Fingerhut

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englisch: Thimble; französisch: Dé (à coudre); italienisch: Ditale.


Anna Rapp (1986)

RDK VIII, 1196–1206


RDK VIII, 1195, Abb. 1 a und b. San Cipirello, 2. H. 12. Jh. und 1246.
RDK VIII, 1195, Abb. 2. Innsbruck, um 1500.
RDK VIII, 1197, Abb. 3. Nürnberg, 1573.
RDK VIII, 1197, Abb. 4. New York, 1577.
RDK VIII, 1199, Abb. 5. Elias Lencker d. Ä., 1586, Nürnberg.
RDK VIII, 1201, Abb. 6. Middelburg, 1594.
RDK VIII, 1203, Abb. 7. Joh. Theod. de Bry, 1. H. 17. Jh.
RDK VIII, 1205, Abb. 8. Nürnberg, 1621/1627.
RDK VIII, 1205, Abb. 9 und 10. Zürich, um 1770 und 18. Jh.

I. Definition

Der F. ist eine kleine, harte Schutzkappe, die, auf den mittleren Finger der Arbeitshand gesetzt, das Nachstoßen der Nadel erleichtert. Regelmäßig auf der Oberfläche verteilte Vertiefungen verhindern das Abgleiten der Nadel.

II. Material

Verarbeitet wurden vornehmlich Metall und Metallegierungen: Bronze (Abb. 1; Bronze-F. von 1599, ehem. Slg. Figdor: [7] S. 20 Abb. 4), Messing, Kupfer, Eisen und Stahl, Gold und Silber, daneben auch Elfenbein, Bein, Steinnuß, Perlmutter, Schildpatt, Horn, Porzellan, Glas und Holz. Als Dekor konnten Email und Edelsteine verwendet werden, Steine auch für die Kuppe des F.

F. aus Elfenbein waren gegen E. 18. Jh. und A. 19. Jh. besonders beliebt (Abb. 10; [15 a] S. 67-69). Man führte sie meist aus Asien ein (vgl. [17] Abb. S. 59). Gelegentlich ist die Wand des F. bemalt (vgl. [15 a] Abb. 36-38, 108). - Seltener sind F. aus Bein (ebd. S. 100, Abb. 65) und aus der Steinnuß, die dem Elfenbein ähnelt (ebd. S. 69, Abb. 114).

F. aus Perlmutter gab es bis A. 19. Jh. nur vereinzelt. Um 1810/1815 wurden sie, geschmückt mit vergoldetem Metall, auch mit Email, in Europa große Mode. Hersteller waren Manufakturen in der Umgebung des Palais Royal in Paris; dies gab den Namen „Palais Royal“-Arbeiten ([15 a] S. 66, Abb. 35; [16] Abb. S. 2842, oben; [17] Abb. S. 59, oben).

Schildpatt und Horn sind ebenfalls selten. 1816 erwarb John Percy ein Patent zur Herstellung von F. aus diesen Materialien mit Dekor aus Eisen, Stahl, Silber, Gold oder anderem Metall ([15 a] S. 70, Abb. 39; [16] Abb. S. 2842).

F. aus Porzellan wurden in Deutschland, vor allem in Meißen hergestellt ([15 a] S. 45f.; [17] S. 24f., Abb. S. 96f.; zahlreiche Beispiele im Aukt.kat. „Fine Porcelaine Galanterie“, Genf, Christie’s, 10. 11. 1975, Nr. 1-146) sowie in der Fürstenberger und der Nymphenburger Manufaktur (zu F. anderer europäischer Porzellan- und Keramikmanufakturen s. [15 a] S. 45f.). Meist wurden diese F. bemalt (Abb. 9); man verkaufte aber auch weiße (vgl. „Preiscourant von Porcellains bey der Churfürstl. baier. Fabrique in Nymphenburg, 1767“, abgedr. bei Friedr. Herm. Hofmann, Gesch. der Bayer. Porzellan-Manufaktur N., Bd. 3, Lpz. 1923, S. 709). Porzellan-F. sind selten gemarkt.

Aus Böhmen oder Venedig stammen gläserne F. aus dem frühen 19. Jh. [15 a, S. 104, Abb. 68]. Selten sind aus Holz gedrechselte F. des 19. Jh. (ebd. S. 108f., Abb. 72-74; [16] Abb. S. 2842).

III. Hersteller und Herstellung der Metallfingerhüte

Das Recht, F. aus Metall herzustellen, hatten verschiedene Handwerke. Étienne Boileau nennt 1268 für Paris die „fremaillers“ und die „boutonniers“, die beide Gelbgußarbeiten herstellten. Erstere fertigten F. für die Schneider (vielleicht ringförmige F.?), letztere F. „à dames“ (mit Kuppe?; Le livre des métiers, ed. René de Lespinasse und Franç. Bonnardot, Paris 1879 [Hist. gén. de Paris. Les métiers et corporations de la Ville de Paris, 13e s.], S. 80 Nr. XLII,9; S. 151 Nr. LXXII,1; zu franz. Quellen des 14.-17. Jh. s. [5] Sp. 37f.).

Krünitz [1] und Jacobsson [2] nannten Nadler und Spengler als Hersteller; „besondere F.-Macher“ [1, S. 396] gab es nach diesen Autoren nur an wenigen Orten, in Deutschland in Nürnberg und Köln, außerdem in Holland (s. Sp. 1200).

Am frühesten - seit 1373 - sind Fingerhuter in Nürnberg nachzuweisen, das über Jahrhunderte Hauptherstellungsort für F. blieb (Chr. Wilh. Jak. Gatterer, Technolog. Magazin, Bd. 1, Memmingen 1790, S. 259; C. G. Rehlen, Gesch. der Gewerbe, Lpz. 1855, S. 344; [17] S. 29ff.).

Noch 1490 gehörten in Nürnberg die Fingerhuter zur Zunft der Rotschmiede, welche die Messing-F. gossen und glattdrehten (Beschreibung des Verfahrens bei [17] S. 12). Die Weiterbearbeitung oblag den Fingerhutern; sie brachten mit Hilfe eines Drillbohrers die Vertiefungen an. 1537 erhielten die Fingerhuter erstmals eine eigene Zunftordnung, die eine wohl im 1. V. 16. Jh. aufgekommene neue Technik spiegelt: das Ziehen der F. aus Messingblech. Dies durften nur die Fingerhuter, der Guß der F. dagegen blieb Sache der Rotschmiede (ebd. S. 29-44; die gleiche Abgrenzung enthält noch die Ordnung der Nürnberger Rotschmiede von 1731: Herm. P. Lockner, Die Merkzeichen der Nürnberger Rotschmiede, Mchn. 1981 [Forsch.hh. hg. vom Bayer. Nat.mus. Mchn., 6], S. 26). Das F.handwerk erlebte in Nürnberg im 16. und 17. Jh. einen großen Aufschwung. Zwischen 1541 und 1550 waren 22 Meister eingetragen (Rainer Stahlschmidt, Die Gesch. des eisenverarbeitenden Gewerbes in Nürnberg von den ersten Nachrichten im 12.-13. Jh. bis 1630, Nbg. 1971 Der Name des Attributs „[Ort“ enthält das ungültige Zeichen „[“, das nicht hierfür verwendet werden kann. Werkstücke zur Stadt- und L.gesch., Schr.r. des Stadtarchivs Nbg., 4], S. 25), 1618 sogar 24 (Alfred Grenser, Zunft-Wappen und Handwerker-Insignien, ..., Ffm. 1889, S. 34; C. G. Rehlen a. a. O.). Die Fingerhuter gehörten zu den sog. gesperrten Handwerken, die, um die Verbreitung von Handwerkstechniken nach draußen zu verhindern, nur von Nürnberger Bürgern und nur in Nürnberg ausgeübt werden durften; das Gesellenwandern war deshalb verboten (R. Stahlschmidt a. a. O. S. 161f., 176f. und 226). Nach Christoph Weigel, 1698, war als Meisterstück die Fertigung von zwei Dutzend „Hauben oder Preß-Hüten in der Grösse eines Thalers“ und zwei Dutzend „hohen Seiden-Sticker Hüten in der Weite eines Fingers mit kleinen runden Löchlein“ gefordert, „welche beyde aber nicht mehr in Gebrauch und daher auch nicht zu nutzen sind“ (Ständebuch, S. 344; abgedr. bei [17] S. 6f.). Auch Messing-F. tragen Meisterzeichen (der Meister Georg Endtner, E. 16. Jh., verwendete z. B. eine schwimmende Ente: frdl. Mitt. von Helmut Greif; s. auch [17] S. 35).

Im 18. Jh. kam es zum Niedergang der Nürnberger Zunft, verursacht durch das zünftisch vorgeschriebene Festhalten an den traditionellen handwerklichen Herstellungsverfahren, die gegenüber den anderwärts gebräuchlichen maschinellen Techniken (s. Sp. 1199f.) unrentabel waren. 1720 gab es noch zehn, 1784 und 1785 noch zwei Meister, um 1800 keinen mehr (Chr. W. J. Gatterer a. a. O. [Sp. 1198] S. 185, 260). Jetzt vertrieb man vielfach importierte F., vor allem solche aus Aachen, wo man F. maschinell „mit ihren Löcherchen auf einmal durch ein Preßwerk“ herstellte (ebd.).

Die bildliche Überlieferung spiegelt die beiden in Nürnberg verwendeten Verfahren. Eine Zeichnung im Hausbuch der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung in Nürnberg, um 1425, zeigt einen Fingerhuter bei der Arbeit: er bringt auf einem gegossenen F. die Vertiefungen mit einem Rennbohrer (Drillbohrer, „Dreule“: [17] S. 12; s. auch Sp. 1198) an. Offene F. und solche mit Kuppe, alle mit unregelmäßig verteilten Vertiefungen und glattem Rand, liegen auf dem Tisch im Hintergrund (Nürnberg, Stadtbibl., Amb. 317 2°, fol. 5v: ed. Wilh. Treue u.a., Mchn. 1965, Textbd. S. 111, Bildbd. S. 13). - Jost Amman stellte 1568 eine Fingerhuterwerkstatt dar, in der nach einer neuen Technik gearbeitet wird: der Geselle schlägt das Blech in Matrizen, der Meister bringt mit Hammer und Punze („Koppeisen“: [17] S. 35) die Vertiefungen auf dem in einem sog. Sperrhaken steckenden F. an. Im zugehörigen Text von Hans Sachs ist dieser Herstellungsvorgang beschrieben, als Material Messing und Weißblech genannt (Amman-Sachs Bl. P III [Ndr. New York 1973, S. 63]). - Das Handwerkszeug eines Fingerhuters, der zwischen 1617 und 1621 zur Bruderschaft der Landauerschen Zwölfbrüderstiftung gehörte, läßt auf die gleiche Herstellungsweise schließen (Abb. 8), ebenso die Darstellung einer Fingerhuterwerkstatt in Weigels Ständebuch, 1698.

Im Vordergrund sieht man die Blechstreifen, von denen die notwendigen Stücke abgetrennt werden, an einem Arbeitstisch das Einschlagen der Blechstücke in Matrizen, an einem weiteren die Anbringung der Vertiefungen oder eine andere Stufe der Weiterbearbeitung. Im Hintergrund ist eine Drehbank und weiteres Werkzeug abgebildet (Ständebuch, Nr. 18, Taf. nach S. 344; das gleiche Bild bei Abraham a Sancta Clara, T. 2, Taf. vor S. 207).

Maschinelle, bald auch arbeitsteilige Herstellung und Bearbeitung gegossener F. aus Messing setzte im 17. Jh. ein, in Holland (Utrecht) im 1. V. des Jh. [17, S. 45-67], in England (Islington bei London, später Marlow) am Jh.ende [15 a, S. 32f.].

Zacharias Conr. von Uffenbach beschrieb das Verfahren, das er in Holland sah: Nach dem Gießen der F. wurden die Vertiefungen auf der Kuppe mit einem Stempel, die auf der Wandung mit einem gezackten Rädchen angebracht, schließlich der F. innen glatt gedreht, poliert und verziert. Dabei ging der F. durch neun Hände (Merkwürdige Reisen durch Niedersachsen, Holland und Engelland, T. 3, Ulm 1754, S. 697; abgedr. bei [17] S. 47). In Deutschland setzte die maschinelle Herstellung E. 17./A. 18. Jh. ein, zuerst in Westfalen und am Niederrhein (ebd. S. 68-78). 1835 beschrieb J.J. Prechtls Encyklopädie ein Herstellungsverfahren, bei dem Kuppe und Wandung separat gearbeitet und dann verbunden wurden ([3] S. 109; diese Arbeitsweise gab es in England seit dem MA: [15 a] S. 20, Abb. 8).

F. aus Edelmetallen stellten die Goldschmiede her [15 a, S. 21, 32]; die Verarbeitung von Gold und Silber war aber auch den Fingerhutern erlaubt (Weigel, Ständebuch, S. 344). Goldene und silberne F. brauchten wegen des geringen Gewichts nicht in jedem Fall mit Feingehaltspunzen versehen zu werden ([15 a] S. 44; zur Markierung von Silber-F. s. ebd. S. 88-91). F. aus Silberblech wurden auch maschinell hergestellt, so in England seit M. 18. Jh. (ebd. S. 71f.), in Deutschland in der F.manufaktur der Gebr. Gabler in Schorndorf, Württ., seit A. 19. Jh. ([17] S. 88ff.; [15 a] S. 76).

IV. Typen und Geschichte

Man unterscheidet zwei Typen:

1) Ringförmige F., die die Fingerspitze freilassen (Nähringe; nach Krünitz [1] S. 396, von den Schustern „Stämmringe“ genannt). Da sie ausschließlich der handwerklichen Verwendung dienten, sind sie kaum dekoriert. Eiserne Nähringe wurden häufig mit Messing gefüttert (ein Nürnberger Dekret von 1662 nennt unter den Produkten, die von den Fingerhutern an Kaufleute gegeben werden durften, eiserne, mit Messing gefütterte Schneidernähringe: [17] S. 44).

2) F. mit Kuppe, die die ganze Fingerspitze schützen. Auf konischer Wandung sitzt eine mehr oder weniger gewölbte Kuppe, die in einzelnen Fällen spitz zuläuft. Kostbar dekorierte F. dieses Typs gelten auch als Galanterieware.

Gelegentlich wird ein ägyptischer Nadelstoßer aus der Zeit der 20.-22. Dynastie als Vorläufer des F. zitiert. Der würfelförmige Stein mit einer Führung für die Nadel konnte jedoch nicht auf den Finger gesetzt werden; vermutlich diente er zum Nachstoßen dicker Nadeln durch feste Stoffe oder Leder ([9] Abb. S. 61; [11] Abb. 10).

Herkunft und Fundumstände der in Sammlungskatalogen genannten antiken F. sind nicht gesichert. F. lassen sich in der klassischen antiken Literatur nicht nachweisen. In der Antike wurde wohl der Fingerling, eine Fingerschutzkappe aus Leder, verwendet.

Dieser blieb im MA und bis in die Neuzeit, gebietsweise bis A. 19. Jh., in Gebrauch. Josua Maaler (Pictorius) nannte „Fingerling“ 1561 als Synonym für F. mit der Definition „alles das den fingeren zů schirm gemacht ist“ (Die Teutsch spraach, Zh. 1561, Bl. 136; Bl. 136v beschrieb er den Fingerling außerdem als Schutz für einen verletzten Finger).

Die ältesten gesicherten F. stammen aus byzantinischer Zeit. Es sind ringförmige F. aus Bronze mit Vertiefungen in dekorativer Anordnung (Gladys R. Davidson, Corinth, The Minor Objects, in: Results of Excavations Conducted by the Amer. School of Classical Stud. at Athens, Bd. 12, Princeton N.J. 1952, S. 175, 178, Taf. 79 Nr. 1285-98).

Die Funde ma. F. belegen ebenso wie die Nachrichten über die Handwerksgeschichte den ununterbrochenen Gebrauch des F.

Bei Grabungen auf dem Monte Iato, Prov. Palermo, Sizilien, kamen F. aus der 2. H. 12. Jh. zum Vorschein (Abb. 1 a und b). Sie bestehen aus einem Stück zusammengerollten Bronzeblechs, haben vertikal angeordnete Vertiefungen und einen glatten unteren Rand. - Ein deutscher F., ähnlich den im Hausbuch der Mendelschen Zwölfbrüderstiftung dargestellten, wurde in den Ruinen der 1399 zerstörten Burg Tannenberg Krs. Bergstraße gefunden (Darmstadt, Hess. L.mus.: [7] S. 20, Abb. S. 21). Auf der Burg Gleichen, Thüringen, und in der Ruine Prandegg Bez. Freistadt, O.Ö., fand man vermutlich spätma. F. (Wolfgang Timpel, Vortrag auf dem Kongreß „Adelige Sachkultur des Spät-MA“, Krems a. d. D. 22.-25.9.1980; Ausst.kat. „Tausend Jahre O.Ö.“, Wels a. d. D. 1953, Kat.teil S. 142). Zu zwei vielleicht ebenfalls spätma., in Goslar gefundenen F. s. Hans-Günther Griep, Harz-Zs. 24/25, 1972/73, S. 91, Abb. 45, zu in Genua gefundenen Exemplaren wohl des 15./16. Jh. s. David Andrews und Denys Pringle, Lo scavo dell’area sud del Convento di S. Silvestro a Genova, Arch. medievale 4, 1977, S. 194, Taf. 40 Abb. 36-38.

Silberne F. wurden besonders geschätzt; sie waren sogar wert, in Nachlaßinventare aufgenommen zu werden. In Basel hinterließ Hans Zschach 1459 „1 silbrin vingerhut“ (Emil Major, Der Basler Hausrat im Zeitalter der Spätgotik, Basler Jb. 1911, S. 265).

Neuzeitliche F. sind in großer Zahl erhalten, jedoch nahezu nur die als kostbar angesehenen, dekorierten Stücke; der einfache, wenig oder nicht verzierte „Gebrauchs“-F. aus Messing oder Bronze wurde selten aufbewahrt (z. B. Abb. 2; einige holländische Gemälde des 17. Jh., auf denen nähende Frauen mit einem F. am Mittelfinger zu sehen sind, zeigen, wie man F. benutzte: [15 a] Abb. 10, 122f.). Die Herstellung ist für Nürnberg (s. Sp. 1198f.), seit dem 17. Jh. auch für andere deutsche Gebiete und für nahezu alle europäischen Länder durch erhaltene Stücke und Quellen belegt, so für Italien, Frankreich, Holland (s. Sp. 1200), England [15 a, passim] und Schweden (vgl. ebd. S. 22; [5]; [17] S. 79-84, 137).

Üblich blieben F. aus Metall (zu anderen Materialien s. Sp. 1197). Silber war für kostbare F. gebräuchlich. Goldene F., die es vermutlich seit dem Spät-MA gab und von welchen wenige Beispiele aus dem 16. und 17. Jh. erhalten sind, wurden im 18. und 19. Jh. Mode; elegante Stücke stellte man im späten 18. Jh. auch in Vierfarbengold her.

Der in verschiedenen Techniken ausgeführte Dekor der F. bestand vor allem aus gravierten Wappen und Ornamenten. Aus den seit dem 4. V. 16. Jh. vorkommenden Inschriften ist zu entnehmen, daß F. (Hochzeits-)Geschenke waren (vgl. [7] S. 21; Abb. 3). Für F. mit reicher ornamentaler und figürlicher Gravur gab es Vorlagenblätter; erhalten sind z. B. vier von Joh. Theod. de Bry (Abb. 7; Kat. Orn. Bln. Nr. 631,5; [17] Abb. S. 16-18). Andere F. wurden punziert (Abb. 3 und 6) oder mit Eisenschnitt verziert (z. B. E. 17./A. 18. Jh. in Italien: [15 a] S. 122, Abb. 80). Englische F. aus Edelmetall tragen Filigranschmuck (Beispiele für Silberfiligran des 18. und des frühen 19. Jh.: ebd. Abb. 13 und 45f.). Besonders kostbare Stücke haben auf dem Rand oder der Wand aufgesetzte Edelsteine (z. B. Inv. des Kg. von Navarra v. J. 1583: ebd. S. 22; ebd. Abb. 63 ein elisabethanisches Stück mit Rubinen und Saphiren). Emaildekor ist seit dem 16. Jh. nachzuweisen (Abb. 4); im 18. Jh. emaillierte man den Rand oder den ganzen F. (ebd. Abb. 26, 28). Die Praxis, als Kuppe des F. einen Edelstein zu verwenden, scheint im späten 18. Jh. aufgekommen zu sein (ebd. S. 106); sie ist im 19. Jh. für Deutschland und die Britischen Inseln belegbar (ebd.).

Spielerische Ausgestaltung des F. und seine Kombination mit anderen Utensilien bezeugt, daß er als Galanterieware diente.

Weigel erwähnt F., in die oben ein Behältnis für Balsam eingebaut ist, als „Sternhüte mit Knöffgen“ (Ständebuch, S. 344; [15 a] S. 83). Ferner beschreibt er „gedoppelte F.“, bei denen der obere, mit Vertiefungen versehene F. abnehmbar, der untere „glatt und verguldet“ oder reich graviert ist.

Die ältesten erhaltenen Stücke dieser Art stammen aus dem 4. V. 16. Jh. (Abb. 4 und 6; zu dem Abb. 3 wiedergegebenen F. gehörte ursprünglich wohl auch eine gelochte Kappe; weitere dt. Beispiele aus dem 4. V. 16. Jh. bei [8] Bd. 2 Taf. 206,4-6, 8, 9, und [17] Abb. S. 94; Beispiel des späten 18. Jh.: [15 a] Abb. 40). Meist ist die abnehmbare Kappe aus Silber, der untere F. vergoldet, oft mit einem unter Glas oder Bergkristall gesetzten kleinen Bild oder Wappen als Kuppe und einer Widmungsinschrift am unteren Rand (Abb. 3f.).

Öfters sind Nähzeugbehältnisse, die Meßband, Nadelbehälter, Spule und Riechfläschchen, bisweilen auch ein Petschaft enthalten, oben mit einem abschraubbaren F. abgeschlossen (Beispiele des 18. und frühen 19. Jh. bei [15 a] Abb. 46f., 49f.; Siegeln mit dem F.: Laurence Sterne, Tristram Shandy, Ld. 1760, 2. Buch 2. Kap., und Rob. Louis Stevenson, Treasure Island, Ld. 1883, 6. Kap.).

Behältnisse speziell für F. sind bemalte, bedruckte, mit Stoff oder Fischhaut bezogene Dosen aus Holz (Beisp. des 18. und 19. Jh. bei [15 a] S. 153-168, Abb. 14 und 104-107), gelegentlich auch aus Schildpatt, Perlmutter oder Steinnuß (ebd. Abb. 110f., 113). Metallbehältnisse wurden häufig an einer Gürtelkette getragen (aus Gold, frühes 18. Jh.: ebd. Abb. 21; aus vergoldeter Bronze, 18. Jh.: [17] Abb. S. 61).

V. F. als Zunftzeichen

Der F. war Zunftzeichen der Fingerhuter (Joh. Siebmacher, Großes und allg. Wappenbuch, 1. Bd. 7. Abt.: Berufswappen, Nbg. 1898 [Neudr. Neustadt 1976], S. 104, Taf. 148). Als solches kommt er auch in der 2. H. 16. Jh. auf Grabsteinen von Nürnberger Fingerhutern vor ([17] Abb. S. 64; Peter Zahn, Die Inschriften der Friedhöfe St. Johannis, St. Rochus und Wöhrd zu N., Mchn. 1972 [Dt. Inschr. Bd. 13, Münchener R., 3. Bd.], Nr. 601, 860 und 1393).

Auch auf Zunftwappen der Schneider kommt der F. als Bild vor (J. Siebmacher a. a. O. S. 49; s. auch Cecilie Hálová-Jahodová, Vergessene Handwerksk., Prag 1955, Taf. 31f.). Das Titelblatt einer Spottschrift auf die Schneider aus dem 16. Jh. zeigt drei F. als Helme des Wappens der Schneider [17, Abb. S. 21].

Die Form eines F. haben (Zunft-)Pokale der Schneiderinnung von Nürnberg (Abb. 5) und von Stockholm (Willkomm von 1614: ebd. S. 84, Abb. S. 87). Unbekannt ist die ursprüngliche Bestimmung des aus Messing getriebenen F.pokals, der sich ehem. in der Slg. Figdor befand (um 1600: [7] Abb. 6), des 1601 dat. aus vergoldetem Kupfer in Berlin, StMPK, Kgw.mus., Inv.nr. F 3397, und des silbervergoldeten Pokals eines Zürcher Goldschmieds in Zürcher Priv.bes. (Kdm. Schweiz 22, Kt. Zürich 5 [Zürich-Stadt 2] S. 337).

VI. Allegorie

Weigel verglich den F. mit der Geduld, die dem Tugendhaften hilft, die Lästerzungen der Verleumder zu ertragen (Ständebuch, Taf. n. S. 344; gleiche Deutung bei Abraham a Sancta Clara: Sp. 1199).

„Ein F. voll“ bedeutet sprichwörtlich eine geringe Menge (vgl. Karl Friedr. Wander, Dt. Sprichwörterlex., Bd. 1, Lpz. 1867, Sp. 1025: „keinen Fingerhuts voll“ = nichts; s. auch Grimm Bd. 3 S. 1658 und [17] S. 121f.).

Zu den Abbildungen

1 a und b. San Cipirello, Prov. Palermo, Sizilien, zwei F. aus der ma. Stadt auf dem Monte Iato, Sizilien. Zusammengerolltes Bronzeblech, 1,8 cm h., Dm. 2 cm (a), 1,9 cm h., Dm. 1,9 cm. 2. H. 12 Jh. (a), vor 1246. Foto Zürcher Ietas Grabung.

2. Innsbruck, Priv.bes., F. vom Schloßberg bei Seefeld i. T. (Grabung 1974). Bronze- oder Messingblech, 1,3 cm h. Um 1500. Nach [17] S. 13.

3. Nürnberg, Germ. Nat.mus., Inv.nr. T 5659, F. Silber, gegossen und punziert, außen vergoldet, auf der Kuppe rot foliiertes Bergkristallintaglio mit Schild in Gold (drei Vergißmeinnicht und „VMN“ = Vergiß mein nicht), 2 cm h., Dm. 1,4 cm. Nürnberg (?), dat. 1573. Foto Mus.

4. New York, Metrop. Mus., Rogers Fund 1910, doppelter F. mit aufgesetzter Schutzkappe (auf der Kuppe des unteren F. hinter Glas gemaltes Allianzwappen).

Silber, graviert, und Email, 2,6 cm h., Dm. 1,9 cm. Dat. 1577. Foto Mus.

5. Elias Lencker d. Ä., F.pokal der Nürnberger Schneiderzunft. Silber, 20,9 cm h., oberer Dm. 11 cm. Nürnberg, Germ. Nat.mus., Inv.nr. HG 8384. Gestiftet 1586. Foto Mus.

6. Middelburg, Zeeuws Mus., Inv.nr. G. 1833, doppelter F. mit abgenommener Schutzkappe, auf dem unteren F. Darstellung von Fides, Spes, Caritas und Iustitia. Silber, teilweise vergoldet, punziert und graviert, 2,6 cm h., Dm 2 cm. Holland (?), 1594. Foto Mus.

7. Joh. Theodor de Bry, Vorlageblatt für Dekor von F. Kupferstich, 11,1 × 13,9 cm. Berlin, K.bibl. StMPK, 1. H. 17. Jh. Foto Mus.

8. Nürnberg, Stadtbibl., Amb. 279 (Landauersches Zwölfbrüderbuch), fol. 89, Fingerhuter bei der Arbeit. Nürnberg, 1621/1627. Foto Bibl.

9. Zürich, Schweiz. L.mus., Inv.nr. LM 52666, F. Porzellan, bemalt, 2 cm h., Dm. 1,5 cm. Um 1770. Foto Mus.

10. Zürich, Schweiz. L.mus., Inv.nr. LM 5262 b., F. Elfenbein, 2 cm h., Dm. 1,5 cm. 18. Jh. Foto Mus.

Literatur

1. Krünitz Bd. 13 (1786) S. 396f. s. v. „Finger-Hut“. - 2. Joh. Karl Gottfr. Jacobsson, Technolog. Wb., 1. T, Bln. und Stettin 1781, S. 724f. - 3. K. Karmarsch, Art. „Fingerhüte“ in: Joh. Jos. Prechtl (Hg.), Technolog. Enc. ..., Bd. 6, Stg. und Wien 1835, S. 107-112. - 4. Gay Bd. 1 S. 541f. - 5. Havard Bd. 2 Sp. 37f. - 6. Feldhaus S. 327-330. - 7. Alfred Rohde, Vom F. und seiner Vergangenheit, Uhrmacherk. 50, 1925, S. 19-21. - 8. Henry René d’Allemagne, Les Accessoires du Costume et du Mobilier, Paris 1928 (Ndr. New York 1970), Bd. 2 S. 267-269, Taf. 206; Bd. 3 S. 497f., Taf. 354. - 9. Gertrude Whiting, Tools and Toys of Stichery, New York 1928 (Ndr. mit dem Titel: Old-time Tools and Toys of Needlework, New York 1971, S. 61-76). - 10. Sylvia Groves, The Hist. of Needlework Tools and Accessoires, Newton Abbot 31973. - 11. Mary Andere, Old Needlework Boxes and Tools, Newton Abbot 1971.- 12. E. Aldridge, Collecting Thimbles, Journ. of Antique Collecting 8,7, 1973, S. 28-33. - 13. Sandra C. Shaffer, Scheren, F. und allerlei Handarbeitsutensilien in der Slg. Colonial Williamsburg, Weltk. 44, 1974, S. 322f. - 14. Maja Lundquist, The Book of Thousand Thimbles, Des Moines 1975. - 15. Edwin F. Holmes, Thimbles, Dublin 1976. - 15 a. Ders., Fingerhüte, Bern 1980. - 16. Fritz Falk, Fingerhüte und hist. Nähzeug, Weltk. 48, 1978, S. 2842f. - 17. Helmut Greif, Gespräche über Fingerhüte, Klagenfurt 1983.