Drucklinie
englisch: Thrustline; französisch: Poussé en dessin graphique; italienisch: Curva delle pressioni.
Ernst Gall (1955)
RDK IV, 588–590
Als D. bezeichnet man die moderne graphische Darstellung des Widerlagerdrucks oder Seitenschubes eines Bogens oder eines Gewölbes, die als Resultierende eines rechtwinkligen Kräftedreiecks gewonnen wird. Dieses setzt sich in seinen Katheten zusammen aus der nach einem bestimmten Kräftemaßstab gezeichneten Last der Bogensteine, die deren tatsächlichem Gewicht entspricht, und aus dem Horizontalschub der Bogensteine.
Als Horizontalschub gilt der aus den Abmessungen mathematisch berechenbare Druck, der im Scheitel eines halbierten Bogens oder Gewölbes wirken müßte, um die Hälfte des Bogens oder Gewölbes aufrecht zu erhalten.
Der schräge Verlauf der aus beiden Kraftlinien gewonnenen Resultierenden, die als Hypotenuse des Kräftedreiecks erscheint, gibt dann die Richtung und Stärke des Seitenschubs an. Das Verfahren kann für den gesamten in einzelne Abschnitte zerlegten Bogen in einer gemeinsamen Zeichnung (Abb.) durchgeführt werden, wobei dann die gesamte D. derart gewonnen wird, daß den schräg verlaufenden Resultierenden des Kräfteplans entsprechende Parallelen in den Bogenschnitt als zusammenhängende D. eingetragen werden.
Die Stabilität des Bogens oder des Gewölbes ist nur dann gesichert, wenn die D. im mittleren Drittel des Bogenschnitts verläuft. Ihr weiterer geradliniger Verlauf unterhalb des Kämpfers ist maßgebend für die Stärke der das Gewölbe tragenden Wände oder Pfeiler, die so bestimmt sein muß, daß die D. bis zu den Bodenfundamenten innerhalb der Wände oder Pfeiler verläuft. Gegebenenfalls wird die erforderliche Sicherheit nach Maßgabe des Verlaufs der D. dadurch geschaffen, daß die Wände oder Pfeiler mit Aufbauten versehen werden, deren senkrecht wirkende Auflast die D. innerhalb der Mauer- oder Pfeilerstärke hält; besonders deutlich tritt diese Sicherung bei den got. Strebepfeilern und Strebebögen in Erscheinung, deren erstere meist Lasten in Gestalt von hohen Fialen tragen.
Zur Abbildung
Konstruktion der Drucklinie (Kräfteplan, Querschnitt durch das Gewölbe bzw. den Bogen; U – V = Drucklinie). Nach [2] Taf. 16.
Literatur
1. Heinr. F. B. Müller-Breslau, Die graphische Statik der Baukonstruktionen II, 2, Lpz. 19255. – 2. Gg. Ungewitter und Karl Mohrmann, Lehrbuch der gotischen Konstruktionen I, Lpz. 1889/ 18903, S. 51ff. – 3. M. Haase, Der Gewölbebau, Halle a. d. S. 1900, S. 6ff. – 4. Viollet-le-Duc, Architecture 4, S. 62ff.
Verweise
Empfohlene Zitierweise: Gall, Ernst , Drucklinie, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. IV (1955), Sp. 588–590; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=89313> [02.12.2023]
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