Apotheke
englisch: Chemist's (shop); französisch: Pharmacie; italienisch: Farmacia.
Georg Urdang (1935)
RDK I, 834–842
Die Tatsache, daß die A., das A.-Inventar und das A.-Gerät vielfach und vielseitig eine künstlerische Behandlung erfuhren, beruht auf zwei Gründen: auf der patrizischen Wohlhabenheit der in Betracht kommenden, häufig alteingesessenen und ihren Besitz majoratähnlich weitervererbenden Apothekergeschlechter (Nürnberg, Innsbruck, Straßburg usw.) und auf der mit einer anziehenden Ausstattung verknüpften Propagandawirkung auf Ärzte und Publikum. Bei den A. der kirchlichen Gemeinschaften (Klöster, Stifte) wirkt sich oft der gleiche Hang zur Prachtentfaltung aus wie bei den sakralen Bauten und Einrichtungen aus der hier besonders in Betracht kommenden Zeit des Barock.
Die Außenfronten der A. gewannen ihren Charakter im wesentlichen durch ihre Wahrzeichen (meistens Tiere: Adler, Einhorn usw.), die entweder – besonders in Süddeutschland – in Schmiedeeisen gearbeitet über der Eingangstür hingen (s. Aushängeschild) oder einen plastischen Schmuck der Hausfront bildeten.
Eine der charakteristischsten Fronten eines A.-Hauses aus der Renaissance zeigt die schöne Rats-A. in Lemgo (Abb. 1), die mit dem Rathaus zu einer Baugruppe zusammengezogen ist; der Bildnisfries am Erker zeigt berühmte Ärzte, Alchimisten und Philosophen.
Die A.-Offizinen der verschiedenen Jahrhunderte sind in einer Reihe von zeitgenössischen Bildern bekannt. So enthält der Hortus sanitatis (Augsburg 1485) einen das Innere einer A. darstellenden Holzschnitt, weist eine spätgotische Wandmalerei in Schloß Issogne ein A.-Interieur auf. Kupferstiche im Germanischen Nationalmuseum zu Nürnberg zeigen eine A. im Renaissancestil aus der Zeit um 1600, die Hof-A. zu Rastatt um 1700 und die Stern-A. zu Nürnberg um 1710, die beide im Barockstil eingerichtet sind. Eine der schönsten A.-Einrichtungen dieser Zeit ist die 1681 in Köszy in Ungarn angefertigte, 1775 umgebaute Offizin, die jetzt im Landesgewerbemuseum in Budapest ihren Platz gefunden hat. Reinen Rokokostil zeigen die A. des Juliusspitals zu Würzburg (Abb. 2) und die Hofapotheke in Salzburg.
Die erhaltenen Denkmäler und alte Abbildungen geben einen Eindruck von der künstlerischen Sorgfalt, die nicht nur auf die Gesamtwirkung der Einrichtung, sondern auch auf ihre Einzelstücke gelegt wurde. Eine besondere Ausgestaltung fanden bis ins 19. Jh. hinein die Waagenhalter, die vielfach Meisterwerke der Schmiedekunst darstellten; einer der schönsten befindet sich in der A. des Juliusspitals zu Würzburg (Abb. 2). Die bereits erwähnte Stern-A. in Nürnberg besaß einen spätbarocken Arzneischrank, der sich jetzt in der historischen A.-Materialkammer des Germanischen Nationalmuseums befindet (Abb. 3).
Eine wesentliche Rolle bei der künstlerischen Ausgestaltung der A. spielten die A.-Standgefäße. Die aus dem Orient, insbesondere von den spanischen Mauren nach Europa verpflanzte Fayencekunst fand hier ein Betätigungsfeld, in dem sie sich weitgehend entfalten konnte. Der Herkunft der ersten Fayencegefäße entsprechend hielt zunächst der „Albarello“ seinen Einzug in die A.-Offizin (Abb. 4 oben Mitte). Das Wort heißt übersetzt „Bäumchen“; die Übernahme dieser Benennung für Fayencegefäße einer ganz bestimmten Vasenform erklärt sich daraus, daß diese Form den aus abgeschnittenen Bambus- stücken, also aus „Bäumchen“ hergestellten Holzgefäßen nachgebildet ist, in denen im Mittelalter die orientalischen Spezereien in das Abendland versandt wurden. Diese Form hat sich in der Technik der A.-Fayencen jahrhundertelang behauptet. – Die Vermehrung und wachsende Vielfältigkeit des Arzneischatzes verursachte eine Nachfrage nach Gefäßformen, die von der ursprünglich allein herrschenden des Albarello abwichen. Die Technik stellte sich allmählich auf die Fabrikation von Kannen und Flaschen, von bauchigen Gefäßen mit und ohne Doppelhenkeln ein (Abb. 4 u. 5). Diese Apothekenkrüge bildeten einen bedeutenden Exportartikel fast aller Fayencewerkstätten Italiens, vor allem derjenigen von Siena, Florenz, Venedig und besonders Urbino. Die Gefäße sind auf der Schauseite häufig mit den Figuren von Aposteln und Heiligen, auf der übrigen Fläche mit Landschaften geschmückt. Erst in der Mitte des 16. Jh. wurden die ersten A.-Fayencegefäße in Frankreich, vornehmlich in Rouen, hergestellt, etwas später in Holland (Delft), im 17. Jh. in der Schweiz (Winterthur) und schließlich in Deutschland, wo sich eine blühende Industrie entwickelte, die sich von Süddeutschland aus über das ganze Reichsgebiet ausbreitete. In den A. Süd- und Mitteldeutschlands waren vor allem Erzeugnisse der Manufakturen in Ansbach, Bayreuth, Bernburg, Durlach, Fulda, Hanau, Kassel, Nürnberg. Offenbach, Rudolstadt und Zerbst vertreten. Die Mark Brandenburg wurde insbesondere von der Fayencefabrik Lüdike in Rheinsberg und Wolbeer in Berlin versorgt. Die Berliner Schloß-A. ist kurz nach 1713 mit Gefäßen der Fayencefabrik Wolbeer eingerichtet worden, die sämtlich das Monogramm Friedrich Wilhelms I. von Preußen zeigen (Abb. 5 oben Mitte).
Im 17. und 18. Jh. erlebten die seit jeher in den A. vertretenen Glasgefäße eine sie zu Schmuckstücken machende Behandlung (Abb. 6). Die Emailmalerei auf Hohlglas schuf vielfach farbenfreudige Objekte, denen jedoch eine besondere künstlerische Bedeutung nur in wenigen Ausnahmefällen zukam. Am bekanntesten sind die schön bemalten Gläser aus der Reise-A. des Königs August des Starken von Sachsen und Polen und der Königlich sächsischen Hof-A. zu Pillnitz aus der gleichen Zeit.
Eine hervorragende Ausgestaltung haben vielfach die A.-Mörser gefunden, da sie nicht nur Gebrauchs-, sondern auch Prunk- und Schaustücke waren (Abb. 6). Mörser mit gotischen Streben, Renaissancemörser mit reicher Ornamentik, mit Henkeln, die in Löwenmäuler auslaufen, mit Wappen- und Figurenschmuck, sind häufig. Das Berliner Schloßmuseum besitzt ein prachtvolles Exemplar aus der Werkstatt Wenzel Jamnitzers (um 1560) mit allegorischen Figuren nach Peter Flötner, um die sich nach dem lebenden Modell abgegossene Pflanzen und Eidechsen herumranken. In der Regel stellten die großen Glockengießerfamilien auch A.-Mörser her; im 16. Jh. ist eine Reihe edelster Renaissancemörser aus der Gußhütte der Familie Enndorfer in Innsbruck hervorgegangen; einen besonderen Ruf auf diesem Gebiet genoß um die Wende des 18. Jh. die Familie Zwelfer in Bozen.
Als Patrone der Apotheker (und der Ärzte) werden die Heiligen Cosmas und Damian verehrt, deren Bild sich daher häufig in und an alten A. findet: Mainz, Löwen-A.; Straubing, ehem. Franziskaner-A. (Inv. Bayern IV, 6, S. 365, Fig. 320) u. ö. – Über Christus als Apotheker s. Christus.
S. auch die Artikel Fayence, Glas, Mörser.
Zu den Abbildungen
1. Lemgo (Lippe), Rathaus mit Rats-A. Phot. Dr. F. Stoedtner, Berlin.
2. Würzburg, Juliusspital, A.-Einrichtung des 18. Jh. Phot. K. Gundermann, Würzburg.
3. Nürnberg, Germ. Nat.-Mus. Schrank aus der Stern-A. in Nürnberg, Anf. 18. Jh. Phot. Christof Müller, Nürnberg.
4. Berlin, Schloßmuseum (Ausstellung 1929). Spanische lüstrierte Majoliken des 15. Jh., italienische Majoliken des 17. und 18. Jh., französische Fayencen des 18. Jh. Phot. Mus.
5. Berlin, Schloßmuseum (Ausstellung 1929). Deutsche Fayencen des 17. und 18. Jh., Schweizer Fayencen des 17. Jh., Fayencen von Lorenz Speckner, Kreußen, 1618. Phot. Mus.
6. Berlin, Schloßmuseum (Ausstellung 1929). Gläser mit Emailmalerei des 17. und 18. Jh. Bronzemörser des 14.–17. Jh. Phot. Mus.
Literatur
1. Illustrierter A.-Kalender, bearb. von Fritz Ferchl, Jg. 1–6, 1925–30. 2. Fritz Ferchl, Die A. von der Gotik bis zum Biedermeier, Mittenwald o. J. (1929). 3. Georg Urdang, Kunst- und Kulturgeschichtliches aus alten A. (Ausstellung im Berliner Schloßmus., Mai 1929), Pharmazeutische Ztg. 74, 1929, Nr. 34. 4. Otto v. Falke, Majolika, Berlin 1907. 5. Ders., Alt-Berliner Fayencen, Berlin 1923. 6. O. Riesebieter, Die deutschen Fayencen des 17. und 18. Jh., Leipzig 1921. 7. Henry Wallis, The Albarello, London 1904. 8. Fritz Ferchl, Die Slg. Jo Mayer-Wiesbaden, Pharmazeutische Ztg. 75, 1930, Nr. 2, 14, 20, 32, 50. 9. Jos. Ant. Häfliger, Pharmazeutische Altertumskunde, Zürich 1931.
Verweise
Empfohlene Zitierweise: Urdang, Georg , Apotheke, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Bd. I (1935), Sp. 834–842; in: RDK Labor, URL: <https://www.rdklabor.de/w/?oldid=89037> [14.09.2024]
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