Eherne Schlange
englisch: Brazen serpent; französisch: Serpent d'airain; italienisch: Serpente di bronzo.
Ursula Diehl (I–V) und Ruth Matthaes (VI, VII) (1956)
RDK IV, 817–837
I. Biblische Grundlagen
Die E. wird dreimal in der Bibel erwähnt: 1. die wider Gott murrenden Juden werden gegen Ende ihrer Wüstenwanderung von feurigen Schlangen angefallen, deren Biß tötet; auf Befehl Gottes errichtet Moses eine eherne Schlange, und durch Aufblicken zu ihr werden die Gebissenen geheilt (4. Mos. 21, 6–9). – 2. König Hiskia zerstört die von den Juden verehrte E. (2. Kön. 18, 4). – 3. Christus vergleicht die Erhöhung der E. mit seiner eigenen (Joh. 3, 14).
II. Die E. in der jüdischen und christl. Exegese
Das späte Eintreten der E. in den Themenkreis der christlichen Kunst und ihre fast ausschließlich typologische Verwendung erklärt sich aus der schon früh erkannten Problematik von 4. Mos. 21, 6–9.
Das Vorhandensein eines auf göttlichen Befehl errichteten Schlangenbildes, das, angeblickt, vom Tode errettet, widerspricht der Einstellung des Juden- und frühen Christentums zum Bildwerk als solchem und zur Schlange, die 1. Mos. 3, 14 verflucht wird. Von Anfang an hat daher die Bibelexegese versucht, dem Widerspruch durch symbolische und allegorische Auslegung der Perikope zu begegnen. Der bei Joh. 3, 14 gegebene Hinweis Christi ist bereits vorgeformt durch Weish. 16, 5: die E. ist dort als „symbolon“, hinter dem sich Gott, der Retter, verbirgt, verstanden. Die allegorische Deutung der E. findet sich vor allem bei Philo Alexandrinus: die E. steht als „sophrosyne“ und „karteria“ im Gegensatz zur Paradiesesschlange, der „hedone“ (Carl Siegfried, Philo v. Alexandrien als Ausleger des A.T. usw., Jena 1875, S. 184). In Nacherzählungen des Bibeltextes bei Philo (De vita Mosis) und Flavius Josephus (Antiquitates Judaicae) ist die E.-Szene ausgelassen.
Auf jüdischen Schriften fußende christliche Autoren wie Origenes übergingen die E. in ihren Bibelkommentaren zu 4. Mos. 21. Frühe christliche Erwähnungen der E. sind stets von ausführlicher, auf Joh. 3, 14 gestützter Begründung begleitet (Barnabasbrief 12, 5–7), ihr apologetischer Charakter läßt Abwehr des von den Heiden erhobenen Vorwurfs der Schlangenanbetung erkennen (Justinus Mart., Dialogus cum Tryphone Judaeo: Migne, P. G. 6, 691f.; Tertullian, Adv. Judaeos: Tertullian Bd. 1 [= Bibl. d. Kirchenväter, hrsg. v. Otto Bardenhewer u. a. Bd. 7], München 1912, S. 144). Göttliche Verehrung genoß die E. bei den Ophiten (Joh. Leisegang, Die Gnosis, Stg. 19554, S. 111f.).
Nach Beendigung der Auseinandersetzung zwischen christlichen Autoren und Heidentum bzw. Gnostizismus erhielt die E. im 4./5. Jh. als Antitypus des Gekreuzigten ihren festen Platz in der Väterliteratur; auch in Kommentaren zu 4. Mos., in denen Bemerkungen zu 21, 6–9 nur noch selten fehlen, erhöht Moses die E. stets „propter praefigurandum“ (z. B. Augustinus, Enarratio in Ps. 118 und Serm. 294: Migne, P. L. 37, 1578 u. ebd. 38, 1341f.; Ambrosius, De spiritu sancto: ebd. 16, 787; Gregor von Nazianz, Oratio 45: Migne, P. G. 36,654; weitere Belege bei [1]). Die symbolische Deutung aller Einzelheiten der Szene (Schlange und Träger, Erz, anfallende Schlangen, Wüste, Tagereise) faßte Isidor von Sevilla zusammen (De veteri et novo Testamento quaestiones, in Num. Kap. 36: Migne, P. L. 83, 355). Diese Auslegungen übernahmen ma. Theologen mit geringen Varianten, häufig sogar wörtlich (vgl. Hrabanus Maurus, Enarrationes in lib. Num. III, 2: ebd. 108, 712 u. 713; Bernhard v. Clairvaux, Vitis mystica Kap. 45: ebd. 184, 729f.; Petrus v. Riga, Aurora V. 503–19; Rupert v. Deutz, De Trinitate, in Num. II, 11: ebd. 167, 889f.; Honorius Augustodunensis, Speculum Ecclesiae: ebd. 172, 922 u. 932; weitere Belege bei [1]). Den ersten Versuch einer historisierenden Schilderung der E. unternahm Petrus Comestor um 1175 (Hist. scholastica: Migne, P. L. 198, 1234f.; hier erstmalig Zusammenschau von Errichtung und Zerstörung der E.). Wortreiche Ausschmückungen der Szene begegnen in den von der Historia scholastica abhängigen Weltchroniken des Rudolf von Ems und des Jansen Enikel, 2. H. 13. Jh. (rund 80 Verse).
III. Allgemeine Ikonographie
Über die Darstellungsform der E. sagt die Bibel nichts aus. In der christlichen Exegese ist von Anfang an ihre Erhöhung am Holz in Analogie zum Kreuzesholz, häufig am Kreuz („crux serpentis“: Maximus v. Turin, Homilia 49, Migne P. L. 57, 340ff.), hervorgehoben. Gegenstand ma. Darstellung ist nicht die E. als solche, sondern fast ausschließlich ihre Errichtung. Sie wird in der abendländischen Kunst stets durch die bereits erhöhte E. wiedergegeben. Den Vorgang der Errichtung schildert nur die Gruppe der byzantinischen Oktateuche des 11. u. 12. Jh., in deren Illustrationen Moses die E. mit Hilfe eines Seiles emporzieht.
Die wichtigsten Bildmotive der E.-Errichtung sind: das erhöhte Schlangenbild (seine Gestaltung und die Form seines Trägers bilden die Hauptkriterien zur Untersuchung von Herkunft und Verbreitung der ma. Bildtypen, s. u. V); der mit dem Finger – selten mit seinem Stab – auf die E. hinweisende, gelegentlich von Aaron begleitete Moses; wenige aufblickende Juden – meist Männer –, bisweilen mit Schlangen in den Händen; ausnahmsweise erscheint auch der den Befehl erteilende Gottvater (Bronzetür von S. Zeno, Verona; spanische Bibel in Amiens, ms. 108, Ende 12. Jh.). Die in nach-ma. Beispielen oftmals aufwendige Schilderung von Toten und Sterbenden wurde im MA meist unterlassen. Vereinzelt sind bereits um 1200 auf drastische Weise geschilderte Kämpfe mit Schlangen in deutschen und von diesen beeinflußten Darstellungen anzutreffen; das Beißen der Schlangen in die Gesichter der Angefallenen bildet dabei ein charakteristisches Motiv.
Vgl. hierfür New York, Morgan Libr. ms. 692, fol. 222 (Meta Harrson, Cursus S. Mariae, New York 1937, Taf. 12, 1); Psalter in Wolfenbüttel, Landesbibl., Cod. Helmstedt 568, fol. 8 v (Cornell Taf. F); Bronzetür von S. Zeno, Verona (Alb. Boeckler, Die Bronzetüren von Verona, Marburg a. d. L. 1931, Taf. 69 u. 70).
Getrennte Gruppen von Toten und Verwundeten zeigen die byzantinischen Oktateuche; diese weisen auch das Motiv des Vorzeigens verletzter Beine auf, das früher bereits in Paris, B. N. cod. syr. 341 (s.u.), später in westlichen Darstellungen des 13. u. 14. Jh. (z. B. englische Hs. München, St.B. Cgm. 16, fol. 62 v; Fresko der Arenakapelle in Padua) vorkommt.
Bisweilen wurde der Schlangenüberfall als Sonderszene von der E.-Errichtung abgetrennt (so schon im Aelfrik-Heptateuch, London, B.M. ms. Cotton B IV, fol. 123 v, 1. V. 11. Jh.).
Im typologischen System steht die E. meist neben dem Gekreuzigten, selten bei der Kreuzigung (vgl. Lombarduskommentar in Davenham, Dyson Perrins Libr., ms. 117, fol. 119 v, Abb. 1; Missale in Rom, Bibl. Vat., cod. Ross. 181, fol. 127 v, – beide niederdeutsch, 12. bzw. 13. Jh.; ferner Concordantia caritatis, RDK III 845, Abb. 6), bei der Kreuzabnahme (Missale in Wolfenbüttel, Landesbibl., Cod. Helmstedt 569, 13. Jh.) oder bei der Majestas Domini (Lettnerkanzel in Wechselburg: Ad. Goldschmidt, Die Skulpturen von Freiberg und Wechselburg, Bln. 1924, Taf. 71 u. 84). Bei Verwendung zweier a.t. Antitypen steht die E. in der Regel rechts neben dem Typus (so z. B. in den Armenbibeln, vgl. RDK I 1071/72, Abb. 1 u. 2). In der Bible moralisée, M. 13. Jh., entspricht dem Hinweis Moses’ auf die E., bei deren Anblick die Befallenen von den Schlangen befreit werden, der Hinweis zweier Geistlicher auf das Kruzifix, das die Dämonen von denen, die sich ihm zuwenden, vertreibt (A. de Laborde, La Bible moralisée Bd. 1, Paris 1911, Taf. 81).
Die Zerstörung der E. wurde nur selten und anscheinend nicht vor dem 13. Jh. (vgl. Zusammenschau von E.-Errichtung und -Zerstörung bei Petrus Comestor, s. o.) dargestellt in a.t. Bilderzyklen (Wandmalereien London, Westminster Palace, 2. V. 13. Jh., und im Dom zu Gurk, 2. V. 14. Jh.), als Textillustration zu 2. Kön. in Hss. des 14. und 15. Jh. und ausnahmsweise auch als Antitypus der Kreuzabnahme (formale Entsprechung zu E.-Errichtung = Kreuzigung) auf einem Deckengemälde in St. Maria Lyskirchen zu Köln, M. 13. Jh. (Abb. 5; dort auch die Anbetung der E. über einem Räucheraltar). Wiedergegeben ist die Zerstörung der E. durch einen Mann (oder mehrere Männer), der im Beisein des Königs Hiskia mit einem Hammer das bereits zerbrochen herabfallende Schlangenbild zerschlägt.
Darstellungen der E. als Attribut des Moses sind am häufigsten in der Portalplastik des 13. Jh. (seit Senlis, um 1185) anzutreffen, vereinzelt auch in der ma. Buch- und Glasmalerei (Fenster im Freiburger Münster). Die E. ist dabei stets auf oder an einem Träger erhöht; eine von Moses in Händen gehaltene Schlange darf nicht als E. gedeutet werden.
IV. Textillustrationen vor dem 12. Jh.
Die wenigen Darstellungen der E. vor dem 12. Jh. sind Textillustrationen zu 4. Mos. 21 – auch im Initial zu 4. Mos. – und Joh. 3, 14 in Bibeln und Evangeliaren, zu Erwähnungen der E. in Lektionaren (Fest der Kreuzerhöhung), in Kirchenvätertexten (Homilien des Gregor v. Nazianz) und im Physiologus (Vergleich des Charadrius mit der E.).
Die frühchristliche Bibelillustration kann, da sie im jüdisch-alexandrinischen Bereich entstanden ist, die Szene kaum verbildlicht haben. Die Reste frühchristlicher Buchmalerei und monumentaler Moseszyklen enthalten sie ebensowenig wie die auf ältere Vorbilder zurückgehenden Bibelzyklen der karolingischen Zeit und die im MA in Katalonien und Italien entstandenen. Als E. interpretierte frühchristliche Darstellungen müssen anders gedeutet werden; nicht die E., sondern der Drache Daniels ist auf der Lipsanothek in Brescia, Mus. civico, dargestellt (Joh. Kollwitz, Die Lipsanothek von Brescia, Bln. u. Lpz. 1933, S. 30); die im Dittochaeum des Prudentius († um 405) an zwölfter Stelle im Sinne der Väter geschilderte E.-Errichtung („... dux cruce suspendit, qui virus temperat anguem“) ist nicht als Hinweis auf ein ausgeführtes Bild anzusehen (Anton Baumstark, Byzant. Zs. 20, 1911, 179–87).
Wohl die früheste erhaltene E.-Darstellung ist eine Illustration zu 4. Mos. in einer syrischen Bibel des 7. Jh. (Paris, B.N. cod. syr. 341, fol. 25; Henri Omont in Mon. et Mém. Piot 17, 1909, 85ff.). Die einmal gerollte E. hängt, am Schwanz mit einem Seil befestigt, über dem Altar (Bundeslade?) eines Tempelchens; außerhalb des Kultraumes befinden sich aufblickende Verwundete. Die ungewöhnliche Ikonographie läßt eher an heidnischen Schlangenkult als an die in der Wüste erhöhte E. denken.
Das Fehlen eines älteren verbindlichen Bildtypus zeigen deutlich die sehr verschiedenen E.-Darstellungen in byzantinischen Hss. des 11. u. 12. Jh. Im Evangeliar Paris, B.N. cod. gr. 74, fol. 171, ist die E. über einen hohen Pfahl gehängt (H. Omont, Évangiles avec peintures byzantines etc., Paris 1909, Bd. 2 Taf. 148); ihre Darstellung neben Christus und dem Kreuz ist keine echte Typologie, sondern wörtliche Illustration zu Joh. 3, 14. Das Lektionar New York, Morgan Libr. ms. 692, fol. 222, zeigt die E. um ein Patriarchalkreuz gewunden. – Einen ersten E.-Typus bringen die byzantinischen Oktateuche mit der von Moses an einer Stange emporgezogenen und mit dieser ein Kreuz bildenden E. (Beispiele: Rom, Bibl. Vat. cod. gr. 747, fol. 172 v, und cod. gr. 746, fol. 394 v; Konstantinopel, Serail ms. 8, fol. 359; Smyrna, Evang. Schule ms. A I, fol. 168 v; der gleiche Typus auch in den Homilien des Gregor v. Nazianz, Paris, B.N. ms. Coislin 239, fol. 18).
Die frühesten abendländischen Darstellungen – ebenfalls Textillustrationen – entstanden im Raum Nordostfrankreich-Südostengland. Die Gestaltung der wie in Byzanz stets von Moses oder Erretteten begleiteten E. ist auch hier sehr verschiedenartig.
Für die E. im Geäst eines Baumes zum Physiologustext der Brüsseler Psychomachie (Bibl. royale ms. 10 066–77, fol. 143: Rich. Stettiner, Die ill. Prudentiushss., Bln. 1895, Taf. 177, 5) mag die Paradiesesschlange als Vorbild gedient haben, ebenso wie bei anderen frühen Darstellungen der E. in Verbindung mit einem Baum (vgl. die spanische Hs. in Amiens s. o.). Die um eine vertikale Stütze gewundene E. (Aelfrik-Heptateuch; Lektionar in Reims, ms. 294, fol. 144 v, Ende 11. Jh.) geht offensichtlich auf spätantike Vorbilder zurück. In der Reimser Hs. ist die E. bereits mit dem später für die E.-Darstellungen in den linksrheinischen Gebieten bezeichnenden Raubtierkopf wiedergegeben. Das hier ebenfalls charakteristische freie Sitzen der E. auf einem Träger ist erstmalig nachweisbar in der Goderanusbibel von 1084 (Tournai, Priesterseminar, ms. 1, fol. 59): die geflügelte E. sitzt aufgerichtet, den Aufblickenden aktiv zugewendet, auf der Initiale L(ocutus est) zu 4. Mos.
V. Darstellungen vom 12. Jh. Bis zum Ausgang des MA
Erst die hervorragende Stellung der E. im typologischen System (s. o. III) bewirkte seit dem Hoch-MA die häufige Wiedergabe der E.-Errichtung, nun auch innerhalb von Moseszyklen (vgl. die auf Joh. 3, 14 hinweisenden Beischriften auch bei Illustrationen des A.T.!).
Obwohl durch Joh. 3, 14 nahegelegt, fehlt die E. unter den frühchristlichen Symbolen Christi. Die erste Nachricht über typologische Verwendung der E. durch die bildende Kunst gibt Beda Venerabilis († 735): Abt Benedict Biscop habe Bilder, die er für sein Kloster Yarrow aus Rom mitbrachte, so angeordnet, daß der „von Moses in der Wüste erhöhten E.“ der am Kreuz erhöhte Menschensohn entsprochen habe (Migne, P. L. 94, 120). Früh-ma. Erwähnungen der E. im Zusammenhang mit Kreuzesdarstellungen (etwa Alkuin, Carmina: Schlosser, Schriftquellen Nr. 992; Tituli der von E. B. Aribo geplanten, doch unausgeführt gebliebenen Fresken des Mainzer Domes: Lehmann-Brockhaus, Schriftquellen Nr. 2573) sind bei der Verbreitung des Vergleichs in der theologischen Literatur nicht unbedingt auf E.-Darstellungen zu deuten, sondern eher als gelehrte Umschreibungen der Heilkraft des Kreuzes zu bewerten (vgl. die Anrede des Gekreuzigten als „anguis“ in der Kreuzigungsminiatur fol. 150 im Hortus deliciarum). Vor dem 12. Jh. haben sich keine tyopologischen E.-Bilder erhalten.
Die erste größere Gruppe formal zusammengehöriger E. - Darstellungen des Abendlandes findet sich im Maasgebiet, in typologischen Programmen auf Grubenschmelzarbeiten des 2.–4. V. 12. Jh. Die E. erscheint hier meist neben „formalen“ Kreuzestypen (Aaron und Ezechiel als Tau-Schreiber, Witwe von Sarepta, Jakobssegen, Kundschafter), seltener neben Prototypen des Kreuzopfers (Abraham, Abel, Melchisedek), und ist meist als einmal gerollte, raubtierköpfige Schlange auf einer Säule dargestellt. Die Säule als Träger der E. ist ein vom 12. bis zum 15. Jh. für den gesamten Westen verbindliches Motiv gewesen (Abb. 3).
Als Beispiele sind zu nennen: zahlreiche Kreuzreliquiare, Tragaltäre, Triptychen und Teile von solchen (Falke-Frauberger Abb. 22 u. Taf. 75, 78f. u. 161; J. de Borchgrave d’Altena, Revue belge d’arch. et d’hist. de l’art 5, 1933, Abb. 6 u. 7; RDK I 85/86, Abb. 3). Von der Goldschmiedekunst beeinflußte E.-Darstellungen finden sich in der Buchmalerei (z. B. Evangeliar der U.B. Lüttich, ms. lat. 363 B, fol. 86: Max Rooses, Gesch. d. K. in Flandern, Stg. 1914, Abb. 24) und Glasmalerei (Fenster in Châlons-s.-Marne: Louis Grodecki in Art mosan, Paris 1953, 161–70). Als Vorbild für den Maastypus kann mit großer Wahrscheinlichkeit die monumentale Bronzeschlange auf einer Porphyrsäule im Langhaus von S. Ambrogio in Mailand angesehen werden. Nach dem Bericht eines Mailänder Chronisten vom Ende 11. Jh. wurde sie E.B. Arnulf von Mailand, dem Gesandten Ottos III., in Byzanz als die originale E. geschenkt und seitdem in Mailand hoch verehrt (Cabrol-Leclercq I, 1, 1453, Abb. 322; Al. Visconti, Storia di Milano, Mailand 19522, S. 154ff.). Der Zeitpunkt, zu dem sie ihre heutige Aufstellung erhielt, ist unbekannt; wenn er unmittelbar nach Erbauung des Langhauses liegt, dann kurz vor dem ersten Vorkommen der E. auf der Säule im Maasgebiet, um 1140. Da im Christentum die E. nur im Hinblick auf ihren Antitypus verehrt werden kann, wurde der E. in Mailand auf entsprechender Säule ein (heute erneuertes) Kreuz gegenübergestellt (beide gemeinsam zur Charakterisierung von S. Ambrogio auf der Krönungsminiatur des Galeazzo Visconti-Missale in S. Ambrogio dargestellt, Ende 14. Jh.: Paolo d’Ancona, La miniature italienne etc., Paris u. Brüssel 1925, Taf. 22). Die nicht als christliches Kultbild geschaffene Mailänder E. stammt wohl aus einem antiken Heiligtum (Äskulaptempel? Vgl. auch die E. in Form eines antiken Kultbildes im Pariser cod. syr. 341, s. o.).
Bereits M. 12. Jh. gab es in den linksrheinischen Gebieten eine charakteristische Variante des Maastypus: den Drachen auf der Säule. Hauptsächlich in – meist typologischen – Fenster- und Portalprogrammen der Kathedralen bezeugt („Kathedraltypus“), erscheint er zuerst im Mosesfenster in St. Denis, um 1144, voll ausgebildet (Mâle I, Abb. 124). Die Drachengestalt, die dem Sinngehalt der E. zu widersprechen scheint, wird durch das zwischen den Flügeln des Tieres aufsteigende Kruzifix gerechtfertigt: durch dieses wird die E. zum Träger des N.T. und damit zur Verkörperung des A.T. (vgl. die E. als Symbol des A.T., das wie Priester und Levit nicht helfen kann: Samariterfenster der Kathedrale in Sens, Mâle II, Abb. 102). Nachdem formal die Drachengestalt durch die frei auf der Säule sitzende, raubtierköpfige Schlange vorgebildet war, bedurfte es im Westen nur dieser Gleichsetzung, um auch die E. in den im 12. u. 13. Jh. allenthalben stattfindenden Umwandlungsprozeß von der Schlange zum Drachen einzubeziehen. Durch Sugers Titulus zu dem Glasfenster („sicut serpentes serpens necat aeneus omnes, sic exaltatus hostes necat in cruce Christus“: Migne, P. L. 186, 1237) wird auch inhaltlich der von vornherein in der Bildform der linksrheinischen Gebiete angelegte aktive Charakter der E. als Töterin der Schlangen und somit als vernichtendes, furchterweckendes Wesen ausgedrückt.
Der Drache auf der Säule – von nun an stets ohne das ihn rechtfertigende Kruzifix – begegnet im 13. u. 14. Jh. in fast sämtlichen E.-Darstellungen Frankreichs in zahlreichen, örtlich und zeitlich differenzierten Ausprägungen vom urtümlichen Fabelungeheuer bis zum zierlichen, vogelähnlichen Wesen, das seinen langen Schwanz um die (oft stabdünne) Säule windet. Im Gegensatz zur E. sind die in den Schriftquellen den Drachen häufig gleichgesetzten „feurigen Schlangen“ nur in Ausnahmefällen als geflügelte Drachen wiedergegeben (außer dem Glasfenster in St. Denis vgl. den Psalter des hl. Ludwig, Paris, B.N. ms. lat. 10 525, fol. 37 v).
Die Errichtung der E. in Gestalt eines Drachens erscheint als Antitypus z. B. in Glasgem. der Kathedralen von Lyon, Bourges, Chartres, Rouen, Le Mans, Tours und unter den Reliefs der Portalinnenwand in Reims (Abb. 4), ferner in der Buchmalerei, vor allem im Missale (T-Initial am Kanonbeginn), seltener – neben anderen Antitypen zum Gekreuzigten – auf dem Kanonbild (etwa Paris, B.N. ms. lat. 16 824, fol. 158 v). In Bibelzyklen ist die Szene in Glasfenstern von Paris, Ste. Chapelle, und Clermont-Ferrand wiedergegeben, in der Buchmalerei außer in Bibeln (wie Den Haag, Kgl. Bibl. ms. AA 261, fol. 6 v II, Abb. 2) auch in mehreren Psaltern (Frankfurt a. M., K.G.M. ms. L.M. 20, fol. 33). Die E. als Drache auf der Säule hält Moses an den Portalen von Senlis, Chartres Nord, Reims, Mont-devant-Sassey, Maastricht.
In England ist die E.-Errichtung ebenfalls seit der 2. H. 12. Jh. anzutreffen, im a.t. Verband vor allem in Psaltern (Paris, B.N. ms. lat. 8846, fol. 2; München, St.B. Clm. 835, fol. 20) und in typologischen Bilderzyklen (Cornell S. 131). Die meist drachenförmige E. auf der Säule zeigt deutlich ihre ikonographische Herkunft aus Frankreich und damit den Bruch mit der möglicherweise noch antiken Tradition des Aelfrik-Heptateuchs. Die mehreren Darstellungen beigefügten Tituli stimmen weitgehend mit dem in St. Denis überein (vgl. Malmesbury, Ziborium: Hanns Swarzenski, Monuments of Romanesque Art, London 1954, Abb. 453).
Den Drachen auf der Säule und damit den ikonographischen Einfluß Frankreichs zeigen einige E.-Darstellungen des 13. u. 14. Jh. in Italien (Padua, Arenakapelle) und Spanien (Portalplastik in Burgo de Osma und Leon). Von Maas- und Kathedraltyp unabhängige ma. Beispiele wie etwa die E. im Mosesfenster der Kath. von Poitiers, um 1200, sind westlich des Rheins Ausnahmen.
Grundsätzlich vom linksrheinischen Darstellungstypus der E. zu unterscheiden ist der rechtsrheinische, der in der 2. H. 12. Jh. in Buchmalerei und Goldschmiedekunst ausgeformt und im 13. und 14. Jh. in allen Kunstgattungen benutzt wurde. Auch beim deutschen Bildtypus tritt die Bedeutung der E. als a.t. Ereignis weit hinter der als Typus des Gekreuzigten zurück; nach anfänglicher Zusammenstellung mit verschiedenen Antitypen (Laudes s. Crucis in München, St. B. Clm. 14 159, fol. 3; Wiltener Kelch in Wien; Patene in Tremessen) wurde seit dem 13. Jh. das Typenpaar Abrahams Opfer und E.-Errichtung links und rechts vom Kruzifix anderen Kreuzestypen vorgezogen. Die größte Verbreitung fand diese Bildfolge, die bereits um 1155 auf einem Glasfenster in Châlons-s.-Marne wiedergegeben ist, durch die Armenbibeln (s. o. III).
Bei den rechts des Rheins entstandenen Beispielen ist die E., gegensätzlich zur aktiv an der Szene beteiligten, auf steinernem Postament hockenden Drachenschlange des Westens, eine oft unscheinbare, passive, stets an einem hölzernen Träger aufgehängte Schlange. Diesen formalen Unterschied drücken inhaltlich die mehreren Darstellungen beigefügten Tituli aus, in denen die E. als „remedium“ für die (hier viel häufiger als im Westen abgebildeten) Verwundeten gepriesen wird (Laudes s. Crucis in München; Buchdeckel in Chantilly, Mus. Condé, cod. Res. 1447), nicht als Vernichterin der Schlangen wie in Sugers Titulus (vgl. auch die E. mit Heiligenschein, entsprechend der beliebten literarischen Gleichsetzung von E. und Christus: Bremen, Chorstuhlwange, RDK III 246, Abb. 6).
Aus der Vielzahl der Beispiele in allen Kunstgattungen seien genannt: die Glasgemälde aus St. Veit in Mönchen-Gladbach, dem Kölner Dom, der Stiftskirche und der Dominikanerinnenkirche in Wimpfen, Kloster Stetten, der Pfarr-, der Frauen- und der Franziskanerkirche zu Eßlingen, aus St. Martin in Kolmar, dem Wiener Stephansdom, Kloster Arnstein (Abb. 7), usw.; die Wandgemälde im Allerheiligenkloster Schaffhausen, in St. Maria zur Höhe in Soest (RDK III 1153/54, Abb. 4) und im Gurker Dom; das Tafelgemälde auf dem Außenflügel der Lüneburger Goldenen Tafel, Hannover, Landesgal., um 1420 (Abb. 8); die Architekturplastik der Dome zu Worms und Straßburg sowie der Kirchen in Freiburg i. Br., Freiberg und Wechselburg (s.o.); die Schnitzaltäre und Chorgestühle in Doberan, Cismar, Bremen, Lübeck, Konstanz und Wien; die Textilien in St. Paul im Lavanttal, in Halberstadt, Braunschweig, Burtscheid und den Klöstern Ebstorf und Drübeck; unter den Beispielen aus der Goldschmiedekunst ist vor allem eine Reihe von Abendmahlskelchen hervorzuheben: aus Kloster Wilten (jetzt in Wien), in St. Godehard und St. Moritz in Hildesheim, im Schlesischen Mus. Breslau, in Rathenow und Werben. In der Buchmalerei ist die Szene verstreuter als im Westen; außer in biblischen Bilderzyklen und typologischen Bilderhss. tritt die E. mehrmals in Missalen auf, anfänglich jedoch nur auf dem Kanonbild, erst seit dem 15. Jh. auch am Kanonbeginn.
Die große Variationsbreite der frühen deutschen E.-Ikonographie macht es wahrscheinlich, daß man in der 2. H. 12. Jh. an verschiedenen Orten unabhängig voneinander zur Verbildlichung des trotz seiner Verbreitung in Schrift und Predigt bis dahin nicht gestalteten Stoffes kam. Wie im Westen wurden dabei die Grundlagen für die ma. E.-Darstellungen geschaffen.
Die Frühstufe des deutschen Typus bilden die Denkmäler, die die E. noch nicht an einem eigens für sie errichteten Träger aufgehängt, sondern im Gegensatz zum Westen oft an untergeordneter Stelle zeigen: so – zuweilen mit einem Band unterhalb des Kopfes befestigt – an vegetabilen, mit einem Initial verbundenen bzw. zum Hintergrund gehörigen Ornamenten (Gumpertsbibel der U.B. Erlangen: Swarzenski, Salzburg Taf. 35; Flavius Josephus-Hs. in Stuttgart: A. Boeckler, Abendländische Miniaturen, Bln. u. Lpz. 1930, Abb. 74; Buchdeckel in Chantilly) oder an einer Pflanzenranke am Fuß des Kruzifixes (Lombarduskommentar in Davenham, Dyson Perrins Libr.; Abb. 1) u. a.
Die Künstler des 13. Jh. übernahmen diese Darstellungsformen nicht. Wie im Westen die Einführung der Säule als wesentlicher Bestandteil des E.-Bildes einen Fortschritt in der Ikonographie bedeutete, so rechts des Rheins die Verbindung der E. mit einem bestimmten, eigens zu ihrer Erhöhung vorgesehenen Träger. Die verschiedenen Formen des Holzes, die man dafür wählte, sind ebenfalls als absichtliches Vermeiden der von den Schriftquellen nahegelegten Kreuzform zu interpretieren.
Die über ein aus zwei Vertikal- und einem Horizontalbalken gebildetes Gestell – in Analogie zu zahlreichen ma. Galgendarstellungen als Galgen oder Marterholz zu deuten – gehängte E. findet sich bereits um 1200 auf dem Fuß des Kremsmünsterer Flabellums, um 1220 auf einem Relief der Gurker Domtüre (Karl Ginhart, Die bild. K. in Österreich Bd. 2, Wien 1937, Abb. 92). In der Buchmalerei scheint sich der Typus ausschließlich auf Weltchroniken (Abb. 6), zumal auf die als „südwestdeutsch“ bezeichnete Gruppe (Heinr. Jerchel, Zs. d. Dt. Ver. f. Kw. 2, 1935, 308ff.), zu beschränken, unter deren Einfluß er noch A. 15. Jh. in einer Historienbibel des Hzg. von Berry-Kreises (Paris, B.N. ms. fr. 159, fol. 70) vorkommt. Daß gerade der Text des Rudolf von Ems, der, auf den Bezug zum Kreuz anspielend, von einem für die E. errichteten „zwivaltis holz“ spricht, mit der E. am Galgen illustriert wurde, zeigt die Unabhängigkeit des verwendeten Bildtypus vom jeweiligen Text.
Zu den häufigsten deutschen Trägertypen gehört das Gabelholz, das schon in der 2. H. 12. Jh., vorwiegend in Süddeutschland, zur Erhöhung der E. wiedergegeben wurde (Laudes s. Crucis, Wiltener Kelch, Patene in Tremessen, Öttinger Tragaltar in Augsburg). Abwandlungen dieses Typus, der auch bei den wenigen deutschen ma. Beispielen für die Verwendung der E. als Attribut Moses’ begegnet (Archivoltenplastik des Freiburger Münsters), sind noch im ausgehenden MA (Hieronymus Bosch, Abb. 9) sowie im 16. u. 17. Jh. nachzuweisen, vor allem in den Niederlanden (RDK I 318, Abb. 28). In zahlreichen sich ikonographisch nahestehenden Beispielen des 14. Jh., vor allem Armenbibeln und deren Verwandten, treten Gabelholz und T-Holz (s. u.) gleichwertig nebeneinander auf. – Vielleicht liegt den Darstellungen der E. auf dem Gabelholz ein gemeinsamer Archetypus (byzantinischer Herkunft?) zugrunde [1].
Ebenso früh wie das Gabelholz ist das T-Holz als Träger der E. nachzuweisen (Abb. 5, 7 u. 8). Es scheint von Niederdeutschland, wo es bereits 2. H. 12. Jh. auf einem Leuchterfuß dargestellt wurde (nur noch in Nachzchg. erhalten: Guido Schönberger, Städel-Jb. 9, 1935/36, Abb. 196), aus verbreitet worden zu sein. Der Pfahl mit dem meist sehr kurzen, oft wie eine Krücke aufgebogenen Querbalken (RDK III 674, Abb. 2), der als Auflager für die E. dient, läßt sich im MA nur ausnahmsweise (Bronzetüre von S. Zeno, Verona) als Anspielung auf das Kreuz Christi deuten; bis zum 15. Jh. selten anzutreffen, verdrängte später dieser aus Kenntnis der Schriftquellen entwickelte Typus alle anderen Bildformen rechts und links des Rheins.
Gleichzeitig erscheint nun auch das lateinische Kreuz als Träger der E. (ausnahmsweise schon auf den stark restaurierten Gewölbefresken der Kirche in Meldorf in Schleswig, 13. Jh.), das jedoch erst im Barock größere Verbreitung fand.
Abzusetzen von der eigentlichen deutschen Ikonographie der E. im MA sind einige in Westdeutschland unter dem Einfluß des Maastypus entstandene Beispiele: z. B. die beiden der Eilbertuswerkstatt in Köln zugeschriebenen Tragaltäre in Mönchen-Gladbach und im Louvre (entgegen Falke-Frauberger, S. 23 Taf. 23, daher nach M. 12. Jh. zu datieren) und die Abendmahlskelche in Marienstern bei Kamenz, Sachsen, in St. Godehard in Hildesheim sowie im Schlesischen Mus. in Breslau, sämtlich 13. Jh.
VI. Prot. Kunst
Die Reformation bedeutete keinen Bruch in der Überlieferung der E.-Darstellungen. Zwischen den für ev. und kath. Kirchen in Auftrag gegebenen E.-Bildern bestehen formal keine grundsätzlichen Unterschiede, sondern allein die auch sonst zwischen Werken aus verschiedenen Kunstkreisen üblichen typenmäßigen Variationen. Neu waren lediglich einige Anlässe zur Gestaltung des E.-Bildes bzw. die Häufigkeit ihrer Verwendung zu bestimmten Gelegenheiten, worin ein Hinweis auf Modifikationen der Interpretation zu sehen ist.
Vornehmlich drei verschiedene Deutungen haben Einfluß auf die Darstellungen der E.-Errichtung gewonnen: 1. die E. als Antitypus des Gekreuzigten; 2. die Errichtung der E. als repräsentatives Ereignis des A.T.; 3. Errichtung (und auch Zerstörung) der E. als „Historienbild“. Keiner dieser Gesichtspunkte war im 16. Jh. völlig neu, ohne Vorgang hingegen die relativ selbständige Entwicklung eines jeden; diese führte zu einer neuen Form der Quellenauswertung, und die dem MA geläufigen Begründungen der einzelnen Anschauungen wurden teilweise durch andere ersetzt. So kam es, daß sich aufs Ganze gesehen scheinbar nichts änderte und doch die überkommenen Vorstellungen inhaltlich nuanciert wurden.
1. Innerhalb der Typologie konnte dank der Konzentration der Reformation auf die theologia crucis das alte a.t. Vorbild des Gekreuzigten übernommen werden. Gegenüber der herkömmlichen theologisch-lehrhaften Typologie ist jedoch die neue Betonung des Nikodemusgesprächs Joh. 3, 14 als Quelle hervorzuheben. Den sich darin aussprechenden unmittelbaren Bezug auf das Bibelwort bestätigten zahllose Beischriften auf E.-Bildern, gleichgültig ob sie an repräsentativen Stellen oder in kleinsten Dorfkirchen (vgl. etwa die Darstellung auf dem Kanzelkorb in Altmörbitz bei Geithain, Sachsen, 17. Jh.) anzutreffen sind. Durch die besondere Anordnung der E.-Bilder wurde es möglich, dem typologischen Bezug E.-Errichtung – Christus am Kreuz weitere inhaltliche Relationen abzugewinnen. Weil der Gekreuzigte sein Erlösungsversprechen mit seinem Gnadentod besiegelt und weil Gott die von den Schlangen heimgesuchten Juden dem Tod entrissen hat, so darf auch der einzelne Gläubige auf einen „gnädigen Gott“ hoffen. In diesem Sinne sind z. B. auf dem Rosig-Epitaph in der Stadtkirche Pirna die Bilder der E.-Errichtung und der Rettung des Jonas dem Bilde Christi in der Brunnenschale zugeordnet, dessen aus der Seitenwunde strömendes Blut den Herandrängenden zum Heile gereicht wird (Abb. 11). Durch Einbeziehung des Einzelnen ist die lehrhafte Ausschließlichkeit des typologischen Bezugs abgeschwächt worden. Dem entspricht es, daß diese ev. Prägung der Typologie weniger häufig in wissenschaftlichen Untersuchungen als vielmehr in für den einzelnen Gläubigen bestimmten Erbauungsbüchern (vgl. z. B. Christian Weise, Tugend-Lieder, Zittau 1719) vorkommt und daß in diesen die E. unter den „betrachtenden Beichtgedanken“ zu Joh. 3 (ebd.) behandelt wird. Daneben geht jedoch während der ganzen Barockzeit auch die Erörterung über ein „Neues System aller Vorbilder Jesu im A.T.“ (Phil. Fr. Hiller, Stg. 1756) – z.T. durch die Auseinandersetzung mit der kath. Theologie, im 18. Jh. auch mit den Rationalisten angeregt – weiter.
2. Der Betonung der jeweils bis in die Gegenwart fortgeführten Heilsgeschichte entspricht die zwar ebenfalls aus dem MA überkommene, doch in ihrem Umfang neue Darstellung der E.-Errichtung als Symbol des A.T. Sie findet sich auf zahllosen Rechtfertigungsallegorien der Cranach-Werkstatt, in der dieser prot. Bildtypus wohl geprägt wurde (vgl. etwa Heinr. Lilienfein, L. C. u. seine Zeit, Bielefeld u. Lpz. 1942, Abb. 137), auf Flugblättern gleichen oder ähnlichen Inhalts sowie auf den verschiedenen Bildkonzeptionen zum Thema Sündenfall und Erlösung. In der Regel ist die Szene kleinfigurig im Bildhintergrund dargestellt worden; eine bestimmte Konvention darüber, ob sie links oder rechts von dem meist die Mitte einnehmenden Gekreuzigten zu schildern sei, ist nicht zu beobachten.
Die beiden genannten Deutungen der E.-Errichtung wirkten sich mit unterschiedlicher Betonung bei Darstellungen der E. auf Kanzeln, Altarretabeln und, mit letzteren im Aufbau verwandt, Epitaphen aus. Während E.-Bilder an Kanzeln (wie sonst Moses mit den Gesetzestafeln) als Symbol des A.T. bzw. der von der Gnadenpredigt überhöhten Epoche „sub lege“ gelten (Abb. 10), weisen sie auf Altarretabeln zumeist auf das Vorbild von Christi Erlösungstod hin. Auf Kanzeln ist das Thema zwar bereits im 2. V. 13. Jh. bezeugt (Wechselburg, s. o.), doch wurde es in der prot. Kunst in demselben Maße häufiger als in der kath. gestaltet, wie hier diesem Ausstattungsstück innerhalb des Gottesdienstes eine größere Bedeutung zukommt; ebenfalls eine mittelbare Folge der ev. Vorliebe für die Ikonographie des Gekreuzigten bzw. Christi Erlösungswerk ist die zahlreichere Verwendung des E.-Bildes im Altarverband u. dgl., aber auch in der Wand- und Deckenmalerei.
3. In besonderer Weise haben die Auffassungen der Reformatoren zur Verbreitung des E.-Bildes im Sinne eines „Historienbildes“ beigetragen. Luther selbst betonte: „die ... Bilder, da man allein sich drinnen ersihet vergangene Geschicht und Sachen als in einem Spiegel, die verwerffen wir nicht“ (Werke WA 10, 2, S. 458). Die Folge war regelmäßiges Abbilden der E.-Errichtung in den illustrierten Chroniken, in den Bilderzyklen zum A.T. und den Historienbibeln, in der Bibelillustration, in Moseszyklen, doch auch – gemäß dem Lutherwort, daß man die biblische Geschichte an die Häuser malen solle – in der Fassadenmalerei und der Bauplastik.
Mit der Betonung des historischen Gehaltes trat die Bedeutung der E. als Heilszeichen immer mehr zurück, zugleich wurden die Darstellungen erzählfreudiger: nur noch selten fehlt bei den Darstellungen die Angabe der Topographie, fast immer spielt die Szene in der Nähe des Zeltplatzes der Juden. Den Einfall der Schlangen und den Kampf der von ihnen gepeinigten Israeliten mit den Tieren schildern die Bilder in großer Breite. Der Hinweis auf die heilsgeschichtliche Bedeutung lebt fast nur noch in der Form des Trägers, auf dem die Schlange aufgehängt ist, fort: die deutschen Beispiele benutzten auch weiterhin mit Vorliebe das T-förmige Holz (Abb. 10), daneben aber auch häufiger das lateinische Kreuz (Abb. 11 u. 12) und – als Übernahme aus dem Bilderkreis von Sündenfall und Erlösung – bisweilen einen Laubbaum, dessen eine Seite kahl ist, während die andere reiches Blattwerk besitzt.
Das Interesse an der reinen Geschichtsdarstellung ließ wiederholt auch das seltene Thema der Zerstörung der E. zur Darstellung gelangen. Ausschlaggebend für seine Gestaltung war stets die Ausführlichkeit des A.T.-Zyklus. In den großen Historienbibeln des ausgehenden 17. und der 1. H. 18. Jh. – z. B. Christoph Weigels Biblia Ectypa, Augsburg 1695, Abb. 12; Joh. Ulr. Kraus’ Historischer Bilder Bibel, Augsburg 1705; aber auch schon in der Merian-Bibel von 1625–27, deren Kupfer für viele Neuauflagen wieder verwendet wurden – sind Schilderungen der Zerstörung der E. nicht selten anzutreffen.
Gleichzeitig mit Zunahme der Ausführlichkeit in der Schilderung der E.-Errichtung erfolgte auch eine äußerste Verdichtung in der Darstellung des Themas: das Monument der E. wurde aus dem szenischen Zusammenhang gelöst und selbständig dargestellt. In dieser zeichenhaften Bedeutung begegnet die erhöhte E. zuerst im Zeitalter der Reformation, bezeichnenderweise jedoch zunächst nicht im Bereich der kirchlichen Kunst, sondern als Wappenbild und Buchdruckermarke. Das Wappen Melanchthons weist die E. auf (Randleiste auf dem Croy-Teppich, ehem. Univ. Greifswald, 1554), vielleicht davon beeinflußt das der 1554 neugegründeten prot. Klosterschule Roßleben a. d. Unstrut sowie das Druckerzeichen des Melchior Lotter (zuerst 1520; Abb. 13). In der kirchl. Kunst wurde das Bildzeichen der E. meist nur im Zusammenhang mit einer Inschrift verwendet (diese in der Regel nach Joh. 3, 14), ausnahmsweise auch – allerdings im kath. Süden – von einem Engel gehalten (Wien, Karlskirche, Statuen auf den Treppenwangen, nach 1721 von Franz Caspar).
Eine Sonderstellung nimmt die Darstellung der E. im Tempelinneren, wie sie Rembrandt auf dem Gemälde „Hanna unterweist den jungen Samuel“ 1648 (London, Bridgewater Gall.: Kl. d. K. 23, S. 291) gab, ein. Hier ist das E.-Zeichen noch einmal in ein echtes Symbol verwandelt worden.
Im Gefolge der Textkritik der liberalen prot. Theologie, die in 4. Mos. 21 eine spätere Einschiebung – dazu bestimmt, den Kult eines kanaitischen Erzbildes zu rechtfertigen – sah, wurde die E.-Errichtung zunächst in der prot. Kunst nicht mehr dargestellt. Erst in jüngster Zeit kam es zu einer Wiederbelebung des Themas, die insbesondere das Signum der erhöhten E. berücksichtigte (Rud. Koch).
VII. E.-Darstellungen des Barock in der kath. Kunst
E.-Darstellungen, die für kath. Kirchen geschaffen wurden, reichen zahlenmäßig nicht entfernt an die der Protestanten heran. Sie entstanden weiterhin auf Grund der vom MA überkommenen typologischen Sinngebung, gleichgültig ob es sich um das Fresko Michelangelos in der Sixtina (E., Davids Sieg über Goliath, Judith und Esther = Errettung Israels) oder das Mich. Pachers im Brixener Kapitelsaal (Eberh. Hempel, M. P., Wien 1931, Taf. 89), um Wolf Hubers Kreuzesallegorie, für den B. von Passau 1540 geschaffen (E. in Verbindung mit der Kreuzpredigt des hl. Petrus, vgl. Martin Weinberger, W. H., Lpz. 1930, 122), oder später um die Gemälde van Dycks (um 1620; Madrid, Prado: Kl. d. K. 132, S. 73; die E. um einen Baum gewunden) und Rubens’ (um 1630; London, Nat. Gall.: Oldenbourg S. 315) handelt. Formal zeigen sie ebenfalls eine Dramatisierung des Geschehens, bewahren jedoch durch die Unterordnung des geschichtlichen unter den heilsgeschichtlichen Zusammenhang, der vor allem in der bestimmten Einordnung der Darstellung in das jeweilige Gesamtprogramm einer Kirche zum Ausdruck kommt (vgl. etwa das von Jesuiten bestimmte Programm der von Ch. Hutin 1753 ausgemalten Kreuzkapelle der kath. Hofkirche in Dresden), stärker die älteren Auffassungen der E.
Zu den Abbildungen
1. Davenham (Malvern, England), Dyson Perrins Libr. ms. 117, fol. 119 v. Lombarduskommentar. Niederdeutsch, 1166. Nach The New Palaeographical Soc. I, 2, 1903–12, Taf. 188.
2. Den Haag, Kgl. Bibl. ms. 76 F 5, fol. 6 v, Ausschnitt. Bibel aus St. Bertin, Ende 12. Jh. Fot. Bibl.
3. London, B.M., Altarkreuz, Detail. Grubenschmelz. Maasgebiet, um M. 12. Jh. (Godefroid de Claire?). Fot. Mus.
4. Reims, Kathedrale, Moses vom Innern der Westwand (Mittelportal, 7. Archivoltenzone des linken Gewändes). Um 1270–80. Fot. Marburg 175 112.
5. Köln, St. Maria Lyskirchen, Gewölbefresko im Westjoch. 2. V. 13. Jh. Fot. Marburg 76 490.
6. München, St.B. Cgm. 6406, fol. 82. Weltchronik des Rudolf von Ems. 8,5 × 16,8 cm. Südwestdeutsch, um 1260–70. Fot. Verf.
7. Frankfurt a. M., Städel, Glasgemälde (wahrscheinl. aus Kloster Arnstein). Um 1350–60. Fot. Marburg 85 676.
8. Hannover, Landesgal., linker Außenflügel vom ehem. Hochaltar der Michaelskirche in Lüneburg (sog. Goldene Tafel), Ausschnitt von der Außenseite. Um 1420 vom Meister der Goldenen Tafel. Fot. Mus.
9. Alart Du Hameel (um 1449 – um 1509), Kupferstich nach Hieronymus Bosch. 26,5 × 18,9 cm (unten leicht beschnitten). Nach Max Lehrs, Gesch. u. krit. Kat. Bd. 7 (1930), Nr. 788.
10. Taubenheim Krs. Meißen, Pfarrkirche, Kanzelfuß. 1598. Fot. Staatl. Fotothek Dresden.
11. Pirna, Stadtkirche, Detail vom Epitaph Rosig. Um 1612 von Hans Schwenke (?). Fot. Staatl. Fotothek Dresden.
12. Christoph Weigel, Kupferstich aus der Biblia Ectypa, Augsburg 1695. 12,2 × 7,8 cm. Fot. K. A. Wirth, München.
13. Buchdruckermarke des Melchior Lotter, aus dem Alten Testament, Wittenberg 1523. Nach Alb. Schramm, Luther u. d. Bibel 1, Lpz. 1932, Taf. 28.
Literatur
1. Ursula Diehl, Die Darstellung der Ehernen Schlange von ihren Anfängen bis zum Ende des MA, Diss. München 1956 (masch.): Digitalisat. – 2. Künstle I, S. 288f. – 3. Molsdorf Nr. 400, 421, 471, 1031.
Verweise
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