Diorama

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englisch: Diorama; französisch: Diorame; italienisch: Diorama.


Paul Adolf Kirchvogel. (1955)

RDK IV, 34–41


RDK IV, 33, Abb. 1. Berlin, 1827.
RDK IV, 35, Abb. 2. London, 1824.
RDK IV, 37, Abb. 3. London, 1824.
RDK IV, 39, Abb. 4. Paris, 1822.

Als D. bezeichnet man ein Gemälde, das durch besondere Malweise und durch Beleuchtung im reflektierten oder durchscheinenden Licht einen Stimmungswechsel vom Tag zur Nacht, verbunden mit anderen Lichtwandeleffekten zeigt. Die öffentliche Schaustellung solcher Gemäldeillusionen, gleichfalls D. genannt, war einer der Vorläufer des Lichtspieltheaters und hatte ihre größte Wirksamkeit in Deutschland in den Jahren 1827–50.

Die Erfindung des D. wird zumeist L. J. M. Daguerre, dem Maler und Miterfinder der Fotografie (Daguerreotypie), zugeschrieben und in das Jahr 1822 verlegt. Alfr. Auerbach [6] konnte jedoch wahrscheinlich machen, daß das D. „eine Anzahl verschiedener Ausgangsformen“ habe, „die aus dunklen Anfängen meist unabhängig voneinander entstanden und sich gesondert weiterentwickelten“. Vielleicht kannte schon L. B. Alberti das D. (Jul. Meyer, Leon Batt. Alberti, in Allg. Künstlerlexikon, hrsg. von J. Meyer [= 2. Aufl. von Naglers Künstler-Lexikon], Bd. I, Leipzig 1872, S. 182). Ein D. aus der Frühzeit des 17. Jh. ist von Gilardone beschrieben (Die Zinnfigur 1929, S. 128f.). Gegen 1800 gab es in Berlin Vorführungen beweglicher D., die „Theater“ genannt wurden; da nahe Beziehungen zwischen D. und Bühnenmalerei bestehen, wäre es denkbar, „daß die ältesten D. überhaupt Übertragungen der Theaterbühne ins Kleine gewesen sind“ [6, S. 23f.]. 1822 wurde von Daguerre gemeinsam mit Ch. M. Bouton in Paris ein D. eröffnet. Das Neue bestand in der Größe der Bilder (14 × 22 m) und vor allem in der Errichtung eines ausschließlich für Vorführungen von D. bestimmten Baues mit drehbarem Zuschauerraum. Die dort gezeigten Bilder wurden auf beide Seiten einer transparenten Leinwand mit gewissen Bildunterschieden gemalt (Abb. 4), um dann durch die Beleuchtung, z. T. unter Einschaltung farbiger Gläser, die verschiedensten Illusionen wirksam werden zu lassen [3]. Das D. zu Paris brannte 1839 ab; seine Tradition wurde in London weitergeführt, wo Bouton seit etwa 1827 ein entsprechendes Unternehmen betrieb.

Daguerre malte zu dieser Zeit in der Kirche von Bry-sur-Marne ein D. hinter dem Hochaltar; es stellt das Innere einer gotischen Kathedrale dar und bewirkt so durch illusionistische Mittel eine beträchtliche Raumerweiterung des Altarhauses [5, Abb. 41].

1824 ließ sich John Arrowsmith in London ein verbessertes D. mit drehbarem Zuschauerraum patentieren (Abb. 2 und 3; detaillierte Beschreibung im Polytechnischen Journal 17, 1825, S. 316–22).

Im Grundriß (Abb. 2) zeigt AA den Zuschauerraum, BB und CC je eine Bilderwand, DD das Rückwärtige Fenster für das Bild BB. Im Schnitt z ... z sieht man (Abb. 3) innerhalb des Fensters DD sechs farbige Blenden (aus Calico), die über Rollen durch den Hebelarm GH bewegt werden. Das Oberlicht EE beleuchtet die Bildwand BB von vorn; auch ihm können farbige Blenden FF durch den gleichen Hebelarm GH vorgeschaltet werden. Im Aufriß rechts der Zuschauerraum über dem Drehmechanismus.

In Breslau eröffnete 1826 der Historien- und Landschaftsmaler Aug. Siegert das erste D. in Deutschland. Seine Dioramen in der Größe von 7 × 10 m gaben die Eindrücke einer Italienreise wieder, sie stellten den Golf von Neapel und die Ruinen von Taormina dar, denen im nächsten Jahr Ansichten des Golfes von Pozzuoli und Bajä folgten. Die Siegertschen D. unterschieden sich von denen Daguerres durch die Vereinfachung der mechanischen Beleuchtungshilfsmittel [4], aber trotz des öffentlichen Beifalls, den die Ausstellung fand, wurden seine D. 1828 letztmalig in Wien gezeigt [2]. Siegert beeinflußte aber eine Erfindung ähnlicher Art, das Pleorama des Baurats Carl Ferd. Langhans, das 1831 in Breslau eröffnet wurde und das auf eine Steigerung der D.-Effekte durch Bewegungs- und Klangillusionen hinauslief. Eine Art Reisebeschreibung zum Pleorama hatte August Kopisch, den Entdecker der blauen Grotte auf Capri, zum Verfasser [2].

Den größten Einfluß auf die Entwicklung des D. hatte der Berliner Hoftheatermaler Carl Wilh. Gropius [1]. Entscheidend auf dessen künstlerische Tätigkeit wirkte Karl Friedr. Schinkel ein, der sich in den ersten Jahren nach seiner italienischen Reise auch der Panoramenmalerei widmete (P. Mahlberg, Schinkels Theaterdekorationen, Diss. Greifswald, Düsseldorf 1916, S. 21). Gropius lernte 1822 das D. von Daguerre kennen und zog Vergleiche zwischen diesem und den Panoramaausstellungen seines Vaters Ernst Gropius. Auch Schinkel beschreibt in seinem Tagebuch das Pariser D. (A. v. Wolzogen, Aus Schinkels Nachlaß, Berlin 1862–64, Bd. II S. 344f.) und gab Gropius ferner die Anregung zu einem Panorama von Palermo, das er 1808 malte und das Gropius nach dem Tode Schinkels im Juni 1843 in Berlin zeigte. Gropius eröffnete sein D. am 29. 10. 1827 in einem Gebäude an der Ecke Georgen-Universitätsstraße in Berlin, das, zum Teil nach Schinkels Angaben, von dem Baukondukteur Richter erbaut wurde (Abb. 1; S. H. Spiker, Berlin und seine Umgebungen im 19. Jh., Berlin 1833, S. 47; Faksimile-Ausg. eingeleitet v. Otto Pniower, Berlin 1928; vgl. auch K. Fr. Schinkel, hrsg. v. d. Akad. d. Bauwesens, Berlin I. Teil, Berlin 1941, S. 163f.). Als erste D. wurden eine Innenansicht der Kathedrale von Brou nach einer Lithographie von Daguerre und eine der Felsschluchten in der Nähe von Sorrent gezeigt. 1830 kam ein D. zur Ausstellung, das Gropius nach dem Gemälde K. Fr. Schinkels „Gotischer Dom in Morgenbeleuchtung“ gemalt hatte, 1831 ein D. „Die Grabmäler der Scaliger“ nach dem Gemälde von Domenico Quaglio (Verzeichnis sämtlicher D. von 1827–50 bei [1] S. 66–68). Wie sehr das D. der Schaulust entgegenkam, zeigt ein Urteil von C. Seidel (Über Panoramen, D. und Cosmoramen, Berliner Kunstblatt 1, 1828, S. 67): „Jede Stunde, welche der Mensch, von des Lebens Mühen sich erholend, den Künsten weiht, ist bildender Gewinn und Genuß zugleich; und indem nun das D. in seiner Vollkommenheit diesen wirklich zu gewähren imstande ist: so hat dasselbe als permanentes öffentliches Kunstinstitut, allenfalls noch wichtigere Seiten, als die gewöhnlich betrachtete eines bloß zeitvertreibenden Kunstspiels.“ Aber auch in Kreisen mit anderen Ansprüchen finden wir die gleiche Beurteilung; so in dem Bericht über die „Versammlung der Naturforscher u. Ärzte zu Berlin, im September 1828“ (Isis, hrsg. v. Lorenz Oken, 22, 1829, Sp. 226): „Billig führt man unter den Kunstsachen das D. von Gropius auf, worin die Täuschung so vollkommen ist, daß man nicht imstande ist, sich zu bereden, man stände nicht wirklich in der gemalten Kirche oder Landschaft“ (vgl. das ähnliche Urteil des bekannten Kritikers M. G. Saphir im Berliner Courier Nr. 235 v. 7. 11. 1827 und v. 9. 7. 1829). 1832 suchte Gropius die Ausstellungen durch die Übernahme eines Pleoramas zu beleben. Hier saß der Besucher in einer Barke, der Wellenschlag wurde vorgetäuscht, und er erlebte eine Fahrt durch den Meerbusen von Neapel, von Procida bis Torre del Greco. Auch hier lieferte Aug. Kopisch die Reisebeschreibung. 1833 folgte eine Rheinfahrt von Mainz bis St. Goar. Unter Hörnerklang begann die Fahrt bei vollem Sonnenschein, es folgte der Sonnenuntergang, und „die Täuschung erreicht beim Anblick des abendlichen Silberstreifens im Wasser ihren Höhepunkt“. Früher hatte man fast ausschließlich mit Tageslicht gearbeitet (siehe die Lichtklappen am D.-Gebäude), jetzt benutzte man auch künstliches Licht und war so von Witterung und Tageszeit unabhängig. Trotzdem scheint das Pleorama nicht die gleiche Anziehungskraft gehabt zu haben wie das D., denn im Oktober 1833 war es letztmalig zu sehen, während das D. in Berlin erst am 31. Mai 1850 seine Pforten schloß. In Deutschland besaß nur noch Köln eine solche Ausstellung größeren Umfanges, über die aber keine näheren Nachrichten vorliegen (eine kurze Schilderung gibt Wilh. Langewiesche in „Wolfs“, Geschichten um ein Bürgerhaus, Leipzig 1919, S. 123f.).

Neben Gropius versuchten auch andere Maler D. aufzustellen. Als ernsthafte Konkurrenten galten anfangs Carl Gg. Enslen, ferner Friedr. Alb. Eyssenhardt und Mich. Carl Gregorovius, ohne allerdings die Gropiussche Qualität zu erreichen, und M. G. Saphir schrieb schon im Berliner Courier v. 4. 3. 1829 von „unserer an Pano-, Cosmo-, Neo-, Myrio-, Kipo- und Dio-Ramen so reichen Zeit“. Doch trat eine der Urformen des D., das Rundbild, gegen E. 19. Jh. erneut auf und löste Interesse aus, das seinen Ausdruck in Panoramabauten in Berlin und anderen Städten um 1880–90 fand (R. Rönnebeck, Panoramen, in: Berlin und seine Bauten, hrsg. v. Architekten-Ver. u. der Vereinigung Berliner Architekten, Berlin 1896, Bd. II Kap. 25, S. 534–37; P. Küster und v. Manikowski, Ausstellungspark und Ausstellungsgebäude, ebd. Kap. 12, S. 244).

Zu den Abbildungen

1. Ehem. Dioramagebäude in Berlin. Erbaut 1826–27 von Baukondukteur Richter, z. T. nach Angaben von K. Fr. Schinkel; abgebrochen 1876. Nach zeitgenössischer Lithographie aus [1] S. 25, Abb. 6.

2. und 3. John Arrowsmiths Diorama in London, patentiert 10. 2. 1824. Nach „Polytechnisches Journal“, hrsg. v. Joh. Gottfr. Dingler, Bd. 17, 1825, Taf. VIII Fig. 11 u. 12 (aus dem Repertory of Arts, Manufactures and Agriculture, April 1825, S. 257).

4. Vorführung in Daguerres Diorama in Paris 1822, nach einem Holzschnitt aus Gaston Tissandiers „Les merveilles de la photographie“, Paris 1874. Nach [5] S. 272.

Literatur

1. Erich Stenger, Daguerres Diorama in Berlin, Berlin 1925. – 2. Ders., Das Pleorama, in: Technikgeschichte, Beitr. z. Gesch. d. Technik u. Industrie, hrsg. von Conrad Matschoss, Bd. 28, 1939, S. 127–31. – 3. Germain Bapst, Essai sur l’histoire des panoramas et des dioramas, Paris 1891. – 4. Karl Schwindt, Über die Landschaften des Herrn Malers Siegert in Breslau und über seine Dioramen, Kunstblatt, hrsg. von Ludw. Schorn, 8, 1827, S. 339–42. – 5. Jos. Maria Eder, Geschichte der Photographie I, Halle a. d. S., 19324, S. 267–78. – 6. Alfred Auerbach, Panorama und Diorama, Pirna 1942.