Dialektik
englisch: Dialectics; französisch: Dialectique; italienisch: Dialettica.
Ludwig Heinrich Heydenreich (1954)
RDK III, 1387–1400
I. Begriff
Die D. ist eine der sieben Freien Künste; ihre Darstellung ist mit diesem Thema so untrennbar verbunden, daß alle wesentlichen entwicklungs- und typengeschichtlichen Fragen sinngemäß in diesem Zusammenhang behandelt werden. Nachstehend werden lediglich einige speziellere Angaben zur Darstellung der D. als solcher gemacht.
Dem Trivium der Artes liberales angehörend, nimmt die D. neben der Grammatik und Rhetorik insofern eine besondere Stellung ein, als sie in weit stärkerem Maße als ihre Schwesterkünste entwicklungsgeschichtlich bedingten Wandlungen in ihrer Deutung und Bewertung ausgesetzt gewesen ist. Schon in ihrem ursprünglichen – noch antiken – Sinne stellte die D. als Denklehre neben der Sprachlehre und Redekunst die anspruchsvollste Wissensstufe des Triviums dar. Seit dem 11. Jh. gewann sie als Begriff einer philosophischen Methode hohe Bedeutung und wurde Gegenstand der bekannten Auseinandersetzung innerhalb der Scholastik. Dies erklärt die Vielfalt der Formen, in denen die D. zwischen dem 11. und 14. Jh. bildlich dargestellt ist: ihre Attribute, ihre Beischriften, ihre Deutungen spiegeln die machtvolle Position wider, die sie im Rahmen des scholastischen Lehrsystems einnahm [4; 5]. So wurde die D. vom Symbol der Denkschärfe, die Spitzfindigkeit, Syllogistik und Sophistik in sich einschließt, zur Vertreterin der Logik, mit der man sie in zunehmendem Maße identifizierte (Alanus: „mostrat .... logicaeque duellum“, Gauthier de Metz: „dialectica sive logica“), und der menschlichen Denkkraft, d. h. der weltlichen Philosophie, die – noch Fehlern und Irrtümern unterworfen – der „Summa Philosophia“ oder Theologie als der vollkommenen Erkenntnis gegenübergestellt wurde. Im Zeitalter der Renaissance verloren die D. und überhaupt die Freien Künste im strengen Sinne an Bedeutung, sofern sie nicht in der Diskussion der Reformatoren und Gegenreformatoren Anwendung fanden. Durch die Bezugsetzung zu den antiken Musen und Göttern büßten die Begriffe an Eindeutigkeit ein und wurden zu Allegorien, die dann auch beliebig vermehrt oder verändert werden konnten [8]. Im Barock, dessen große Bildprogramme an sich ein bedeutsames Wiedererstehen des Motivs der Artes liberales, wenngleich unter sehr erweiterten Aspekten, brachten, trat die D. gleichfalls nicht mehr hervorgehoben in Erscheinung.
II. Darstellungen im MA
A. Haupttypen
Die Personifikation der D., wie sie in zahllosen Darstellungen erscheint, geht auf zwei literarische Hauptquellen zurück, in denen ihr Grundtypus festgelegt ist: auf die Beschreibungen des Martianus Capella (s. Künste, Freie) und des Alanus ab Insulis (s. ebd.).
Martianus Capella, De nuptiis Lib. IV (ed. Franz Eyssenhardt, Leipzig 1866, S. 99): „pallidior paululum femina sed acri admodum visu et vibrantibus continua mobilitate luminibus, cui crines tortuosi decentique inflexione crispati et nexiles videbantur; qui ... formam totius capitis circulabant ... Cui quidem pallium Athenarumque vestitus sed gestamen in manibus fuerat inopinum ac prorsus gymnasiis omnibus inexpertum. In laeva quippe serpens gyris inmanibus involutus, in dextra formulae quaedam florentibus discolora venustate ceris sollerter effigiatae latentis hami nexu interius tenebantur, sed quoniam eius laeva sub pallio occulebat insidias viperinas, cunctis dextera praebebatur.“
Während man dem Typus und Habitus der D., wie ihn Martianus Capella beschreibt – blaß, klein, scharfgezeichnetes Gesicht und lebhafter Blick – in den Darstellungen nur selten Rechnung trug (z. B. Pisano-Reliefs in Pisa, Siena, Perugia, [3]), wurden die Attribute zu typischen, ständig wiederkehrenden Merkmalen; neben den Haarsträhnen vor allem die Schlange(n), die „Formulae“ und die Angel(rute). Die „Formulae“ haben bis zu den Interpretationen der Gegenwart vielerlei Deutung erfahren, meist als Täfelchen oder Tabellen, wie sie auch häufig dargestellt sind: von den erhaltenen Darstellungen (über die nur literarisch überlieferten vgl. Künste) ist die früheste uns bekannt gewordene die Martianus-Capella-Hs. in Paris, B.N. ms. lat. 7900 A, aus dem A. 10. Jh. (Abb. 1), fraglos auf ein älteres Vorbild zurückgehend. Richtiger aber scheint die wörtliche Übersetzung „Förmchen“ = kleine, gestaltartige Formen in Wachs (Hinweis Bernhard Bischoff), die als Köder eines Angelhakens verstanden werden sollen. Als solche sind ne u. W. nur einmal dargestellt und zwar in der Miniatur des Attavante (Venedig, Cod. Marc. lat. Cl XIV Nr. 35), 15. Jh.: als kleine, bunte, menschenartige Gestalten an einer mehrzinkigen Angel (Abb. 2; [3] S. 283).
Zu diesem ersten Haupttypus, der in mehreren Varianten begegnet (s. u.), tritt als zweiter der durch die Beschreibung des Alanus ab Insulis geprägte Typus:
Alanus ab Insulis, Anticlaudianus Lib. III, cap. I (Migne, P. L. 210, Sp. 509):
„Haec (virgo) habitu, gestu, macie, pallore, figurat
Insomnes animi motus, vigilemque Minervam
Praedicat, et secum vigiles vigilasse lucernas.
Quodam litigio contendens crinis in ima
Deviat, et secum pugnans rixatur inepte ...
Dum stellis oculi certant, ardere putantur,
Succumbunt aquilae visus, et lyncis adorant
Intuitus, oculos tales seseque fatentur
Devictos, et eis sese conferre verentur.
Dextra manus floris donatur honore, sinistram
Scorpius incidens, caudae mucrone minatur.
Mel sapit ista manus, fellis gerit illa saporem.
Haec spondet risum, fletu concluditur illa.
Haec capit, illa fugat; haec afficit, inficit illa.
Haec ferit, haec mulcet; haec ungit, pungitur illa.
Non sordis squalore jacens, non luce superba,
Vestis erat medium retinens, utrimque reducta.
Illic arte nova pictor novus, histrio veri,
Monstrat elenchorum pugnas, logicaeque duellum.“
Als Hauptattribute – auf Gestalt und Habitus nehmen auch hier die Illustrationen selten Bezug – erscheinen der Skorpion (als Symbol des Bösen) in der linken und die Blume (als Symbol des Guten) in der rechten Hand (über die Bildquellen des Alanus s. w. unten). Ferner tritt auch zuweilen in den Darstellungen das zweigeteilte oder zweifarbige Gewand auf (Canzone morale di Bartolommeo da Bartoli: „El ver del falso dicerno e sparto però una veste divisa comparto“). Getreue Darstellungen im Typus des Alanus finden sich in der Spanischen Kapelle an Sta. Maria Novella in Florenz (Abb. 3), in der Capp. Bracciolini in S. Francesco in Pistoja und später in Italien häufig. Berühmt ist das Fresko Botticellis aus der Villa Lemmi, heute im Louvre.
Seltener ist ein zweiter Darstellungstypus nach Alanus, der der Schilderung im Anticlaudianus entsprechend die Artes beim Bau des Wagens der Phronesis zeigt (Hss. in Verona, Bibl. Capitolare Ms. CCLI, 13. Jh., und in Pommersfelden, Schloßbibl. Ms. 215, fol. 161 r, deutsch, 14. Jh.; Fl. Mütherich, Münchener Jb. III. F. 2, 1951, S. 76 u. 82). Der D. fällt dabei die Herstellung der Wagenachse zu. Von hier aus erklärt sich die ungewöhnliche Darstellung der D. („Loyca“) in einer Bilderhs. mit erklärendem Begleittext, deutsch 15. Jh., in der Salzburger Studienbibl. (Ms. V. 1 B 36/38, fol. 239 v; H. Tietze, Beschr. Verz. II, Leipzig 1905, S. 58–60: die Loyca als Jungfrau, die eine Radnabe bohrt. – Abb. 5).
Ein dritter m.a. Bildtypus ist in einer franz. Hs. (um 1100) erhalten, die einen kommentierten Martianus Capella und gereimte Tituli zu den Artes enthält, deren Illustrationen jedoch auf eine selbständige Vorlage zurückgehen (Florenz, Bibl. Laurenziana, Cod. S. Marco 190; Kat. Mostra della Bibl. di Lorenzo, Florenz 1949, S. 31 Nr. 82). Die D. hat hier in der Rechten ein Blumenzepter – das eigentlich der Sapientia oder Philosophia zukommende Attribut! –, in der Linken die Schlange. Dieser Darstellungstypus, dem vermutlich Alanus das Motiv der Blume entnahm, begegnet mehrfach: so in Chartres (Archivolte des mittl. Westportals, Abb. 4) und in der unter B genannten Darmstädter Hs.
Die häufigsten Attribute der D., Schlange und Skorpion, kommen im MA in verschiedenen Variationen vor: in der Verdoppelung (als „opponens“ und „respondens“, als „conflictus“ oder „logicae duellum“ zu interpretieren), z. B. im „Canzone delle virtù e delle scienze“, 14. Jh. ([4]; hier auch die Darstellung der „ratio“ als Kopf vor der Brust der D.: „in hac se ipsa ratio demonstrat“ nach Augustinus, De ordine); Hildesheimer Leuchter (Abb. 6); Le Puy en Valley (Abb. s. Art. Künste; zwei Skorpione); oder mit Nebenattributen: Affe (Reims und Mailänder Leuchter), Buch, Schale oder Lampe (Ivrea-Mosaik, Miniatur Slg. Forrer, s. u.).
B. sonstige Motive
Außer diesen Haupttypen erscheinen einige weitere Darstellungsmotive:
1. das Motiv des „argumentierenden“ Fingergestus (Freiburg, Münstervorhalle, [7] Abb. S. 2. – Neapel, Grabmal König Rogers von Anjou, [3] Abb. S. 222), das später häufig auftritt, bis zu den Bildern der Spätrenaissance und des Barock (z. B. Stiche des Pieter de Tode, Abb. 10, und des Marten de Vos); 2. Motiv der hundeköpfigen Schlange (Herrad von Landsberg, Hortus deliciarum: „argumenta sino concurrere more canino“). – Etwas früher, A. 12. Jh., und vielleicht auf noch ältere monumentale Vorbilder zurückgehend, die Illustration in einem französischen Reimgedicht: „dialectica mordet“ (Paris, B.N. ms. lat. 3110; Abb. s. Art. Künste; [6]); 3. das Attribut des Schlüssels, kombiniert entweder mit einem hundeköpfigen Tier (sog. Boëthius, München, Clm. 2599, fol. 104 r.; 13. Jh.; Abb. 7: „pro me firmatur verum falsumque probatur“) oder mit einer Schale (Einzelblatt Salzburger Provenienz aus der Slg. Forrer, heute Slg. von Hirsch, Basel; Abb. s. Art. Künste); 4. das Attribut der Waage, bisher zwar erst in Renaissancedarstellungen nachweisbar (z. B. Hans Sebald Beham, Abb. 9), ist sicher im MA bereits ausgebildet. Es wurde vermutlich von der Ratio (z. B. Pommersfeldener Alanus fol. 161 r, Mütherich a. a. O.) auf die D. übertragen („in hac se ipsa ratio demonstrat“, s. o.).
Neben dem Auftreten der D. im vollständigen Zyklus der sieben Künste sei auch auf Darstellungen des Triviums hingewiesen: z. B. Remigius-Kommentar zu Martianus Capella, nordfranz. Hs. des 13. Jh., Paris, Bibl. Ste. Genevieve ms. 1042, vol. 1, fol. 1 v (Mss. à peintures en France du VIIe au XIIe siècle, Ausstellung Paris B.N. 1954, Kat. Nr. 185). – Filippino Lippi, Gloria di S. Tommaso d’Aquino, Rom, Sta. Maria sopra Minerva (Trivium und Sapientia; [3], Taf. geg. S. 376).
Weitere Sonderformen im MA: Darstellung der D. mit Buch und Kennwort „utrum“: Ivrea, Seminar, Mosaikfragment um 1105 (Anna Maria Brizio, La pittura in Piemonte dall’ età romanica al Cinquecento, Turin 1942, S. 142. Taf. II).
Darstellung in der Disputation mit einem Repräsentanten (s. u.): zwischen beiden Gestalten eine tischartige Tafel mit verstümmelten dialektischen Sätzen: „omnis nullus contrarie / contradicturie subalterne / Subcontrarie quidam quidam non“: Illustrationen zum Wälschen Gast des Thomasin von Cerclaere, 13./14. Jh., Hss. in Heidelberg und Gotha (Abb. s. Art. Künste). – Darstellung der D. mit Pfeil im Mund (= Schärfe der Argumentation): Emailkästchen mit Darstellung der Artes liberales zwischen Philosophie und Naturae scientia, englisch 12. Jh. (London, Vict. u. Alb. Mus. – Abb. s. Art. Künste). – D. mit Schere als Attribut: Andrea Pisano-Relief am Campanile des Florentiner Doms (Gleichsetzung mit Jus penale? – [3], Abb. S. 216).
Es folgen einige Darstellungstypen, in denen die D., abgelöst vom Zyklus der Freien Künste, für sich gesondert auftritt:
Die ungewöhnlichste und zugleich ikonographisch ausgeprägteste Darstellung ist in einer recht rohen und stilistisch schwer bestimmbaren Miniatur („Laienmalerei?“) einer nordfranzösischen Boëthius-Hs. (Paris B.N. ms. lat. 6401, 11. Jh.); doch ohne Zusammenhang mit dem Text (Mss. à peintures en France, Ausst. Paris 1954, Kat. Nr. 122; Abb. Paul Tannery, Mémoires scientifiques Bd. V, S. 211). Die D., als solche durch die Haarsträhne, die Schlange in der Linken und eine fackelartige Lampe oder – wahrscheinlicher – eine (stilisierte) Blume in der Rechten gekennzeichnet, sitzt, von einer Mandorla umrahmt, auf einem Thron. Außerhalb der Mandorla bedrohen Krieger die D. mit Schwertern und Lanzen von allen Seiten und werden ihrerseits durch Lanzen, die unter der Mandorla hervorragen, abgewehrt. Aus dem Himmel stoßen Vögel herab. Vermutlich handelt es sich hier um eine individuelle Erfindung: die D. im Kampf gegen die (feindlichen) Argumente. Auch die Vögel ließen sich in diesem Zusammenhang als Sinnbilder der „falschen Lehre“ oder als Eingeber unreiner Gedanken deuten, wie sie nach Apok. 18, 2 auch im Hortus deliciarum den vier Magiern („inspirati immundis spiritibus“) auf den Schultern sitzen. Eine sichere Deutung ließ sich bisher nicht finden.
Gleichfalls eine Sonderstellung nimmt das Bild der D. in einer Boethius-Hs. mit dem Kommentar zur Isagoge des Porphyrius u. a. Logik-Schriften ein (Darmstadt, Landesbibl. Ms. 2282, franz. A. 12. Jh.; Hinweis Alb. Boeckler. – Abb. 8): die als „Dialectica domina“ gekennzeichnete Frauengestalt trägt eine Krone; in der Linken hält sie die Schlange, in der Rechten eine Art Zepter, das oben mit einer Blume (mit Kreuz) geziert ist und nach unten hin ein ornamentales Schema zeigt, in welches die Begriffsreihe: Substantia (corporea, incorporea), Corpus (animatum, inanimatum), Inanimatium Corpus (sensibile, insensibile), Animal (rationale, irrationale), Animal rationale (homo, deus) eingetragen ist (vgl. das gleiche Schema in Boëthius, Commentaria in Porphyrium Lib. I, Migne, P.L. 64, Sp. 103, wo nur statt ‚homo‘ und ‚deus‘ ‚mortalis‘ und ‚immortalis‘ steht). Die D. hat also hier weitgehend die Züge der Sapientia oder Philosophia angenommen und sich deren Attribute Krone und Blumenzepter angeeignet. Als Randfiguren erscheinen Platon, Aristoteles, Sokrates sowie ein „Magister Adam“, vermutlich Adam du Petit Pont (Adam Parvipontanus [9]).
Eine eigentümliche Funktion fällt der D. am Hildesheimer Leuchter (Abb. 6) zu, wo sie zusammen mit der Philosophie und Medizin (als Naturae scientia?) auftritt (Ausst.Kat. „Ars Sacra“, München 1950, Nr. 305). Hier handelt es sich nicht um den engeren Themenkreis der Freien Künste, sondern offenbar um die bildliche Darstellung eines jener Wissenschaftsprogramme, wie sie gerade im 12. Jh. (Hugo von St. Victor u. a.) mit Vorliebe aufgestellt wurden.
III. Renaissance und Barock
In der Renaissance erweiterten und verschliffen sich die Darstellungstypen sehr (vgl. die Bilderzyklen u. Künste), sofern sie nicht das m.a. Schema fortführten wie z. B. in den sog. Mantegna-Tarocchi, norditalienisch vor 1467 (dt. Kopien von Joh. Ladenspelder): die D. hält hier die Schlange unter einem Tuch verborgen (Abb. Hind IV, Taf. 341), eine wörtliche Auslegung des Martianus-Capella-Passus „serpens ... in manibus involutus“. Sowohl dieser Fall als auch die vereinzelte Interpretation der „Formulae“ in der Attavante-Miniatur (Abb. 2) bezeugen die „philologische Exaktheit“ der Renaissanceillustratoren.
In der von H. S. Beham gestochenen Serie (Abb. 9) hat die D. das Attribut der Waage (s. o.); ebenso in einem Stich von G. Pencz und einem von Virgil Solis (B. 191), der drei Artes-Zyklen geschaffen hat, sowie auf einer Zeichnung Tobias Stimmers in Bern, 1578 (Frdr. Thöne, T. St. Handzeichnungen, Freiburg Br. 1936, Taf. 34 Abb. 82).
Auf dem bemalten Tisch von Martin Schaffner in Kassel, dat. 1533 (Karl Voll, Die Meisterwerke der kgl. Gemäldegalerie zu Cassel, München o. J., Taf. 158), sind viele Attribute durcheinandergebracht. Die D. ist als Logik gekennzeichnet (ebenso auf dem Titelholzschnitt der Margherita Philosophica des Joh. Reusch, s. Philosophie). Weitere italienische Darstellungen (Pollaiuolo, Grabmal Sixtus’ IV. [8]; Studiolo in Urbino usw.) s. u. Grammatik und Künste.
Ungewöhnliche Darstellungen: Relief des Agostino di Duccio (Rimini, S. Francesco; [3], Abb. S. 271): zwei Kinder als Begleitfiguren, die Ringe wechseln. – Paolo Veronese (Venedig, Dogenpalast, Sala del Collegio): Frauengestalt, die ein Spinngewebe anblickt (Eckart Peterich, Göttinnen im Spiegel der Kunst, Frankfurt a. M. 1941, Taf. 153); vielleicht lebt hier die m.a. Schilderung nach, wonach die Dialektiker „muscas in anium verbulorum sophismatibus suis tamquam araneanum tendiculis includunt“. – Ähnliche Darstellung auf einem Fayenceteller aus Urbino, 16. Jh., im Museum von Pesaro.
Eine Zusammenfassung der weit gesponnenen allegorischen Motive, die Hoch- und Spätrenaissance für die D. erfanden, gab dann Cesare Ripa (Iconologia, Venedig 1645, S. 147), die auch weitgehend für den Barock verbindlich blieb:
Die D. in Gestalt einer jungen Frau trägt einen Helm mit einer schwarzen und einer weißen Feder sowie einer Mondsichel als Bekrönung. In der Rechten hält sie einen Stockdegen, der nach beiden Seiten sticht. Die Linke ist zur Faust geballt, „con le dita tutte ristrette nel pugno“. Der Helm bedeutet die Kraft des Intellekts; die Federn das Wahre und das Falsche; die Mondsichel (nach Valerian’s Hieroglyphica) die Vielfältigkeit der Formen, die die D. gleich dem Monde annimmt; der Stockdegen die Verteidigungsbereitschaft; die Faust soll nach Zenon „dimostrare i ristretti luoghi e la brevità degli argomenti, da quali ella è retta“.
Die Mondsichel Ripas finden wir noch auf Cornelius Schut’s „Dialektik“ aus seiner als Gobelinentwürfe dienenden Stichfolge; ebenso auf dem danach gearbeiteten, 1674 datierten Leyniers-Teppich der Slg. Krupp (Abb. 11; E. Kumsch, Wandteppiche im Hause Krupp usw., Dresden 1913).
Über die D. in den Programmen des Spätbarock s. Künste.
IV. Repräsentanten
Repräsentanten (s. Künste) der D. sind:
Porphyrius (nach Hibernicus-Titulus, Isidor von Sevilla); Aristoteles (nach Boëthius, Isidor von Sevilla): s. Abb. 3, 4 und 7; Text zum Münchner Boëthius: „omnis homo rationaliter animal / ... / omnis homo animal est / ... / omna non animal non homo“ nach Martian. Capella IV, 399 (ed. Eyssenhardt S. 126 Z. 14ff.).
Zoroaster (Isidor von Sevilla, Canzone delle virtù e delle scienze [4]).
Bezugsetzungen und besondere Anordnungssysteme: Der D. wird von den Tugenden die Fortitudo zugeordnet (s. Künste); in bezug auf die Planeten weist sie Dante (Convivio II, 14) dem Merkur zu (so auch im Throngiebel der D. in der Spanischen Kapelle von S. M. Novella in Florenz, Abb. 3), während in den Planetenkinderdarstellungen Jupiter ihr Partner ist (A. Hauber, Planetenkinderbilder und Sternbilder, Stud. z. dt. Kg. 194, Straßburg 1916).
In der Vergleichung mit den Musen ist die D. der Melpomene zugesellt [3, S. 138].
Zu den Abbildungen
1. Paris, B.N. ms. lat. 7900 A, fol. 132 v. Martianus Capella, De nuptiis Philologiae et Mercurii. Französisch A. 10. Jh. Phot. B.N.
2. Venedig, Bibl. von S. Marco Cl. XIV, n. 35, fol. 46 v. Martianus-Capella-Hs. mit Miniaturen von Attavante. E. 15. Jh. Nach [3] S. 283.
3. Florenz, Sta. Maria Novella, Spanische Kapelle. Fresken an der Westwand: Triumph des hl. Thomas von Aquin. Ausschnitt: Dialektik mit Aristoteles und Planet Merkur. Andrea Bonaiuto da Firenze, 1376ff. Phot. Brogi, Florenz, 8 194.
4. Chartres, Kathedrale, mittleres Westportal. Ausschnitt von der 2. Archivolte links: Dialektik und Aristoteles. M. 12. Jh. Phot. Marburg 35 405.
5. Salzburg, Studienbibl. Ms. V 1 B 36/8, fol. 239 v.Albertus Magnus, Signa usw. Logik und Aristoteles. Süddt. 1. H. 15. Jh. Phot. Bibl.
6. Hildesheim, Domschatz, Altarleuchter mit Figuren. Rechts Dialektik, links Philosophia (hinten: Medicina). Bronze, über dem Nodus tauschiert, Höhe ohne Dorn 18 cm. Lüttich um 1160, Meister des Tragaltars von Stablo. Phot. Bayer. Landesamt f. Dkpfl., München.
7. München, St. Bibl. Clm. 2599, fol. 104 r. Sammelband (sog. Boëthius), aus Kloster Aldersbach. Salzburg A. 13. Jh. Phot. Marburg 102 310.
8. Darmstadt, Landesbibl. Ms. 2282, Isagoge des Porphyrius. Französ. A. 12. Jh. Phot. Dt. Ver. f. Kwiss.
9. Hans Sebald Beham, Kupferstich B. 122. 2. V. 16. Jh. Phot. St. Graph. Slg. München.
10. Pieter de Tode, Kupferstich. 17. Jh. Phot. Warburg Institute, London.
11. Jan Leyniers (1630–86, Brüssel), Bildteppich nach Entwurf von Cornelis Schut. Slg. Krupp von Bohlen und Halbach. Dat. 1674. Nach E. Kumsch, Wandteppiche im Hause Krupp usw., Dresden 1913, Taf. 5.
Literatur
(s. a. Künste). 1. Frz. Ant. Specht, Geschichte des Unterrichtswesens in Deutschland v. d. ältesten Zeiten b. z. M. 13. Jh., Stuttgart 1885. – 2. P. Gabriel Meier, Die sieben freien Künste im MA, Jahresber. über die Lehranstalt des Benediktinerstifts Mariä Einsiedeln, Einsiedeln 1886. – 3. Paolo D’Ancona, Le rappresentazioni allegoriche delle arti liberali nel medio evo e nel Rinascimento, L’Arte 5, 1902, 137–55, 211–28, 269–89, 370–85. – 4. Leone Dorez, La canzone delle Virtù e delle Scienze di Bartolomeo di Bartoli da Bologna, Bergamo 1904. – 5. Jos. Ant. Endres, Forschungen zur Gesch. der früh-m.a. Philosophie (= Beiträge z. Gesch. d. Philosophie des MA, hrsg. v. Clem. Baeumker Bd. 17, H. 2/3), Münster 1915. – 6. M. Th. D’Alverny, La Sagesse et ses sept filles, in: Mélanges Félix Grat, Paris 1946, S. 245ff. – 7. Gust. Münzel, Der Zyklus der sieben freien Künste in der Vorhalle des Freiburger Münsters, Schauinsland 69, 1950, 1–31. – 8. Leopold D. Ettlinger, Pollaiuolo’s Tomb of Pope Sixtus IV, Warburg Journal 16, 1953, 239–74. – 9. L. Minio-Paluello, The „Ars Disserendo“ of Adam of Balsham „Parvipontanus“, Mediaeval and Renaissance Studies Bd. 3, London 1954, 116–69.
Verweise
Empfohlene Zitierweise: Heydenreich, Ludwig Heinrich , Dialektik, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. III (1954), Sp. 1387–1400; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=92999> [06.10.2024]
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