Balkon

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englisch: Balcony; französisch: Balcon; italienisch: Balcone.


Christian-Adolf Isermeyer (1937)

RDK I, 1418–1423


RDK I, 1419, Abb. 1. Aschaffenburg, Schloß, Evangeliar aus Mainz, 2. H. 13. Jh.
RDK I, 1421, Abb. 2. Brindisi, Casa Balsamo, 13. Jh.
RDK I, 1421, Abb. 3. Schloß Wolfegg, Hausbuch, um 1475.
RDK I, 1423, Abb. 4. Molsheim (Elsaß), 16. Jh.
RDK I, 1423, Abb. 5. Passau, Neue Bischöfl. Residenz, 1770/71.

Balkon (Lehnwort aus dem Italienischen; seit 1695 in deutschen Fremdwörterbüchern mit der Bedeutung Fenster und Erker [1]; abzuleiten entweder vom ahd. balcho [1] oder vom arabischen balakkaneh [2] bzw. vom persischen balkana [7]).

I. Begriff

Mit B. wird bezeichnet jede in einen begrenzten oder unbegrenzten Raum vor eine Wand vorgekragte Plattform, die von einem hinter dieser Wand liegenden Raum aus zugänglich ist und ringsum durch eine Brüstung abgeschlossen wird. Der B. ist gewöhnlich offen, kann aber auch geschlossen sein. Der geschlossene B. unterscheidet sich von einem Erker dadurch, daß er von dem hinter ihm liegenden Innenraum abgesondert ist und nicht ein gemeinsames Ganzes mit ihm bildet, von einer Loggia dadurch, daß er nicht in den Baukörper einspringt. Altan und Söller sind im Gegensatz zum Balkon nicht gegen die Wand vorgekragt, sondern vom Boden aus gestützt [10]. Von dieser deutschen Begriffsbestimmung unterscheidet sich die italienische [5. 11] und die alte französische [4]. Die neue französische stimmt mit ihr überein [8].

II. Geschichte

Die Geschichte des B. aufzuklären ist erschwert dadurch, daß einmal diesem Bauteil zu verschiedenen Zeiten verschiedene Namen gegeben sind, zum andern mit dem Worte B. Bauteile bezeichnet wurden und bis heute bezeichnet werden, die nicht eigentliche B. sind.

Nachweisbar sind B. im Abendlande seit dem 1. Jh. n. Chr. Aus dieser Zeit ist ein Beispiel erhalten in Pompei am Hause Reg. III, ins. V, n 1 (Atti della R. Accademia dei Lincei, Serie quinta, Notizie degli scavi di antichità; vol. XIV, Rom 1917, S. 251, Abb. 4). Auch in pompejanischen Wandgemälden, vornehmlich des 2. Stils sind Darstellungen von B. häufig (R. Zahn, Die schönsten Ornamente aus Pompei II 70, 75).

Balcones werden zuerst genannt in einer Inschrift des Friedhofs der im 9. Jh. gegründeten (zerstörten) Kirche S. Procolus in Verona, derzufolge über den balcones veteres balcones novos errichtet wurden [3], dann in der im 11. Jh. geschriebenen Disciplina Farfensis, nach der der Kapitelsaal des Klosters gegen Westen mit 12 balcones versehen war [15 S. 45]. Ob diese balcones B. in unserem Sinne waren [16 Bd. II S. 400] ist ungewiß.

Nachweisbar sind B.-Anlagen wieder im mittelalterlichen Festungsbau vom 11. Jh. an. Sie waren zunächst in Holz ausgeführt. Für ihre ständige oder gelegentliche Anbringung dienten entweder im Mauerwerk vorgesehene Luken zum Einschieben der Tragbalken oder fest eingesetzte Kragsteine. Solche B. befanden sich vor der hochgelegenen Tür des Berchfrits; sie dienten als Pechnasen, Wehrgänge und Abtritte [14 S. 198–204, 251, 356–79; 17 S. 34, 35]. In der Hohenstaufenburg Lucera werden am Ende des 13. Jh. fünf mit den Toren in Verbindung stehende Mauern „pro meniis et arceriis factis in quibusdam de eis“. Vielleicht ist statt „meniis“ „menianis“ zu lesen (Haseloff, Die Bauten der Hohenstaufen in Unteritalien I, Leipzig 1920, S. 245, Anm. 7) und vielleicht handelte es sich bei ihnen genau wie bei arceriis (vgl. Erker) um vorkragende Gebäudeteile zu Verteidigungszwecken (Abb. 1). Aus dem Wehrbau wird der B. in den Wohnturm und Palast übernommen und so in den Hausbau gedrungen sein. Sehr wahrscheinlich ist, daß die Wiederaufnahme des B. im Mittelalter angeregt ist durch die islamische Baukunst [10 S. 58], in der der meist mit Gitterfenstern abgeschlossene, aus Indien überkommene B. (Muscharabie) eine wichtige Rolle spielt [13 S. 15 8]. Nachweisbar ist der früheste mittelalterliche B. am Wohnbau in Italien im 13. Jh. (Abb. 2).

Im 14. Jh. werden balconi in der italienischen Literatur genannt [2] und finden sich jetzt, nach Darstellungen zu urteilen, häufig an Bürgerhäusern (z. B. A. Lorenzetti: Allegorie des Guten Regiments, Siena, 1337–39).

Am Ende des 14. Jh. begegnen kleine B. auch auf süddeutschen Bildern (1348 auf einem Fresko in St. Katharina im Tiersertal in Tirol [Abb. Burger-Schmitz-Beth, Hdb. d. Kw., Bd. II S. 236]). Im 15. Jh. ist der B. in Süddeutschland und im Rheinland, die sein Hauptverbreitungsgebiet bleiben, häufig. Er ist aus Stein oder Holz, hat bescheidene Ausmaße, einfache Formen und ruht entweder auf einer einzigen trichterförmig sich erweiternden Konsole oder auf mehreren vorgekragten Konsolen auf (Abb. 3). Im 16. Jh. erhält der meist aus Stein gebildete B. größere Ausmessungen und kunstvollere Formen. Er erstreckt sich jetzt häufig längs der ganzen Hausfront, springt auch im rechten Winkel um die Hausecke und setzt sich auf der anschließenden Seite fort, umzieht endlich galerieartig den ganzen Baukörper. Die Brüstung ist maßwerkartig durchbrochen oder nach den italienischen Vorbildern als Balustrade gebildet (Abb. 4). Seine Blütezeit erlebt der B. im ausgehenden 17. und im 18. Jh. Die Grundrißform nimmt die verschiedenste Gestaltung an; das gerade oder korbartig ausgebauchte schmiedeeiserne Geländer (Rathäuser in Hall, Ellingen u. ö.) tritt meist an Stelle der Steinbrüstung (Bamberg, Rathaus; Passau, Abb. 5); die Konsolen werden häufig als Stützfiguren gebildet. Im Klassizismus ist der B. selten; als unbegründeter Auswuchs des Baukörpers wird er aus ästhetischen Gründen verworfen. Erst um die Mitte des vorigen Jh. wird der B. wieder reich verwendet und bildet seit dem Ende des Jahrhunderts überall einen wesentlichen Bestandteil des Hauses.

Als Beispiele für den B. im Innenraum seien Balthasar Neumanns Entwurf zur Südwand des Würzburger Treppenhauses (Würzburg, Slg. Neidert, Pfister-Sedlmaier) und der klassizistische Saal der „Goldenen Krone“ in Straubing (Inv. Bayern IV, 6 S. 358) erwähnt.

Zu den Abbildungen

1. Aschaffenburg, Schloßbibl. 13, Evangelienbuch aus Mainz, 2. H. 13. Jh.: Die Eroberung Jerusalems. Phot. Kunstgesch. Seminar Marburg.

2. Brindisi, Casa Balsamo, 13. Jh. Nach Ludwig Preiss, Apulien, Stuttgart 1922.

3. Schloß Wolfegg, Hausbuch des Hausbuchmeisters, um 1475: Badeszene. Nach der Ausgabe von Bossert und Storck Taf. 20.

4. Molsheim (Elsaß), Rathaus, 16. Jh. Phot. Prof. K. Staatsmann.

5. Passau, Neue Bischöfl. Residenz, voll. 1770/71, Portal. Phot. Bayer. Landesamt f. Denkmalpflege, München.

Literatur

I. Sprachliches. 1. F. Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, Berlin und Leipzig 193011, S. 35. 2. Vocabulario degli Accademici della Crusca Bd. 2, Florenz 18665. 3. Du Cange I S. 533.

II. Begriff, Technisches. 4. Quatremère de Quincy, Dictionnaire historique d’architecture Bd. 1, Paris 1795. 5. F. Milizia, Dizionario delle belle arti del disegno Bd. 1, Mailand 1802. 6. Viollet-le-Duc, Architecture II S. 244 (bretèche). 7. H. Otte, Archäolog. Wörterbuch, Leipzig 18832, S. 16. 8. L. Réau, Dictionnaire illustré d’art et d’archéologie, Paris 1930. 9. Wasmuth’s Lexikon der Baukunst I S. 302f. 10. Franz Ewerbeck und Ed. Schmitt, Einfriedigungen, Brüstungen und Geländer; Balkone, Altane und Erker. Hdb. d. Architektur III Bd. 2 H. 2, Stuttgart 1898, S. 58–105, 120. 11. Enciclopedia Italiana V, 1930, S. 935ff.

III. Geschichte. 12. Pauly-Wissowa 14, 1930, Sp. 245f. (maenianum). 13. Ernst Diez, Die Kunst der islamischen Völker, Hdb. d. Kw., S. 141, 158. 14. Otto Piper, Burgenkunde, München 1905. 15. J. Schlosser, Die abendländische Klosteranlage des frühen MA., Wien 1889. 16. K. G. Stephani, Der älteste deutsche Wohnbau, 2 Bde., Leipzig 1902/03. 17. Aug. v. Essenwein, Die romanische und die gothische Baukunst: Der Wohnbau. Hdb. d. Architektur II Bd. 4 H. 2, Darmstadt 1892. 18. Arif Müfid, Der Stockwerkbau der Griechen und Römer, Diss. Berlin 1932.

Verweise