Armeseelen
englisch: Souls in torment; französisch: Ames du Purgatoire; italienisch: Anime del Purgatorio.
Philipp Maria Halm † 1. 2. 1933 (1936)
RDK I, 1084–1088
Die Lehre vom Fegfeuer, das von dem Begriff der armen Seelen nicht zu lösen ist, stützt sich vornehmlich auf 2. Makk. 12, 43 bis 46, und 1. Kor. 3, 11-15. Das altchristliche Dogma von der Gemeinschaft der Heiligen lehrte, daß die Gläubigen an den Heiligen des Himmels mächtige Fürsprecher hätten und daß die abgestorbenen Seelen im Fegfeuer der Fürbitte und Hilfe der Kirche und der noch Lebenden bedürften. Messen, Almosen, Gebet und Fasten seien die Mittel, durch welche den armen Seelen im Reinigungsorte Erleichterung ihrer Qualen und schließlich Erlösung gebracht werden könnte. In der Anschauung des Volkes erwarben sich aber auch die Lebenden durch die den Abgeschiedenen zugewandten Verdienste Dank, Lohn und Hilfe der A. Der A.-Kultus in diesem Sinne fand schon frühzeitig besondere Pflege durch die Cluniazenser Äbte Odilo († 1048), der als erster den A.-Tag in seinen Klöstern eingeführt haben soll, und Petrus Damiani († 1072), deren Erzählungen von der wechselseitigen Hilfe der Lebenden und A. durch die Cluniazenser Petrus Venerabilis im 12. und Caesarius von Heiderbach im 13. Jh. weitere Verbreitung fanden. Gefördert wurde ferner der A.-Glauben durch die Visionen der Mystikerinnen, der hl. Gertrud vom Kloster Helfta (1256-1302), Mechtild von Magdeburg (ca. 1210-1285) und der hl. Brigitta (ca. 1303-1373) und durch das Florentiner Konzil von 1439, das die Lehre vom Fegfeuer zu einem Glaubensartikel erhob. Praktisch wirkte sich die A.-Lehre im Mittelalter in der „Aufrichtung eines Seelgerätes“ aus, worunter die Stiftung hl. Messen – missae pro defunctis –, Vermächtnisse für Arme und Kranke, Stiftungen von Spitälern und Wohltätigkeitseinrichtungen zu verstehen sind. Dazu kamen kleinere kirchliche Bauten, vorwiegend im Alpenländischen, die sog. Karner und Seelkerker (Beinhäuser) mit Totenleuchten – lux perpetua luceat eis –, die auf den einschlägigen bildlichen Darstellungen nie fehlen.
Der Aufenthalt der A., das Fegfeuer, ist nach Mechtild von Magdeburg die Vorburg der Hölle, deren Flammen in den Reinigungsort schlagen; dort hat nach der hl. Brigitta auch der Teufel Berührung mit den Seelen, um sie zu quälen.
Die einfachste bildliche Darstellung der A. war, wie noch heute in der kath. Kirche, ein züngelnder Feuerherd, aus dem die Abgeschiedenen flehend und betend ihre Hände erheben. Dieser Darstellung stehen reicher erzählende gegenüber, in denen Engel und Teufel um die A. kämpfen, z. B. in den Revelationes S. Birgittae, Lübeck 1492. Am weitesten spinnt das Thema ein Flügel eines Regensburger Altars im Bayr. Nat.-Mus. in München aus (Abb. 1), auf denen die A. durch Teufel die verschiedensten Qualen, heißes Öl, eisige Kälte, Pfählung, Eingießung heißen Geldes in den Mund, Verspottung u. a. dulden müssen, bis Engel ihnen mit Wein und Brot (d. i. Leib und Blut des Herrn), kühlender Luft u. a. zu Hilfe kommen und sie endlich zum Himmel führen. Dies bis jetzt die einzige Darstellung ihrer Art im Sinn der Visionen frommer Männer, von denen Papst Gregor und Beda venerabilis berichten.
Von dem gleichen Altar behandelt ein Flügel auch die A.-Messe (Abb. 2). Noch ausführlicher ist die A.-Messe auf den Außenseiten zweier um 1520 entstandener Altarflügel im Berner Kunstmuseum geschildert; die Leiber der A. verlassen ihre Gräber, um an der Messe teilzunehmen (XIV. Internat. Kunsthistor. Kongreß 1936, Ausstellung im Kunstmuseum Bern, Kat. Nr. 55). Die Innenseiten der Berner Flügel zeigen gegenüber einem Heer von Lebenden cm Heer von A. in Gestalt von Skeletten, die offenbar – ähnlich dem unten erwähnten Kolberger Epitaph von 1492 – einen besonders eifrigen Fürbitter der A. beschützen wollen; das zugehörige Mittelstück ist verloren. Ein Schnitzaltar mit Flügeln im Hist. Verein Regensburg (Abb. 3), gegen 1500, bezieht in das Jüngste Gericht und das Thema von den A. noch die Werke der Barmherzigkeit ein. Bestimmte Legenden des Themas behandeln zwei Reliefs im Deutschen Mus. in Berlin (Kat. Demmler Nr. 463, 464), ein Relief im Bayr. Nat.-Mus. in München und im Kloster Scheyern. Die beiden letzteren schildern außerdem den werktätigen Dank der A. für die ihnen zugewandten Suffragien.
Im gleichen Sinn sind auch das von Siewert Granzin 1492 gestiftete Tafelbild in der St.-Marien-Kirche in Kolberg (Abb. 4) und ein Gemälde in der St.-Marien-Kirche in Frankfurt a. d. O., um 1520, zu deuten. Diesen beiden Bildwerken ist das Charakteristische gemeinsam, daß die dem Ritter zu Hilfe eilenden Auferstehenden mit Gegenständen ihres früheren Berufs als Waffen ausgestattet sind.
A.-Darstellungen wie die erwähnten zählen als nicht rein dogmatischen Inhalts zu Seltenheiten; ein Votivbild von 1703 in der Gottesackerkirche zu Weilheim und ähnliche Darstellungen in der A.-Kapelle bei St. Peter in Straubing und in der Ölbergkapelle in Westerndorf bei Rosenheim sind verspätete Ausläufer dieser Gruppe.
Die Reformation mit ihrer Ablehnung des Fegfeuers und damit der A. mußte naturgemäß die bildliche Wiedergabe des Themas einschränken. Seit Beginn des 16. Jh. kennt auch die kath. Kirche nur die primitive Darstellung der aus dem Feuerherd ihre Hände zum Gebet emporstreckenden A.
Zu den Abbildungen
1. München, Bayr. Nat.-Mus., Altarflügel aus Regensburg, E. 15. Jh.: Die Armenseelen im Fegfeuer. Phot. Mus.
2. München, Bayr. Nat.-Mus., Altarflügel aus Regensburg, E. 15. Jh.: Armeseelen-Messe; Gegenstück zu Abb. 1. Phot. Mus.
3. Regensburg, Slg. des Hist. Vereins, A.-Altar, E. 15. Jh. Phot. Verf.
4. Kolberg, Dom, Votivbild, gestiftet 1492 von Siewert Granzin. (Beachtenswert, daß die A. mit Geräten ihres Berufes, z. B. Ruder, Hammer, Schere, ausgerüstet sind.) Phot. Staatl. Bildstelle, Berlin.
Literatur
1. Phil. Maria Halm, Altbayerische Totendarstellungen, Münchner Jb. IV, 1909, S. 143ff. 2. J. A. Endres, Zwei A.-Darstellungen, Zs. f. christl. K. 27, 1914, S. 157ff. 3. Phil. Maria Halm, Ikonographische Stud. z. A.-Kultus, Münchner Jb. XII, 1921-22, S. 1ff. Dort ausführliche Literaturangaben.
Verweise
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