Fontange

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englisch: Fontange; französisch: Fontange; italienisch: Fontange, fiocco di nastro.


Gretel Wagner (2004)

RDK X, 184–189


RDK X, 185, Abb. 1. Pamphlet gegen F., 1691.
RDK X, 185, Abb. 2. Formen der F. um 1700.
RDK X, 187, Abb. 3. F. nach 1700.

I. Definition

In der Kostümkunde ist F. die Bezeichnung für eine kleine Frauenhaube aus Spitze oder Flor, die auf dem Hinterkopf getragen wurde, und deren vordere Rüschen, durch Draht gestützt, in Form eines Fächers, eines Trapezes oder wie Orgelpfeifen hochstehen und mit Bandschluppen dekoriert sind. Bisweilen hingen sog. Barben, in Façon gearbeitete Spitzen- oder Seidenbänder, vorn oder rückwärts über die Schulter herab (Abb. 2f.).

II. Begriff

Die Bezeichnung für F. scheint zunächst „Frelange“ oder „Frelan“ gewesen zu sein ([8] S. 65; Ingrid Loschek, Reclams Mode- und Kostümlex., Stg. 1987, S. 189f.). Die ursprüngliche Bedeutung von F. war die eines geknoteten Bandes an der Spitze einer Frisur mit hochgestecktem Haar ([8] S. 62, nach Mary Evelyn, Fop-Dict., or, An Alphabetical Cat. of the Hard and Foreign Names, and Termes of the Art Cosmetick, Ld. 1690).

Die F. als Frisur mit geknotetem Band zuoberst im hochgesteckten Haar soll von Marie Angélique Scoreilles de Roussille, der späteren Hzgn. von Fontanges (1661-1681), zwischen 1679 und 1680 Maitresse Kg. Ludwigs XIV., erfunden worden sein; s. Sp. 186.

Im Gegensatz zum Sprachgebrauch im 17. Jh., als unter F. die mehrstöckige, mit Spitzen und Bändern dekorierte Frisur verstanden wurde, war sie im 18. Jh. Benennung für den schlichten Knoten aus Bändern im Haar ([3] S. 105; danach Amaranthes (Gottlieb Siegmund Corvinus): [2b] S. 1061, erst in dieser Ausg.; Krünitz, T. 14 [1786], S. 448). Allgemein zu der seit 1688 in Frankreich nachgewiesenen, jedoch älteren Benennung: Trésor de la langue franç. ..., Bd. 8, Paris 1980, S.

1060; danach: Alain Rey u. a., Dict. hist. de la langue franç., Paris 1992, Bd. A-L, S. 812.

F. wird in der modernen franz. Lit. sowohl in Zusammenhang mit einer Haube als auch mit der Frisur gebraucht, so z. B. von Jacques Ruppert in: [11] S. 120f.

III. Formen

Die F. war anfänglich relativ breit, ihr Rand rundlich geführt (Abb. 1; [8] Abb. 4f.); nach 1690 kamen mehrreihig gefältelte schmale und hohe Formen in Mode (Abb. 2; [8] Abb. 7), oder die F. war stark nach vorne geneigt („Palissade“: [9] Kat.nr. 3, auch Kat.nr. 162, mit Abb.; [8] Abb. 8). Manche Formen hatten besondere Namen, z.B. „à la sultane“ ([9] Kat.nr. 92f.), „à la petite Bourgogne“ oder „chien couchant“ (ebd. Kat.nr. 150 und S. 106); vgl. [6] Tafel S. 157. Manche F. wurden zu großer Höhe montiert, in Wien betrug diese beispielsweise über eine Elle ([4] S. 159).

IV. Materialien und Montage

Nachrichten über das verwendete Material und Beschreibungen gibt es aus dem 18. Jh.

G. S. Corvinus schilderte die F. „oder Aufsatz“ als „eine von weissen Flohr oder Spitzen über einen absonderlich dazu gebogenen und umwundenen Drat in die Höhe gethürmte und faltenweise über einander gesteckte Haube ..., gefältelt und mit geknüpfften Bandschleifen“; ergänzend sind die einzelnen Teile der F. aufgeführt: „der Hauben=Drat, die Commode, das Nest von Drat, der Teller darüber, die Pavilotte, und das Band“ ([2] Sp. 555f.; [2a] Sp. 485). Bei Diderot-d’Alembert ist die F. beschrieben als „édifice de dentelles, de cheveux, de rubans à plusieurs étages“: [3] S. 105. - In der Ausg. 1773 des „Frauenzimmer-Lexicon ...“ von G. S. Corvinus ist berichtet über „rosenfarbichte“ F. für junge Frauen, über „feuerfarbichte“ für alte Frauen ([2b] S. 1061). F. als Teil der Witwentracht war schwarz ([9] Kat.nr. 238).

V. Geschichte

Namensgebend war M. A. Scoreilles de Roussille (s. Sp. 184).

Die ohne Nachweis versehene Mitteilung von Max von Boehn, Menschen und Moden im 17. Jh., Mchn. 21913, S. 133, Roger Rabutin Graf von Bussy († 1673) habe dies als erster berichtet, trifft aus chronologischen Gründen nicht zu. Die Anekdote ist unterschiedlich überliefert. Nach G. S. Corvinus habe sich die Marquise, „so mit dem König auff der Jagd gewesen, und sich wegen allzu grosser Hitze einen dergleichen hohen Aufsatz von grünen Laub und Blättern gemacht ..., welcher nicht nur bei dem König approbation gefunden, sondern auch anderen Dames hernach zum Modell ihrer Hauben dienen müssen“ ([2] Sp. 556; [2a] Sp. 485; wiederholt bei Zedler, Bd. 9 [1735], Sp. 1456). Johann Leonhard Frisch beschrieb die F. als „eine Masche Band auf der Haube; und anderer erhöheter Kopf-Schmuck“ und nannte die Marquise de Fontanges als Namensgeberin (Nouvelle dict. des passagers franç.-allemand et allemand-franç. ..., Lpz. 1766, Sp. 964). Im Conversations-Lexicon ... für gebildete Stände, Bd. 3, Stg. 1816, S. 653, ist von dem in Unordnung geratenen Kopfputz der Marquise berichtet, der durch ein Band wieder befestigt wurde, „dessen Knoten ihr auf die Stirn fielen“. Bei Jules-Étienne-François Quicherat (Hist. du costume en France depuis les temps les plus reculés jusqu’à la fin du XVIIIe s., Paris 21877, S. 536) und F. Hottenroth, S. 671f., ist von mit Bändern hochgetürmtem Haar die Rede. In dem 1713 erschienenen Werk „Mala gallina, malum ovum ...“ wird noch eine andere Version der Entstehungsgeschichte berichtet: Die Duchesse habe, von Kopfschmerzen gepeinigt, ein Strumpfband dazu verwendet, sich das Haar hochzubinden, was dem König sehr gefallen habe und deshalb Mode geworden sei ([1] S. 84). Bei M. Leloir wurden beide Anekdoten verbunden ([6] S. 156).

Getragen wurde F. in Frankreich zwischen etwa 1685 und 1713, in den meisten anderen Ländern Europas länger (vgl. M. Leloir [5] S. 60-64; dagegen datierte Jacques Ruppert den Gebrauch von „coiffure à F.“ und „bonnet à F.“ auf den Zeitraum der Jahre 1675 bis 1699 ([11] S. 120f.).

Die als F. bezeichnete Haube kam wohl erst wenige Jahre nach dem Tod der Marquise de Fontanges auf (vgl. Stiche von Sébastien Leclerc: Figures à la mode dédiées à M. de Duc de Bourgogne, Paris 1685, Bl. 6 und 8). In Frankreich endete die Mode der hohen F. um 1713, verursacht durch die Ablehnung der Hzgn. von Shrewsbury, Gattin des engl. Gesandten in Versailles, wie Louis de Rouvroy Duc de Saint-Simon berichtet; frühere Versuche, die F. zu diskreditieren - durch die Töchter Ludwigs XIV. 1691 und die Hzgn. de Bourgogne 1699 -, waren gescheitert ([8] S. 69).

In Dtld. wurde die bald darauf auch im Bürgertum gebräuchliche Mode des F. in mehreren Städten untersagt oder durch Kleiderordnungen geregelt (Abb. 3).

In Danzig wurden 1691 F. mit Perlen oder Kleinodien ([7] Nr. Wb 10), in Jena 1716 Frauen aus dem Zweiten Stand F. mit goldenen und silbernen Spitzen verboten, wogegen der Vierte Stand sich der F. „gänzlich enthalten“ sollte (ebd. Nr. Wa 14). In Braunschweig wurden 1705 dem Zweiten Stand zu hohe F. verboten, dem Dritten und Vierten solche F., die über eine Handbreit hoch waren (ebd. Nr. Wb 4). Grundsätzlich untersagt war das Tragen von F. in Leipzig seit 1698 (ebd. Nr. Wb 19), in Stettin seit 1708 (ebd. Nr. Wb 50).

Das Tragen der F. wurde auch durch landesherrliche Vorschriften geregelt.

In der handschriftlich überlieferten kurbayer. Kleiderordnung von 1697 war vorgesehen, den Frauen von Patriziern, Titularräten und obersten Beamten der 3. Klasse das Tragen der „Fontache“ zu untersagen; eine am Rand hinzugesetzte Änderung des Textes ließ die F. jedoch zu, für Angehörige der Kauf- und Handelsleute sowie der obersten Schreiber und Diener blieb sie verboten (Veronika Baur, Kleiderordnungen in Bayern vom 14. bis zum 19. Jh., Mchn. 1975 Der Name des Attributs „[Sache“ enthält das ungültige Zeichen „[“, das nicht hierfür verwendet werden kann. Bavarica Monacensia, H. 62], S. 60 und 62).

VI. Darstellungen

Gemalte Bildnisse, auf denen die Dargestellte eine F. trägt, sind selten und nur außerhalb Frankreichs anzutreffen, was den Schluß nahelegt, daß diese Kopfbedeckung, obwohl sie modisch war, „im Porträt nicht der Etikette entsprach“ ([9] S. 14; vgl. [8] S. 67f.)

Beisp.: Bildnis der engl. Kgn. Maria II. Stuart, Gem. von Jan van der Vaart, 1688 (Audley End, Essex, Dept.

of the Environment: Richard Ormond und Malcolm Rogers [Hgg.], Dict. Brit. Portraiture, Bd. 1, Ld. 1979, S. 89); als Schabkunstblatt wiederholt von Pieter Schenck, 1691 ([12] Bd. 25, S. 206, Nr. 791; [10] Abb. 190), von Nicolaes Visscher II. ([12] Bd. 38, S. 283, Nr. 72) und von John Smith ([8] Abb. 5; vgl. auch [9] Kat.nr. 93, mit Abb.); Bildnis der Kfn. Sophie von Hannover, nach 1698, von Andreas Scheits (Bad Homburg v. d. H., Schloß, Inv.nr. GK I 1360: Ausst.kat. „Höfische Bildnisse des Spätbarock“, Berlin 1966, S. 158f., mit Abb.); Bildnis der Louisa Maria Teresa (geb. 1692) und ihres Bruders James Francis Edward Stuart, Gem. von Nicolas Largillière, 1695 (The Portrait Gall. Coll., Ld. 1988, S. 69, mit Abb.). Als Beisp. eines bürgerlichen Porträts, das die Dargestellte mit F. zeigt, sei das der 1695 verst. Gattin des Danziger Ratsherrn Johann Konrad Fichtel genannt, ein Gem. von Andreas Stech (ehem. Danzig, Stadtmus.; Georg Biermann [Hg.], Dt. Barock und Rokoko ..., Lpz. 1914, Bd. 1, Abb. 187; Ausst.kat. „Danziger Mal. 1530-1750“, Danzig 1931, Nr. 96).

Auf meistens ganzfigurig angelegten Porträtstichen von Damen des franz. Hofes ist die F. dagegen häufiger wiedergegeben (Beisp.: [9] Kat.nr. 20, 100, 109, 113, 115 u. ö.); dies gilt auch für graphische Porträts von Damen des Hochadels in Deutschland (ebd. Kat.nr. 162, 166, 174, 176, 178, 182, 196).

VII. Kritik

Schon um 1690 wandten sich Zeitgenossen gegen das als Modetorheit und Unmoral apostrophierte Tragen der F. In Frankreich polemisierte z. B. Jean de la Bruyère in „Les Caractères De Théophraste ... Avec Les Caractères ou les Moeurs de ce Siecle“ (Nouvelle édition, Brüssel 1692), gegen die Auswüchse dieser Mode, „qui fait de la tête de femmes la base d’un édifice à plusieurs étages, dont l’ordre et la structure changent selon leurs caprices“ (zit. nach Moralistes français, Paris 1838, S. 351; vgl. [5] S. 63).

In Deutschland wurden Streitschriften verbreitet, in denen man das Tragen der F. heftig angriff.

Beisp.: Ernst Gottlieb, Der gedoppelte blas-Balg der Uppigen Wollust, Nemlich die Erhöete Fontange Und die Blosse Brust, o. O. 1689; Die verabgötterte Fontange ..., FfM. 1690; Das von Teutschen Geblüth und Frantzösischem Gemüth Leichtsinnige Frauen-Zimmer Wie dasselbe in drey unterschiedene Classen eingetheilet/anzusehen. I In ihrer übermüthigen KleiderPracht/..., II. die hochgethürnete Fontange, o. O. 1691; vgl. Abb. 1; [4] S. 158f., Abb. 139 und 150.

Die F. war Gegenstand der Satire in dem Abraham a Sancta Clara zugeschriebenen Werk „Mala gallina, malum ovum ... ([1] S. 83-86: „Fontangeoder Hauben-Närrin“; vgl. [10] S. 110).

Zu den Abbildungen

1. Frontispiz in: Das von Teutschem Geblüth ... Leichtsinnige Frauen-Zimmer ... o. O. 1691, Kupferstich, 20,0 × 15,3 cm. Foto StMPK Berlin, K.bibl.

2. Pieter Schenck, Bl. 1 („Visus ’t Gesicht“) einer Folge mit den fünf Sinnen. Kupferstich, um 1700, 28,3 × 19,4 cm. Foto StMPK Berlin. K.bibl.

3. Philipp Jacob Leidenhoffer, „Virgo Erfordensis“. Kupferstich, vor 1714, 33,1 × 11,0 cm. Foto StMPK Berlin, K.bibl.

Literatur

1. Abraham a Sancta Clara, Malum ovum ... Im Zweyten Centi-Folio Hundert Ausbündiger Närrinnen ..., Wien und Nbg. 1713. - 2. Amaranthes (Gottlieb Siegmund Corvinus), Nutzbares, galantes und curiöses Frauenzimmer-Lexikon ..., Lpz. 1715; 2a. Dgl., FfM. und Lpz. 21739; 2b. Dgl., Lpz. 31773. - 3. Diderot-d’Alembert, Bd. 7 [1757], S. 105f. - 4. Eduard Fuchs, Ill. Sittengesch. vom MA bis zur Gegenwart. Die galante Zeit, Mchn. 1910. - 5. Maurice Leloir, Hist. du costume de l’antiquité à 1914, Bd. 10, Paris 1935. - 6. Ders., Dict. du Costume ..., Paris 21992. - 7. Kat. Lipperheide, Bd. 2. - 8. Diana de Marly, The vocabulary of the female headdress 1678-1713, Waffen- und Kostümkde. 17, 1975, S. 61-70. - 9. Ausst.kat. „Allongeperücke und Schleppenkleid. 1670-1730. Kostüme aus der Zeit des Max Emanuel“, München 1976. - 10. Maria Jedding-Gestering und Georg Brutscher (Hgg.), Die Frisur, Mchn. 1988. - 11. Le costume franç., Paris 21996. - 12. Hollstein, Dutch Fl. engr.

Verweise