Christus als Arzt

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englisch: Christ as physician; französisch: Christ médecin; italienisch: Cristo medico.


Hans Martin von Erffa (1953)

RDK III, 639–644


RDK III, 641, Abb. 1. Holländ. Holzschnitt, um 1510.
RDK III, 641, Abb. 2. Holländ. Holzschnitt, um 1510.
RDK III, 641, Abb. 3. H. Goltzius, 1587.

Die Vorstellung von Christus als ärztlichem Helfer gründet sich natürlich zunächst auf seine Heilungen, dann aber vor allem auf sein Wort Mt. 9, 12 (Mk. 2, 17; Lk. 5, 31), „Die Starken bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken“. Daneben konnte auch auf Jes. 53, 5, „Durch seine Wunden sind wir geheilt“, verwiesen werden.

Bei den afrikanischen Christen war vom E. 2. Jh. bis ins 5. Jh. hinein die Auffassung Christi als neuer Äskulap, als heilender Gott, Arzt der Seelen und Körper sehr verbreitet. Tertullian spricht A. 3. Jh. von Christus medicator (Advers. Marcionem III 17), Augustin von magnus medicus (z. B. Sermon. 175, 1; 299, 6), omnipotens medicus (Ebd. 87, 11, 13) oder medicus et salvator noster (Enarr. in Psalm. 130, 7. – Paul Monceau in: Comptes rendus de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres 1920, 75ff.; dort auch weitere afrikanische Schriftquellen). Monceau beschreibt einen in einer Kapelle in Timgad gefundenen Stein des 4./5. Jh. mit der – offenbar von Donatisten stammenden – Anrufung: Christe tu solus medicus sanctis et penitentibus (a. a. O. und Ebd. 1924, 78ff.). Auch in Asien ist die Vorstellung verbreitet. Schon seit Ignatius von Antiochien (1. Jh.) und Irenäus von Lyon (2. Jh.) wird die Eucharistie ein φάρμακον ἀϑανασίας genannt [5]. Die Arzt-Metapher findet sich ferner bei Ephräm dem Syrer († 373), durch den sie weitere Verbreitung fand. Sie wird in den apostolischen Konstitutionen (LII, 41) auch auf die Aufgaben eines Bischofs in seinem Sprengel übertragen (Hugo Magnus, Medizin und Religion in ihren gegenseitigen Beziehungen, Breslau 1902, S. 46f.), wie überhaupt die frühe Kirchensprache mit medizinischen Fachausdrücken durchsetzt ist [1]. Es ist zu beachten, daß eine materielle Auffassung des Arztes, eine Heilung von irdischen Gebrechen, zunächst vorherrscht. Die enge Beziehung zwischen dem neuplatonischen Äskulapbild (Asklepios Soter) und der Vorstellung Christi als Arzt (Jesus Soter) können hier nicht untersucht werden; doch sei etwa auf Julian Apostata (Contra Christianos; Übersetzung von C. J. Neumann, Leipzig 1880, S. 26) verwiesen, ferner auf die von Osk. Thulin (Röm. Mitt. 44, 1929, vor allem S. 219) angeführten Sarkophagreliefs, auf Otto Weinreich (Jb. f. Liturgiewiss. 10, 1930, 142 und Philolog. Wochenschrift 1930, 484) und auf [1] und [3].

Jedenfalls steht in den ersten christlichen Jahrhunderten, in denen sich das Bild des Heilands formte, die Vorstellung des göttlichen Arztes im Vordergrund und wird erst verhältnismäßig spät vom Bild des leidenden, gekreuzigten Christus zurückgedrängt.

Mittelalterliche Gebete und Predigten enthalten dann das Bild des coelestis medicus, so eine Predigt des 14. Jh., in der Christus als „himelschlich artzat“ bezeichnet und seine Anrufung bei Fieber empfohlen wird (Wilh. Wackernagel, Altdt. Predigten und Gebete aus Hss., Basel 1876, S. 194). Auch das geistliche Schauspiel hat die Vorstellung bewahrt: z. B. „Ibo nunc ad medicum . . medicinam postulans . . Qui sanat peccatores“ (nach Aug. C. Mahr, Relations of Passions Plays to St. Ephrem the Syrian, Columbus Der Name des Attributs „[Ort“ enthält das ungültige Zeichen „[“, das nicht hierfür verwendet werden kann.] 1942, S. 22; Mitt. Dr. Rud. Berliner). Doch sind bildliche Darstellungen Christi als Arzt aus dem MA bisher nicht bekannt geworden – es sei denn, man nähme die Darstellungen der biblischen Heilungen dafür (Osk. Rosenthal, Wunderheilungen und ärztliche Schutzpatrone in der bildenden Kunst, Leipzig 1925, Taf. 14–34. – Paul Richer, L’art et la médecine, Paris o. J.).

Die älteste Darstellung Christi als Arzt fand sich in einem um 1510 in Holland gedruckten anonymen Buch mit dem Titel: „Dit es van der siecten der brosster naturen. eñ hoe haer ons heere gheneest“, Brüssel bei Thomas van der Noot (Abb. 1 und 2). Hier ist Christus zunächst mit Attribut und in Tracht und Haltung eines spät-m.a. Urologen wiedergegeben: er betrachtet das emporgehobene Uringlas genau so, wie es etwa der Arzt im Hortus sanitatis, Lübeck 1492 oder Straßburg 1498 (C. Vieillard, L’urologie et les médecins urologues, Paris 1903, S. 43 u. 138), in Dürers Randzeichnungen zum Gebetbuch Kaiser Maximilians von 1515, oder etwa die hl. Kosmas und Damian (J. Braun, Tracht und Attr. Abb. 234) tun. Nur der Kreuznimbus und die bloßen Füße kennzeichnen ihn. Das Uringlas (orinal, matula) galt dem MA als ein durchaus ehrenhaftes Emblem des Arztes, dessen Verwendung sich bis ins 12. Jh. zurückverfolgen läßt (A. Pousson und E. Desnos, Encycl. française d’urologie, Paris 1914, S. 200; [6]). Die andere Bildseite (Abb. 2) zeigt Christus vor einem Haus, ähnlich dem auf dem ersten Holzschnitt, über dessen Tür jedoch der Korbbehälter für das Urinal hängt, ein (nach A. Cabanès, Esculape chez les artistes, Paris 1928, S. 366) nicht seltenes ärztliches Aushängeschild. Die Beischrift beweist eine solche Deutung: „Doctor Jhs hanct wt sinen oerinal / Tooghende (zeigend) datti meester es principael“.

Erst Goltzius hat sich dann des Gegenstandes wieder angenommen. Er stellt in einem 1578 datierten Stich (Hirschmann 58) eine Allegorie der Miracula Christi dar (Knipping I Abb. 53); Christus mit der umgehängten ärztlichen Bestecktasche hebt mit der Rechten an Stelle des Uringlases ein gläsernes Menschenherz gegen das Licht, in welchem man Geldbeutel, Schwein und Kröte als Symbole menschlicher Leidenschaften erkennt. Die Linke hält das Kreuz mit der Ehernen Schlange, „einen ins Christliche gewandelten Äskulapstab“ (Knipping I 83). Vor Christus am Boden liegt die anima morbida und fängt in einem Becher das Blut der Seitenwunde Christi auf; Fides unterstützt dabei ihre Hand. Die Beischriften beziehen sich u. a. auf Jes. 53, 5 und Mt. 9, 21/22 (möchte ich nur sein Kleid anrühren, so würde ich gesund – „Dein Glaube hat dir geholfen“). Die Darstellung ist umgeben von Bildern der Wunderheilungen und von a.t. Symbolen.

Findet sich hier, in der Vermischung profaner und christlicher Ikonographie, doch eine Vergeistigung des im MA auf die Heilung körperlicher Leiden gerichteten Gehalts, so tritt in einem anderen Stich nach H. Goltzius, um 1587 (B. III 99, Bl. 12) wieder eine ganz andere Absicht auf: in einer Folge von 4 Allegorien des Arztberufes erscheint auch der Heiland. Die Allegorie bedeutet: der Kranke sieht im ersten Stadium der Heilung, noch in der Todesfurcht, den Arzt als Gott an (mit fortschreitender Heilung wird ihm dann der Arzt zum Engel, Menschen und bösen Dämon, Bl. 13–15; Abb. der Blätter: [2] Taf. nach S. 22). Christus trägt an der Seite wieder das chirurgische Besteck, in der Linken eine Salbenbüchse, in der erhobenen Rechten das Uringlas, das er betrachtet. Der Urinalkorb, ärztliche Instrumente, eine Binde und Bücher, darunter Galenus, liegen zu seinen Füßen (Abb. 3).

Dieser Erfindung Goltzius’ folgen einige niederländische Stecher, so (mit dem gleichen latein. Text, aber neuen Entwürfen) Johannes Gelle nach Zeichnungen von Egbert van Paenderen, Amsterdam 1609 ([2] Taf. nach S. 24), und Jan van Vianen, Amsterdam E. 17. Jh. ([2] Taf. nach S. 110), sowie zwei Serien Ölbilder: die eine, holländisch um 1620, in dänischem Privatbesitz (Eugen Holländer, Die Medizin in der klassischen Malerei, Stuttgart 19233, Abb. 300–303), die andere von J. Horemans 1751 ([2] Taf. nach S. 80). Literarische Parallelen zu diesem Motiv sind bisher nicht bekannt geworden.

Ein Stammbuchblatt aus Altdorf, um 1638 (R. und R. Keil, Die dt. Stammbücher des 16.– 19. Jh., Berlin 1893, S. 27), zeigt den Aeskulapius trifrons, der mit dem Goltzius’schen Motiv offenbar in Zusammenhang steht: einen Arzt mit drei Köpfen (Menschenkopf, Christuskopf und Satanskopf). Diese Vorstellung (und damit wohl auch Goltzius’ Erfindung) geht auf eine ältere literarische Tradition zurück, die sich bis zu den Epigrammen des deutschen Humanisten Euricius Cordus (7. Buch, Erfurt 1525) zurückverfolgen ließ, aber vielleicht viel älter ist [2].

Im 17. Jh. macht die Vorstellung Christi als Arzt aber eine entscheidende Wandlung durch und nimmt die feststehende Form des Christus als Apotheker an. Die Annahme Knippings [4], daß diese Darstellung älter sei als das eigentliche Christus-medicus-Motiv, ist unbegründet. Doch zeigt sich, daß im 17. Jh. sowohl in der bildenden Kunst (Plötzin), wie in der Dichtung (Kirchenlied: Er als ein Arzt und Wundermann wird mir nicht Gift einschenken für Arzenei usw., 2. H. 17. Jh.) die Vorstellungen noch durcheinandergehen.

Um 1700 erscheinen einige Werke, die sich mit der Bedeutung Christi als Seelenarzt und Wunderheiland befassen: Joh. Fr. Mejerus (Meyer), De Christo medico, Hamburg 1699. – H. Gerngroß, De Deo, autore verae medicinae, Halle-Magdeburg 1712. – Joh. Heinr. Müller, Deus legislator medicus, Altdorf 1717. – Und als später Nachkomme: H. Ch. Gutsmuths, Dissertano inauguralis medica de Christo medico, Jena 1812.

Die protestantische Ikonographie vermengt die Vorstellung C. a. A. auch mit ähnlichen Darstellungen, etwa der des barmherzigen Samariters, wenn – wie auf einem Bild des 18. Jh. in fränkischem Privatbesitz – Christus aus einer Ampulle sein Blut in die Wunden des Geschlagenen gießt.

Zu den Abbildungen

1. und 2. Holzschnitte aus einem anonymen holländischen Frühdruck, um 1510. Nach [2], Taf. geg. S. 84.

3. Hendrik Goltzius, Kupferstich B. III 99 Blatt 12, aus einer Folge von 4 Allegorien des Arztberufes, um 1587. Ausschnitt. Phot. St. Graph. Slg. München.

Literatur

Monographische Behandlung des Themas fehlt. Hinweise geben: 1. Adolf Harnack, Medicinisches aus der ältesten Kirchengeschichte, Leipzig 1892. – 2. C. E. Daniels, Docteurs et malades, „Janus“, Archives internat. pour l’hist. de la médecine 5, 1900, 20–26, 80–86, 105–112. – 3. Eugen Holländer, Plastik und Medizin, Stuttgart 1912, S. 165–74. – 4. B. Knipping, De iconografie van de contra-reformatie in de Nederlanden I, Hilversum 1939, S. 82f. – 5. Gg. Stuhlfauth, Neuschöpfungen christlicher Sinnbilder, in: Brauch und Sinnbild, Eugen Fehrle zum 60. Geb., Karlsruhe 1940, S. 244. – Zur Matula als Attribut vgl.: 6. Giov. Cau, Urologhi, uromanti, uroscopi e la matula. Rivista di storia delle scienze mediche e naturali 18, 1927, H. 9/10, S. 3–18.

Verweise