Etagere

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englisch: Étagère; französisch: Étagère; italienisch: Etagere, scaffaletto.


Hermann Bresinsky (1969)

RDK VI, 131–138


RDK VI, 131, Abb. 1. Berlin, um 1695.
RDK VI, 133, Abb. 2. Weltrus (Veltrusy), Böhmen, nach 1744.
RDK VI, 135, Abb. 3 a und b. Thomas Chippendale, vor 1762.
RDK VI, 135, Abb. 4. Pierre Hache, um 1770, Paris.
RDK VI, 137, Abb. 5. Ehem. Schloß Paretz bei Potsdam, um 1800.

I. Definition, Verwendung, Wort, Abgrenzung

E. (franz. étagère, abgeleitet von étage) ist ein Möbel aus mehreren (mindestens drei) etagenartig, oft gestuft übereinander angeordneten Stellflächen, die von einzelnen Stützen oder von Seitenwänden, manchmal auch zusätzlich von einer Rückwand getragen werden. Die Vorderseite bleibt immer offen. Die E. kann als selbständiges, dann immer an die Wand gehängtes oder gerücktes Möbel vorkommen oder mit anderen Möbeln (Kommoden, Kabinetten, kleinen Bureaus usw.) verbunden sein. Ihre Stellflächen sind entweder als randlose Tabletts ausgebildet oder mit kleinen Galerien umrahmt. Material und künstlerische Ausstattung der E. entspricht dem für Möbel allgemein Üblichen.

Im allgemeinen fand die E. im profanen Bereich Verwendung; sie diente der Ausstellung von Sammlungsobjekten oder Prunkgeschirr, vor allem von Porzellan und Nippsachen, die franz. auch als „objets d’étagères“ bezeichnet werden. Vereinzelt ist allerdings auch der Gebrauch etagerenartiger Möbel zur Aufbewahrung von Reliquien nachweisbar (so nach einer Inventarnotiz v. J. 1418, s.u., und in Ladir, Kt. Graubünden, wo um 1760 der Hochaltar der kath. Pfarrkirche St. Zeno um zwei sogen. Reliquien-E. rechts und links des Altarbildes bereichert wurde: Inv. Schweiz 13, S. 80 Abb. 88; Reliquien-E. sind zu unterscheiden von den meist an der Vorderseite verglasten Reliquienpyramiden).

Das Wort E. kommt zuerst in einem Inventar der Schloßkap. von Namur v. J. 1418 vor: „Ung dablial cloyant à manière d’ung estagier, si at ens chascun pont de l’estagier certainez reliquez ...“ [2]; die Beschreibung läßt auf ein teilweise geschlossenes und mit mehreren Borden versehenes Möbel schließen, das, wie aus dem übrigen Text hervorgeht, aus Holz gefertigt und mit vergoldetem Silber bedeckt war.

Erst seit der 2. H. 18. Jh. ist die Bezeichnung E. geläufiger. Ein Klebeetikett des Möbelhändlers Jean-François Dubut († 1778) auf einem Eckschrank im Louis XVI-Stil (Paris, Kunsthandel) nennt unter anderen Produkten eine E.

Das Wort E. findet sich nicht in der Enzyklopädie von Diderot; auch A. J. Roubo [1] und die Mehrzahl der ausführlichen Klebeetiketten franz. Ebenisten des 18. Jh., wie das von Balthazar Coulon, 1751, und Pierre Hache, um 1760 (vgl. [17], S. 63 und 141f.), kennen das Wort nicht, obwohl von Hache, der in Grenoble tätig war, zwei vorzüglich ausgearbeitete und marquetierte Louis XV-Möbel erhalten blieben, die nach heutiger Terminologie (hängende Eck-)E. sind (Paris, Mus. Nissim de Camondo, um 1770: Abb. 4; Kat. 1954, Nr. 654). In Quellen des 18. und 19. Jh. heißen E. gelegentlich buffet, gradin, bord oder servante (z. B. bei Schinkel: [12] Abb. 159). Irreführend sind auch neuere Bezeichnungen wie console servante (für eine stehende Wand-E.: [9] Bd. 2 S. 48), bibliothèque murale (für eine hängende Wand-E.: [15] Taf. 5 rechts unten) oder étagère à plateaux und servante étagère (für Servanten: [15] Taf. 4 links unten bzw. [3] Sp. 524).

Die Abgrenzung der E. gegen ähnliche Möbel bleibt fließend. Besonders häufig findet man *Servanten als E. bezeichnet; diese „Aufwärter“ bestehen zwar auch aus mehreren übereinander angeordneten Stellflächen, sind aber, im Gegensatz zur E., freistehende und leicht bewegliche – oft auf Rollen montierte – tischartige Möbel (vgl. z. B. die bei Feulner [10], Abb. 574 als E. bezeichnete Servante von Adam Weisweiler, um 1785, in der Wallace Coll., London: Kat. Watson 1956, Nr. F 325, Taf. 77, dort als work table bezeichnet).

II.

A. Vorformen

Die Vorformen der E., die seit dem 15. Jh. nachweisbar sind, haben buffetartigen Charakter.

Eine Miniatur der Hs. Oxford, Bodl. Libr., Ms. Laud. Misc. 751, fol. 127, um 1470–80, gibt einen an einer Saalwand aufgestellten Aufbau aus mehreren treppenartig übereinander angeordneten Stellflächen wieder (Otto Pächt und J. J. G. Alexander, Illum. Mss. in the Bodl. Libr. Oxford, Bd. 1, Oxford 1966, Nr. 357, Taf. 29; [19] Taf. vor S. 75; formal ähnlich: Hier. Bosch, Hochzeit von Kana, Gem. im Mus. Boymans – van Beuningen, Rotterdam: Charles de Tolnay, H. B., Baden-Baden 1965, Bd. 1 Taf. 71ff.).

Einer E. vergleichbar ist gelegentlich der Aufbau auf dem im 15. Jh. in Frankreich verbreiteten dressoir. Dieses Möbel (vgl. RDK III 48) konnte mit einer dem Adelsstand des Besitzers entsprechenden Anzahl von übereinander geordneten Borden ausgestattet sein, die der Ausstellung von Turnierwaffen und Prunkgeschirr dienten ([3] Sp. 197–205, bes. Sp. 201f.). In diesem, auch als „buffet de parade“ bezeichneten Möbel ist wohl auch der Vorgänger der verschiedenen lokalen Typen von Geschirr- und Tellerborden über einem Kastenmöbel zu sehen (Beispiele aus dem 17. und 18. Jh.).

Formal mit E. verwandt sind auch side-boards oder cup-boards (vgl. RDK III 49), die dem gleichen Zweck wie dressoirs dienen und seit der 2. H. 16. Jh. in England entstanden. Diese Möbel ohne Rückwand bestehen meist aus drei gleich großen rechteckigen Borden, deren unterstes auf einem niedrigen Sockel aufsitzt; die oberen werden von Balustern oder Säulchen getragen. Side-boards besitzen die für eine (stehende Wand-)E. kennzeichnenden Merkmale, ohne daß jedoch für diese Möbel die Bezeichnung E. gebräuchlich geworden wäre (Beispiele: London, Vict.Alb.Mus.: Kat. Harold Clifford Smith, Bd. 1, 1929, Taf. 27 Abb. 598; s. außerdem [19], S. 110 und [4], Abb. 93ff.).

B. Typen

Die Möbel, die man heute E. nennt, entstanden seit dem ausgehenden 17. Jh. Sie begegnen zuerst und vor allem in der Ausstattung von Raritäten-, Porzellan- und Spiegelkabinetten (z. B. Abb. 1). Am weitesten verbreitet waren E. der verschiedenen Typen seit der 2. H. 18. Jh. Sie fanden damals auch in den Wohnräumen ihren Platz und wurden oft mit anderen Möbeln kombiniert.

Es gibt drei E. - Typen: stehende (a), hängende (b) und mit anderen Möbeln kombinierte (c).

a. Der wohl älteste und am häufigsten vorkommende Typ ist die stehende Wand -E. (franz. étagère murale). Sie ist entweder tischhoch – dann hat sie meist drei Stellflächen – oder höher und kann dann mit beliebig vielen Borden versehen sein. Breite und Tiefe wechseln je nach Verwendungszweck und Zeitstil; bei E. größerer Breite werden die Borde oft von mehreren Stützen getragen.

Zu den frühesten erhaltenen Beispielen dürften die hohen achtgeschossigen E. im Charlottenburger Schloß, um 1695, zählen, deren sich nach oben pyramidal verjüngende Borde von reich geschnitzten Voluten getragen werden (Abb. 1). Den gleichen Typ verwendete Karl Ferdinand Langhans um 1836 zur Ausstattung des kleinen Speisesaales im Stadtpalais des Prinzen Wilhelm von Preußen in Berlin [14, Abb. 107f.]. Eine ebenfalls hohe, teils mit Silber belegte und verspiegelte E., deren sich wenig nach oben verjüngende Borde auf mehreren Stützen ruhen, ließ Schinkel 1831 für den Speisesaal des Prinzen Albrecht in Berlin anfertigen (1941 zerst.: [12] Abb. 69f.).

Gestellartige, von durchbrochenen Seitenwänden gestützte und gelegentlich mit geschlossenen Fächern kombinierte Wand-E. hat Thomas Chippendale – angeregt von älteren chinesischen Möbeln – für sein Stichwerk „The Gentleman and Cabinet Maker’s Director“ entworfen (London 1754; ebd. 17622, Kupfer 141–143). Vergleichbare ausgeführte Stücke entstanden vor allem in England, z. B. eine E. von Rob. Adam in Kedleston, Derbyshire, wohl 3. V. 18. Jh. (Arthur T. Bolton, The Architecture of Rob. and James Adam, London 1922, Bd. 2 S. 309; andere Stücke bei [5], Abb. 15; [11] Abb. 142; [20] Abb. 281–84). Eine schmale franz. E. hat oben eine Schublade [11, Abb. 146]. – Im deutschen Klassizismus waren hohe E., deren Borde meist von vier oder mehr Stützen getragen werden, beliebt (vgl. eine süddt. E. über halbrundem Grundriß mit fünf Stellflächen, um 1820: [8] Taf. 215 rechts; für drei von Schinkel entworfene E. s. [12], Abb. 156f., 159 und 163); weitere Beispiele von stehenden Wand-E. bei Jos. Aug. Lux, Empire und Biedermeier, Stg. 1930, Taf. 14 oben, Taf. 35, 44, 48 und 78.

Seit der 2. H. 18. Jh. kommen, vor allem in Frankreich, etwa tischhohe E. über längsrechteckigem (Abb. 2), halbkreisförmigem oder einem halben Oval angenäherten Grundriß vor; ihre Rückwand ist meist geschlossen (z. B. [7], Taf. 97) und oft verspiegelt (E. aus der Werkstatt von Jean François Oeben, zw. 1763 und 1767: Connaissance des arts 45, 1955, 76; J. A. Lux a.a.O. Taf. 14 unten).

Stehende Eck-E. sind meist halbhoch, oft mit verspiegelten Rückwänden.

Zwei kleine, mit je drei Stellflächen ausgestattete E., außen Lackimitation, innen Marqueteriearbeit auf Rosenholz, schuf Bernard II van Risen Burgh († 1765 oder 1766: [18] S. 81 Abb. 4). Vier gestuft übereinander angeordnete Borde bilden eine Eck-E., die in einer Ecknische des Vestibüls im Schloß Paretz bei Potsdam stand (Abb. 5). Eine verhältnismäßig hohe E. dieses Typs mit fünf Stellflächen befand sich im Empiresalon des Königsbaues der Münchner Residenz [8, Taf. 137].

b. Hängende Wand-E. (frz. étagère d’applique) begegnen in der 2. H. 18. Jh. in Frankreich (z. B. ein Louis XVI-Möbel, Paris, Mus. des arts decoratifs: [13] Abb. 246; [15] Taf. 5 rechts unten).

Besonders häufig entstanden sie in England, vgl. Chippendale’s Kupfer 138–40 (Abb. 3), der diese E. shelves for books oder einfach hanging shelves nennt (vgl. [11], S. 102; ebd. Abb. 543 und [20], Abb. 277, 279f. Möbel dieses Typs). Auf einen Entwurf des Architekten Henry Holland geht ein 1794 gefertigtes Stück mit vier Borden zwischen durchbrochenen Seitenteilen zurück [19, S. 8].

Hängende Eck-E. sind relativ selten. Ein typisches Beispiel, das aus zwei Stellbrettern und einem kleinen Schränkchen darunter besteht und noch reine Louis XV-Formen zeigt, befand sich ehem. in der Slg. Dubois Chefdebien (Aukt. Kat. Drouot, Paris, 13.–14. 2. 1941, Nr. 125). Zwei hängende Eck-E. von P. Hache besitzt das Mus. Nissim de Camondo, Paris (Abb. 4).

c. Häufig wurden E. oder etagerenartige Anordnungen von Borden mit anderen Möbeln kombiniert (für die Aufsätze auf „dressoirs“ s. o. Sp. 134).

E.-Aufsätze auf Schränken finden sich seit dem 17. Jh. (z. B. Schloß Neuenstein Krs. Öhringen, Württ., 2. V. 17. Jh.; Schloß Weilburg a. d. Lahn, 4. V. 17. Jh.: [21]; vgl. auch die stufenförmig angeordneten Stellflächen als Aufsatz eines Schrankes bei Friedrich Unteutsch, Neues Zierratenbuch ... Anderer Theil, Nürnberg um 1650, Kupfer 19: [21]). – Hin und wieder werden auch die vorn offenen Aufsätze der *Eckschränke (in Frankreich dann meist „gradin“ genannt: [3] Sp. 1045–48) als E. bezeichnet, vgl. z. B. den Eckschrank in der Residenz zu Ansbach, um 1736–42, und Modelle für Eck-Etagerenschränke, um 1730–40 im Stil des François de Cuvilliés d. Ä. im Münchner Kunsthandel: [21]). Aus zwei Schubladen und einer aufgesetzten hohen E. besteht ein deutsches Empiremöbel aus dem Stuttgarter Schloß [6, Abb. 275]. Ein ebenfalls deutsches Beispiel für die Kombination einer E. mit einem kommodenartigen Möbel befindet sich in Schloß Schwaigern, Württ. [8, S. 214 rechts].

Eine enge Verbindung von E. und anderen Möbeln wurde besonders in Frankreich zur Zeit Ludwigs XVI. beliebt. Oft blieben die Ecken an Kommoden oder Anrichten ausgespart, um hier mit kleinen Galerien umzogene Tabletts einzusetzen (commode à l’anglais; vgl. z. B. [10], Abb. 570; [16], Abb. 4f., 35, 40 und 149; London, Wallace Coll.: Kat. Watson Nr. F 249, Taf. 44). In der gleichen Weise wurden auch die Ecken zahlreicher Kabinette und die Aufsätze der kleinen, als bonheurdu-jour bezeichneten Damenschreibsekretäre mit E. versehen (z. B. Sekretär von Martin Carlin, um 1776, London, Wallace Coll.: ebd. Nr. F 304, Taf 91).

Zu den Abbildungen

1. Berlin, Schloß Charlottenburg, Durchgangsraum neben der kleinen Eichengalerie, E. Eine von sieben E. gleichen Typs aus Schloß Oranienburg, um 1695. Holz, gefaßt, Rückwände verspiegelt, 2,95 m h., 1,50 m br., 0,73 m tief. Fot. Verwaltung der Staatl. Schlösser und Gärten, Berlin.

2. Schloß Weltrus (Veltrusy), Böhmen, E. Holz, farbig gefaßt, Aufsatz und Nische Freskomal., Maße unbekannt. Nach 1744. Fot. Walter Glock, München.

3 a und b. Thomas Chippendale, Entwürfe zu E. Kupferstich, 22,8 × 35,3 cm (Größe des Blattes). Nach Th. Ch., The Gentleman and Cabinet Maker’s Director, London 17623, Taf. 140.

4. Pierre Hache, E. Holz, marquettiert, 82 cm h. Um 1770. Paris, Mus. Nissim de Camondo, Kat. 1954, Nr. 654. Fot. Mus.

5. Ehem. Schloß Paretz bei Potsdam, Vestibül, E. Birnbaumholz, Maße unbekannt. Berlin, um 1800. Nach Herm. Schmitz, Schloß P. Ein kgl. Landsitz um das Jahr 1800, Bln. o. J. (1919), Taf. 3.

Literatur

1. André Jacques Roubo, L’art du menuisier, Paris 1769–75. – 2. Gay Bd. 1 S. 674. – 3. Havard Bd. 2. – 4. Percy Macquoid, A Hist. of English Furniture, 1: The Age of Oak, London 1904. – 5. Ders. A Hist. of English Furniture, 3: The Age of Satinwood, London 1908. – 6. Lehnert Bd. 2. – 7. Seymour de Ricci, Der Stil Louis XVI (= Bauformen-Bibl., Bd. 8), Stg. o. J. (1913). – 8. Schmitz, Klassizist. Möbel. – 9. Guillaume Janneau, Les meubles, Paris 1929. – 10. Feulner, Möbel. – 11. Jos. Aronson, The Encyclopedia of Furniture, New York 1938. – 12. Joh. Sievers, Die Möbel (== Schinkelwerk), Bln. 1950. – 13. Guillaume Janneau, Les meubles en France, Paris 1952. – 14. Joh. Sievers, Die Arbeiten von K. F. Schinkel für Prinz Wilhelm, späteren König von Preußen (= Schinkelwerk), Bln. 1955. – 15. Jacques Mottheau, Meubles et ensembles. Louis XVI, Paris o. J. (1960). – 16. Francis J. B. Watson, Louis XVI Furniture, London 1960. – 17. Comte François de Salverte, Les ébénistes du XVIIIe s., Paris 19625. – 18. Jean Meuvret (Hrsg.), Les ébénistes du XVIIIe s. franç. (= Coll. connaissance des arts: „Grands artisans d’autrefois“), Paris 1963. – 19. John Gloag, A Social Hist. of Furniture Design from B. C. 1300 to A. D. 1960, London 1966. – 20. Anthony Colridge, Chippendale Furniture. The Work of Thomas Ch. and His Contemporaries in the Rococo Taste ..., London 1968.

Frdl. Hinweise von Dr. Heinr. Kreisel, Mchn. [21], und Dr. Georg Himmelheber, Mchn.