Eckstein
englisch: Corner stone; französisch: Pierre angulaire; italienisch: Pietra angolare.
Joseph J. M. Timmers (1956)
RDK IV, 708–712
I. Begriff
a) allgemein
Der E. (lapis angularis, in der Liturgie lapis primarius) ist zunächst, wie das Wort andeutet, ein in der Ecke eines gemauerten Bauwerks liegender Mauerstein, der dadurch mehr auffällt und auch stärker sein muß als die anderen Steine, weil er dem Druck und Beschädigungen mehr ausgesetzt ist.
b) in der Bibel
In der Bibel kommt der E. öfters vor: Ps. 117 (118), 22: „Lapidem quem reprobaverunt aedificantes, hic factus est in caput anguli“: der Stein, den die Bauherren verworfen haben, ist zum E. geworden; Jes. 28, 16: „Ecce, ego mittam in fundamentis Sion lapidem, lapidem probatum, angularem, pretiosum“: siehe, ich lege in Sion einen Stein, einen bewährten Eckstein, einen wertvollen. In Mt. 21, 42 wendet Christus das Psalmwort auf sich selbst an und gibt damit die Grundlage für die weitere symbolische Entwicklung des Begriffs. Hierauf wird weiter gebaut in Eph. 2, 20, während in christologischem Sinne 1. Petr. 2, 6 auf den Text von Jesaja zurückgreift. Man sieht in Christus demnach nicht nur den E., sondern auch den Grundstein (Jes. 28, 16; Eph. 2, 20; 1. Petr. 2, 6).
c) in der Liturgie
In der Liturgie ist der E. der lapis primarius, der erste und wichtigste Stein des Kirchengebäudes, der Grundstein. Er muß dem Pontificale nach quadratus et angularis sein, ein viereckiger Block also, mit Seiten von einem Fuß Länge. Vom Bischof mit einem Kreuz geweiht (Abb. 1), ruht auf ihm im gewissen Sinne das ganze Gebäude. Er ist das Bild Christi selbst, denn „niemand kann ein anderes Fundament legen außer dem, das gelegt ist, und das da ist Christus Jesus“ (1. Kor. 3, 11).
Zuweilen wurde die Bedeutung (nicht die liturgische Weihung) des Ecksteins übertragen auf den Schlußstein des Gewölbes und auf Utensilien des Kirchengebäudes: Taufstein, Altar usw.
II. Symbolik
Die Symbolik des E. geht in erster Linie aus von den oben angeführten Texten Ps. 117, 22 und Mt. 21, 42. In einem „Hymnus in dedicatione ecclesiae“ (Urbs beata Jerusalem, dicta pacis visio), der wahrscheinlich schon im 7. Jh. entstand, heißt es: „Angularis fundamentum lapis Christus missus est, qui compage parietum in utroque nectitur“, aber schon im 4. Jh. hat Hilarius von Poitiers († 368) in seinem „Hymnus antelucanus de Christo“ Christus als angularis tu lapis angebetet.
Im Heilsspiegel wird der E. zum Typus der Auferstehung Christi. E. Breitenbach (Speculum humanae salvationis [= Stud. z. dt. Kg. 272], Straßburg 1930, S. 236) zählt die verschiedenen Darstellungsformen auf, die in Heilsspiegel-Hss. anzutreffen sind: in den älteren Hss. halten zwei Bauleute den E., später wurde aus der Szene häufig die Schilderung eines Bauplatzes; ferner begegnen der E. zwischen zwei aneinanderstoßenden Mauern und einige vereinzelt gebliebene Sonderfälle (Ebd. S. 236 Anm. 1).
In Frühdrucken erscheint der E. als Schlußstein eines Rippengewölbes, der von einem Mann und einer Frau eingesetzt wird (Abb. 2): wie der Schlußstein das ganze Kirchengebäude bekrönt und vollendet, so vollendet die Auferstehung Christi seine Lehre, seine Sendung und seine Kirche.
Aus dem gleichen Grund ist auch oft der Schlußstein (= E.) des Gewölbes mit der Figur Christi, seinem Antlitz (Abb. 3) oder mit einem seiner Symbole geschmückt: dem Lamm Gottes, dem Pelikan usw. Die Figur Christi ist auch mehrfach thronend auf dem Regenbogen dargestellt, mit dem Schwert und der Lilie, die aus seinem Munde hervorgehen. Man sah also im Schlußstein Christus auch als den Richter des Jüngsten Gerichts. Dies zeigt u. a. das Gewölbefresko im Chor der Kirche zu Zscheila (Krs. Meißen, Sachsen), wo Christus als Weltenrichter in einer Mandorla mit einem gemalten Schlußstein auf der Brust dargestellt ist (Abb. 4). Mit der viereckigen Form des E. bringt man ein Wort von Augustinus in Zusammenhang, der die Gerechtigkeit viereckig nennt, weil sie im Besitz der vier Kardinaltugenden ist (Enarr. in Psalm 39, 1; Migne, P.L. 36, 433). Das expolire, glatthauen, hat den Sinn: von Sünden reinigen [2, S. 114].
Die steinerne Altarmensa ist ein Bild Christi, des Steines, der durch die Juden verworfen und dennoch zum E. geworden ist [2, S. 160]. Das auf dem Altar zwischen zwei Leuchtern stehende Kreuz versinnbildlicht nach Durandus (Rationale 1, 3 u. 31) Christus, der als Mittler zwischen Judentum und Heidentum steht und sie beide als der wahre E. einigt [5, S. 653 Nr. 1494]. Derselbe Durandus verlangt, daß der Taufbrunnen von Stein sei, nicht nur weil Moses Wasser aus einem Stein sprudeln ließ, sondern auch weil Christus zugleich der lebendige Brunnen, der E. und der Felsen ist (Rationale 6, 2 u. 25). Sicardus von Cremona († 1215; Migne, P.L. 213, 21 bis 22 A) sieht im Pulpitum und auch in dem auf diesem Pulpitum zwischen Klerus und Volk stehenden Bischof abermals ein Bild Christi, E. zwischen Heiden und Juden.
Der E. als Sinnbild Christi kehrt auch in der nach-ma. Allegorik wieder. Cesare Ripa kennzeichnet in seiner Iconologia zwei seiner Personifikationen der Religion folgendermaßen: sie tritt mit dem linken Fuß auf einen Stein, welcher „dinota Christo Signor nostro, il quale è la vera pietra angulare“ usw. (Rom 1603, S. 429 u. 432).
Zu den Abbildungen
1. Utrecht, U.B. Ms. 400, fol. 63 v, Pontificale eccl. b. Mariae Trajectensis. Um 1455. Fot. Bibl.
2. Spiegel menschlicher Behaltnis, Bl. 113 v. Speyer bei Peter Drach, 1478. Nach Schramm, Frühdrucke 16, Abb. 450.
3. Ulm, Hl. Geist-Spital, Schlußstein im w Mittelschiffsjoch der „Dürftigen Stube“. 1473 von Martin Österreicher erbaut. Fot. Marburg 60 511.
4. Zscheila b. Meißen, Dreifaltigkeitskirche, Gewölbefresko im Chor. 15. Jh. Fot. Pfarramt Zscheila.
Literatur
1. Mgr. X. Barbier de Montault, Traité pratique de la construction, de l’ameublement et de la décoration des églises I, Paris 1878, S. 29ff. – 2. Sauer S. 114ff., 129, 138, 160, 177. – 3. Erwin Panofsky, The Friedsam Annunciation etc., Art Bull. 17, 1935, 433–73, bes. S. 450f. – 4. Ananda K. Coomaraswamy, Eckstein, Speculum 14, 1939, 66f. – 5. Timmers S. 159, 617. – 6. Günter Bandmann, Ma. Architektur als Bedeutungsträger, Bln. 1951, S. 73–75.
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