Altarantependium (B. In der protestantischen Kirche)

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englisch: Altar front(al) (Protestant), Antependium (Protestant); französisch: Devant d'autel (protestant); italienisch: Antependium (protestante).


Georg Stuhlfauth (1934)

RDK I, 459–465


RDK I, 461, Abb. 1. Stettin, Gesticktes Antependium, 1666.
RDK I, 461, Abb. 2. Dresden, Gesticktes Antependium aus Rödern, M. 17. Jh.
RDK I, 463, Abb. 3. Posen, Gewirkter Altarumhang aus Zaborowo, 1728.

Das A. ist nicht, wie das Altartuch, unerläßlicher Bestandteil der protestantischen Altarbekleidung, jedoch – wenigstens innerhalb der lutherischen Kirche – sehr verbreitet, insbesondere bei den zahlreichen Retabelaltären, deren Stipes (vgl. Sp. 437) schmucklos zu sein pflegt. Es bekleidet entweder nur die Altarfront oder aber Front und Schmalseiten. Den Altar rings umgebende A. sind nicht nachweisbar, waren wohl auch kaum in Gebrauch, da der Altar entweder ein Retabel besitzt, das die Bekleidung der Rückseite überflüssig macht, oder – wenn ein Retabel fehlt – meist so reich durchgebildet ist, daß man von einer Bekleidung der Seiten absehen konnte. Bei Tischaltären, deren Stützen künstlerisch ausgestaltet sind, gelegentlich aber auch bei anderen Altarformen begnügte man sich wohl auch mit einem in der Mitte der Front herabhängenden Antependium-Streifen.

Das protestantische A. ist in der Regel aus einem kräftigen, farbigen Tuch, dessen Ränder mit Fransen oder Borten besetzt sind; vereinzelt wird der obere Rand mit einem Überhang (vgl. Sp. 448) versehen. Auch Leder wird – gepreßt und bemalt – für A. verwendet. Dagegen kommen A. aus Metall oder Holz innerhalb der protestantischen Kirche nicht vor. – Meist ist das protestantische A. sehr einfach, nur an der Frontseite mit einem Symbol (Kreuz, Christus-Monogramm, Taube, Pelikan u.a.), einem Spruch oder mit dem Wappen bzw. den Initialen der Stifter geschmückt. In vielen Fällen ist auch ein mehr oder weniger kostbarer Stoff ganz ohne schmückende Zutaten geblieben, namentlich wenn der Stoff durch schöne Musterung oder starke Farbe wirkt. Daneben kommen aber auch mit reichem Ornament oder mit Bildwerk ausgestattete A. vor.

Ein bestimmtes ikonographisches Programm läßt sich für die letzteren nicht feststellen. Neben christologischen Themen sind besonders alttestamentliche Darstellungen nachweisbar.

Protestantische A. aus dem 16. Jh. haben sich nicht erhalten; vermutlich wurden in der Regel die mittelalterlichen A. weiter verwendet, 10 wie auch häufig katholische Meßgewänder in Gebrauch blieben. Doch sind möglicherweise auch schon im 16. Jh. neue A. für protestantische Kirchen hergestellt worden; wenigstens läßt das Predellengemälde des Mühlberger Altars von 1569 (Abb. 16, Sp. 43/44) deutlich ein gestreiftes A. erkennen, das im Gegensatz zur mittelalterlich-katholischen Tradition keinen bildlichen Schmuck aufweist. Erhalten haben sich protestantische A. erst aus dem 17. Jh. Gelegentlich hat man zu ihrer Herstellung und Ausschmückung mittelalterliche Meßgewänder verwendet (Römhild in Thüringen, Inv. Sachsen-Meiningen 2, S. 439), aber in der Regel wurden sie aus neuem Material angefertigt. Ob freilich ein Stoffbehang mit der in Silberbrokat aufgesetzten Figur des Gekreuzigten in der Dresdener Schloßkapelle als A. angesprochen werden kann, ist fraglich, da nur die Applikationen alt sind (frühes 17. Jh.), während der Behang selbst aus dem 19. Jh. stammt. Die gleiche Kirche besitzt die Reste einer von Kurfürst Christian II. zwischen 1602 und 1611 gestifteten Altarbekleidung aus erdbeerfarbenem Samt, zu der ein A. von 1 m Höhe und 3 m Breite mit gewirkter, in Einzelheiten gestickter Darstellung des 12jährigen Jesus im Tempel gehört; eine aus Blumen und Vögeln bestehende Umrahmung ist nur fragmentarisch erhalten; ob Behang und Applikation ursprünglich zusammengehören und ob das Ganze von Anfang an als A. bestimmt war, läßt sich mit Sicherheit nicht entscheiden. – Dagegen diente sicher als A. ein 1605 datierter und mit den Emblemen der Zirkelbrüderschaft geschmückter roter Samtvorhang mit Goldborte in St. Jakobi in Lübeck, der in einem Inventar von 1609 als „eyn nigge vorblomet sammitten rodt Vorhanck up dat hoge Altar des Festdages to gebruckende“ erwähnt wird. Seine beträchtliche Breite (310 cm, bei 90 cm Höhe) gestattet, Front und Schmalseiten des heute stehenden Altars zu bekleiden. Das gleiche gilt von einem schönen,mit biblischen Darstellungen und reichem Ornament bestickten Behang aus der Peter-und-Pauls-Kirche in Stettin im Pommerschen Provinzialmuseum (Abb. 1). Seine Breite (4,26 m) entspricht genau den Dimensionen des in St. Peter und Paul erhaltenen Altars, und zwar der Breite von Vorderseite und Schmalseiten zusammen. Dargestellt sind Christus am Ölberg (links), Christus am Kreuz (Mitte) und die Beweinung (rechts); die Kreuzigungsgruppe wird beiderseits umrahmt von 5 Engeln mit Leidenswerkzeugen; den Grund füllen Streublumen; am unteren Rand Fransen. Das A. ist laut Inschrift 1666 gestiftet. – Ungefähr der gleichen Zeit gehört ein A. aus Ködern (Sachsen) im Staatlichen Kunstgewerbe-Museum in Dresden an (Abb. 2). Es ist 103 cm hoch und 175 cm breit, bekleidete also nur die mäßig große Altarfront; in der Mitte ist die Geburt Christi, darüber Gottvater, darunter das Lamm Gottes dargestellt, in den 4 seitlichen Medaillons das Gleichnis vom Barmherzigen Samariter. Wahrscheinlich ist auch eine im Schloßmuseum in Königsberg aufbewahrte „Altardecke“ von 1635 aus Bartenstein als A. anzusehen; das 152 : 100 cm große Tuch ist mit 17 in Plattstich gestickten Szenen biblischen Inhalts (vom Paradies bis zum Jüngsten Gericht) und den Wappen der Stifterin geschmückt (Ausschnitt bei A. Ulbrich, Kunstgeschichte Ostpreußens [1932], S. 168). Von 1682 stammt ein gesticktes A. in der Kirche zu Boizenburg (Inv. Mecklenburg-Schwerin III, Taf. zw. S. 120 21); es enthält als Darstellungen ein ungewöhnliches Nebeneinander von alt- und neutestamentlichen Szenen: Ruth und Boas, Tobias mit dem Engel, Jakob am Brunnen, Christus und die Samariterin, David und Jonathan, Joseph und seine Brüder, Jakobs Kampf mit dem Engel, Taufe Christi. – 1690 ist ein zweites A. in der Lübecker Jakobikirche datiert (350:92 cm); außer der Jahreszahl und dem Stiftermonogramm trägt es ein großes in Gold und Silber gesticktes Wappen. Ein drittes A. am gleichen Ort von 1719 (347 : 93 cm) trägt die Aufschrift „Gott fey allein die Ehre“. Zu beiden A. gehören Überhänge für die Altarbänke (Knieschemel) aus dem gleichen Material (roter Samt). Vgl. Inv. Lübeck III, S. 441. – Als Beispiel für die Verwendung von Leder nennen wir das mit einem gemalten Bild der Dreifaltigkeit zwischen Blumenmustern geschmückte, aus mehreren Stücken zusammengesetzte A. der Kirche zu Loburg von 1677 (Inv. Prov. Sachsen, Kr. Jerichow I). Ein A. von 1689 in der Kirche zu Suckow in Pommern (Kr. Schlawe) zeigt auf gemusterter Seide farbige Lederapplikationen: Pelikan zwischen Engeln mit Schriftschildern, das Ganze von Blumen umrahmt. Im 18. Jh. treten die bildlichen, insbesondere die vielszenischen Darstellungen gegenüber rein ornamentaler Dekoration zurück. In der Frühzeit kommen vereinzelt noch bildmäßige Kompositionen vor; so an einem A. in der Kirche zu Tornow (Inv. Brandenburg VI, 6, S. 228), wo die Vorderleite ein großes Gemälde der Geburt, die Schmalseiten Darstellungen der Geißelung und des triumphierenden Christus tragen. Später überwiegt das Ornament. Ein febr schönes A. aus weißer Seide mit Mustern und spätem Rokoko-Ornament aus aufgenähten Gold- und Silberfäden und mit Blumenstickereien in Plattstich besitzt die Schloßkapelle in Dresden. Als typisches Beispiel einer verbreiteten Gattung sei genannt ein rotsamtenes A. von 1768 mit Stiftermonogramm in der Petrikirche zu Wolgast, das auf den geschweiften und wenig tiefen Stipes des 1738 errichteten (1920 verbrannten) Barockaltars zugeschnitten war. Ähnliche A. haben sich in großer Zahl erhalten. – Die Barfüßerkirche in Erfurt besitzt ein für Himmelfahrt bestimmtes A. von 1763 aus hellblauem Seidendamast mit in Gold gedickter Friedenstaube, zu dem eine Kanzelbekleidung gleichen Materials und derselben Farbe gehört; eine weißleinene Altar(und Kanzel-) Bekleidung derselben Kirche von 1817 ist für Pfingsten bestimmt. Auch sonst besitzt man wohl Antependien (und ganze Altar- sowie Kanzelbekleidungen) in verschiedenen Farben für die einzelnen Abschnitte des Kirchenjahres; vgl. darüber Farben, liturg. Ungewöhnlich durch die Fülle und Auswahl der Darstellungen, zugleich rätselhaft in ihrer Bestimmung ist eine stattliche Reihe sogenannter A. in der Stiftskirche in Gandersheim, die unter der Äbtissin Elis. Ernestine Antonie v. Sachsen-Meiningen (1713-1766) und teilweise von ihr selbst ausgeführt wurden (Inv. Braunschweig V, S. 154f.; F. Brackebusch im Christl. Kunstblatt 42, 1900, S. 100ff.); jedoch schließt für die Mehrzahl der gestickten Seidenbehänge schon das Format eine Verwendung als A. aus. Zum Teil mögen sie zur Bekleidung von Gestühl und ähnlichen Zwecken gedient haben. Als A. kommen den Maßen nach am ehesten die Behänge mit den „Seligpreisungen“ (84 : 260 cm) und dem „Sieg der Kirche“ (98 : 218 cm) in Betracht. Zahlreiche andere A. mögen sich unter den Bezeichnungen Altarbekleidung, Altardecke, Altarornat, Altarumhang usw. in den Museen und Inventaren verbergen.

Eine Abart des A. bildet der Altarumhang, eine feste und dauernde Verbindung von Altardecke und Antependium, die so zugeschnitten und zusammengenäht sind, daß ein Stoffgehäuse von der Größe und Gestalt des Altars entsteht, das diesen an vier Seiten (Deckplatte, Front, Schmalseiten), also bei einem Retabelaltar an allen freien Seiten bekleidet. Zuschnitt und Zusammensetzung des Umhangs können verschieden sein, je nachdem, ob die die Schmalseiten des Altars verhüllenden Teile aus einem Stück mit dem Antependium oder mit der Altardecke bestehen oder ob Decke und Antependium ein zusammenhängendes Stück Zeug bilden, an das die Schmalseiten besonders angenäht sind. Altarumhänge scheinen sich nur selten unversehrt erhalten zu haben und sind vielleicht nie sehr häufig gewesen. Das Inv. Sachsen-Weimar-Eisenach (III, 1, S. 255) erwähnt in der Georgenkirche zu Eisenach eine „rothe gestickte Sammetdecke mit dem Doppelwappen von Sachsen-Eisenach und Hessen aus dem Jahr 1632“, die nichts anderes als ein – teilweise erneuerter – Altarumhang ist, das älteste nachweisbare Beispiel dieser Gattung. Das Antependium mit dem Stifterwappen bedeckt hier nur die Frontseite des Altars; die Decke ist seitlich bis zum Boden herabgezogen und hat eine Gesamtbreite von fast 5 Metern. – Eine Leinenwirkerei aus Zaborowo im Provinzialmuseum zu Posen (Abb. 3) ist erst nachträglich zum Altarumhang umgearbeitet worden. Die äußeren Flügelstücke befanden sich (nach brieflicher Mitteilung von Superintendent D. Smend in Lissa) ursprünglich neben dem sich oben anschießenden rechteckigen Stück und bedeckten mit diesem zusammen die Altarplatte in voller Ausdehnung, während der übrige Teil der Decke als Antependium vor der Altarfront herabhing. Genau so verhält es sich noch heute bei einer ganz entsprechenden Wirkerei in der evangelischen Kreuzkirche in Lissa (Inv. Posen III, S. 220), die im selben Jahr (1728) und vom gleichen Meister (Joh. Christoph Winckler) ausgeführt wurde; hier sind (nachträglich?) bildlose Flügelbahnen zur Bekleidung der Altarschmalseiten angefügt. In beiden Fällen – wie wohl noch häufiger – scheint sich also der Umhang auf die Bekleidung der Platte und der Front des Altars beschränkt zu haben.

Nicht als Umhang kann bezeichnet werden die lose Kombination von Antependium und Altardecke, auch nicht, wenn sie, wie es häufig der Fall ist, aus dem gleichen Material bestehen und als zueinander gehörende Bestandteile der gleichen Altarbekleidung angefertigt sind.

Zu den Abbildungen

1. Stettin, Pommersches Provinzialmus. A. aus der Peter-und-Pauls-Kirche in Stettin vom Jahre 1666. Seidenstickerei auf Leinen, Gesamtlänge 4,26 m. Phot. Provinzialkonservator von Pommern, Stettin.

2. Dresden, Staatl. Kunstgewerbe-Mus. A. aus Rödern, M. 17. Jh. Applikationsstickerei auf Leinen, Höhe 1,03 m, Breite 1,75 m. Phot. Sächs. Landesamt für Denkmalpflege, Dresden.

3. Posen, Prov.-Mus., Altarumhang aus Zaborowo, Leinenwirkerei in Weiß und Grün mit Darstellungen der Verkündigung, Geburt, Verkündigung an die Hirten, des Abendmahls, der Kreuzigung, Auferstehung und Himmelfahrt, 1728 von Joh. Christoph Winckler in Lissa. Nach Inv. Posen II, S. 95.