Altarciborium (B. In der protestantischen Kirche)
englisch: Ciborium over altar (Protestant), altar-canopy (Protestant); französisch: Ciborium (protestant), Ciboire (protestant); italienisch: Ciborio (protestante).
Helmuth Eggert (1934)
RDK I, 486–489
Ob man die aus freistehenden Säulen mit Gebälk- oder Voluten- bzw. Rankenverbindung bestehenden protestantischen Altarüberbauten der Barockzeit mit Recht als A. bezeichnet, ist fraglich; denn Zweck und Form ist von dem der A., wie sie das Mittelalter geschaffen hat, grundverschieden. Doch mag der Name A. beibehalten werden, da er sich seit langem in der Literatur eingebürgert hat und da eine treffendere Bezeichnung einstweilen fehlt. – In der protestantischen Kirche sind A. außerordentlich selten. Sie kommen fast nur in Thüringen und Sachsen vor und tauchen erst gegen 1700 auf; bis auf provinzielle Sonderformen sind sie denen der katholischen Kirche sehr ähnlich und wohl von ihnen abgeleitet. Als frühestes Beispiel für ein A. darf vielleicht der Altar in Oppurg in Thüringen von 1695 (Abb. 1) bezeichnet werden. Um das Altarretabel sind hier im Rechteck auf über Eck gestellten Postamenten vier korinthische Säulen geordnet, die auf einem massiven, nach vorn offenen Unterbau stehen und schweres Gebälk tragen. Von den Ecken des Gebälks gehen volutenartige Ranken aus, die sich in der Mitte vereinigen und eine Statue des auferstehenden Christus tragen. Ähnlich das A. in Daumitsch (Thüringen). In gewisser Beziehung ist auch der Altar in der Schloßkapelle der Ehrenburg in Coburg (1737, Abb. im Art. Altarretabel, prot.) mit dem Oppurger verwandt, doch steht hier das Ciborium nicht allseitig frei, sondern es ist an die Wand gelehnt und mit der Kanzel verbunden. Den Barockciborien der katholischen Kirche kommen am nächsten die A. in Kittlitz und in Ebersbach in Sachsen. In Kittlitz (1768, Abb. 2) stehen um den mit einer ziemlich hohen Rückwand versehenen Altar im Trapez vier schlanke Säulen auf hohen Sockeln; sie tragen ohne Gebälk einen offenen Baldachin aus Rokoko-Ornamenten und -Ranken. Die freie Stellung der Säulen im Raum ohne abschließende Wand nach hinten und ohne ladendes Gebälk ist sehr eindrucksvoll. In Ebersbach (1787; Inv. Sachsen 34, Taf. 2) tragen 4 Säulen ein halbkreisförmiges, nach vorn offenes Gebälk, von dem wieder 4 in der Mitte sich vereinigende Voluten ausgehen. Vor den beiden hinteren Säulen das Altarretabel.
Allen diesen Ciborien ist die Vierzahl der Säulen gemeinsam, weiter die oben abschließenden Voluten bzw. Ranken und, bis auf Kittlitz, das schwere Gebälk. Ein anderer Typus, der allerdings kaum noch den Namen Ciborium verdient, ist in Niedersachsen zu Hause. Hier ist das A. nichts anderes als der offene Unterbau der über dem Altar angebrachten Kanzel. In Seesen (Braunschweig; Ende 18. Jh., Abb. 3) sind 8 korinthische Säulen im Oval um den Altar gestellt. Sie tragen eine ebenfalls aus dem Oval entwickelte massive Decke, auf der die Kanzel steht; der Schalldeckel schwebt als Baldachin frei von der Chordecke herab. Ganz ähnlich und auf das Vorbild von Seesen zurückgehend, der Altar in Herrhausen (Inv. Braunschweig V, S. 297) von 1801.
Zu den Abbildungen
1. Oppurg (Thüringen), Kirche. Altar, 1695. Nach Inv. Sachsen-Weimar-Eisenach 5, Taf. 9.
2. Kittlitz (Sachsen), Kirche. Altar, 1768. Phot. Sächs. Landesamt für Denkmalpflege, Dresden.
3. Seesen (Braunschweig), Andreaskirche. Kanzelaltar, Ende 18. Jh. Nach Inv. Braunschweig 5.
Verweise
Empfohlene Zitierweise: Eggert, Helmuth , Altarciborium (B. In der protestantischen Kirche), in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. I (1934), Sp. 486–489; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=88637> [05.04.2022]
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