Abendmahlskanne

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englisch: Communion jug; französisch: Burette pour le vin de la messe; italienisch: Mesciacqua.


Georg Stuhlfauth (1933)

RDK I, 48–56


RDK I, 49, Abb. 1. Lübeck, 1555.
RDK I, 49, Abb. 2. Kitzingen, um 1600.
RDK I, 51, Abb. 3. Neuenhof, 1. H. 17. Jh.
RDK I, 51, Abb. 4. Ratzeburg, 1604.
RDK I, 53, Abb. 5. Kulmbach, 1668.
RDK I, 53, Abb. 6. Thumsenreuth, 1681.
RDK I, 55, Abb. 7. Ehem. Slg. Figdor, 1551.
RDK I, 55, Abb. 8. Schorndorf, 1740.
RDK I, 55, Abb. 9. Hohenzieritz, 1806.
RDK I, 63, Abb. 10. Hohenzieritz, 1806.

Abendmahlskanne (Altarkanne). Sie ist unter den protestantischen Abendmahlsgeräten die notwendige Ergänzung zum Abendmahlskelch und fehlt darum im allgemeinen in keiner evangelischen Kirche. Doch erstreckt sich die kultische Zusammengehörigkeit beider keineswegs auch auf die künstlerische.

Als Deckelkrug mit mindestens einem Liter Hohlraum erscheint sie je nach der kleineren oder größeren Schar der am Abendmahl sich beteiligenden Gemeindeglieder in der Ein- oder Mehrzahl auf dem Altar- bzw. Abendmahlstisch, um den Wein bereitzuhalten, der bei der Abendmahlsfeier zur Nachfüllung in den Kelch und zur Austeilung mittels desselben benötigt wird. (Eine Garnitur von 5 zusammengehörigen A. verschiedener Größe aus dem Jahr 1609 in der Brüder- [ehem. Carmeliter-] Kirche zu Kassel; Inv. Reg.-Bez. Kassel VI, 1, Taf. 106.) Sie entspricht sachlich dem Meßkännchen der katholischen Kirche, unterscheidet sich von diesem aber, von allem anderen abgesehen, wesentlich und immer durch ihre Größe, die durch die Einführung des Laienkelches in der evangelischen Kirche und ihren damit gegebenen Gebrauchszweck bedingt ist. Ihrem Material nach ist sie gefertigt aus Zinn – so vielfach bei bescheideneren örtlichen Ansprüchen – oder aber aus dem kostbareren, häufig (teil)vergoldeten Silber, selten aus Messing und nur ausnahmsweise aus Gold; ihre Form entspricht der Gestalt und Art der zeitgenössischen, für den Profangebrauch geschaffenen gedeckelten Krüge und Kannen. Es fällt freilich auf, daß die A. bis zur 2. H. 17. Jh. nur ausnahmsweise (Abb. 1, 7) mit einer Schnauze ausgestattet sind. Ihren besonderen kirchlich-religiösen Charakter erhalten sie, wofern sie nicht völlig glatt gehalten sind, durch eingravierte Sprüche oder durch eingravierte oder plastisch angebrachte Figuren, Symbole und Darstellungen religiösen Inhalts.

Aus der großen Reihe wertvoller Goldschmiedekunstwerke, die in allen Teilen des evangelischen Deutschlands erhalten, wenn auch nicht immer noch im Gebrauch, und in ihrer weit überwiegenden Mehrheit im 17. Jh. entstanden sind, heben sich in zeitlicher Abfolge eine Anzahl von A. besonders heraus. An datierten Stücken des 16. Jh., das im ganzen vergleichsweise nur wenige hinterlassen, wohl auch noch nicht allzuviel eigene und neue evangelische A. hervorgebracht hat, besitzt die Marienkirche in Lübeck eine A. (Abb. 1), die mit ihrem Entstehungsjahr 1555 mit an der Spitze aller A. stehen dürfte (29 cm hoch, gefertigt von Jasper Wulff II); die Schloßkirche in Königsberg i. Pr. eine ihr 1584 von Markgraf Georg Friedrich gestiftete A., die vermutlich von dem aus Kulmbach stammenden Hofgoldschmied Michel Tölber gearbeitet ist (Gravierungen: Kreuzestod und Auferstehung Christi; Czihak I, 18f.); die Ulrichskirche in Halle a. d. S. eine daselbst von einem unbekannten Meister um 1584 gearbeitete, durch aparte Form ausgezeichnete, mit Gravierungen und Reliefs geschmückte und von einem Kruzifix überragte A., zu der eine Hostienbüchse gehört (Abb. Meisterwerke der Kunst aus Sachsen und Thüringen, hrsg. v. Oskar Doering und Georg Voß, Magdeburg o. J. [1905], Taf. 50a zu S. 30); die Thomaskirche in Leipzig eine A. von 1587/88 mit der Halbfigur eines Engels am Scharnier (Graul, Taf. 46, 1); die evangelische Kirche in Öhringen (Wttbg.) außer einer größeren und jüngeren von 1608 eine kleinere A. aus dem Jahr 1595 (Engelsköpfchen als Knauf des Deckels; Pazaurek, Taf. 38); die Kirche in Hermannstadt eine A. aus dem Jahr 1598 (Roth, Taf. 16 zu S. 123 u. 260). Ihnen seien angeschlossen die silbervergoldete A. der protestantischen Pfarrkirche in Kitzingen (Abb. 2), eine ausgezeichnete, reiche Arbeit um 1600 mit der Darstellung von 6 Werken der Barmherzigkeit in Gravierung und mit getriebenem Blumen- und Rankenwerk, und das gleichfalls um 1600 entstandene, vielleicht schon dem frühen 17. Jh. angehörende Prachtstück der C. von Rothschildschen Sammlung in Frankfurt a. M. von Johannes Lencker (1573–1637) in Augsburg (birnenförmig, mit Schnabel, Pelikan mit Jungen und betende Engel auf dem Deckel, Passionsszenen am Körper; Rosenberg I3 456 d; Abb. Ferd. Luthmer, Der Schatz des Freiherrn Carl v. Rothschild, I, Frankfurt a. M. 1883, Taf. 3).

Aus der Fülle des 17. Jh. seien als Typen und überragende künstlerische Leistungen u. a. genannt die A. des Lübeckers Hinrich Busch im Dom zu Ratzeburg, 1604 (Abb. 4); der Jakobikirche in Lübeck von Claus Jeger, 1608 (Warncke, 350, 1 und Abb. 52, Inschrift: Das Blut Jesu Christi Gottes Sohns machet uns rein von aller Sünde, Joh. 1; vgl. Warncke, 388, 3 von Markus Jeger, 1644, im Heiliggeist-Hospital zu Lübeck mit gleicher „Lübecker“ Form und demselben Spruch, und 357 von Carsten Brahme, 1614, im St.-Annen-Mus. daselbst mit gleicher Form); die A. von Erasmus Wagner, 1621, in der Andreaskirche zu Erfurt (reiches Schmuckwerk, in getriebenen Medaillons Passahmahl, Adam und Eva, Schmerzensmann, Abendmahl, Kreuzigung und Christus am Ölberg, auf dem Deckel Pelikan; Abb. Inv. Prov. Sachsen N. F. II, 1, S. 57; ähnlich Barfüßerkirche, ebd. S. 203, und Kaufmannskirche ebd. II 2, S. 379, 1620); die A. der Kirche in Neuenhof, 1. H. 17. Jh. (Abb. 3; Reliefs: Verkündigung, Anbetung der Hirten und Anbetung der hl. 3 Könige, auf dem Deckel Glaube, Liebe, Hoffnung); die A. der Nikolaikirche in Leipzig von Tobias Kreugmann, 1627 (Graul, Taf. 34 35; Vorderseite oben Abendmahl, unten St. Nikolaus); das A.-Paar der Stiftskirche in Stuttgart von Jeremias Pfeffnhauser, 1633, und die A. der Kilianskirche in Heilbronn, 1640 (Pazaurek, Taf. 43; birnenförmig; vgl. dieselbe Form schwäbischer A. in reicherer Ausstattung von E. 17. und A. 18. Jh.: Pazaurek, Taf. 50); die A., sog. Talerkanne, der Augustinerkirche in Gotha, 1636 (Inv. Thüringen: Sachsen-Coburg-Gotha, I, Taf. an S. 38; mit Münzen besetzt, am Boden innen Denkmünze mit dem Bild Christi und entsprechender Umschrift, auf dem Deckelknopf Kreuzigungsgruppe); die A. der reformierten Kirche in Gumbinnen, um 1640 (Inv. Ostpreußen V, zu S. 31; Prachtstück mit Darstellungen in Treibarbeit: 1. Hochzeit zu Kana, 2. Christus und die Samariterin am Jakobsbrunnen, 3. Speisung der Fünftausend); die A. der Katharinenkirche in Danzig von Andreas Mackensen I, 1654 (Czihak II, Taf. 6 u. S. 59f.); die reiche A. der Löbenichtschen Kirche in Königsberg i. Pr. von demselben Meister, ohne Jahresangabe, wohl etwas später als die vorige (Inv. Ostpreußen VII, Abb. 183, dazu Czihak I, 75, Nr. 62, und II, 59f., Nr. 3; Silber stark vergoldet, in getriebener Arbeit Auferstehung der Totengebeine nach Hes. 37, 10; Hoffnung mit Anker, Tiere, auf dem Deckel ein Schwan); die beiden A. des ersten evangelischen Pfarramts in Weinsberg (Pazaurek, Taf. 48: walzenförmig; a) 1656 aus Schwäbisch-Hall mit graviertem Abendmahl; b) 1659 aus Heilbronn); die A. der Petrikirche in Kulmbach von dem Augsburger Meister Heinrich Mannlich, 1668 (Abb. 5: getrieben und graviert: Christi Taufe und Abendmahl, auf dem Deckel ruhendes Lamm Gottes mit Kreuz; Stiftung der Markgräfin Witwe Sophie Maria); die A. der protestantischen Gemeinde in Thumsenreuth (Oberpfalz) von 1681 (Abb. 6; mit Stifterwappen, Engelsköpfchen, Tulpen u. Akanthus); die A. im Kirchenschatz zu Hermannstadt von Sebastian Hann, 1682 (Roth, S. 133; mit Salomons Urteil und Besuch der Königin von Saba in Treibarbeit, Blumengewinde, auf dem Deckel Löwe); die A. im Dom zu Königsberg i. Pr. von Michael Christian Hetsch I, 1699 (Czihak I, Taf. 18, zu S. 70 Nr. 19; in starkem Relief Hochzeit zu Kana, im Hintergrund Passahfest und Abendmahl, am Deckel Christus mit der Samariterin). Das 18. Jh. scheidet die Walzen-(Zylinder-) Form bald aus und gestaltet die A. überwiegend in der Birnenform; es tritt zahlenmäßig mit Neuwerken gegenüber dem 17. Jh. zurück. Andererseits werden dem Spätbarock und Rokoko die wundervollsten Prachtstücke verdankt, wie die schwäbischen, aus Augsburg und Heilbronn stammenden A. der evangelischen Kirchen in Leutkirch von 1727, in Heilbronn und Giengen a. d. Brenz von 1729, in Weinsberg von 1735, in Ingelfingen von 1738, in Schorndorf von 1740 (Abb. 8; mit gravierter Darstellung der Kreuzigung Christi, besonders schön), in Brackenheim von 1761 und in Biberach von 1769 (Pazaurek, Taf. 50, 2; 63–65; 68) oder das mit getriebenem Weinlaubgeranke gezierte sächsische A.-Paar von schlanker Louis XVI-Form in der Nikolaikirche zu Leipzig (Graul, Taf. 63). Daß der späte Barock auch ohne Zier, lediglich in der Durchbildung und im Gehalt der Form zu wirken versteht, dafür zeugen die beiden rheinischen A. der evangelischen Gemeinden in Solingen von 1732 und Düren von 1733 (Fritz Witte, Tausend Jahre deutscher Kunst am Rhein, Berlin 1932, Taf. 366, 1; 367, 2).

In welch radikaler, aber ebenso würdiger Form die A. des Empire die des Barock und Rokoko ablöste, mag schließlich die schöne charaktervolle A. der Kirche in Hohenzieritz von 1806 zeigen (Abb. 9), die zusammen mit einem Abendmahlskelch (Sp. 63/64, Abb. 10) von Caspar Xaver Stippeldey in Augsburg ausgeführt ist.

Auch die kleinen Abendmahlskännchen, welche die evangelischen Kirchen zum Dienst des Kranken- oder Privat- (Einzel-) Abendmahls zu besitzen pflegen, sind hier und davon künstlerischem Rang, vgl. das Weinkännchen der Haberberger Kirche in Königsberg i. Pr. von 1602 (Czihak I, Taf. 3 zu S. 40 und S. 79, Nr. 94).

Auch unter den überaus zahlreichen aus Zinn gefertigten A. finden sich allenthalben Stücke von hervorragender Schönheit der Form und der Arbeit. Doch spielt bei ihnen figürlicher und ornamentaler Schmuck eine geringere Rolle. Eine – auch wegen ihrer frühen Entstehungszeit – beachtenswerte Ausnahme bildet die aus der protestantischen Kirche in Müllheim (Baden) stammende walzenförmige Kanne der ehemaligen Sammlung Figdor-Wien (Abb. 7), auf der u. a. die Geschichte des verlorenen Sohnes, Christus am Kreuz, Adam und Eva, Lukretia, Salomon als Götzendiener dargestellt sind. Von der Fülle des späteren Materials gibt Erwin Hintze, Die deutschen Zinngießer I–VII, Leipzig 1921 bis 1931, eine Vorstellung. – Selten sind A. aus Glas; eine flaschenförmige von 1810 aus Strafen im Landesmus. Neustrelitz (Inv. Meckl.-Strelitz I, 2, S. 67).

Betreffs der Gefäße, in denen der Abendmahlswein bei der Verkaufsstelle (dem Krämer, Händler) oder der kirchlichen Oberstelle (Dechanei usw.) abgeholt und zur Kirche gebracht wurde, s. Kirchenflasche.

Zu den Abbildungen

1. Lübeck, Marienkirche, A. von Jasper Wulff II, 1555, Silber, zum Teil vergoldet, Höhe 29 cm. Phot. Mus. Lübeck.

2. Kitzingen (Unterfranken), prot. Pfarrkirche, um 1600, Silber, vergoldet, Höhe 32 cm. Phot. Bayr. Landesamt f. Denkmalpflege, München.

3. Neuenhof (Thür.), Kirche, 1. H. 17. Jh., Silber, vergoldet, Höhe 18 cm. Phot. Dr. F. Stoedtner, Berlin.

4. Ratzeburg, Dom, A. von Hinrich Busch, 1604. Silber, teilvergoldet. Nach Johs. Warncke, Die Edelschmiedekunst in Lübeck und ihre Meister, Veröff. z. Gesch. d. Freien u. Hansestadt Lübeck 8, Lübeck 1927.

5. Kulmbach, Petrikirche, A. von dem Augsburger Goldschmied Heinrich Mannlich, 1668, Höhe 35 cm. Phot. Prof. Dr. h. c. Karl Sitzmann, Bayreuth.

6. Thumsenreuth (Oberpfalz), prot. Gemeinde, A. von 1681, Silber, teilvergoldet, Höhe 27 cm. Phot. Bayr. Landesamt f. Denkmalpflege.

7. Ehem. Wien, Slg. Figdor, A. aus Zinn (Annaberg i. S., 1551). Aus der Kirche zu Müllheim (Baden). Höhe 36 cm. Phot. Schloßmus. Berlin.

8. Schorndorf (Wttbg.), ev. Kirche, Silber, 1740. Nach G. E. Pazaurek, Aus schwäbischen Kirchenschätzen, Leipzig 1912, Taf. 65.

9. Hohenzieritz, Kirche, 1806, Silber, Höhe 34,5 cm. Nach Inv. Mecklenburg-Strelitz I 1, Taf. S. 110/111.

Literatur

s. Abendmahlsgerät.

Verweise