Drechsler
englisch: Turner; französisch: Tourneur; italienisch: Tornitore.
Charlotte Steinbrucker (1955)
RDK IV, 382–394
I. Begriff
Der D. (Dreher, auch Drechsel) ist ein Kunsthandwerker, der mit Hilfe der Drehbank (Drechselbank) Werkstoffe zu Kugel-, Walzen-, Kegel-, Hohlkörper- oder anderen Formen mit rundem, ovalem oder paßförmigem Querschnitt verarbeitet. Hierbei gilt die Bezeichnung Drechsler in erster Linie für den Bearbeiter von Holz und verwandten Stoffen, während der Bearbeiter von Metallen Dreher genannt wird. Die Tätigkeit heißt Drechseln (Drechselei oder Drechslerei) oder Drehen.
Ahd. drâhsil, mhd. draehsel, drechsel, trechse, trechszler; dreier, dreger, dreer o. ä.; lat. tornator. – Tätigkeit: ahd. drâjan, trâhan, mhd. drehen, dresseln, drechseln, mnd. dreien; lat. tornare; tornatilis = gedrechselt.
II. Arbeitsvorgang
Das Werkstück wird – zwischen den festen „Spindelstock“ und den verschiebbaren „Reitstock“ – eingespannt und dreht sich um eine feste Achse, wobei die Drehbewegung auf verschiedene Weise erzielt werden kann (s. IV B). An das sich drehende Werkstück führt der D. mit der einen Hand ein besonders geformtes Messer, das Dreheisen, heran, das von dem Werkstück durch leichteren oder stärkeren Druck der anderen Hand einen fortlaufenden Span abhebt. Eine oder beide Hände ruhen dabei auf der „Vorlage“. Die Oberfläche des Werkstücks wird erst roh vorbearbeitet („schruppen“) und danach geglättet („schlichten“). Beim Drehen von Metall muß der Stahl laufend durch Wasser oder Öl gekühlt werden.
Je nach der Einstellung des Drehstahls unterscheidet man Langdrehen (Zylinder), Plandrehen (Scheiben), Konischdrehen (Kegel), Ausdrehen (Hohlkörper), Fasson- oder Formdrehen mit Schablone oder Formstahl und ferner das Hinterdrehen, wobei das Werkzeug erst langsam nach hinten dringt und darauf schnell zurückschnappt, so daß eine spiralförmige Bewegung entsteht.
Beim Ovaldrehen wird auf die Drehspindel das „Ovalwerk“ gesetzt, welches das exzentrische Drehen des Werkstücks ermöglicht (Abb. 3). Beim sog. Passigdrehen bewegt sich das Werkstück nicht nur um seine Achse, sondern auch in ihrer Richtung oder quer zu ihr hin und her. Mit Hilfe der Fußdrehbank wird auch das Guillochieren ausgeführt. Gedrechselte Gegenstände können weiterhin durch das Rändeln (Kordieren) verziert werden, wobei durch rotierende, in einer Gabel laufende Stahlrädchen perlen- oder riffelartige oder geometrische Muster eingeprägt werden. – Die Kunstdrechslerei, insbesondere die in Elfenbein, kennt noch weitere komplizierte Arbeitsgänge, wie z. B. das Contrefait (RDK III 859-62).
Über die verschiedenen Werkzeuge des D.-Handwerks im 18. Jh. erhält man eine erschöpfende Auskunft durch die 87 Tafeln zum Stichwort „Tourneur“ in der Encyclopédie [6], 1772, sowie durch Charles Plumier [4], 1701, und Joh. Martin Teuber [5], 1740; s. a. [20].
Die zünftige Gliederung des D.-Handwerks und seine Abgrenzung gegen die Schreiner, Schnitzler, Kistler und Zimmerleute behandelt Fritz Hellwag [12], bes. S. 66–73.
III. Material
Als Material dient dem D. vor allem das Holz.
Für feine Tischler- und D.-Arbeiten eignet sich am besten das leicht zu drechselnde Holz von Zirbelkiefer, Tuja, Eibe, Nuß-, Kirsch- oder Birnbaum, Lärche, Mahagoni und Zeder. Zur Anfertigung von Tellern, Schalen, Dosen und Spielzeug wird mit Vorliebe Fichte, Kiefer, Ulme und Birke verwendet. Weniger gut ist das Holz der Tanne und des Apfelbaums zu gebrauchen. Der Bau-D. wählt außer Kiefer auch Eiche und Kastanie. Für Holzblasinstrumente dient vor allem Ebenholz und Buchs, für Werkzeuge Esche, Weißbuche und Pockholz. In der Möbeldrechslerei verwendet man – außer den oben genannten Hölzern – für die besseren Stücke auch Platane, Rotbuche und Ahorn.
Eine besondere Ausbildung verlangt die Elfenbeindrechslerei und die Bearbeitung verschiedener anderer Werkstoffe wie Hirschhorn und Walroßzahn (Theophilus III, 93; [15] S. 171), Bernstein, Schildpatt, Perlmutter und Kokosnuß.
Aus Elfenbein, Bein und Horn wurden vor allem Knäufe aller Art (z. B. die Elfenbeinknäufe der früh-ma. Bischofsstäbe), Stäbe, Stockgriffe, weiterhin Trinkgefäße, Dosen, Schmucksachen, Spielzeuge, Schachfiguren, Brettsteine, Knöpfe und vieles mehr gedreht. Beliebt waren z. B. auch die sog. Dreifaltigkeitsringe. Man verarbeitete das Horn einheimischer (Hirsch, Reh, Steinbock) oder fremder Wildarten (Büffel, Antilope), die Schaufeln des Elchs, Walfisch- und andere Großtierknochen, Narwalzahn, das Horn des Nashorns u. dgl.
Gewisse Bedeutung hatte schon im MA das Drechseln von Bernstein. 1480 gab es in Danzig eine Bernsteindreherzunft. – Zu den gleichen Zwecken wie die genannten Werkstoffe dient dem D. die Steinnuß (Kern einer tropischen Palmfrucht) oder andere harte Kerne sowie die braune oder schwarze Schale der Kokosnuß.
Seit alter Zeit hat man auch Steine gedreht, für die man oft in der Nähe der Brüche Spezialwerkstätten unterhielt; so wurden z. B. Säulen verschiedener Größe und Form am Ort gedreht [22]. Beim Drehen von Stein (und Metall, s. u.) muß der Drehstahl fest eingespannt sein und am Werkstück entlanggeführt werden.
Für gedrehte Schalen, Schreibzeuge u. dgl. eignen sich besonders die schön geäderten Halbedelsteine, vor allem Achat, Jaspis, Jade, ferner Chrysopras, Amethyst, Lapislazuli, dann der in Bayern vorkommende Speckstein und der in Schlesien und im Erzgebirge gefundene Serpentin (Abb. 6). Zu Dosen und Vasen eignen sich auch der dunkelblaue Flußspat und der in Italien gefundene Alabaster. Der Mehlstein war in Westfalen in der Barockzeit zum Drehen von Säulchen beliebt.
Auch Metalle werden zu bestimmten Zwecken schon seit alters her auf der Drehbank bearbeitet. Die Technik der Metalldreherei hat inzwischen die der anderen Werkstoffe weit überflügelt.
Schon im frühen MA hat man kleinere Metallgegenstände, z. B. Meßkännchen aus Zinn (Theophilus III, 87; [15] S. 163), auf der Drehbank glattgedreht. Das Drehen von Bronze- und Messingleuchtern (Abb. 7) wie auch von Mörsern und Eimern [16, S. 236, 449] nach dem Guß war üblich. Später wurden auch Geschütze abgedreht. Das Zinndrehen war die Arbeit des „Kandelgießers“, wie sie Jost Amman im Ständebuch von 1568 darstellt; noch heute wird das Drehen von Zinngerät (Tellern, Schalen, Trinkgefäßen, Teebüchsen) geübt, das vor allem vom 17. bis in die 1. H. 19. Jh. seine Blütezeit hatte. Auch astronomische und andere wissenschaftliche Geräte wurden, wenigstens teilweise, aus verschiedenen Metallen gedreht.
Von besonderer, schon im frühen MA erkannter Bedeutung ist die Drehbank für den Metallguß: um formvollendete Gußkerne zu erzielen, schreibt Theophilus sowohl für den Glockenguß wie für den Guß von kleinerem Bronze- (Rauchfaß) und Zinngerät (Meßkännchen) das Abdrehen des Kerns vor (III, 84, 60 und 87; [15] S. 153, 114 und 163).
IV. Geschichte
A. Altertum
Die Kunst des D. ist sehr alt. Über den mutmaßlichen Ursprung der Drehbank, einer nahen Verwandten der Töpferscheibe, s. Enc. Ital. 34, S. 51. Die alten Völker des Orients kannten das Drechseln bereits; so haben uns z. B. die Assyrer Reste von gedrechselten Möbeln aus Elfenbein aus dem 8. und 7. Jh. v. Chr. hinterlassen. Eine Darstellung auf einem ägyptischen Grabrelief, allerdings erst von etwa 300 v. Chr., zeigt einen Drehstuhl mit allem Zubehör [15, S. 341f. und Abb. 84]. Auch in China hat man schon frühzeitig D.-Arbeiten angefertigt.
Den Griechen war die D.-Kunst zumindest seit archaischer Zeit bekannt, wie aus erhaltenen Möbeln und aus Darstellungen auf Reliefs und Vasenbildern hervorgeht. Sie wurde mit immer größerer Freiheit gehandhabt; auch bei einfachen Holzgeräten strebte man nach künstlerischer Formgebung, wie eine hölzerne Schale des 6. Jh. v. Chr. aus Uffing beweist [14, Abb. 1]. Der Handgriff eines Bronzespiegels in der Münchner Antiken-Slg., gefunden in Süditalien, zeigt die Beherrschung der Elfenbeindrechselei (um 500 v. Chr.; [19] Abb. 4 und 5).
Die Römer übernahmen das Drechseln von den Griechen. Römische Holzmöbel mit gedrehten Beinen wurden verschiedentlich gefunden. Aus Pompeji sind auch in Bein gedrehte Spielsteine, Büchsen, Knöpfe und Ringe erhalten. Vitruv spricht zum erstenmal ausdrücklich von der Drehbank (X, 1). Offenbar haben die Römer auch Glas auf der Drehbank bearbeitet, denn Plinius sagt vom Glas: „aliud (vitrum) torno teritur“ (Nat. hist. 36, 193; so auch, nach Plinius, Hrabanus Maurus, De universo 17, 10). Plinius deutet auch eine Vorrichtung zum Drehen von steinernen Säulen an (Nat. hist. 36, 90; s. a. [22]).
Die Germanen, die das Drehen von den Römern erlernten, benutzten es zur Herstellung verschiedener Geräte. Wohl das älteste erhaltene Beispiel germanischer D.-Arbeit stellt der Wagen von Dejbjerg im Nat.Mus. Kopenhagen, um 150 v. Chr., dar [20, Abb. S. 204]. – Auch die Kelten kannten die D.-Kunst: im Neuenburger See (Westschweiz) wurden gedrechselte Holzschüsseln, Schalen und Teller aus der Latènezeit gefunden; ihre Formen haben sich, vor allem in den Alpenländern, z. T. bis in die Gegenwart erhalten. In den Alemannengräbern von Oberflacht (Württ.) fanden sich die mannigfaltigsten gedrechselten Holzgegenstände aus dem 6. und 7. Jh. n. Chr., darunter Trinkbecher, Feldflaschen [16, Abb. S. 162f.] sowie ein edel geformtes Musikinstrument.
B. Mittelalter
Karls d. Gr. „Capitulare de villis“, um 800, erwähnt unter den Handwerkern tornatores bzw. tornatoribus vel sellariis (Art. 45 u. 62), und im Klosterplan von St. Gallen ist ein Arbeitsraum für die tornarli vorgesehen.
Die älteste Beschreibung von Drehbänken im Abendland findet sich bei Theophilus, der ihre Verwendung zur Herstellung von Gußkernen sowie zum Glattdrehen gegossener Gegenstände vorschreibt (s. III). Die beiden von Theophilus beschriebenen Drehbänke hat Theobald rekonstruiert [15, Abb. 83 und 134–37].
Während der älteste Drehstuhl mit dem Fiedelbogen betrieben worden war (F. M. Feldhaus, Die Technik der Antike und des MA, Potsdam 1931, S. 173 Abb. 196), läßt Theophilus seine Kernspindel für das Rauchfaß von einem Gehilfen mittels Kurbel drehen; dagegen wird die für das zinnerne Meßkännchen durch einen hin und her gezogenen Riemen vom Gehilfen gedreht [15, S. 114 u. 163]. Aus der letzteren Methode entwickelte sich dann der Antrieb mit Tritthebel unter der Drehbank und Wippe an der Decke, wie ihn eine Miniatur des 13. Jh. in der Bible moralisée (Abb. 1) bereits zeigt, aber auch noch ein Kupferstich des Joris van Vliet (Abb. 2) und die Encyclopédie, 1772 (Abb. 4, im Hintergrund). In der Encyclopédie wird aber gleichzeitig der Antrieb durch ein vom Gehilfen gedrehtes Rad mit großem Schwungrad, und zwar für die Metalldreherei, wiedergegeben (Abb. 4; so schon bei Leonardo, [19] Abb. 23, und bei Jost Ammans „Kandelgießer“ im Ständebuch, Frankfurt a. M. 1568). Das Stiftungsbuch des Mendelschen Zwölfbrüderhauses (nach 1400; Nürnberg, Stadtbibl.) zeigt den Fiedeldrehstuhl für das Paternosterdrehen und die Kurbeldrehbank für das Zinndrehen (Ernst Mummenhoff, Der Handwerker in der dt. Vergangenheit, Jena 19242, Taf. n. S. 40; [15] Abb. 138). – Bewirkt der Antrieb mittels Fiedel, Riemen oder Wippe eine nicht gleichsinnige Drehung, so rotiert das Werkstück beim Radantrieb gleichsinnig.
Im frühen MA wurden auf der Drehbank nicht nur hölzerne Schalen und andere Gefäße (Theophilus: „fac tornatorium tuum eodem modo, quo tornantur scutellae et alia vasa lignea“), sondern vor allem Einzelteile von Möbeln gedrechselt.
So zeigt z. B. die romanische Kirchenbank des Klosters Alpirsbach (RDK I 1439, Abb. 1) Rundpfosten und Gitterfüllungen in D.-Arbeit. Ähnliche Möbel, die z. T. vollständig aus gedrechselten Pfosten bestanden, müssen häufig gewesen sein, wie aus der Darstellung von Sesseln, Thronen, Schreibpulten u. dgl. hervorgeht (s. Docke, Sp. 101f.). Das gleiche gilt für romanische Bettgestelle (RDK II 386, Abb. 2; [12] Abb. 85).
Das frühe MA kannte aber auch das Drechseln in Bein (Lehmann-Brockhaus, Schriftquellen Nr. 1286) sowie das Drehen von Steinsäulen, das in einer Augsburger Quelle zum letzten Jahrzehnt des 12. Jh. gemeldet wird (Ebd. Nr. 94).
In gotischer Zeit blieben bei der D.-Kunst, die vielfach durch die Schreinerei verdrängt wurde, die romanischen Formen noch lange erhalten, wie die profanen Holzkelche des ehem. Zisterzienserkloster Schulpforta beweisen (Abb. 5). Erst allmählich wurden sie durch feingliedrigere Formen ersetzt (Abb. 7).
C. Neuzeit
„Ein besonderes Schoßkind jener Zeit“ (des 16. Jh.), „ganz besonders in Deutschland, ist die Drechselkunst gewesen; es ist bekannt genug, daß bis ins 19. Jh. hinein fürstliche Herren ihr Vergnügen daran fanden, an der Drechselbank zu bosseln“ (J. v. Schlosser, Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance, Lpz. 1908, S. 97).
Kaiser Maximilian erhielt um 1518 als Geschenk der Tiroler Landstände eine reich verzierte Drehbank, die sich erhalten hat (Burg Kreuzenstein b. Wien; Schlosser a.a.O. Abb. 81). Martin Luther beschäftigte sich gern an der Drehbank, Leonardo befaßte sich mit ihrer Verbesserung. Am Hof Kurf. Augusts I. von Sachsen, 2. H. 16. Jh., wurde eifrig gedrechselt: nicht nur die Hof-D. Georg Wecker, Egidius Lobenigk, Pankraz und Jakob Zeller (RDK III 860, Abb. 1), sondern auch der Kurfürst selbst betätigten sich an der Drechselbank; das Inventar der Dresdener Kunstkammer von 1587 nennt mehrere Arbeiten von seiner Hand, ebenso das der Münchener Kunstkammer Hzg. Albrechts V. In Nürnberg widmete sich in vier Generationen die Familie Zick (bes. Lorenz Zick, 1594–1666) der D.-Kunst, in Regensburg in drei Generationen die Familie Teuber (am bekanntesten der „Kunst- und Silber-D.“ Joh. Martin Teuber [5]). Aus dem 17. Jh. sind weiterhin vor allem Georg Burrer in Stuttgart, Joh. Eisenberg in Coburg, Markus Heiden in Weimar sowie in Wien Daniel Vading (Der Kunstwanderer 4, 1922/23, 169 bis 171) und Treumund Kirch zu nennen, im 18. Jh. Joh. Michael Hahn und seine Söhne in Schweinfurt, Wilh. Benoni Knoll und sein Sohn Michael in Geislingen, ferner in Düsseldorf Georg Steiner aus Bensdorf. In Frankreich gab der Minimenpater Charles Plumier 1701 ein Buch über die D.-Kunst heraus, das 1776 in deutscher Sprache erschien [4].
Unter den Fürsten, die sich an der Drechselbank betätigten, waren außer den Genannten vor allem die Kaiser Rudolf II., Ferdinand III., Leopold I., Joseph II., ferner Peter d. Gr., die Kurfürsten Moritz von Sachsen, Georg Wilhelm von Brandenburg, Maximilian I. und Ferdinand von Bayern (Werke im B.N.M.), Max Joseph III. von Bayern [19, Abb. 47], Joh. Wilhelm v. d. Pfalz u. a.; Erzhzg. Leopold besaß in Innsbruck eine wohleingerichtete D.-Werkstatt, die Phil. Hainhofer beschreibt (Max v.Boehn, Das Beiwerk der Mode, München 1928, S. 260ff.).
Das D.-Handwerk, insbesondere die Verarbeitung des Elfenbeins, wurde seit der 2. H. 16. Jh. durch zahlreiche Verbesserungen und Erfindungen zu einer hohen Virtuosität gesteigert; diese sog. Kunstdrechslerei soll in einem eigenen Artikel behandelt werden. Erwähnt werden muß hier jedoch die Erfindung des Joh. Martin Teuber (s. o.), die das Drechseln von Reliefs (Porträts und Landschaften, erhaben oder vertieft) erlaubte [5].
In den Häusern waren oft die Treppenläufe und Balkone mit Balustraden versehen, deren Füllungen gedrechselte Säulchen, Docken, aus Holz oder Stein bildeten (s. Sp. 105ff.). Seit der Barockzeit, weniger im Rokoko, aber wieder häufiger im Empire und Biedermeier, wurden die Füße von Stühlen und anderen Möbeln vom D. angefertigt. Seit der Biedermeierzeit ist auch die Verwendung von gedrechselten und der Länge nach halbierten Holzornamenten üblich, die in der Möbelindustrie der 2. H. 19. Jh., zugleich mit gedrehten Knäufen aller Art, weite Verbreitung fanden. – Eine Wiederbelebung erfuhr die Kunst des D. im 2. V. 20. Jh.
D. Volkskunst
Eine große Rolle spielt die Drechselei in der Volkskunst. Auf dem Lande hielt man noch lange an den alten Formen fest, und wenn man nach dem Vorbild der städtischen Kunst neue übernahm, wurden sie meist vereinfacht und den eigenen Bedürfnissen angepaßt.
Auf einem von Spannagel [19, Abb. 20] wiedergegebenen Stuhl von 1786 aus dem Marienburger Werder sind nahezu sämtliche Teile des Gestells, genau wie in romanischer Zeit, gedrechselt. Auf der Drehbank angefertigte Armlehnsessel mit Stroh- oder Rohrgeflecht, oft mit nur drei Beinen, waren und sind in der norddeutschen Volkskunst beliebt. Spinnräder bestehen größtenteils aus gedrechselten Hölzern; sie wurden von besonderen Spinnrad-D. geschaffen. Das Reifendrehen zur Spielfigurenherstellung und das Drechseln von Figuren wurde im sächsischen Erzgebirge nach dem Erliegen des Bergbaues Haupterwerbsquelle. In Bürgel (Thüringen) blühte die Stockdreherei. In der Berchtesgadener Gegend soll das Drechseln noch heute häufig von Bauern als Nebenbeschäftigung geübt werden.
Zu den Abbildungen
1. Paris, B. N. ms. lat. 11 560, fol. 84 (Ausschnitt, zu Hoh. 5,14 „manus illius tornatiles auree“ etc.). Bible moralisée. 13. Jh. Vergrößert. Nach A. de Laborde, La Bible moralisée, Paris 1911–21, Bd. 2 Taf. 308.
2. Jan Joris van Vliet (geb. um 1610), Drechslerwerkstatt. Radierung, 22 × 17 cm. Um 1630–35. Nach E. Mummenhoff, Der Handwerker i. d. dt. Vergangenheit, Jena 19242, S. 79.
3. Kupferstich aus Jacques Besson, Theatrum instrumentorum [1], Taf. 8: Ovaldrehen. 1578. Fot. Deutsches Museum, München, Nr. 6126.
4. Kupferstich aus Diderot – D’Alembert, Encyclopédie [6], Taf. 1. 1772 (Lucotte del., Bernard fec.). Nach dem Original.
5. Schulpforta Krs. Naumburg a. d. Saale, gedrechselter Kelch. Rotbuche mit Spuren alter Bemalung, 21 cm h., oberer Dm. 14 cm. Nach Braun (Altargerät S. 45) um 1300 wohl als Grabkelch angefertigt. Fot. Stoedtner 98 101.
6. Stuttgart, Landesgewerbemuseum, Inv.Nr. 885. Gedrehte Platte aus graugrünem Serpentin, 4,9 cm h., oberer Dm. 33,5 cm. Deutsch, 16. Jh. Fot. Mus.
7. München, B. N. M., gedrechselte Gegenstände aus Elfenbein, Zinn, Messing, Achat und Holz. 18.–19. Jh. Fot. RDK.
Literatur
1. Jacques Besson, Theatrum instrumentorum et machinarum, Lyon 1578. – 2. Salomon de Caus, Von gewaltsamen Bewegungen, Beschreibung etlicher Maschinen, Frankfurt a. M. 1615. – 3. Gg. Christoph Werner, Machina torevtica nova, oder Beschreibung der Newerfundenen Drehemühlen, Augsburg 1661 (Continvatio 1661). – 4. P. Charles Plumier, L’art de tourner etc., Lyon 1701; dt. Ausg. Leipzig 1776. – 5. Joh. Martin Teuber, Vollständiger Unterricht von der gemeinen und höheren Drehkunst usw., Regensburg 1740; Regensburg u. Wien 17562. – 6. Encyclopédie, Recueil de Planches Bd. 10, Paris 1772, Art. „Tourneur“ Taf. 1–87. – 7. Père Hulot, L’art du Tourneur mechanicien, Paris 1775.
8. Carl Friedrich, Beitr. z. Gesch. der Drechslerei, „Kunst u. Gewerbe“ 15, 1881, 129–38. – 9. Jos. Ritter von Schmädel, Einiges aus der Gesch. der Drechselkunst, Zs. d. Kunstgewerbevereins zu München 1886, 88–93. – 10. Christian Scherer, Stud. z. Elfenbeinplastik der Barockzeit (= Stud. z. dt. Kg. 12), Straßburg 1897. – 11. Ders., Elfenbeinplastik seit der Renaissance (= Monogr. d. Kgwb. Bd. 8), Lpz. 1903. – 12. Fritz Hellwag, Die Gesch. des dt. Tischlerhandwerks, Bln. 1924. – 13. Hugo Knoppe, Drechslerkunst. Meistertechniken alter u. neuer Zeit, Lpz. 1926. – 14. Ders., Hdb. der Drechslerei, Lpz. 1938. – 15. Theobald S. 339ff. und 444ff. – 16. Walter Dexel, Deutsches Handwerksgut (Propyläen-Kg.), Bln. 1939. – 17. Ders., Holzgerät und Holzform. Über die Bedeutung der Holzformen f. d. dt. Gerätekultur des MA u. d. Neuzeit, Bln. 1943. – 18. Karl Wittmann, Die Entwicklung der Drehbank (= Schriftenreihe der Arbeitsgem. f. Technikgesch. H. 17), Bln. 1941. – 19. Fritz Spannagel, Gedrechselte Geräte. M. e. Einf. in die Kulturgesch. des Drechslerhandwerks, Ravensburg 1941, 19472. – 20. Ders., Das Drechslerwerk. Ein Fachbuch f. Drechsler, Lehrer u. Architekten, Ravensburg 1940, 19482. – 21. Adolf Rieth und Karl Langenbacher, Die Entwicklung der Drehbank, Stuttgart-Köln 1954. – 22. Adolf Rieth, Säulendrehen im Altertum und in der Barockzeit, Schwäbische Heimat 6, 1955, 59–61.
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