Bilderbogen

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englisch: Broadsheet; französisch: Image populaire, feuille d'images; italienisch: Stampa popolare.


Adolf Spamer (1939)

RDK II, 549–561


RDK II, 551, Abb. 1. Um 1460. St. Gallen.
RDK II, 551, Abb. 2. Hanns Glaser, Nürnberg, 1561.
RDK II, 553, Abb. 3. Gerhard Altzenbach, Köln, 17. Jh.
RDK II, 555, Abb. 4. Marx Antoni Hannas, Augsburg, A. 18. Jh.
RDK II, 555, Abb. 5. Nürnberg, 1758.
RDK II, 557, Abb. 6. Moritz von Schwind, 1841.

Unter B. verstehen wir heute alle zur Verbreitung bei jung und alt bestimmten, einseitig auf Papier gedruckten Bilder (mit oder ohne Betextung) in mittleren Formaten. Doch ist die Wortfügung in dieser Bedeutung jung: Goethe sprach noch von farbigen, mit Bildern bedeckten „Bogen“, und im 17. Jh. bezeichnete B. den himmlischen Tierkreis (Logau). In mundartlichen Benennungen unserer Tage lebt die Entstehung des B. aus dem Heiligen- und Andachtsbild (RDK I, Sp. 681ff.) weiter. So spricht man in Schwaben von Helgle, Holgle, in Hamburg von Hilligen, nennt der Flame die B. zantjes = blaars, der Bewohner der Champagne des saints, unbeschadet des Darstellungsgehaltes. Diese B. sind gleichermaßen Kunstbild- wie Schriftersatz für die des Lesens Unkundigen und dienen seit ihren Anfängen ebenso der Unterhaltung, Erbauung oder Nachrichtenvermittlung, wie sie als Mittel erzieherischer, politischer und weltanschaulicher Beeinflussung auftraten. Ihre außerordentliche Bedeutung für das Volksleben verblaßte erst im späten 19. Jh. mit dem Aufkommen der Bildpostkarten (ab 1871), der Reklamebildserien (Liebig, Stollwerk, Zigarettenbilder), der Verbreitung illustrierter Zeitungen und Zeitschriften und schließlich der Wochenschauen der Lichtbildtheater.

Die Geschichte des B. beginnt mit dem Holztafeldruck vor M. 14. Jh., als ein Teil der Briefmaler, um die gesteigerte Nachfrage nach dem Andachts- und Wallfahrtsbild zu befriedigen, zu Briefdruckern und Formschneidern wurde. Doch stammt der frühest datierte deutsche Einblattbilddruck, der hl. Christophorus aus der Karthause Buxheim, erst von 1423, und Jörg Haspel von Biberach (zwischen 1430–50) ist der älteste, namentlich an ein Blatt gebundene Holztafelschneider. In den letzten 3 Jahrzehnten des 15. Jh. treten neben die Masse religiöser Darstellungen (Abb. 1) weltliche Motive alten und neueren Ursprungs (Lebensalter, Altweiberofen, Himmelserscheinungen, Naturwunder, Porträt des türkischen Kaisers Machometus usw.), darunter auch Antisemitica (Sakramentsfrevel zu Passau, 1477, und Sternberg, um 1492, der zu Triest ermordete Knabe Simon, das Judenschwein). Die Erfindung des Druckes mit beweglichen Lettern wirft bald eine große Menge von Einblattflugdrucken auf den Markt, die oft zwischen reinen Textdrucken und betexteten B. hin- und herschwanken, bei denen sich der Formschneider auf den reinen Bildschnitt beschränken kann. Die wenigen B. in Schrotmanier verschwinden nun ganz, und zu Ausgang des 15. Jh. und dem Beginn des folgenden verlegen vielfach bekannte Drucker selbst die künstlerischer ausgeführten Blätter: Anton Koberger und Georg Stüchs in Nürnberg, Hans Froschauer in Augsburg, Konrad Kachelofen in Leipzig, Albert Kunne in Memmingen, Thomas Anselm in Pforzheim u. a. Für die Druckerei des Augsburgers Erhard Ratdolt fertigte Hans Burgkmair B. Um die Wende des 15./16. Jh. wächst der B. zur „Neuen Zeitung“ als der Übermittlerin aktueller Zeitereignisse aus und wird zugleich Träger des Versgutes bekannter Dichter. In den 24 „Bildergedichten“ (1492 bis 1605) des Sebastian Brant, die Wundergeburten und Himmelserscheinungen politisch und erzieherisch ausdeuten oder sich auf religiösem wie politischem Gebiet bewegen, hebt diese neue Literaturform an. Doch wenden sich Brants B., wie lat. Parallelausgaben und doppelsprachige Texte zeigen, in erster Linie an die ihm nahestehenden Gelehrtenkreise. Das gleiche gilt von den in B.-Form veröffentlichten Dichtungen des Konrad Celtis. Volkstümlicher geben sich die 107 Bildergedichte des Hans Sachs: Haussegen, Klagen über den moralischen Verfall der Welt, didaktische Legenden und Schwänke, Tischzuchten und Heiratsvorschläge, die verkehrte Welt und das Schlaraffenland. Dazu eine religiöse Polemik, die sich später in den 30 B.-Dichtungen des Johann Fischart (1570–84) reich und derb entfaltet. In dessen von Tobias Stimmer gezeichneten Gorgoneum caput tritt uns zuerst eine allegorische, aus Figuren zusammengesetzte Gestalt (nach dem Vorbild der Gemälde des Giuseppe Arcimboldo) entgegen, die bis in die Ansichtspostkarten unserer Tage Nachahmung fand. Noch im 17. Jh. beteiligt sich ein Michael Moscherosch an solchen Bildergedichten. Doch bleibt im volkstümlichen B. des 16. Jh. das Bild die Hauptsache, und es entwickelt sich schnell, gefördert von der Wanderlust des Briefmalergesellen und dem regen Kopistentum, ein fester B.-Stil im Holzschnitt und der Kolorierung. Stofflich kehren die Schlachtenbilder und Städtebelagerungen immer wieder, wunderbare Begebenheiten und Gesichte, Feuersbrünste, Folterungs- und Hinrichtungsszenen, Abbildungen seltsamer Kornähren, Hagelschlossen und Himmelserscheinungen (Abb. 2), Darstellungen aus fremden Ländern und Völkern oder von besonderen Persönlichkeiten (Fürsten, Kaufleute, Jahrmarktschausteller, Abnormitäten, Verbrecher), Wiedergaben von Schützenfesten und Tanzbelustigungen. Unter den Bildern verschiedener Berufe sind die Landsknechtblätter Vorläufer der später so beliebten Soldaten-B. Die Türkennöte spiegeln sich in zahlreichen Flugbildern, und das 1575 erschienene Begräbnis des Sultans Selym ist eine der frühesten B.-Darstellungen eines Leichenkondukts, den man seit Beginn des 17. Jh. gern zu politisch-satirischen Blättern verwertete. In der Schweiz erscheint zu Jahrhundertende der erste B. vom Tellschuß. Auch tauchen schon im 16. Jh. Spottbilder auf verschiedene Stände, die Reichen und die Geizigen auf. Vor allem aber gewinnen die satirischen B. in den Reformationskämpfen Boden und schaffen Bildtypen, die zusammen mit jenen des 30jährigen Krieges bereits fast das ganze politische Bildkampfgut unserer Tage vorzeichnen. Insbesondere bedient sich die protestantische Seite solcher B. gegen Papst, Ablaß, Messe, Interim, und Reformatoren wie Luther und Melanchthon, Zeichner wie Lukas Cranach u. a. beteiligen sich an ihrer Herstellung. Daneben kommen evangelische Gedenkblätter, von Versen begleitete Porträts der Reformatoren und verwandte Darstellungen in Umlauf. Die Einbeziehung des B. in die kirchenpolitischen Kämpfe, die skrupellose Überbietung in sensationellen Tagesdarstellungen und moralische Unbedenklichkeiten riefen in Nürnberg schon 1520 Zensurmaßnahmen gegen die „schendtlich“ und „unzüchtig gemel“ auf den Plan, über die uns die Ratsverlässe berichten (Theodor Hampe, Nürnberger Ratsverlässe über Kunst und Künstler im Zeitalter der Spätgotik und Renaissance, 2 Bde, Wien und Leipzig 1904). Wie der Rat die Verfertiger unliebsamer politischer Satirica einsperren ließ, immer wieder B. aus stofflichen wie künstlerischen Gründen verbot und Morddarstellungen schließlich ganz untersagte, wie er die Verkaufsstellen kontrollierte, den Nachdruck regelte, eine große Zahl fremder Briefmaler auswies, so gab er auch die Druckgenehmigung für Wunderzeichen und Himmelserscheinungen schließlich nur nach Prüfung ihrer Glaubwürdigkeit. Gleichwohl verstanden es die einheimischen Briefmaler immer wieder, derlei Vorschriften zu umgehen, erwirkten auswärtige die Zuzugsgenehmigung zur Errichtung einer Werkstätte oder zur Berufsausübung im Stückwerk. Wie schnell die B.-Fabrikation um die Jahrhundertmitte arbeitete, beweist ein Vorfall von 1551, als der Rat schon einen Tag nach der Geburt eines Kindes mit vier Füßen und vier Händen den Antrag der Briefmaler, eine Abbildung dieses Monstrums zu bringen, ablehnen konnte. Kennen wir von Nürnberger B.-Verfertigern des 15. Jh. nur wenige wie den Junghans (1472), Wolfgang Hamer (um 1470–80), Jörg Glockendon (1480–1501), Hans Paur, so hebt sich aus 1. H. 16. Jh. der vielgeschäftige Steffan Hamer heraus, der auch für die Hans Sachsischen Bildergedichte gleich Niclas Meldemann, Hans Guldenmund, Wolfgang Resch, Georg Pencz, Schäufelein, Erhard Schön u. a. Nürnbergern sowie dem Augsburger Anthony Corthoys arbeitete. Auch beteiligen sich jetzt und später gelegentlich Künstler von Rang (Dürer, Jost Amman) an der B.-Herstellung. Nach 1550 wächst die Zahl der B. schneidenden, grell kolorierenden und handelnden Briefmaler außerordentlich an, ohne daß ein besonderes Talent der technisch gut entwickelten, im übrigen ziemlich einförmigen B.-Ware ihr Gepräge gibt. Doch benutzte in dieser Hochflut der Holzschnittblätter schon Balthasar Jenichen (neben Matthes Zündt) den Kupferstich für seine politischen, antipäpstlichen Spottbilder wie auch als Chronist der Zeitereignisse, und der Kölner Franz Hogenberg brachte 1558–1610 bilderbogenartige Illustrationen zur Zeitgeschichte in laufender Numerierung auf den Markt. Nächst Nürnberg war damals Augsburg die bilderbogenreichste Stadt mit einer entsprechend großen Anzahl von Briefmalern, die sich meist zugleich als Flugblattverleger betätigten, zuweilen auch Werkstätten führten, die noch im folgenden Jahrhundert in Familienbesitz arbeiteten. Zu den bekannten zählen Anthony Corthoys, Sebastian Hansmann, Johann Georg Haym, Hans Hofer, Georg Jäger, Bartholomäus Käppeler, Georg Kreß, Michael Manger, Michel und Hans Moser, Hans Rogel, Hans Schultes (Vater und Sohn), Moritz Wellhöfer, Martin Weygel, Josias Wörly. Dabei ergibt sich die Vormachtsstellung Nürnbergs und Augsburgs in der deutschen B.-Erzeugung aus dem Umstand, daß beide Städte die zahlreichsten Druckereien besaßen, wie denn das bayrisch-fränkisch-schwäbische Gebiet in Druck und Bild dem Norden weit voraneilte und der Flugblattware seine besondere Aufmerksamkeit schenkte. So überragten Augsburg und Nürnberg in der Anzahl der vor 1500 errichteten Offizinen (17 bzw. 16) die übrigen deutschen Städte, von denen Straßburg mit 14, Köln mit 11, Basel mit 9, Leipzig mit 8, Mainz mit 7 Verlagen folgen. Von den etwa 1600 bisher bekannt gewordenen Inkunabeleinblattdrucken entfallen 584 auf Druckereien dieser Gaue, davon 261 auf Augsburg, 185 auf Nürnberg, die übrigen auf Bamberg, Eichstätt, Ingolstadt, Memmingen, München, Passau, Regensburg, Würzburg. Doch sind aus Ulm mit nur 4 Offizinen 117 Einblattfrühdrucke erhalten. Fallen für die B.-Produktion des 16. Jh. manche dieser Orte aus, während neue hinzukommen, so gibt sich die künstlerische Handschrift der volkstümlichen Tageserzeugnisse in B.-Form im 16. Jh. doch kaum anders, ob nun ein Blatt von einem Nürnberger oder Augsburger Briefmaler oder aus der Werkstatt des Leonhart Reinmichel in Lauingen, des Gabriel Schnellboltz in Wittenberg bzw. einer anderen Stadt stammt.

Im städtischen B. des 17. Jh. verdrängt der Kupferstich zunehmend den Holzschnitt, wobei zumeist das Bild allein von einer Kupferplatte abgedruckt wird, während der Beitext wie bei der Mehrzahl der Holzschnitte des 16. Jh. in Drucklettern gesetzt ist. Dabei leben die alten, volkläufig gewordenen Themen weiter, doch tritt in den Wirren des 30jährigen Krieges das politisch-satirische Bildblatt in den Vordergrund des Interesses. Es richtet seinen Spott gegen verhaßte oder besiegte Fürsten und Heerführer (insbesondere den Winterkönig), gegen die Jesuiten sowie alle sozialen und sittlichen Zeitschäden: Kipper- und Wippertum, Kreditinflation, Wucher, Trunksucht, Modenarrheiten (Alamode, vgl. RDK I, Sp. 324ff.) und erotische Ausschweifungen (Hahnreibilder), gegen die moralische Verwahrlosung der verschiedenen Stände, Mägdefaulheit, Advokatenbetrug und Soldatenbrutalität. Dabei dienen oft, besonders in den politischen Satiren, niederländische B. als Vorlagen. Gegen die 2. H. dieses Jh. nehmen die Darstellungen fürstlicher Feste und Leichenbegängnisse sowie Gedenkblätter auf den Frieden, Jubiläen u. dgl. zu. Wieder stellt Nürnberg in solchen kupfergestochenen Bildblättern den größten Verleger der Zeit: Paulus Fürst (1605/06–66), der dem Bilderhandel seiner Stadt einen solchen Auftrieb gab, daß 1698 der Augsburger Bilderverlag von Johann Christian Weigel dorthin übersiedelte. Die Motive des Fürstschen B. sind großenteils dem intereuropäischen Bildgut entlehnt, wie auch dieses seine Blätter ausschlachtet. Unter den B.-Kupferstechern anderer Städte schufen besonders Jacob von der Heyden (Straßburg), Gerhard Altzenbach (Köln, Abb. 3), Peter Isselburg (zeitweise in Bamberg), Abraham Aubry (Frankfurt a. M.), Mathias und Christoph Greuter, Johann Klocker und David Manasser (Augsburg) volkstümliche Bildtypen. Hier in Augsburg stand neben dem Kupferstich noch die Holzschnittkunst und die grelle Illuminierung bäuerlicher, meist religiöser B. in Blüte, an deren Herstellung in erster Linie die „Cath. Brieffmahler“ tätig waren, wiewohl sich auch protestantische nicht der Verfertigung von Wallfahrtsbildern versagten. Unter den zahlreichen Verfertigern dieser volkstümlichen Bildware, von denen manche zugleich Verleger waren, ragen Abraham Bach, Elias Droger, Andreas Fischer, Jeremias Gadt, Marx Antoni Hannas (Abb. 4), Georg Kreß, Georg Ludwig Kurtz, Christian und Matthäus Schmid, Caspar Schultes, Jakob Sedlmayr, Johann Philipp Steudner, Boas Ulrich d. Ä., Elias Wellhöfer und Martin Wörlin hervor. Das Wirken einzelner dieser Formschneider erstreckt sich noch bis in das 18. Jh., in dem sich der Augsburger Briefmaler Albrecht Schmidt zu einem äußerst fruchtbaren Verleger solcher Holzschnitt-B. entwickelte, daneben auch gelegentlich in Kupfer gestochene B. vertrieb und schon numerierte Reihen in den Handel brachte. Dieses Jahrhundert industrialisiert den B.-Vertrieb in steigendem Maße, richtet ihn auf die verschiedenen Volkskreise (Bauern, Städter) und Lebensalter (Erwachsene, Kinder) ein und betrachtet ihn als Ausfuhrartikel. Hatte schon ein einfacher Formschneider wie Abraham Bach einen seiner B. französisch betextet (Le sacrifice d’Abraham. Augsbourg Chés [!] Abraham Bach, au faubourg Sainte Croix), so wird späterhin beim kupfergestochenen B. eine deutsch-französische Beschriftung die Regel, wo man nicht gleich durch einen viersprachigen Text (deutsch-lat.-ital.-franz.: Georg Balthasar Probst) den Absatzmarkt noch mehr zu erweitern suchte oder, wie es ein anderer Augsburger Großverleger, Martin Engelbrecht, tat, sich in Paris einen eigenen Wiederverkäufer hielt. Ist doch dieser B. des 18. Jh., vertrieben von Verlagshäusern internationalen Rufs wie J. P. Wolffs Erben in Nürnberg, Jeremias Wolff, Engelbrecht und zahlreichen anderen Firmen in Augsburg, zu einem künstlerischen Modespiel der Zeit geworden, in dem sich die ganze Ideen-, Gefühls- und Formenwelt des Spätbarock und Rokoko spiegelt und zu dem die bekanntesten Künstler beisteuerten. Neben solchen Darstellungen galanter Szenen, den Vergnügungen der Jagd und des ländlichen Lebens, Modekarikaturen und Potpourribildern blühen nun im B. das Soldaten- und Tierbild auf, stellen sich neben die ausgesprochenen Kinder-B. die Lotterie- und Guckkastenbilder, spielt in den satirischen Blättern der Schneiderspott eine besondere Rolle, spricht das im ausgehenden 18. Jh. neuerwachte Interesse an dem Volksleben aus zahlreichen Darstellungen von ländlichen Trachten, Bräuchen und Festen, Jahrmarktszenen, Kinderspielen, stadtbekannten Originalen, Straßenverkäufern, Orgelmännern und Bettlern.

Im 19. Jh. verblaßt der Ruhm der bisher führenden Bilderhandelsstädte Augsburg und Nürnberg, und neue Verlage wachsen an neuen Orten auf. Doch schlägt in Nürnberg Friedrich Napoleon Campe (seit etwa 1815) mit seinen sorgfältig kolorierten Stichen zur zeitgenössischen Klassiker- und Modedichtung (an deren Illustrierung sich auch die alte Endterische Verlagshandlung versucht) nochmals einen frischen Ton im B. an, während der C. Riedelsche B.-Verlag Stoffe aus der deutschen Geschichte bevorzugt und im Haus G. Renner (u. Co.) wieder ein großes, volkstümliches Unternehmen mit alten und zeitnahen B.-Themen emporwächst. Bald geben die Erzählstoffe der von den Brüdern Grimm gesammelten Sagen und Märchen dem deutschen Kinderbilderbogen das gleiche Gepräge wie die Perraultschen Märchen dem französischen. Im Technischen verdrängt das Steindruckverfahren zunehmend den Holzschnitt und Kupferstich. Doch bleibt im B. die Schablonenkolorierung noch Jahrzehnte nach der Erfindung der Farbplattenlithographie (1826) lebendig. Während in den katholischen Ländern neue Devotionalbildverlage, besonders in Wien und Prag, auch den religiösen B. als Haus- und Stallsegen oder Wallfahrtsandenken übernehmen, pflegt ein Verleger wie J. H. Hermann in München (seit etwa 1830; später: Hermann und Barth) das Trachtenbild sowie Darstellungen aus dem bürgerlichen Gesellschaftsleben für städtische Käuferkreise. Das Revolutionsjahr 1848 verhilft dem politischen B., an dessen Herstellung sich besonders Berliner Firmen beteiligen, wieder zu Tageserfolgen. Wesentlich auf den Absatz in einer gehobenen Bildungsschicht beschränkt blieben die holzgeschnittenen „Münchener Bilderbogen“ von Braun und Schneider (Abb. 6), trotz zahlreicher Märchen- und Kinderstoffe und obwohl jenes Haus in Geldern eine niederländische Bildreihe verlegte, der Verlag Brepols und Dierck & Zoon in Turnhout einige seiner Blätter kopierte. Ähnliches gilt auch von den seit etwa 1830 in Chromolithographie gefertigten B. von Joseph Scholz in Mainz (dem späteren Kinderbuchverleger) wie in erhöhtem Maß von den Schattenriß-B. der Firma Friedrich G. Schultz in Stuttgart, die in der 2. H. 19. Jh. die Konewkamode ausmünzten. Doch stehen neben solchen, von kunsterzieherischen Erwägungen geleiteten Unternehmen eine Reihe großer, insbesondere die ländlichen Bedürfnisse berücksichtigender B.-Verlage. Von ihnen gehört das Haus Wentzel (jetzt: C. Burckardts Nachf. R. Ackermann) in Weißenburg i. E. sowohl der deutschen wie der französischen B.-Geschichte an. Vom Anfang der 30er Jahre bis in den Weltkrieg versorgte es fast die ganzen süddeutschen Berglande mit seinen bunten Bildblättern, neben denen sich lediglich die B. von Eduard Gustav May in Frankfurt a. M. einigermaßen behaupteten. In ganz verwandter Weise, und großenteils die gleichen weltlichen und geistlichen Stoffe pflegend, arbeiteten im Norden Magdeburger und Neuruppiner Verlage. Von ihnen hat Robrahn u. Co. in Magdeburg-Sudenburg seine seit 1823 betriebene B.-Fabrikation 1928 eingestellt, während die Neuruppiner Firmen (Gustav Kühn, seit 1775; Oehmigke u. Riemschneider, seit 1831) noch in beschränktem Ausmaß die bäuerliche Bevölkerung abgelegener Gegenden beliefern. Auch arbeiteten alle diese Verlage für ausländische Absatzgebiete, wobei Polen besonders dem Andachts- und Wallfahrts-B. die Tore öffnete.

Zu den Abbildungen

1. Christus als guter Hirte. Holzschnitt, St. Gallen, 2. H. 15. Jh. Nach Heitz, Einblattdrucke des 15. Jh., Bd. 3, Taf. 6.

2. Hanns Glaser, Briefmaler zu Nürnberg, Holzschnittbilderbogen mit Lichtsäulen, die bei Nürnberg gesehen wurden, 1561. Nach Hans Fehr, Massenkunst im 16. Jh., Berlin 1924, Taf. 58.

3. Gerhard Altzenbach, Kupferstich „Auf- und Niedergang des männlichen Alters“, 17. Jh. Phot. Verf.

4. Holzschnittbilderbogen des Augsburger Briefmalers Marx Antoni Hannas „Der Bauernknechtbaum“, A. 18. Jh. Nürnberg, G.N.M. Phot. Mus.

5. Ankündigung einer Tierschau vom 29. März 1758 in Nürnberg, Holzschnitt. Nürnberg, G.N.M. Phot. Mus.

6. Moritz v. Schwind, „Herr Winter“. Münchner Bilderbogen Nr. 5 v.J. 1841.

Literatur

1. Emile van Heurck et G. J. Boekenoogen, Historie de l’imagerie populaire flamande et de ses rapports avec les imageries étrangères, Brüssel 1910 (enthält Abriß der deutschen B.-Geschichte). 2. Carl Rosenkranz, Die Bilderliteratur des deutschen Volkes. In: Geschichte der deutschen Literatur, Königsberg 1836. 3. Karl Schottenloher, Flugblatt und Zeitung, (Bibl. f. Kunst- und Antiquitäten-Sammler, Bd. 21), Berlin 1922. 4. W. L. Schreiber, Handbuch der Holz- und Metallschnitte des 15. Jh., Straßburg 1926–30. 5. Konrad Häbler, Einblattdrucke des 15. Jh., Ein bibliogr. Verzeichnis, (= Sammlung bibliothekswissenschaftlicher Arbeiten, Heft 35/36), Halle a. S. 1914. 6. Einblattdrucke des 15. und 16. Jh., hrsg. von Paul Heitz, Straßburg, seit 1908 (bisher 81 Bde). 7. Max Geisberg, Der deutsche Einblattholzschnitt in der 1. H. des 16. Jh., München 1923–30 (40 Mappen). 8. Flugblätter des Sebastian Brant, hrsg. von Paul Heitz (= Jahresgabe d. Ges. f. elsässische Lit., Bd. 3), Straßburg 1905. 9. Max Geisberg, Hans Sachs in den Meisterwerken deutscher darstellender Kunst, 4 Bde, München 1928. 10. Heinrich Röttinger, Die Bilderbogen des Hans Sachs (Stud. z. dt. Kg. 247), Straßburg 1927. 11. Camillus Wendeler, Zu Fischarts Bildergedichten, in: Archiv für Literaturgeschichte Bd. 7 (1878) und 12 (1883). 12. J. Scheible, Die fliegenden Blätter des 16. und 17. Jh. in sog. Einblattdrucken, Stuttgart 1850. 13. Johannes Bolte, Der Kunsthändler Paulus Fürst in Nürnberg, in: Zs. d. Vereins f. Volkskunde 20, 1910. 14. Theodor Hampe, Beitr. zur Gesch. des Buch- und Kunsthandels in Nürnberg, II. Paulus Fürst und sein Kunstverlag (Mitt. aus d. G.N.M. 1914 u. 1915), Nürnberg 1915. 15. Wilh. Fraenger, Materialien zur Frühgeschichte des Neuruppiner Bilderbogens, in: Jb. f. hist. Volkskunde I, Berlin 1925. 16. Ders., Deutsche Vorlagen zu russischen Bilderbogen, ebd. Bd. II, Berlin 1926. 17. Albert Hämmerle, Die Familie Steudner. In: Das Schwäbische Museum 1926. 18. Adolf Spamer, Arbeitsstand und Problemstellungen der deutschen Bilderbogenforschung, in: Volkskundearbeit, Festschrift für Otto Lauffer, Berlin und Leipzig 1934. 19. Ders., Weißenburg i. E. als Bilderbogenstadt, in: Beitr. zur Kulturgeschichte der Rheinlande, Festschrift für Franz Schultz (Schriftenreihe des Wiss. Instituts der Elsaß-Lothringer im Reich an der Univ. Frankfurt, N.F. 18), Frankfurt a. M. 1938. – Dazu: zahlreiche, verstreute Aufsätze über Bilderbogenmotive von Johannes Bolte, die auch die B.-Verlagsgeschichte erhellen.