Bisamapfel (Bisamknopf, Bisambüchse, Riechapfel)

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englisch: Musk ball, pomander; französisch: Pomme musquée, pomme de musc, pomme de senteur, boîte de senteur; italienisch: Capsula per muschio, Mela muschiata.


Hans Wentzel (1941)

RDK II, 770–774


RDK II, 665, Abb. 23. Ludger tom Ring d. J., Damenbildnis.
RDK II, 769, Abb. 1. M. 16. Jh. Wien.
RDK II, 771, Abb. 2. Berlin, Schloßmuseum.
RDK II, 771, Abb. 3. und 4. Berlin, Schloßmuseum.
RDK II, 773, Abb. 5. Ostfriesisch, 1529 (?). Oldenburg.

I. Bisamapfel

Der B. ist ein kunstvoll gearbeitetes Schmuckgehäuse in Apfel- oder Kugelform zur Aufnahme von Bisam (Pisam = Moschus), dem kostbarsten aller mittelalterlichen Riechstoffe, und anderer mit diesem verwechselter billigerer, aber ähnlich stark duftender Aromatica. Das Material war zumeist Gold oder Silber, ein der Kostbarkeit des Inhalts entsprechender Besatz mit Edelsteinen oder Perlen üblich [1. 2]. Nur ausnahmsweise scheint der B. aus Kupfer oder anderen unedlen Metallen bestanden zu haben.

Ursprünglich ist der B. wahrscheinlich ein orientalisches Gerät: darauf deuten die gelegentliche Bezeichnung à la façon de Damaz [2] und das erste Vorkommen 1174, als Barbarossa von den Gesandten Balduins von Jerusalem goldene, mit Moschus gefüllte Äpfel überreicht wurden [5]. Weiteste Verbreitung und Wertschätzung hat der B. anscheinend während der Pest erfahren: so werden 1348 als Vorbeugungsmittel gegen Ansteckung derartige B. empfohlen [2], und noch bis in die Renaissance hat er diesen medizinischen Charakterbewahrt, wie das überschwengliche Lob von Hans Sachs beweist [4]. Die ersten genaueren Beschreibungen von B. stammen aus den französisch-burgundischen Schatzinventaren des 14. Jh.: B. kommen dort in den verschiedensten Materialien und in mannigfachen Formen – als Granatäpfel (en façon de Grenade), Rosenkranzperlen, Betnüsse mit Bildchen, reliquiarförmige Anhänger usw. – vor [1. 2]. Damals scheint auch schon das Verfahren aufgekommen zu sein, nicht mehr reinen Bisam in B. zu füllen, sondern Anhänger usw. mit einer moschushaltigen Paste zu überstreichen oder Bisam in die vertieften Felder von Betnüssen und Täfelchen einzuarbeiten.

Gotische B. sind trotz ihrer Beliebtheit – 1487 kauft Erzherzog Siegmund von Tirol 27 B. auf einmal [5] – nicht bekannt. Aus dem beginnenden 16. Jh. sind einige B. aus vergoldetem Kupfer oder Messing erhalten: mehrere im Berliner Schloßmus., Abb. 2; ein B. mit der alten Kette im Staatl. K.gew.Mus. in Wien (Abb. 1), ein diesem ähnlicher B. mit 4 Fächern (Canelbalsam, Maioranbalsam, Bernstenoil, Midrithat) im Mus. zu Stralsund, weitere im K.gew.Mus. in Köln (Slg. Clemens). Sie entsprechen genau den häufigen Darstellungen von B. auf Bildnissen der Zeit:

Martin Schaffner, Eitel Besserer 1516, Ulmer Münster; Barthel Bruyn d. Ä., Gerhard Pilgrum, Anna Pilgrum, Frauenbildnis 1538, Frau Questenberg 1552, Köln, W.R.M.; ders., Herrenbildnis, Schloß Rohoncz (Pantheon 6, 1930, Abb. S. 301); Niederdeutscher Meister, Frauenbildnis 1541, Berlin K.F.M.; Chr. Amberger, Herrenbildnis, Lübeck; Anton Heusler, Nicolaus Seidel, Nürnberg G.N.M.; Ludger tom Ring, Frauenbildnis, Bremen, Roseliushaus (Sp. 666, Abb. 23).

Alle diese zeigen durchgängig ein apfelförmiges, meist durchbrochenes Gehäuse, entweder als Anhänger eines Rosenkranzes oder des Gürtels, aber auch mittels einer Kette am Fingerring getragen. Als Bisamknöpfe sind wahrscheinlich die durchbrochenen Kapseln der gleichen Art an dem Männerbildnis des Meisters d. Hersbrucker Altars im G.N.M. (und an tom Rings Frauenbildnis in Köln W.R.M.?) anzusehen. Dagegen ist der große apfelförmige Behälter, den der mittlere König auf Baldungs Anbetung (Berlin, K.F.M.) mit beiden Händen trägt, vermutlich ein B. en façon de Grenade, wie er in dieser Größe zweifellos nur in königlichem Besitz anzutreffen war [2]. Bei den erhaltenen fruchtförmigen Anhängern ist heute oft schwer zu beurteilen, ob es sich um B. oder um Kapseln anderer Art gehandelt hat [7], jedoch kamen B. auch in Deutschland in mannigfacher Form, so als Zirbelnuß, Birne, Herz usw., vor. Erzherzogin Anna von Österreich besaß eine goldene „praite pisembüchsen wie ein Agnus Dei“ und hinterließ 1547 einen goldenen Bisamknopf mit ihrem eigenen Bild und dem ihres Gatten; Karl V. besaß einen B. in Herzform [5]. – Für fürstliche Kunstkammern wurden in der 2. H. 16. Jh. mit Vorliebe Tierfiguren mit Bisam überzogen: einen Bären als Flintenschützen „aus lauter Pisam, inwendig ganz golden, mit Diamant, Rubin und Perl verzieret“ besitzt das Kunsthistor. Mus. Wien [3], einen ähnlichen, der auch als Becher benutzbar ist, die Schatzkammer in München [6].

II. Ambrakapseln und Gewürzbüchsen

Die Seltenheit, Gesuchtheit und unerhörte Kostbarkeit des Moschus führten dazu, auch ähnliche stark duftende Riechstoffe anderer Provenienz und anderen Aggregatzustandes mit dem Namen Bisam zu belegen. Nur Ambra (frz. ambre gris, ambre blanc) erfreute sich ähnlicher Wertschätzung und konnte – da sie in konsistenter Form vorkommt – auch in der Bezeichnung leichter von Bisam unterschieden werden. Wie der Moschus wird sie in apfelförmigen Behältern getragen – ein reizender Ambra-Anhänger als filigranbedecktes Herz im Oldenburger Landesmuseum (Abb. 5) –, daneben aber häufiger als jener in Holzdosen aufbewahrt (z. B. München, Schatzkammer; vgl. auch [2]). Durch ihre feste Form eignete sich die Ambra zur Verarbeitung zu kleinen Bildchen und zu Rosenkranzperlen [1], doch wurde sie auch wie der Bisam zu Pasten verrieben und als Überzug für Preziosen verwendet wie z. B. für eine 4,5 cm hohe Gruppe von Bären, Affen und Hunden in der Münchner Schatzkammer [6, Nr. 592].

Form und Funktion der B. bewahren bis in das 17. Jh. die Gewürzbüchslein oder „Pomander“: kleine apfelförmige Behälter aus Silber, wie eine Orange zerlegbar, z. T. mit Schubfächern auf den einzelnen „Scheiben“ (Berlin, Schloßmus., Abb. 3 u. 4; ein fast gleiches Exemplar, dessen Standfläche zugleich als Siegelstempel diente, ehem. in der Slg. Boffard [7, Nr. 260]) oder gar mit einer eingeschraubten Miniaturschaufel versehen; ein einfacheres Beispiel der ehem. Slg. Figdor (Berlin, Schloßmus.) mit Aufschriften auf den Fächern („Negel“, „Rauten“ usw.).

Seit dem E. 16. Jh. werden die kostbaren älteren Riechstoffe mehr und mehr durch die billigeren und leichter erreichbaren Essenzen und wohlriechenden Wässer ersetzt, die zu ihrer Aufbewahrung der Flakons bedürfen und sich in Form und Tragweise von den B., Ambrakapseln und Gewürzbüchslein unterscheiden.

Zu den Abbildungen

1. Wien, Staatl. K.gew.Mus., Bisamapfel an Fingerring und Kette. Deutsch, M. 16. Jh. Länge 18,5 cm. Phot. Mus.

2. Berlin, Schloßmus., Bisamapfel. Süddeutsch, um 1540. Kupfer, vergoldet. Dm. 4,4 cm. Phot. Mus.

3. u. 4. Ebd., Gewürzbüchschen, geschlossen und geöffnet. Deutsch, 17. Jh. Höhe 5,7 cm. Phot. Mus.

5. Oldenburg, Landesmus., Ambrakapsel aus der Gruft des Grafen Anthon I. von Oldenburg (1505 bis 1573) in der Oldenburger Lambertikirche. Ostfriesische Arbeit, 1529 (?). Vorderseite siebartig durchlocht, Rückseite flach mit Christusmonogramm auf Anker und der Umschrift „in hoc signo vinces“. Silber, vergoldet. Originalgroß. Phot. Mus.

Literatur

1. Gay I, S. 28f. (ambre), II, S. 154f. (musc), 205f. (parfum), 252ff. (pomme). 2. Henri Havard, Dict. de l’ameublement, 2. Aufl. Paris o. J., I, Sp. 66f. (ambre gris), III, Sp. 1028ff. (musc), IV, Sp. 484ff. (pomme de senteur). 3. Julius von Schlosser, Die Kunst- und Wunderkammern der Spätrenaissance, Leipzig 1908, S. 30/31, Abb. 14, S. 49. 4. Ernst Bassermann-Jordan, Der Schmuck, Leipzig 1909, S. 83, 114. 5. Max von Boehn, Das Beiwerk der Mode, München 1928, S. 108, 209ff. 6. Amtl. Führer durch die Schatzkammer der Münchner Residenz, München 1937, Nr. 53, 592, 689 usw. 7. Verst. Kat. Slg. J. Bossard II, München 1911, Nr. 248ff.

Verweise