanns, doch relativ beschränkt: beschränkt auf einige der Akzente bedürftige Plätze (Risalite, Portale, Sp. 172, Abb. 4), beschränkt auf die Grenzregion des Baukörpers (Fassadengiebel – vgl. Sp. 278, Abb. 7 –, Attiken, Dachbalustraden). Indes ist eine derartige Fülle bildhauerischen Dekors, wie sie sich, abgesehen von den erwähnten Beispielen, etwa an der Stadtseite der Breslauer Universität (1728-39), an der Fassade der Münchener Asamkirche (1733), am Torturm des Bamberger Rathauses (1744-56), am kurfürstlichen Palais in Trier (1754-68) kundtut, in nachmittelalterlicher Zeit sonst nicht mehr erreicht worden. – Um die Mitte des 18. Jh. beginnt mit der Kraft der Architektur die der A. nachzulassen; in den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts versiegt sie gänzlich. – Das 19. Jh. hat keinen originalen Beitrag zur Geschichte der A. geliefert.
Zu den Abbildungen
1. Werden (Ruhr), ehem. Abteikirche, Türsturz, 11. Jh. Phot. Kunstgesch. Seminar Marburg.
2. Gernrode, St. Cyriakus, Heiliges Grab, äußere Westseite, Anf. 12. Jh. Phot. Staatl. Bildstelle Berlin.
3. Halberstadt, Liebfrauenkirche, Chorschranke, um 1200. Phot. Ed. Bissinger, Erfurt.
4. Königslutter, Klosterkirche, unterer Bogenfries der Hauptapsis, 1135ff. Phot. Staatl. Bildstelle Berlin.
5. Freising, Dom, sog. „Bestiensäule“ in der Krypta, 2. H. 12. Jh. Phot. Kunstgesch. Seminar Marburg.
6. Basel, Münster, Galluspforte, um 1170. Nach alter Photographie unbekannter Herkunft.
7. Magdeburg, Dom, Säulenstatue von einem nicht vollendeten Portal, um 1225; jetzt im Hochchor. Phot. Kaiser-Friedrich-Mus., Magdeburg.
8. Straßburg, Münster, Engelspfeiler im südl. Querschiff, um 1230. Phot. Staatl. Bildstelle Berlin.
9. Straßburg, Münster, mittleres Westportal, 1276ff. Phot. Staatl. Bildstelle Berlin.
10. Freiburg i. Br., Münster, Strebepfeiler-Skulpturen am Südschiff, um 1275. Phot. Georg Röbcke, Freiburg.
11. Havelberg, Dom, Lettner, um 1400. Phot. Staatl. Bildstelle Berlin.
12. Augsburg, Dom, Südportal, um 1360. Nach Paul Hartmann, Die gotische Monumentalplastik in Schwaben, München 1910.
13. Straßburg, Münster, Laurentiusportal, 1494-1505. Phot. Münsterbauamt Straßburg.
14. Heidelberg, Schloß, Ottheinrichsbau, beg. 1556. Phot. Kunstgesch. Seminar Marburg.
15. München, Residenz, Kapellenhofportal, 1614. Phot. Kunstgesch. Seminar Marburg.
16. Bamberg, Böttingerhaus, Teil der Fassade, 1707-11. Phot. Staatl. Bildstelle Berlin.
17. Salzburg, Schloß Mirabell, 1721-27 von Joh. Lukas v. Hildebrandt; Treppenhaus mit Skulpturen von Raphael Donner, 1726. Phot. Österr. Lichtbildstelle Wien.
18. Potsdam, Schloß Sanssouci, Mittelbau, 1745-47 nach Plänen Friedrichs d. Gr. unter Mitwirkung von G. W. v. Knobelsdorff von J. Boumann ausgeführt. Phot. Staatl. Bildstelle Berlin.
Literatur
Zusammenfassende Darstellung fehlt. – Zur Orientierung: 1. Hermann Beenken, Romanische Skulptur in Deutschland, 11. u. 12. Jh., Leipzig 1924. 2. Joh. Klein, Die romanische Steinplastik des Niederrheins, Stud. z. dt. Kg. 184, Straßburg 1916. 3. Hans Karlinger, Romanische Steinplastik in Altbayern und Salzburg, Augsburg 1924. 3 a. Hertha Hoeck, Die Tierplastik des 12. Jh. im Herzogtum Schleswig, Nordelbingen 10, 1934, S. 202ff. 4. Hans Jantzen, Deutsche Bildhauer des 13. Jh., Leipzig 1925. 5. Wilhelm Pinder, Das deutsche Statuenportal des Mittelalters, Vortrag 1933 (Congrès international d’histoire de l’art) in Stockholm, Actes du Congrès, S. 251ff. 6. Hermann Beenken, Bildhauer des 14. Jh. am Rhein und in Schwaben, Leipzig 1927. 7. Wilhelm Pinder, Die deutsche Plastik vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance (Hdb. d. Kw.). 8. Paul Klopfer, Baukunst und dekorative Skulptur der Renaissance in Deutschland, Stuttgart 1909. 9. A. E. Brinckmann, Barockskulptur (Hdb. d. Kw.). 10. H. Popp, Die Architektur der Barock- und Rokokozeit in Deutschland und der Schweiz, Stuttgart 1924.
Verweise
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