Büstenreliquiar (Kopfreliquiar)
englisch: Bust reliquary; französisch: Buste-reliquaire; italienisch: Busto reliquiario.
Joseph Braun, S.J. († 8. 7. 1947) (1952)
RDK III, 274–285
I. Schriftquellen und Bestand
Das älteste B., von dem wir wissen, ließ König Boso von Burgund († 887) für den Schädel des hl. Mauritius in der Kathedrale von Vienne herstellen. Der Kopf wurde im 17. Jh. eingeschmolzen, aber 1612 noch von Peiresc untersucht und gezeichnet (Abb. 1). Die Büste war schon in den Hugenottenkriegen zerstört worden (R. Poupardin, Le royaume de Provence sous les Carolingiens, Paris 1901, S. 139f. und 357ff. und [3] S. 84. – Hinweis Prof. H.Keller.)
B. werden ferner in einem Inventar der Kathedrale zu Nevers aus dem 10. Jh. und in einem Inventar der Kathedrale zu Clermont aus derselben Zeit erwähnt [1 S. 65 Anm. 495f.]. Inventare des 11. und 12. Jh., auch noch des 13. Jh., nennen B. nur erst ganz vereinzelt; ein Zeichen, daß ihre Verbreitung damals noch gering war. Im 14. Jh. trat dann ein weitgehender Wandel ein, und in den Inventaren, auch solchen deutscher Herkunft, werden häufig B. aufgeführt. Im 15. und frühen 16. Jh. erreichte die Beliebtheit dieser Reliquiarform ihren Höhepunkt. In den Inventaren werden solche sogar in großer Zahl aufgeführt, wie z. B. 12 in einem Inventar der Klosterkirche zu Andechs von 1491, 16 in einem des Domes zu Bamberg von 1479, 12 in einem von St. Stephan zu Wien von 1502, 19 im Halleschen Heiltumsbuch von 1525. Was uns in nach-m.a. Inventaren an B. begegnet, entstammt zum Teil dem MA, zum Teil nach-m.a. Zeit.
Erhalten hat sich von den so zahlreichen B. nur der weitaus kleinste Teil. Das gilt besonders von den aus Edelmetall hergestellten oder mit Edelmetall bekleideten. Immerhin sind ihrer so viele auf uns gekommen, daß es möglich ist, ein in allem Wesentlichen vollständiges Bild der Entwicklung des B. und seiner Typen zu gewinnen.
Als ältestes erhaltenes B. kann jetzt das kleine, mit Goldblech bekleidete Paulusreliquiar im Dom zu Münster angesehen werden, das wahrscheinlich aus dem 11. Jh. stammt (Katalog der Ausst. „Westfalia Sacra“, Münster Dez. 1951 – Jan. 1952, Nr. 62; Rückansicht s. Kunstchronik 5, 1952, Abb. 2). Dem 12. Jh. entstammen: das B. des hl. Kandidus zu St. Maurice im Wallis [1 Abb. 482], ein Beispiel aus Stavelot im Mus. des Parc du Cinquantenaire zu Brüssel (J. Braun, Meisterwerke der dt. Goldschmiedekunst I, München 1922, Nr. 50), sowie je ein B. in der Lambertuskirche in Düsseldorf (Inv. Rheinprovinz 3, 1 S. 47), in der Pfarrkirche zu Kappenberg [1 Abb. 475], in der Stiftskirche zu Fischbeck (Katalog der „Ars Sacra“, München 1950, Nr. 339) und im Stift Melk [1 Abb. 476], die zumeist ihre Erhaltung dem Umstand verdanken, daß sie aus Kupfer oder Bronze bestehen. Als Beispiele aus dem 13. Jh. seien besonders genannt ein B. aus dem Dom zu Basel im Victoria und Albert-Mus. zu London ([1 Abb. 477]. – Inv. Schweiz 4, 62 bis 68. – Abb. 2 u. 3), ein französisches B. in der ehem. Slg. Figdor (Katalog I, 5 Taf. 177), das Antonius-B. aus St. Kunibert im Diözesanmuseum zu Köln [1 Abb. 483], ein B. im Dom zu Erfurt (Zs. für christl. K. 16, 1903, 157), das B. des hl. Kosmas im ehem. Welfenschatz (Neumann Nr. 41. – Der Welfenschatz, Frankfurt/M. 1930, Nr. 39), ein B. in der Busdorfkirche zu Paderborn (Inv. Westfalen 7, Taf. 94) und die stattliche Pantalusbüste im Histor. Mus. zu Basel [1 Abb. 484]. In erheblicher Zahl sind deutsche Beispiele aus dem 14. Jh. auf uns gekommen, in sehr großer Zahl solche aus dem 15. und frühen 16. Jh., in geringerer doch genügender aus der Folgezeit einschließlich der Zeit des Barock [1 S. 420ff.]. Verzeichnis sämtlicher gotischer B. in Deutschland bei [2] S. 90ff.
II. Benennung
Genannt werden die B. in den lateinisch geschriebenen m.a. Inventaren allenthalben von jeher mit Ausschluß jeder anderen Bezeichnung caput, gleichviel, welchen Typus sie zeigten. In den spät-m.a. volkssprachigen französischen Inventaren heißen sie in Übersetzung von caput stets chief (quief), chef, in englisch abgefaßten head, in italienisch geschriebenen testa, in deutschsprachigen haupt (hawpt), heupt und zwar ebenfalls ohne Rücksicht auf den Typus des Reliquiars. Von den deutschsprachigen macht nur das Hallesche Heiltumsbuch in dieser Beziehung eine Ausnahme, indem es zwischen heupt und brustbild unterscheidet. Nie wird in spät-m.a. Inventaren ein B. mit kopf bezeichnet. Unter kopf, abgeleitet vom lat. cuppa, ist vielmehr in ihnen stets ein Reliquiar von Becherform verstanden [1 S. 50].
III. Typen
In formaler Beziehung lassen sich vier Typen der B. unterscheiden, die zugleich die Entwicklung derselben widerspiegeln:
a) Kopfreliquiar
Die B. des ersten bestehen nur aus Kopf und Hals, nicht aber auch aus einem geringeren oder größeren Teil des Oberkörpers, und werden deshalb auch Kopfreliquiare genannt. Beispiele aus dem 12. Jh. bieten aus dem Bereich der dt. K. die genannten Kopfreliquiare zu Düsseldorf, Kappenberg, Fischbeck, Melk und Brüssel, aus dem 13. Jh. die Kopfreliquiare in London (Abb. 2 u. 3) und in der ehem. Slg. Figdor, sowie ein nur durch Abbildung im Halleschen Heiltumsbuch bekanntes Kopfreliquiar der hl. Barbara im Halleschen Heiltumsschatz (Halm-Berliner Taf. 118 b). Seit dem späteren 13. Jh. verschwindet der Typus. Ein vereinzeltes Beispiel aus dem 14. Jh. zeigte ein Kopfreliquiar des hl. Gereon im Halleschen Heiltumsschatz (Ebd. Taf. 118 a).
b) Büste
Bei den B. des zweiten Typus (Abb. 4, 5, 6) kommt zum Kopf und Hals der obere Teil der Brust, der jedoch gewöhnlich nur bis eben unter die Schultern, höchstens bis etwa zur Mitte der Brust hinabreicht. Sie stellen demnach statt eines Kopfes mit Hals eine sog. Büste dar (s. Sp. 255ff.). Frühe Beispiele: das Paulus-B. in Münster, 11. Jh.; das Kandidus-B. in St. Maurice im Wallis, 12. Jh. Im 13. und 14. Jh., sowie auch noch im frühen 15. Jh. bilden sie den gewöhnlichen stets wiederkehrenden Typus [2]. Im späten 15. Jh. werden sie dann aber durch B. des dritten immer mehr verdrängt, seit dem 16. Jh. entstanden ihrer im ganzen nur mehr wenige, ohne sich freilich je ganz zu verlieren (s. RDK I 637 Abb. 3).
c) Brustbild
Die den dritten Typus (Abb. 7 u. 10) zeigenden B. unterscheiden sich von denen des zweiten, daß sie außer Kopf und Hals nicht bloß den oberen Teil der Brust, die Schulterpartie, sondern die ganze Brust umfaßten. Aus einer bloßen Büste war bei ihnen ein Brustbild, wie die B. des dritten Typus im Halleschen Heiltumsbuch zutreffend genannt werden, geworden. Der Typus entstammt als solcher erst dem späteren 15. Jh. Zwar fehlte es schon in der vorausgehenden Zeit nicht ganz an B. von Brustbildform. Beispiele bieten das B. der hl. Maria Magdalena im Dom zu Minden (Inv. Westfalen 11 Taf. 28), das genannte B. in Erfurt und das Blasius-B. im ehem. Welfenschatz von etwa 1300 (Neumann Nr. 42. – Der Welfenschatz, Frankfurt/M. 1930 Nr. 40), die jedoch noch lange vereinzelte Erscheinungen blieben. Zum Typus wurden Reliquienbüsten mit ganzer Brust erst im 15. Jh. Welcher Beliebtheit sich derselbe zu Beginn des 16. Jh. erfreute, bekunden die unter den 19 B. des Halleschen Heiltumsschatzes sich befindenden 11 des dritten Typus, von denen eine aus dem 15. Jh. datierte, die übrigen Schöpfungen des 16. Jh. waren. Was seine Verbreitung begünstigte, war die ansprechendere, lebenswahre Form der Brust, die sich vorteilhaft von ihrer oft schablonenhaften, nicht selten geradezu sockelartig anmutenden Bildung bei den B. des zweiten Typus unterschied und insbesondere auch eine reichere, gefälligere Wiedergabe der Gewandung ermöglichte.
d) Halbfigur
Stellen die B. des dritten Typus ein Brustbild dar, dann die des vierten eine bis etwa zu den Hüften reichende Halbfigur. Ein frühes Beispiel aus der dt. K., das aber erst eine vereinzelte Erscheinung bildete, bietet das dem frühen 14. – nicht schon dem 11.–12. – Jh. entstammende Cyriakusreliquiar zu Altdorf im Elsaß (Braun, Tracht und Attribute der Heiligen S. 178). Typuscharakter erhielten B. in Gestalt einer Halbfigur erst im ausgehenden 15. Jh. Beispiele im Bereich der dt. K. bieten das Jodokusreliquiar von 1459 zu Walberberg (Inv. Rheinprovinz 5, 3 S. 384 ohne Abb.), das Anna-Selbdritt-Reliquiar im Dom zu Prag (Ant. Podlaha – Ed. Sittler, Der Domschatz in Prag, Prag 1903, S. 28 m. Abb.) und das Lambertusreliquiar von 1512 in der Kathedrale zu Lüttich (Braun, Lit. Gewandung S. 685). Sie können auch als Doppelfigur gebildet sein, wie das B. in St. Ursula in Köln (Abb. 8 u. 9). Zahlreiche B. des vierten Typus entstanden in der dt. K. im 17. und 18. Jh. [1 S. 428]. Eine Weiterentwicklung der B. des dritten Typus, ist er in dieser Zeit geradezu vorherrschend.
IV. Sockel
Mit einem Sockel waren die B. des 12. und 13. Jh. gewöhnlich nicht versehen. Häufiger wurden sie erst im 14. mit einem solchen ausgestattet, ausgenommen die lediglich aus Holz hergestellten. Im 15. und frühen 16. Jh. wiesen sie dann jedoch in der Regel einen Sockel auf, und zwar nun oft auch die B. aus Holz. Seine Höhe betrug meist noch nicht 10 cm; der Sockel des B. in London (Abb. 2 u. 3) ist 8,5 cm hoch und mit gestanzten Reliefs der 12 Apostel geschmückt. Eine ungewöhnliche Höhe zeigen der Sockel des Kandidus-B. zu St. Maurice im Wallis, der 24,7 cm hoch ist, und der mit figürlichen Reliefs geschmückte des Lambertusreliquiars in Lüttich, der eine Höhe von 22 cm hat. Seiner Form nach stellte der Sockel gewöhnlich entsprechend der Form der Brust ein Oval oder ein Mehrseit dar, ein Vierseit nur ausnahmsweise. Sechspassig war er bei mehreren der im Halleschen Heiltumsbuch abgebildeten B. Oben und unten schloß er in der Regel mit einem Sims ab.
Die Zarge des Sockels wies bei B. des 15. und frühen 16. Jh. als Schmuck des öfteren durchbrochenes Maßwerk, seltener eine Inschrift oder Steine auf. Mit plastischen figürlichen Darstellungen ist sie verziert bei der Wunibaldsbüste zu Scheer (Inv. Württ. O.A. Saulgau Taf. 105. – Pantheon 16, 1935, 373), der Landelinusbüste zu Ettenheimmünster [1 Abb. 497] sowie besonders bei der Lambertusbüste zu Lüttich. Emaildarstellungen, wie sie uns bisweilen an der Sockelzarge italienischer B. begegnen [1 Abb. 489, 499], kommen bei solchen deutscher Herkunft nicht vor. Reliquienkapseln sind als Schmuck in die Sockelzarge der Dorotheabüste im Kunstgewerbemuseum zu Breslau [1 Abb. 493] eingelassen.
Die Form, welche der Sockel im 15. und 16. Jh. zeigte, behauptete sich zunächst auch noch in der Folgezeit, im 17. Jh. setzte dann aber ein Wandel ein. War er bis dahin formal der Büste angepaßt, und bildete er mit ihr ein einheitliches Ganzes, so wird er nun ein selbständiges, lediglich äußerlich unter ihr als Träger angebrachtes, formal nicht mehr durch sie bestimmtes Gebilde in Gestalt eines vierseitigen, seitlich mit Voluten besetzten oder unten in Voluten sich auswachsenden Ständers, und zwar auch bei den aus Holz gemachten B. Dio zahlreichen Beispiele aus dem 17. und 18. Jh. liefern reichlich Belege für den Wandel, so die B. in der Pfarrkirche zu Schwyz (Inv. Schweiz 2 S. 389), in der Kirche des Klosters Engelberg (Mon. f. Kw. 7, 1914, Taf. 31), in der Stiftskirche zu Michaelbeuren (Inv. Österreich 10, 509f.) und in der Stiftskirche zu Überlingen (Marc Rosenberg, Alte kunstgewerbl. Arbeiten auf der Bad. Kunstausst. Karlsruhe 1881, Nr. 27), in der Pfarrkirche zu Kißlegg [1 Abb. 504], zu Miltenberg (Inv. Bayern III 18 S. 218. – Abb. 11) und zu Gotteszell NB. (Ebd. IV 15 Taf. II), in der Marienkapelle zu Würzburg (Ebd. III 12 S. 271) und in den Domen zu Eichstätt (Ebd. V 1 S. 135 o. Abb.) und Breslau (Erw. Hintze – K. Masner, Goldschmiedearbeiten Schlesiens, Breslau 1911, Taf. 45).
Entbehrte das B. eines Sockels, was noch im 14. Jh. häufig der Fall war und erst im 15. Jh. seltener wurde, so schloß es unten in der Regel mit einer Borte, einem Wulst, einem Stäbchen oder einem niedrigen Fußsims ab. Im 15. Jh. waren es fast nur mehr aus Holz angefertigte B., die unten eines Abschlusses dieser Art entbehrten. Füßchen weisen die B. erst im 15. Jh. häufiger auf. Sie bestanden gewöhnlich in Klauen, Löwen (Abb. 4), Engelfiguren, in Kugeln aber erst in nach-m.a. Zeit. Kleine Giebelbauten, Türmchen, Baldachine, kleine Pfeiler und flache Bogenstellungen kommen als Stützen nur vereinzelt vor, wie bei einem B. zu Blankenheim i. d. Eifel [1 Abb. 508], der Gervasiusbüste zu Breisach (Inv. Baden VI 1 Taf. 7) und der genannten Landelinusbüste in Ettenheimmünster. Waren die Ecken des Sockels mit Streben besetzt, so dienten deren Sockel als Füßchen.
V. Größe und Material
Die Größe der B. war sehr verschieden, sowohl ihre relative Größe verglichen mit der Lebensgröße, als auch ihre absolute. Jene entsprach am häufigsten, zumal seit dem 14. Jh., der natürlichen Größe oder betrug doch wenigstens ⅘ oder ⅔ derselben. Für diese war besonders auch der Typus, dem das B. angehörte, bestimmend, demzufolge sie sich, von selteneren Ausnahmen abgesehen, bis ins 15. Jh. zwischen 22 und 40 cm zu bewegen pflegte, seitdem aber zwischen 40 und 65 cm.
Ihrer materiellen Beschaffenheit nach bestanden die B. entweder aus Holz als Kern und Metallblech als Bekleidung, aus Metall ohne Holzkern oder lediglich aus Holz. Was bis zum späteren 14. Jh. an B. entstand, gehörte zumeist zur ersten der drei Arten. Die Bekleidung bestand bei ihnen aus Silber, aus Gold nur ganz vereinzelt. Das einzige noch vorhandene mit Gold bekleidete Beispiel bietet die nur 23 cm hohe Büste im Dom zu Münster (s. o.). Aus Metall (besonders aus vergoldeter Bronze oder vergoldetem Kupfer) ohne Holzkern ist schon die Mehrzahl der dem 12. und 13. Jh. entstammenden B. angefertigt. Häufiger wurden solche seit dem späteren 14., namentlich aber im 15. Jh. und in der Folgezeit geschaffen, und zwar nicht bloß aus vergoldetem oder versilbertem Kupfer, sondern vor allem auch aus Silber, wie sowohl aus den Inventaren als aus den noch vorhandenen Beispielen erhellt. B. aus Holz, die jedoch solchen aus Metall oder mit Metall bekleideten durch Vergoldung oder Versilberung angeglichen wurden, entstanden schon im 14. Jh., häufiger dann jedoch im 15. und frühen 16. Jh. und in der Folgezeit als weit billigerer und daher leicht zu beschaffender, jedoch würdiger Ersatz für B. aus Metall oder Holz mit Metallbekleidung [2].
Die Iris und die Pupille wurden den Augen, soweit das überhaupt geschah, gewöhnlich aufgemalt, seit dem 14. Jh. aber vereinzelt auch in Email ihnen aufgeschmolzen. Sie durch Ziselierung anzudeuten, begann man erst im späteren 14. Jh. Die Fleischteile der B. aus Metall oder aus Holz mit Metallbekleidung, zumal Gesicht und Hals mit Fleischfarbe zu bemalen, wurde seit etwa Mitte des 14. Jh. üblich. Größere Verbreitung erlangte der Brauch bei solchen nicht. Bei B. aus Holz geschah das jedoch gewöhnlich.
VI. Unterbringung der Reliquie
Die Reliquie befand sich bis ins 14. Jh., von sehr seltenen Ausnahmen abgesehen, im Kopf der B. Um sie in ihn einlegen und, wenn nötig, herausnehmen zu können, wurde gewöhnlich entweder die Schädeldecke zum Abheben oder Aufklappen eingerichtet oder im Scheitel eine mittels einer Klappe verschließbare Öffnung angebracht. Die aufklappbare Mitra bildet den Verschluß bei der Blasiusbüste des ehem. Welfenschatzes, die aufklappbare Tiara bei den B. des Papstes Alexander (Abb. 4) und des hl. Petrus in der Stiftskirche zu Aschaffenburg (Inv. Bayern III 19, S. 107f., Taf. 12 u. 13 und Abb. 78, 79). In die Brust statt in den Kopf die Reliquie einzuschließen, wurde erst in der 2. H. 14. Jh. häufiger. Im 15. Jh. war das sehr beliebt, vor allem bei B. aus Holz, doch auch bei solchen aus Metall oder aus Metall mit Holzkern, wie die vielen noch vorhandenen Beispiele bekunden [2], und so blieb es bis in das 17. Jh. Immerhin entstanden selbst noch im 17. und 18. Jh. vereinzelt B., bei denen die Reliquie nach wie vor im Kopf der Büste beigesetzt war. Im Untersatz (Sockel oder Ständer) statt im Kopf oder in der Brust anzubringen, wurde erst im späten 15. Jh. gebräuchlicher. Fast zur Regel wurde es im Barock.
Befand sich die Reliquie im Kopf der Büste, so war sie nicht sichtbar, es sei denn, daß man die Öffnung im Scheitel statt mit einer Klappe mit Kristall oder Glas verschloß, was jedoch erst bei B. aus späterer Zeit geschah. War die Reliquie in der Brust oder im Untersatz beigesetzt, so machte ein in der Mitte der Brust oder in der Vorderseite des Untersatzes angebrachtes, kaum je fehlendes verglastes Fensterchen dieselbe sichtbar. Noch kein Fensterchen, sondern ein Türchen zeigen vorn in der Brust oder hinten im Rücken einige in der Brust die Reliquie bergende B. des späten 13. und frühen 14. Jh., die Kosmasbüste im ehem. Welfenschatz, die Cyriakusbüste zu Altdorf i. E. und eine aus Viehbach stammende Reliquienbüste von 1345 im B.N.M. [1 Abb. 486].
B. aus dem späten 15. und frühen 16. Jh. weisen bisweilen einen Nimbus, in der Barockzeit aber einen Strahlenkranz um den Kopf auf.
Zu den Abbildungen
1. Ehemals Vienne, Kathedrale. Kopf des Mauritius-B., gestiftet von König Boso von Burgund (879–887). Zeichnung von Peiresc 1612. Nach R. Poupardin, Le royaume de Provence sous les Carolingiens, Paris 1901.
2. und 3. London, Victoria und Albert Mus., Kopfreliquiar des hl. Eustachius aus dem Baseler Münsterschatz. Kopf Silber, getrieben u. vergoldet, Lippen und Augen mit Spuren von Lackfarbe. Sockel Holz, mit gestanztem Silberblech bekleidet. Höhe m. Sockel 0.34 m. Oberrheinisch 1. H. 13. Jh. Phot. Hist. Mus. Basel.
4. Aschaffenburg, Stiftskirche, B. des hl. Papstes Alexander. Silber vergoldet m. emaillierter Schließe und Steinen. Höhe 0.67 m. Um 1420–30. Phot. B. Schwarz, München.
5. Köln, St. Ursula, B. einer Heiligen mit Krüseler [2 S. 61]. Holz mit alter Fassung. Um Mitte 14. Jh. Phot. Rhein. Bildarchiv 16353.
6. Oberwesel, St. Martin, B. einer Heiligen. Holz mit alter Fassung. 1. H. 15. Jh. Phot. Rhein. Bildarchiv 8495.
7. Köln, St. Kunibert, B. einer Heiligen (Inv. Rheinprov. 6, IV, S. 292). Holz mit alter Fassung. Um 1500. Phot. Rhein. Bildarchiv 8151.
8. und 9. Köln, St. Ursula, Doppel-B. einer Heiligen. Holz mit alter Fassung. E. 15. Jh. Phot. Rhein. Bildarchiv 16325/6.
10. Theodor Silling S.J. (und Anton Klemens), B. des hl. Adrian. Silber, getrieben und teilvergoldet. Köln, S. Maria Himmelfahrt. Höhe 0.63 m. Datiert 1645. Phot. Rhein. Bildarchiv 9148.
11. Miltenberg, Pfarrkirche, B. des hl. Johann von Nepomuk. Silber getrieben, Sockel Holz mit getriebenen Silberauflagen. Höhe 0.48 m. Um 1730. Phot. Bayer. Landesamt f. Dkmpfl., München.
Literatur
1. Joseph Braun, Die Reliquiare des christlichen Kultes, Freiburg Br. 1940, S. 64f., 93, 413–434. – 2. Oskar Karpa, Kölnische Reliquienbüsten der got. Zeit aus dem Ursulakreis (von ca. 1300 bis ca. 1450). Rhein. Ver. f. Denkmalpfl. und Heimatschutz 27, 1934, Sonderheft 1. – 3. Harald Keller, Zur Entstehung der sakralen Vollfigur in der ottonischen Zeit. Festschrift für Hans Jantzen, Berlin 1952, S. 82ff.
Verweise
Empfohlene Zitierweise: Braun, Joseph , Büstenreliquiar (Kopfreliquiar), in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. III (1952), Sp. 274–285; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=94512> [04.11.2024]
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