Böttgersteinzeug

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englisch: Stoneware, Boettger stoneware; französisch: Grès de Boettger, porcelaine de Böttger; italienisch: Porcellana Boettger.


Ludwig Schnorr von Carolsfeld (1942)

RDK II, 1066–1070


RDK II, 1067, Abb. 1. Dresden, Porzellan-Slg., A. 18. Jh.
RDK II, 1067, Abb. 2. Dresden, Porzellan-Slg., A. 18. Jh.
RDK II, 1069, Abb. 3. Dresden, Porzellan-Slg., A. 18. Jh.
RDK II, 1069, Abb. 4. Gotha, Herzogl. Mus., A. 18. Jh.

I. Allgemeines

B. nennt man die völlig dicht gebrannten, je nach dem Grad der Oxydation der stark eisenhaltigen Masse rotbraun, kaffeebraun, eisengrau oder schwarzgrau gefärbten keramischen Erzeugnisse, die unter Leitung ihres Erfinders Johann Friedrich Böttger seit 1708 in Dresden in einer 1710 zur königlichen Manufaktur erhobenen, 1711 nach Meißen verlegten Fabrik bis etwa 1719 (Böttger †), vereinzelt auch später, entstanden sind. Die Masse des B. bestand zu etwa 88 Teilen aus rotem Bolus (Nürnberger Erde oder Terra sigillata, Sp. 1033ff.), später aus verschiedenen einheimischen Erden, zu etwa 12 Teilen aus feingeschlemmtem Lehm als Flußmittel. Der Garbrand vollzog sich infolge des hohen, den Schmelzpunkt herabsetzenden Eisengehalts bereits bei 1100 Grad C. (Segerkegel 1). Das B. wurde „rotes Porzellan“, auch „Jaspis- oder Jasperporzellan“ genannt, da es geschliffen und poliert an braunen und rötlichen Jaspis erinnert. – In der 1713 von dem preußischen Minister Friedrich von Görne in Plaue bei Brandenburg a. d. Havel errichteten Fabrik gelang es mit Hilfe entlaufener Arbeiter aus Meißen, das B. nachzuahmen, ohne daß Meißen hieraus eine ernstliche Konkurrenz erwuchs.

II. Die Erfindung

Der Kurfürst von Sachsen und König von Polen, August der Starke, hatte den von Berlin nach Wittenberg geflüchteten Alchimisten Johann Friedrich Böttger in sicheren Gewahrsam bringen lassen, um dessen vermeintliche Kunst eines Goldmachers zu nutzen. Nach Abschluß des nordischen Krieges wurde Böttger ein Laboratorium in Dresden zugewiesen und zu seiner Unterstützung, nicht zuletzt auch zur Überwachung seiner Tätigkeit, u. a. der berühmte Physiker und Mathematiker Ehrenfried Walther von Tschirnhausen (Tschirnhaus) durch königliches Dekret bestimmt. Dieser gelehrte und zugleich praktisch erfahrene Mann war es zweifellos, der Böttger nahelegte, nach all den fruchtlosen Versuchen, mit Hilfe des „Steins der Weisen“ oder durch Transmutation unedler Metalle Gold zu erzeugen, Untersuchungsmethoden einzuschlagen, die zu greifbaren Ergebnissen führten, um die Ungeduld des Königs zu beschwichtigen. Tschirnhausen selbst hatte sich bereits vor Jahren mit dem Problem der Porzellanbereitung beschäftigt, ohne daß es ihm gelang, mehr als einige unvollkommene Probestücke zu fertigen. Als eifriger Verfechter des Merkantilsystems befaßte er sich damit, die reichen Bodenschätze des Landes Sachsen auf ihre Brauchbarkeit für neue Zweige der Industrie zu prüfen. Mit der Anlage von Glashütten, Schleif- und Poliermühlen, Brauereien und Blaufarbwerken hatte er die Durchführung seines Planes begonnen. Er hatte große Brennspiegel und -linsen eigener Konstruktion in seinen Werken herstellen lassen, mit Hilfe derer er und Böttger die verschiedenen Metalle, Minerale und Erden untersuchten. Die Beobachtung, daß manche Erden der Glut widerstanden, andere wiederum leicht schmolzen, brachte Böttger auf den Gedanken, aus dem Gemisch schwerflüssiger und leichtflüssiger Bestandteile ein neues Produkt hervorzubringen. Das Ergebnis dieser Versuche war das rote Steinzeug. Es mag sein, wie Zimmermann (1) annimmt, daß Böttger die Anregung hierzu aus einer literarischen Quelle schöpfte: In dem Buch des Chemikers Becher, „Weise Narrheit und närrische Weisheit“, ist als Rezept für das englische rote Steinzeug Bolus, vermischt mit Lehm, angeführt, die gleichen Bestandteile wie beim Böttgersteinzeug. Das letztere stellt freilich ein weit vollkommeneres und edleres Produkt dar. Weder den Chinesen noch den Holländern und Engländern war es geglückt, ein so stark gesintertes rotes Steinzeug herzustellen, das Schliff und Politur annahm wie ein Halbedelstein. Der erforderliche hohe Brand war nur möglich in neukonstruierten Öfen aus feuerfestem Material. Wie systematisch Böttger bei seinen Versuchen vorging, beweist allein die Tatsache, daß ihm unmittelbar nach der Erfindung des roten Steinzeugs die des Porzellans glückte, das auf dem gleichen Grundprinzip beruht. Die Hypothese des Holländers Baron van Verschuer [2], der eigentliche Erfinder des roten Steinzeugs sei der Delfter Töpfer Ary de Milde († 1708), Tschirnhausen habe ihm das Rezept abgekauft und Böttger in die Hände gespielt, muß zurückgewiesen werden, und zwar um so mehr, da sie in niederländischen Fachkreisen Verwirrung und Unsicherheit angerichtet hat. Die angeblichen Teststücke, kleine Teekannen, die technisch dem Böttgersteinzeug vollkommen gleichen, aber die reliefierte Fabrikmarke des Delfter Meisters, einen laufenden Fuchs mit der Umschrift Ary de Milde, tragen, erweisen sich bei näherer Untersuchung einwandfrei als Abformungen in Böttgersteinzeug, bei denen die Marke mit der Gipsform übertragen wurde.

III. Die künstlerische Gestaltung

Das eigentliche Ziel, die in Massen über Holland eingeführten chinesischen Gefäße und Figuren aus rotem Steinzeug (boccaro) nachzubilden und an Güte womöglich zu übertreffen, hat Böttger voll erreicht. An Stelle der Abformungen chinesischer oder holländischer Vorbilder traten bald neue Modelle im europäischen Zeitstil. Es ist bezeichnend für den Tiefstand der sächsischen Keramik jener Zeit, daß die Gestaltung des B. einem Meister des hochentwickelten Goldschmiedehandwerks anvertraut werden mußte: Johann Jacob Irminger († nach 1721), der annähernd 40 Jahre in Dresden wirkte. Viele Geräte und Gefäße aus B. zeigen in der Profilierung, in dem gebuckelten Ornament und in den Reliefauflagen unverkennbar den Stil gleichzeitiger getriebener Silberarbeiten. Aber es gelang im allgemeinen doch, Form und Ornamentik aus der Besonderheit des bildsamen keramischen Stoffs zu gestalten. Durch braune und schwarze Manganglasuren, durch Schliff und Politur, durch Schnitt, Lackierung und Vergoldung war eine Mannigfaltigkeit künstlerischer Behandlung möglich, wie bei keinem anderen Zweig der Keramik. Bereits 1711 erscheinen neben dekorativen Vasen Teegeschirre, Bierkrüge, Glocken, Weihwasserkessel, Messer- und Gabelgriffe, Stockknöpfe, Pfeifenköpfe, aber auch rein figürliche Arbeiten, wie Kruzifixe, Apollo- und Vitelliusköpfe, Kinderköpfe u. a. Die Vorrangstellung des B. gegenüber dem Porzellan, dessen Bemalung im ersten Jahrzehnt außerordentliche Schwierigkeiten bereitete, wurde erst gebrochen, als es dem 1719 aus der Wiener Manufaktur berufenen Maler Johann Gregor Höroldt gelang, eine vollkommene Schmelzfarbenpalette für das Porzellan und einen diesem adäquaten Malereistil zu schaffen. – In neuester Zeit, seit der Direktion Pfeiffer, hat die Meißner Manufaktur das B. für die Herstellung figürlicher Arbeiten, Münzen, Plaketten und Kleingerät mit Erfolg wieder aufgenommen.

Zu den Abbildungen

1. Dresden, Porzellan-Slg., Böttgersteinzeug, geschliffen und poliert. Höhe der Deckelvase 16 cm.

2. Dresden, Porzellan-Slg., Böttgersteinzeug, Tee- und Kaffeekannen, geschliffen und geschnitten. Höhe der Kaffeekanne 15,5 cm.

3. Dresden, Porzellan-Slg., Böttgersteinzeug, schwarz glasiert und mit Lackfarben bemalt. Höhe der mittl. Vase 41,5 cm.

4. Gotha, Herzogl. Mus., Böttgersteinzeug-Figuren aus der „italienischen Komödie“, z. T. geschliffen.

Höhe der mittl. Figur 19 cm. – Abb. 1–4 nach Ernst Zimmermann [1].

Literatur

1. Ernst Zimmermann, Die Erfindung und Frühzeit des Meißner Porzellans, Berlin 1908. – 2. W. F. K. Baron van Verschuer, Ary de Milde, Amsterdam 1916. – Ältere Literatur bei Zimmermann [1].

Verweise