Beschlagwerk (Beschlägwerk)
englisch: Strapwork; französisch: Ferrure, ornement en forme de ferrure, penture, cuirs; italienisch: Ornato a imitazione di ferratura.
Klaus Hinrichsen (1938)
RDK II, 321–327
I. Begriff
B. nennt man ein bandartiges, symmetrisches Ornament in der Art aufgenieteter metallener Beschläge, das im Zeitalter der Renaissance zur Füllung von Flächen angewandt wurde. In seiner ursprünglichen Form braucht das B. eine Rückwand, vor der es sich in der Fläche oder schwachplastisch mit seinen meist hart gebrochenen, in der Bewegung oft plötzlich geänderten Stegen und flachen Zungen erstrecken kann. Gelegentlich tritt das B. auch ohne Anlehner auf, so daß es als ein freistehendes Gerüst [10] erscheint. Häufig geht es eine Verbindung mit dem Rollwerk ein, woraus eine eigene Mischgruppe „Roll- und Beschlagwerk“ entsteht. In jedem dieser Fälle werden die Verbindungsstellen gern durch Löcher, Rauten, Bossen, Nagel- und Nietkopfandeutungen betont. Der leicht monotone Eindruck wird durch die Einbeziehung von Masken, Fruchtgehängen und anderen vegetabilischen und grotesken Ornamenten in das B. aufgehoben.
Die Bezeichnung B. wurde anscheinend erst kurz vor 1890 geprägt. (Frühe, einmalige Anwendung bei G. Pauli [9] S. 2: „der sogenannte Band-Beschlag- oder Rollwerkstil“; im weiteren Text meist „Streifen- und Bandornament“ genannt.) Noch in der gegenwärtigen Literatur wird der Begriff oft nicht richtig angewandt. Der Name entstand wohl aus der materialtheoretischen Erklärungsart der Sempernachfolge in Assoziation dieser Gebilde mit dem Metallbeschlag.
II. Entstehung und Entwicklung
Das B. hat in allen bandartigen Flächenfüllungen seine Vorläufer. Doch ist es ohne das in Fontainebleau entstandene und vor allem in den Niederlanden ausgebildete (Cornelis Bos und Cornelis Floris) Rollwerk nicht denkbar. Das Rollwerk blieb bei aller üppigen Durchschlingung seiner aus verschiedenen Schichten wachsenden Zungen und Fahnen zunächst nur ein rahmendes Ornament. Erst die Verbindung mit dem Maureskenband konnte die Kurvenkraft [1] des Rollwerks bezwingen und im flachen B. zu einem symmetrischen Füllornament gestalten, das sich durch eine erneute Rahmung einen Randabschluß gab.
Das B. ist eine „Erfindung“ des Niederländers Johann (Hans) Vredeman de Vries (1527 bis 1604) aus dem Kreise des Cornelis Floris (1514–75). Der Verleger Hieronymus Cock brachte gegen 1560 zwei Serien Kartuschen und Grotesken ohne Angabe des Verfassers, jedoch mit Sicherheit von Vredeman, heraus: I–XX und A–Q (Blatt F mit zwei Porträtköpfen); ([4, S. 149]: Serie G.; [3, Taf. 171 u. 172], Blatt I, V, X, XV u. [3, Taf. 173], Blatt I), denen nach 1565 Architekturteile nach den antiken Ordnungen folgten ([4, S. 150]: Serien O, P u. Z). In diesen Serien, die sich zunächst noch an Floris anlehnen, wird dessen Rollwerk, Lattenarchitektur und Holzsparrenwerk verflacht und in die Ebene projiziert, wobei Vredeman im Gegensatz zu Floris an der von Cornelis Bos bewahrten Fontainebleau-Tradition eines Hintergrundes festhält. Die nun in der Form dem Metallbeschlag des Kunstgewerbes ähnlichen Stege und Bänder haben schreinermäßigen Holzreliefcharakter. Die Füllung führt zunächst von einem Zentrum (Schrifttafel oder Maske) zu den Rändern; allmählich wird die Expansion freier, so daß sich ein Netz von den Seiten bis zur Mitte ausbreitet, die ganze Fläche überspinnend und einteilend. Dabei finden vor allem in den architektonischen Vorlageblättern schmückende Teile wie Bossen, Rauten, Diamantquader, aber auch Masken und Fruchtgehänge Verwendung. Da das B. im Gegensatz zum Rollwerk keine Tiefe besitzt, können diese dekorativen Zutaten nur aufgesetzt oder höchstens flach durchgesteckt werden (Abb. 1).
Das B. löst das Rollwerk nicht ab, es ist vielmehr eine aus dem Rollwerk abgeleitete Sonderform, die sich auf Innenflächen beschränkt und nur selten selbst Kontur bildet, während gleichzeitig das Rollwerk zumal in seiner rahmenden Funktion erhalten bleibt und sich zum Teil mit dem B. vermischt. Das B. findet bereits seine vollständige Ausbildung in den Niederlanden, bevor es sich seit den achtziger Jahren des 16. Jh., wahrscheinlich durch einströmende Niederländer und den selbst viel in Deutschland reisenden Vredeman, mit den Hansestädten beginnend im ganzen Reich ausbreitet. Praktisch ist es das häufigste Ornament des ausgehenden 16. und frühen 17. Jh. in Deutschland; es diente überall zur Füllung größerer Flächen, während das Kleinkunsthandwerk den sogenannten Keulenschwung bevorzugte. Bis nach der Jahrhundertwende bleibt in den Architektur-, Goldschmiede- und Schreinervorlagestichen der struktive, band- und stegartige Charakter des B. erhalten (nur die aufgesetzten Schmuckelemente komplizieren sich), wenn auch die geometrische Härte sich allmählich in weniger eckige Linien und C-Schwünge und Kurven wandelt. Dann aber beginnt auch auf das B. die Tendenz zur Erweichung und späteren Verknorpelung aller Formen einzuwirken. Hierdurch wurde der Materialcharakter (Holz-, Leder-, Metall-„Beschlag“) endgültig aufgehoben, wobei es bemerkenswert ist, daß sich die Umbildung eher in der praktischen Verwendung als in den Stichen zeigt [6]. Die seit dem 2. Jahrzehnt allgemein teigigen Formen bringen nur eine Neubildung hervor, die Ohrmuschel; im übrigen überziehen sie nur die Spätrenaissance-Ornamente, so daß man im 17. Jh. neben Rahmenknorpelwerk und Schweifgroteske auch von einem Beschlagknorpelwerk [1] als der barocken Umformung eines Renaissance-Ornaments sprechen muß. Das Beschlagknorpelwerk fand ebenfalls Verbreitung im Stich und reichste Anwendung: bis ins letzte Drittel des 17. Jh. ist es nachzuweisen. Es nähert sich, nach Aufhebung des trennenden Materialempfindens, dem erweichten Rollwerk wieder und saugt schließlich noch die entartete Schweifgroteske auf. Erst das Laub- und Bandelwerk (RDK I, Sp. 1429ff.) beendet die Wirksamkeit des B.
III. Verwendung (Architektur, Goldschmiedekunst, Tischlerhandwerk) und zeitliche Begrenzung
Das B. ist ein außerordentlich bequemes und daher sehr häufig angewandtes Ornament. Es fand weniger durch die reinen Ornamentstecher (z. B. Lucas Kilian und Christoph Jamnitzer) Verbreitung – denen es vielleicht zu einfach und unkünstlerisch war – als in den Werkbüchern für Baumeister, Goldschmiede und Kunsttischler. Die ausübenden Handwerker entwickelten das B. von seiner klassischen Form zur erweichten, lange bevor der Stecher des Verlages Gottfried Müller in Braunschweig 1621 das Compartimentbüchlein herausgab. Der Nordwesten des Reiches, der Bremer Kunstkreis [9], nahm als erster die niederländische Anregung des B. auf und verarbeitete sie. In diesem Kreise ist auch die Erweichung und Verknorpelung entstanden [5], die sich jedoch nicht so weit wie das reine Vredeman-B. im Reiche durchsetzt, wo sich in konservativen Gegenden noch im zweiten Drittel des 17. Jh. das B. unverändert findet.
Architektur: Vredeman selbst stellte sich seit 1565 in den Dienst der Architektur, indem er ganze Gebäude, vor allem aber Einzelteile entwarf (Abb. 1). Das B. beschränkt sich in der Regel in den Entwürfen und den in Deutschland und in den Niederlanden ausgeführten Bauten auf Einzelteile. Es füllt Erker, Portale, Giebel, Pilaster, Stützenglieder, Sockel, Säulen u. a. m. Die Füllung einer ganzen Fassade wie am Haus am Ring 29 in Brieg (Schlesien, 1621) ist äußerst selten. Fast an jedem größeren Gebäude um 1600 in Deutschland findet sich an irgendeiner Stelle das B., das sich in jedem Material herstellen ließ; Stein: Brunnen des Schlosses zu Ettlingen, Haus zum Ritter in Heidelberg (1592); Holz: Giebel des Salzhauses (Wedel) auf dem Römerberg in Frankfurt a. M. (E. 16. Jh., Abb. 3), Erker am Rathaus zu Lübeck (1586); Stuck: Kapelle der Wilhelmsburg zu Schmalkalden (gebaut 1590 von Wilhelm Vernucken, Abb. 4), Hechingen, St. Luzen (1586–89; Sp. 119/120, Abb. 12). – Schon 1608–12 finden sich erste Spuren des erweichten B. am Bremer Rathaus [5], um 1618 besonders eindrucksvoll am Essighaus zu Bremen (Sp. 118, Abb. 11). Die Wandlung vom „klassischen“ B. zum frühbarocken läßt sich z. B. am Rathaus zu Lemgo verfolgen, dessen Laube von 1589 noch das reine B. zeigt, während der Giebel der vorgebauten Apotheke von 1612 bereits teigig erweicht ist (RDK I, Sp. 835/6, Abb. 1). Vgl. denselben Wandel an der Erzbischöflichen Residenz zu Trier zwischen 1599 und 1623. – Typisch für die völlige Lösung vom ursprünglichen Materialcharakter sind die Architekturbücher des Wendel Dietterlin seit 1593 (RDK I, Sp. 970, Abb. 3). Über die Ausbreitung des B. in Deutschland vgl. Bauornament (Sp. 121f.) sowie L. Pulvermacher [10].
Goldschmiedekunst: Auch die Goldschmiede nahmen das neue Füllornament für ihre größeren Arbeiten, besonders für Gefäße (RDK I, Sp. 52, Abb. 4) gern auf, während sie für die kleineren Stücke an der Maureske oder dem Keulenschwung festhielten. Die anscheinend frühesten deutschen Goldschmiedeentwürfe schuf 1579 Georg Wechter mit seinen „30 stuck zum verzachnen für die goldschmid“ (Abb. 2). Das ursprünglich harte und plastische B. verflüchtigt sich bei den Punzenstechern bald zu feinen, bandartigen Linienkonstruktionen, behält aber sowohl in den Entwürfen von Bernhard Zan, Paul Flindt und Matthäus Merian d. Ä. als auch in den ausgeführten Arbeiten den B.-Charakter.
Tischlerhandwerk: Den Schreinern war das B. am gemäßesten. Selbst die Außenteile der Architektur sind ja in dieser Zeit nichts anderes als übertragene Innenraumdekorationen. Für die Tischler lag die Vorstellung eines aus einer dünnen Holzplatte ausgesägten Zierblattes [7, S. 171] nahe. Sie konnten Abschlußleisten, Rahmen, Wandfelder und alle Gebrauchsgegenstände (vgl. das Altarpult, RDK I, Sp. 528) mit B. überziehen, wofür sie schon bei Vredeman selbst reichste Anregung fanden. Die Stilfortschritte des B. lassen sich an den deutschen Schreinerbüchern von Ebelmann, Eck, Guckeisen und Krammer um 1600 verfolgen [6, S. 13]. In manchen Fällen befreiten die Handwerker das B. von seinem Hintergrund und gestalteten es zu einem Gitter, z. B. an der Bürgermeisterkapelle der Marienkirche zu Lübeck (um 1590) und in den „freischwebenden Säulenhüllen“ [10, S. 121] an Zürns Hochaltar im Überlinger Münster von 1613–19.
Zu den Abbildungen
1. J. Vredeman de Vries, Blatt 16 der Architektur-Serie von 1565. Phot. Inge Nord, Hamburg.
2. Georg Wechter, Entwurf zu einem Pokal, aus den „30 stuck zum verzachnen“ von 1579. Nürnberg. Nach Jessen [2].
3. Frankfurt a. M., Giebel des Salzhauses (Wedel) auf dem Römerberg, E. 16. Jh. Phot. Mylius, Frankfurt a. M.
4. Schloß Wilhelmsburg bei Schmalkalden, Kapelle. Westwand (Ausschnitt). Von Wilhelm Vernucken 1584–90. Nach Fritsch, Denkmäler deutscher Renaissance.
Literatur
1. Max Deri, Das Rollwerk in der deutschen Ornamentik, Berlin 1906. 2. Peter Jessen, Der Ornamentstich, Berlin 1920. 3. R. Berliner, Ornamentale Vorlageblätter, Leipzig 1926. 4. R. Hedicke, Cornelis Floris und die Florisdekoration, Berlin 1913. 5. W. K. Zülch, Entstehung des Ohrmuschelstils (Heidelb. kg. Abhandlungen XII), Heidelberg 1932. 6. H. Rudolph, Die Beziehungen der deutschen Plastik zum Ornamentstich, Berlin 1935. 7. Lübke-Haupt, Gesch. der Renaissance in Deutschland, Eßlingen 1914. 8. M. Wackernagel, Die Baukunst des 17. und 18. Jh. (Handb. d. Kw.). 9. G. Pauli, Die Renaissancebauten Bremens, Leipzig 1890. 10. L. Pulvermacher, Das Rollwerk in der südd. Skulptur, Straßburg 1931. 11. A. Winkler, Die Gefäß- und Punzenstecher der deutschen Hochrenaissance, Preuß. Jb. 1892.
Empfohlene Zitierweise: Hinrichsen, Klaus , Beschlagwerk (Beschlägwerk), in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. II (1938), Sp. 321–327; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=90031> [29.11.2023]
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