Artus
englisch: Arthur; französisch: Arthur (de Bretagne); italienisch: Artù.
Otto Demus (1936)
RDK I, 1127–1132
Artus, König Artus (oder Arthur), sagenhafte Gestalt, vielleicht einen historischen Kern enthaltend, die Zentralfigur der höfischen Dichtung des hohen Mittelalters in England, Frankreich und Deutschland, zuerst bei Nennius (796) erwähnt; die Sage zu Beginn des 12. Jh. in der Historia regum Britanniae des Geoffrey von Monmouth gestaltet [3]. Gaimar und Wace führen die Überlieferung gegen Ende des 12., Layamon zu Beginn des 13. Jh. weiter; daneben lebt der Stoff, der A. nicht als aktiven Helden, sondern als die untätige Zentralgestalt eines Heldenkreises, der Tafelrunde, darstellt, in mündlichen Überlieferungen und vielleicht auch in den kymrischen Mabinogion, bis er durch Chrestien de Troyes gewissermaßen als Rahmen und Stützpunkt für Einschachtelungen und Differenzierungen zum spezifischen Stoff der höfischen Epik schlechthin erhoben wird. Hier ist A. bereits das feststehende Ideal der Rittertugend, das sich, im Gegensatz zu den übrigen Helden des Sagenkreises, nicht erst durch Taten zu erweisen hat [1 und 8]. Diese Auffassung erhält sich ebenso bei den späteren französischen Bearbeitern des Stoffes (Raoul de Houdenc, Renaut de Beaujeu, Robert de Blois), wie auch bei den deutschen Epikern, von denen hier vor allem Ulrich von Zatzikhofen, Hartmann von Aue, Wolfram von Eschenbach, Wirnt von Grafenberg, der Pleier, der Stricker und schließlich Ulrich Füetrer in Betracht kommen.
In der Illustration der französischen und deutschen A.-Romane ist der König fast immer als nahezu unbeteiligte Figur dargestellt. Er trägt meist reiche Kleidung und die Krone; selten ist er gerüstet. Eine Ausnahme bildet die Darstellung im Bogen der Porta della Pescheria des Domes zu Modena, wo A. im Verein mit den Herren der Tafelrunde als Ritter mit eingelegter Lanze wiedergegeben ist ([13 S. 80; 14], Abb. 1). Im Paviment der Kathedrale von Otranto findet sich König A. auf einem Fabeltier reitend [15]. Diese Darstellungen haben sich aber nicht zu ikonographischen Typen verdichtet und sind daher für die deutsche Kunst, die in diesem Fall nur festgeprägte Typen übernahm, nicht weiter von Bedeutung.
Die Entwicklung des ikonographischen Typus setzt im 13. Jh. mit der Wiedergabe des Königs als älteren, langbärtigen Mannes ein, doch besteht daneben noch der alterslos-jugendliche, unbärtige Typ weiter (Iweinbilder im Hessenhof zu Schmalkalden [16. 17. 18]). Der patriarchalische Typus erhält sich in der Romanillustration bis ins 15. Jh. (Schloß Runkelstein, Wandgemälde der Garelkammer [19]).
Die Gestalt des Königs ist von der bildenden Kunst auch in andere, nicht illustrative Zusammenhänge gestellt worden. Es handelt sich um Reihen von Dreiheiten (Triaden) berühmter Männer und Helden [33]. Auch dazu finden sich die Anregungen in der französischen Literatur des hohen und späten Mittelalters und vielleicht schon in der kymrischen Mythologie [10 und 11]. Die strenge, klassisch gewordene Fassung der Heldentriaden (Neuf preux), die A. mit Karl d. Gr. und Gottfried von Bouillon zusammenstellt, begegnet 1312 in dem Gedicht „Les voeux du paon“ des Jacques de Longuyon [11] und wurde durch spätere Dichtungen, wie den „Chevalier errant“ des Tommaso III. von Manta propagiert. Das letztgenannte Gedicht fand dann auch seinen unmittelbaren bildnerischen Niederschlag in der Freskoausstattung des Schlosses von Manta [21]. Die reine Preuxreihe ist vor allem in Frankreich und Italien verbreitet. In Deutschland hat die Randzone daran Anteil (Burg Valeria bei Sitten in der Schweiz, Ende des 15. Jh. [22]; Teppich im Hist. Mus. in Basel, Schweiz, 2. H. 15. Jh. [23 Taf. 70.]; Köln, Rathaus, Statuen im Hansasaal, um 1330 [24]). Stark erweiterte Reihen, die aber die klassischen Preux und damit auch A. einschließen, finden sich am schönen Brunnen in Nürnberg [25], in den Wandgemälden der Burg Runkelstein in Südtirol (Söllerwand des Sommerhauses, Gemälde um 1400 [26]) und in mehreren deutschen und tirolischen Schlössern (Lochstedt in Ostpreußen [27], Meran, Bozen, Gravetsch; zum Teil zerstört [28]).
Die A.-Gestalten dieser Heidenreihen unterscheiden sich merklich von denen der erzählenden Zyklen. An Stelle des patriarchalischen Typus ist der höfische, an Stelle des Tugendideals das Ideal ritterlich-höfischer Schönheit getreten. In der Gestalt vom Schönen Brunnen in Nürnberg ist dieser Typus am reinsten verkörpert [31]. Die greisenhaft würdige Figur der Romanillustration erscheint hier verjüngt. Nach dem Ausweis der Denkmäler ist auch dieser Typus französischen Ursprungs (vgl. den Wandteppich der Slg. Clarence H. Mackay, Paris, Abb. 2). – Als Kennzeichen des Königs A. dürfen – sofern er von den andern Helden unterschieden wird – die drei Kronen gelten, die entweder auf seinem Schild (Köln, Hansasaal) oder auf seinem Banner oder Gewand (Abb. 2) dargestellt sind.
Eine ganz freie Gestaltung erfuhr die Figur des königlichen Helden in der deutschen Renaissance. Hier ist ein ganz weites Abrücken vom Typus der Romanfigur festzustellen. A. erscheint in der Erzfigur Peter Vischers am Maxgrab in Innsbruck [29. 30] als junger ritterlicher Held. Auch ist die Figur aus den bisher, für Deutschland wenigstens, geltenden Zusammenhängen gelöst und in eine Ahnen- und Herrscherreihe aufgenommen, die nur wenig Zusammenhang mit den Preux hat [30]. Dadurch erscheint die Figur schon fast verselbständigt. Parallel mit diesem Prozeß vollzieht sich die Loslösung von bestimmten ikonographischen Typen. Damit ist aber auch die Grundlage für eine lebendige Weiterentwicklung erschüttert.
Auf eine gemeinsame literarische Quelle oder aber ein graphisches Vorbild gehen vermutlich ein Relief von Hans Daucher (1522), ein Holzschnitt von Georg Pencz und ein Gedicht von Hans Sachs zurück, die die Geschichte vom König A. und der Ehebrecherbrücke darstellen [32]. Hans Sachs schildert ausführlich, wie A., um die Treue der Königin zu prüfen, eine Brücke ohne Geländer bauen und darüber seinen ganzen Hofstaat reiten läßt, von der die Ehebrecher samt ihren Pferden in den Fluß herabstürzen.
Zu den Abbildungen
1. Modena, Dom, Relief an der Porta della Pescheria, 1. V. 12. Jh. Phot. Kunstgeschichtl. Seminar Marburg.
2. Paris, Slg. Clarence H. Mackay, Wandteppich, burgundisch-französisch, um 1390. Ausschnitt. Nach H. Göbel, Wandteppiche [20].
Literatur
Sagenkreis und Texte: 1. I. Douglas Bruce, The Evolution of Arthurian Romance, 2 Bde.. Göttingen 19282. 2. A. Schulz (San Marte), Die Artussage, Quedlinburg 1842. 3. A. Schulz (San Marte), Galfreds Historia Regum Britanniae, Halle 1854. 4. H. O. Sommer, The Vulgate Version of the Arthurian Romances, Washington 1908-11. 5. Gaston Paris, Histoire de la littérature française au Moyen-âge, 1, Paris 19094. 6. R. Zenker, Zur Mabinogionfrage, Halle 1912. 7. Jos. Loth, Les Mabinogion, traduits du Gallois, Paris 19132. 8. Gust. Erisman, Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters II, 2, 1. H., S. 133-141, München 1918. 9. Rud. Thurneysen, Die irische Helden- und Königssage, Halle 1921. 10. E. K. Chambers, Artur of Britain, London 1927. 11. R. S. Loomis, Celtic Myth and Arthurian Romance, New York 1927. 12. Leon. Olschki, Die Romanischen Literaturen des Mittelalters, Hdb. d. Litw., Wildpark-Potsdam (1928).
Abbildungswerke: 13. Georg Vitzthum u. W. F. Volbach, Die Malerei und Plastik des Mittelalters in Italien, Hdb. d. Kw., S. 80f. 14. A. Kingsley Porter, Romanesque sculpture of the pilgrimage roads, Boston 1923. 15. Em. Bertaux, L’art dans l’Italie méridionale, Paris 1904. 16. Paul Weber, Die Iweinbilder aus dem 13. Jh. im Hessenhof zu Schmalkalden, Zs. f. bild. K. 12, 1901, S. 73ff. 17. Parzival-Hs., München, Staatsbibliothek cgm. 19. 18. K. I. Benziger, Parzival in der deutschen Handschriftenillustration d. Mittelalters, Stud. z. deutsch. Kg. H. 175, Straßburg 1914. 19. M. Walz, Garel von dem blühenden Tal, ein höfischer Roman aus dem Artussagenkreis von dem Pleier, Freiburg i. B. 1892. 20. Heinr. Goebel, Wandteppiche, Teil II: Die roman. Länder, Leipzig 1928, Bd. 1 S. 14f., Bd. 2 Abb. 14. 21. P. d’ Ancona, Gli affreschi del castello di Manta nel Saluzzese, L’Arte 8, 1905, S. 94ff. 22. Konr. Escher, Wand- und Deckenmalerei in der Schweiz, Stud. z. deutsch. Kg. 71, Straßburg 1906. 23. Betty Kurth, Die deutschen Bildteppiche, Wien 1926, Bd. I S. 222 u. II Taf. 70. 24. Inv. Rheinprovinz 7, 4 Taf. 7. 25. Wilh. Pinder, Die deutsche Plastik vom ausgehenden Mittelalter bis zum Ende der Renaissance I, Hdb. d. Kw., S. 130f. 26. Ign. Vinz. Zingerle - Jos. Seelos, Freskenzyklus von Runkelstein, Umrißzeichnungen, 1857. 27. Otto Piper, Burgenkunde, München 19123. 28. Bodo Ebhardt, Der Väter Erbe, Berlin 1909. 28 a. K. v. Radinger, Wandmalereien in tirolischen Schlössern und Ansitzen. „Der Burgwart“ 17, 1916, S. 24ff. 29. Ludw. Baldass, Der Künstlerkreis Kaiser Maximilians, Wien 1923. 30. Vincenz Oberhammer, Die Bronzestandbilder des Maximiliangrabmals usw., Innsbruck 1935. 31. Kurt Martin, Die Nürnberger Steinplastik im 14. Jh., Berlin 1927, S. 110. 32. Ph. M. Halm, Jb. d. pr. K.Slg. 41, 1920, S. 308ff. 33. Über Herrscherreihen vgl. R. van Marle, Iconographie de l’art profane au Moyen-âge et à la Renaissance I, Haag 1931.
Verweise
Empfohlene Zitierweise: Demus, Otto , Artus, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. I (1936), Sp. 1127–1132; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=89662> [16.09.2024]
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