Anhänger (Kleinod)

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englisch: Pendant; französisch: Pendentif, pendant; italienisch: Ciondolo.


Elisabeth Moses (1935)

RDK I, 699–705


RDK I, 699, Abb. 1 a. Ehem. Slg. Figdor, 14. Jh.
RDK I, 699, Abb. 1 b. Ehem. Slg. Figdor, 14. Jh.
RDK I, 699, Abb. 2. Köln, Slg. Clemens, 15. Jh.
RDK I, 701, Abb. 3. Hugo van der Goes, um 1472. Brügge.
RDK I, 703, Abb. 4 a. Köln, Slg. Clemens, 16. Jh.
RDK I, 703, Abb. 4 b. Köln, Slg. Clemens, 16. Jh.
RDK I, 703, Abb. 5. Köln, Slg. Clemens, 16. Jh.
RDK I, 703, Abb. 6. Bern, Historisches Museum, E. 16. Jh.

Unter A. versteht man ein Schmuckstück, das an der Halskette, dem Gürtel, der Uhrkette oder dem Hut getragen wird und an einer Öse angehängt ist. Es ist gefertigt aus Bronze, Kupfer, Silber oder Gold in Verbindung mit Perlen, Brillanten, Edelsteinen und Halbedelsteinen, Glas, Email, Perlmutter, Elfenbein u. a.

In der Völkerwanderungszeit lernen die Germanen die Schmuckarten und mannigfaltigen Möglichkeiten kunstgewerblicher Technik Roms und des Ostens kennen. Sie verwenden römische, byzantinische und später auch eigene Münzen gelocht oder gefaßt als A., stellen aber bald für diesen Zweck getriebene oder gepreßte Zierbrakteaten aus Gold oder Silber her. Aus merowingischen Gräbern stammen geöste A. in Durchbrucharbeit, mit Filigran und Granulation oder mit Almandineinlagen (vgl. die Abb. bei v. Jenny und Volbach, Germanischer Schmuck, Berlin 1933, Taf. 43), durchbrochen gearbeitete Zierscheiben aus Bronze, zum Teil versilbert, mit stilisierten Menschen- und Tierfiguren nordischen Charakters oder mit geometrischen Motiven. Sie wurden von Frauen zumeist vom Gürtel herabhängend getragen. Seit der Begegnung mit dem Christentum waren A. in Kreuzform beliebt (Beispiele in Bonn, Landesmus.; Mainz, Altertumsslg.; Köln, Wallraf-Richartz-Mus.; München, Bayer. Nat.-Mus.; Nürnberg, Germ. Nat.-Mus.; Stuttgart, Altertums-Slg.).

Aus den folgenden Jahrhunderten sind kaum Beispiele von A., die auf deutschem Boden gefertigt wurden, bekannt. Auch noch im 13. Jh. scheint der A. gegenüber der vielverbreiteten Brosche (Fürspan) eine nur geringe Rolle zu spielen; jedoch sind kostbar ausgestaltete Reliquienbehälter in Medaillonform nachgewiesen, die vermutlich als A. getragen wurden (A. Schnütgen, Reliquiar in Medaillon-Form aus dem Anf. 13. Jh., Zs. f. christl. K. 5, 1892, S. 58ff.).

Im 14. Jahrhundert wird neben Bronze Silber als Material bevorzugt. Der A. ist vorwiegend flächig; die einfache Rundform wird häufig durch die modische Form der Rose verdrängt. Ein besonders schönes Beispiel der flachrunden Form ist das christliche Amulett eines Ritters in der früheren Slg. Figdor (Wien) aus Silber mit translucidem Email, wahrscheinlich oberrheinischer Herkunft (Abb. 1 a und b): Auf der Vorderseite sieht man den segenspendenden Christus, umgeben von den Evangelistensymbolen und Spruchbändern mit der Inschrift: her. got. dvrch. din. tot. hilf. dissem. ritter. vs. angst. vnd. vs. aller. not. Auf der Rückseite die Muttergottes mit vier Engeln und Spruchbändern folgenden Inhalts: frov. sant. maria. ich. bit. dich. dvrch. der. engel. gesang. hilf. des. dich. der ritter. bit. vnd. ermant. [7].

Mit dem Aufblühen des bürgerlichen Kunstgewerbes entsteht im 15. Jahrhundert auch der bürgerliche Schmuck. A. werden von Männern und Frauen an Halskette (Abb. 3), an Rosenkranz und Gürtel, Hut und Barett getragen. Das Silber wird vom Gold und vergoldetem Kupfer verdrängt, Grubenschmelz und translucides Email von Maleremail und Email en ronde bosse. Zu Guß, Schnitt und Gravierung tritt die Ziselierung. Die Edelsteine, ihrer heilbringenden alchimistischen Bedeutung wegen besonders beliebt, die bisher nur „mugelig“ geschliffen waren, erhalten durch Facettierung neuen Glanz. Die Form des A. wird äußerst mannigfaltig, ihr Darstellungsinhalt ist meist kirchlicher Art [12], der Stil von zeitgenössischer Malerei und Plastik beeinflußt. Provinzielle Herkunft ist auch jetzt noch schwer feststellbar, doch dürfte Süddeutschland Hauptsitz der Fabrikation sein. Hohe Qualität weisen die Reliquienbehälter auf, die doppelseitig geschnitzte Elfenbeinreliefs oder Perlmutterplatten zeigen, von gotischem Laubwerk aus Silber oder Gold mit gedrahteten Perlen und Edelsteinen umrahmt sind. In verschiedenen Kirchenschätzen finden sich zum Anhängen eingerichtete runde Behälter aus Edelmetall, auf der Vorderseite mit reichem Schmuck oder auch Reliefs plastisch gestaltet, auf der Rückseite mit gravierter Heiligendarstellung versehen. Sie dienten rein kirchlichen Zwecken, wahrscheinlich als „Krankenversehgefäße“ (vgl. z. B. Fritz Witte, Der Domschatz zu Osnabrück, Berlin o. J., Taf. 34), die zum Aufbewahren der Hostien dienten und vom Priester um den Hals zum Kranken getragen wurden. Im allgemeinen verliert der Einzeltyp an Individualität. Besonders beliebt sind geschnittene Perlmutterplatten in Silberfassung mit Darstellung der Pietà oder Heiliger. Kleine figürliche vergoldete Silber-A., die vollplastisch oder als Relief mit ausgeschnittenem Grund immer wieder nach den gleichen Formen gegossen wurden, trug man als Talisman. Neben der Darstellung der Madonna mit dem Kind, der Anna selbdritt, des segnenden Gottvaters, des Christkinds mit dem Lamm und des leidenden Christus am Kreuz begegnet man vor allem den Heiligen Michael, Georg, Sebastian und Christophorus (Abb. 2). Verwandt sind die A. in Form von gotischen Gehäusen. Amulette aus Koralle, Knochen, Bergkristall usw. in Silberfassung hängt man schon kleinen Kindern um den Hals. E. 15. Jh. kommt die Mode auf, Gegenstände zum praktischen Gebrauch als Schmuckstücke anzuhängen, die sich bis ins 17. Jh. hinein gehalten hat und in der Gestalt der A. an Uhrketten bis ins 19. Jh. fortgelebt hat. Dazu gehören vor allem die sog. „Bisamäpfel“, kugelförmige Riechkapseln aus Metall mit ornamentierter Oberfläche. Nadelbüchsen, Spiegel, Toilettebestecke, Kalenderbüchlein, Zahnstocher und Jagdbestecke werden von Damen und Herren getragen. Die bellen Beispiele für gotische A. findet man im Germ. Nat.-Mus. Nürnberg, im Bayer. Nat.-Mus. München, in der Slg. Clemens-Köln und in den Schatzkammern gotischer Kirchen vor allem an Monstranzen, an denen A. als Weihgaben befestigt wurden.

In der Renaissance wird der A. bei Herren und Damen zum wichtigsten Schmuckstück. Das Einzelstück ist bunt und reich bis zur Überladenheit. Perlen und Edelsteine, wie Rubine, Saphire, Smaragde und Diamanten erfreuen sich wachsender Beliebtheit, Gemmen und Kameen treten hinzu. Durch kunstvollen Schliff – rund (en cabochon) oder tafelförmig – und reiche Fassung erhält der Stein erhöhte Bedeutung. Email en ronde bosse spielt bei der figürlichen Behandlung die Hauptrolle. Das Kruzifix bleibt als Reliquienbehälter beliebt. Im übrigen bevorzugt man längliche Formen für den A., vor allem die Birnform, verlängert sie noch durch Tropfperlen. Während die Vorderseite immer plastisch gestaltet ist, wird die flache Rückseite mit Mauresken, Grotesken und Bandwerk in Email geziert (Abb. 4 a u. b). Soweit die A. nicht rein ornamental gebildet sind, weicht der kirchliche Darstellungsinhalt dem profanen, der seine Themen aus der Antike, aus Mythologie und Allegorie schöpft. Während in der 1. H. 16. Jh. Einzelfiguren, Sirenen, Tritonen und Amoretten, Figuren der Gerechtigkeit und Stärke bevorzugt waren, kommen E. 16. Jh. die großen Gruppen vor architektonischem Hintergrund in Mode. Eine der schönsten ist das Urteil des Paris im grünen Gewölbe zu Dresden [10, Taf. I, 5]. Bis ins 18. Jh. bleiben neben menschlichen und phantastischen auch Tierfiguren beliebt, deren Körper aus einer unregelmäßigen Perle gebildet wird: Einhorn, Adler, Hahn, Vogel Strauß, Schwan, Pelikan; vielleicht sind auch sie allegorisch aufzufassen (Abb. 5). Als fürstliche Geschenke fanden die „Faveurs“ große Verbreitung, A. mit Monogrammen, einzelnen Buchstaben, heraldischen Motiven, Denkmünzen, Medaillen und geschnittenen Steinen. Daneben hält sich bis ins 17. Jh. hinein der A. ohne figürlichen Schmuck mit Rollwerk, Grotesken und Steinen. Es ist heute schwer, die Provenienz der Kleinodien festzustellen, da sie als Zahlmittel oder Mitgift der Braut vielfach weit verstreut wurden. Jedenfalls ist der Anteil deutscher Goldschmiede außerordentlich groß. Daß fremde Einflüsse schon durch die üblichen Wanderjahre der Goldschmiede in Italien, Frankreich und Spanien mitspielten, ist selbstverständlich. Neben den süddeutschen Hauptzentren Nürnberg und Augsburg spielte Dresden, für das Sponsel [10] Goldschmiede wie Schreyer, Dürr, Kramer u. a. nachweist, eine Hauptrolle. Die schönsten Entwürfe verdanken wir Hans Mielich, dem Hofmaler Herzog Albrechts V. von Bayern. Das gemalte Inventar der Schmuckarbeiten, die nach seinen Entwürfen angefertigt wurden (Münchner Schatzkammer), befindet sich in der Münchner Staatsbibliothek. Verschiedene Zeichnungen Dürers für A., z. B. mit Figuren der Hl. Georg und Christophorus oder Tieren bzw. Fabeltieren, bei Lippmann Nr. 906 u. 124. Hans Holbeins Entwürfe für Heinrich VIII. von England mit seinen charakteristischen Bandverschlingungen sind mehr ornamentaler Art (London, Brit. Mus.). Zu erwähnen sind vor allem die Entwürfe zu A. in den Ornamentstichen Aldegrevers, Brosamers, Virgil Solis’, Zündts und Hornicks. Mignot und Birckenholz führen in ihren Schwarzstichen die Schweifgroteske ein. (Die besten Beispiele für Renaissance-A. finden sich in den ehemaligen fürstlichen Schatzkammern, im Grünen Gewölbe zu Dresden, in der bayrischen Schatzkammer zu München, im Wiener Hofmus.; daneben in allen größeren K.gewerbe-Mus.)

Mit dem Erstarken der Juwelierkunst, dem Aufkommen des Diamantschliffs, tritt die Goldschmiedekunst auch beim A. zurück. In der 2. H. 17. Jh. verschwindet er als Schmuckstück immer mehr, tritt im 18. Jh. nur noch in Gestalt eines Kreuzchens auf, das die Dame am Samtband um den Hals trägt.

Die antikisierende Richtung des Klassizismus führt große Gemmen und Kameen als A. ein, die sentimentalische der Romantik Porträtminiaturen und Silhouetten in Ovalform, deren Rückseite Haare und andere Andenken birgt. Nach den Freiheitskriegen werden eiserne Kreuzchen aus den Eisenhütten von Berlin und Gleiwitz Mode.

Vgl. auch die Artikel Amulett, Brustkreuz, Halskette, Kapselreliquiar, Medaillon, Orden.

Zu den Abbildungen

1 a u. b. Scheiben-A., Christus zwischen den Evangelistensymbolen, Maria mit dem Kind und Engeln, Silber mit translucidem Email, Oberrhein, 14. Jh., früher Slg. Figdor, Wien.

2. Fünf A.: St. Martin, Christkind m. Weltkugel, Kruzifixus m. Maria u. Johannes, St. Sebastian, Maria mit dem Kind. – Silber vergoldet, 15. Jh. Köln, K.gewerbe-Mus. (Slg. Clemens).

3. Hugo van der Goes, Stifterpaar vom Hippolytus-Altar des Dirk Bouts in Brügge, St. Sauveur, um 1472. Phot. F. Bruckmann, München.

4 a u. b. Doppelseit. aus Gold u. Edelsteinen, Rückseite mit Emaileinlagen, wahrscheinl. nach Entwurf von Hans Mielich (1516–73), Köln, K.gewerbe-Mus. (Slg. Clemens).

5. Liegendes Reh aus einer Perle in Goldfassung, süddeutsch, 16. Jh., Köln, K.gewerbe-Mus. (Slg. Clemens).

6. Bern, Historisches Mus., Anhänger, E. 16. Jh. In Achat geschnittenes Bildnis; silberne Fassung. Phot. Mus.

Literatur

1. F. Luthmer, Goldschmuck der Renaissance. Nach Originalen und Gemälden des 15.–17. Jh. Berlin 1881. 2. Jak. Hefner-Alteneck, Deutsche Goldschmiedewerke des 16. Jh., Frankfurt 1890. 3. Rudolf Rücklin, Das Schmuckbuch, Bd. I u. II, Leipzig 1901. 4. E. Schauß, Schatzkammer des bayrischen Königshauses, Nürnberg o. J. 5. Kunstsammlungen von Hefner-Alteneck (Hans Mielich, Entwürfe zu Schmuckstücken), Versteigerungskatalog Helbing, München 1904. 6. Max Creutz, Kunstgeschichte der edlen Metalle, Stuttgart 1909. 7. Ernst Bassermann-Jordan, Der Schmuck, Leipzig 1909. 8. Elisabeth Moses, Der Schmuck der Sammlung W. Clemens, Köln (K.gewerbe-Mus.) o. J. 9. Max v. Boehn, Das Beiwerk der Mode, München 1928. 10. Jean Louis Sponsel, Das Grüne Gewölbe zu Dresden, Bd. III, Kleinodien der Goldschmiedekunst, Leipzig 1929. 11. Erna v. Watzdorf, Fürstl. Schmuck der Renaissance, Münchner Jb., N. F. 11, 1934, S. 50ff. 12. Georg Lill, Religiöse Schmucksachen und Anhänger; Die christl. K., Jg. 21, 1925, H. 4/5, Beiblatt S. 31ff.