Chronogramm

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englisch: Chronogram; französisch: Chronogramme; italienisch: Cronogramma.


Günter Gall (1953)

RDK III, 749–753


RDK III, 749, Abb. 1. Salzburg, 1732.
RDK III, 749, Abb. 2. Kunterweg Krs. Berchtesgaden, 1733.
RDK III, 751, Abb. 3. Nürnberg, 1632.

I. Begriff und Arten

C. (aus griech. χρόνος = Zeit und γράμμα = Satz) bezeichnet einen Satz, in dem die meist besonders gekennzeichneten römischen Zahlbuchstaben eine Jahreszahl ergeben, wie z. B. die Inschrift der Salzburger Kapitelschwemme (Abb. 1):

LeopoLDVs prInCeps Me eXstrVXIt
= MDCLLXXVVII = 1732.

Ist die Versform gewählt, so spricht man von Chronostichon:

sIt paX In terris tanDeM et patIentIa VICtrIX
= MDCXXVIIIIIII = 1632 (Abb. 3).

Bei einem Distichon wird das C. als Chronodistichon bezeichnet:

aspera beLLa sILent reDIIt bona gratIa paCIs
o sI parta foret seMper In orbe qVIes
= MDCLLLVIIIIIIII = 1763.

Ein C. kann aber auch in den letzten Worten einer längeren Inschrift enthalten sein (vgl. RDK II 39f. Nr. 27).

Im allgemeinen werden in einem C. die lateinischen Zahlbuchstaben durch größere Schrift oder andere Farbe hervorgehoben. Aber auch in einem Satz, der keine Ausscheidung der Buchstaben erkennen läßt, kann ein C. enthalten sein; z. B. steht am Triumphbogen der Katharinenkirche in Mühldorf (Obb.):

DIVAE CATHARINAE SACRVM.

Hier ergeben die Zahlbuchstaben das Datum MDCCVVII = 1712. Auch auf Münzen fehlt häufig die Hervorhebung der Zahlbuchstaben, vor allem im 15. Jh. (geprägte Medaillen auf Karl VII.; F. Mazerolle, Les médailleurs français du XVe siècle au milieu du XVIIe, Paris 1902, II Nr. 1 und 5). Bei solchen Inschriften ergeben sich oft mehrere Möglichkeiten. Meist wird z. B. das u als V gerechnet, manchmal ist es jedoch auch ohne Zahlwert, wie in der Kapelle Kunterweg Krs. Berchtesgaden (Abb. 2):

sInguLarI eX DeVotIone prInCIpIs CaIetanI eCCLesIa heC DeI parae VIrgInI ereCta
= DDCCCCCCLLXVVIIIIIIIIIIIII = 1733; hier wird das u in sInguLarI nicht als V bewertet. Auch ist bei längeren Inschriften der Anfang des C. nicht ohne weiteres klar; bei Versen ist es häufig die letzte Zeile (vgl. Mazerolle Nr. 5). Bei der Inschrift in Kunterweg ist die starke Verwendung von kleinen Zahlwerten auffällig.

Zur Auswertung eines C. muß jeder Buchstabe einzeln gewertet werden: in VICtrIX ist IX nicht = 9, sondern = X + I. Bei deutschen Texten kann ein W in zwei V geschrieben werden, z. B. auf der Gedenkmünze zum Frieden von Breslau:

es koMt gott eh VVir Vns Versehen
VnD Laesset Vns VIeL gVtes gesChen
= MDCLLVVVVVVVVII = 1742.

Der Text des C. braucht nicht, wie an der Salzburger Kapitelschwemme, unmittelbar Bezug auf den Bauvorgang zu nehmen; auch rein biblische Zitate sind üblich, z. B. in Osterhofen (Ndb.) Lukas 2, 14:

gLorIa In eXCeLsIs Deo et In terra paX hoMInIbVs
= MDCLLXXVIIIIII = 1731 (E.Hanfstaengl, C. D. Asam, München 1939, Taf. 33 b); das Datum bezieht sich auf die Dekoration der Kirche. Die Geschichte oder der Bauvorgang einer Kirche kann durch mehrere C. angegeben werden, z. B. im Langhaus der Mariahilfkirche in Amberg:

Virgo VenIt fVgIVnt MorbI pestesqVe reCeDVnt
= MDCVVVVVVIIII = 1634 eXIgne eXIMItVr bVstIsqVe arDentIbVs ICon
= MDCXXVVVVIIIIII = 1646 propItIae MatrI noVa fabrICa rIte DICata
= MDCCVIIIIII = 1711 aLMa noVo popVLos trahIt aeDes aVCta nItore
= MDCLLVVII = 1712.

II. Anwendung

C. finden sich an Triumphbögen, in Deckengemälden, in der Weihinschrift von Altären, auf Grabsteinen, an Orgelbrüstungen usw. Bei Grabsteinen und Altären ist ihre Beziehung ohne weiteres klar zu erkennen; in der Kirche kann sich das C. jedoch auf den Bau, die Dekoration oder eine Restauration beziehen, so daß immer ein stilistischer Vergleich für die genaue Datierung nötig ist. Zahlreich ist das Vorkommen der C. an Schaumünzen, es spielt daher auch in der Numismatik eine wichtige Rolle.

III. Geschichte

In der Antike und im frühen MA ist das C. unbekannt. Es ist noch nicht mit Sicherheit festzustellen, ob das Akrostichon Vorläufer und Ausgangspunkt des C. ist. Beim Akrostichon, das schon der Antike bekannt war, werden die Anfangsbuchstaben von Versen oder Büchern so zusammengefügt, daß sie den Titel des Buches, den Namen des Autors oder eines Gönners ergeben. Bei dem 1206 von Odo v. Magdeburg unter Bischof Albert abgefaßten Text des „Herzog Ernst“ ergeben z. B. die Anfangsbuchstaben der acht Bücher den Namen ALBERTUS (Gustav Ehrisman, Gesch. d. dt. Literatur bis z. Ausgang des MA II, 2, 1, München 1927, S. 53). Nach J. Hilton [1] sind die ersten C. im Vorderen Orient bei den Juden und Arabern zu beobachten. Nach Europa kamen sie erst in der 2. H. 14. Jh. Dem C. verwandt sind aber auch die in der 1. H. 14. Jh. beliebten Zahlenrätsel, wie z. B. der Spruch:

eine Meise, drey Creien, drey Vinken, wiset den hunger = 1 M, 3 C, 3 V = MCCCVVV = 1315 (H. Grotefend, Zeitrechnung des dt. MA und der Neuzeit, Hannover 1891, I S. 89). Ferner läßt sich in dieser Zeit eine Verteilung der römischen Zahlbuchstaben auf einen längeren Spruch beobachten (vgl. RDK II 42 Nr. 5 und 8).

Das früheste bekannte, für die Kunstgeschichte zugleich bedeutsamste C. ist die Inschrift des Genter Altars:

pictor hubertus deyck maior quo nemo repertus
incepit pondus que johannes arte secundus
(frater) perfecit judoci vijd prece fretus
VersV seXta MaI Vos CoLLoCat aCta tVerI
= MCCCLLXVVVVII = 1432. Die Zahlbuchstaben der letzten Zeile sind dabei durch rote Farbe ausgesondert. Auffallend ist die genaue Bezeichnung von Tag und Monat, während die Jahreszahl nur durch das C. bestimmt ist. In der Forschung ist oft an der Echtheit der Inschrift gezweifelt worden. Nach den Untersuchungen J. Duvergers [2], der auch die Frage prüft, ob ein C. um diese Zeit möglich ist, kann an der Echtheit nicht mehr gezweifelt werden (vgl. auch P. Post in Zs. f. Kg. 15, 1952, 46ff.).

Da im 15. und 16. Jh. arabische Ziffern bevorzugt wurden, bleibt das C. vom Genter Altar zunächst ohne bedeutende Nachfolge. Erst im 17. und vor allem im 18. Jh. erlebt das C. in Deutschland seine eigentliche Blütezeit. Im 19. Jh. verschwindet es wieder.

Zu den Abbildungen

1. Salzburg, Kapitelschwemme, Rückwand mit Neptungruppe von J. A. Pfaffinger. 1732. Phot. Verf.

2. Kunterweg Krs. Berchtesgaden, Wallfahrtskirche Mariä Himmelfahrt. Deckenbild und Stuck im Westteil des Langhausgewölbes, mit Weihedatum 1733. Stuck wahrsch. von Joh. Schaffner. Phot. Ernst Gall, München.

3. Nürnberg, G. N. M., Münzkabinett. Doppelter Nürnberger Lämmleinsdukat. Gold, Dm. 28 cm. 1632. Phot. Mus.

Literatur

1. J. Hilton, Chronogramms. 5000 and more in number excerpted out of various authors and collected at many places, London 1882, 2. Teil 1885. – 2. J. Duverger, Het Grafschrift van Hubrecht van Eyck en het Quatrain van het Gentsche Lam Gods-Retabel. Verhandelingen van de Koninklijke Vlaamsche Academie voor Wetenschappen, Letteren en Schoone Kunsten van Belgie, Klasse der Schoone Kunsten, Jaargang VII, no. 4, Antwerpen 1945.