Altarbaldachin
englisch: Altar-canopy, Ciborium over altar; französisch: Baldaquin d'autel; italienisch: Baldacchino d'altare.
Joseph Braun, S.J. (1934)
RDK I, 465–469
Altarbaldachin, eine über dem Altar zum Schutz, doch auch als Schmuck und, um ihn als die vornehmste Stätte des Gotteshauses zu kennzeichnen, als Ersatz eines Altarciboriums angebrachte Decke oder Verdachung, die jedoch nicht, wie die des Ciboriums von vier Säulen getragen wird. In den mittelalterlichen Quellen heißt er conopeum, papilio, caelatura, coelum, supertentorium, divum, in französischen ciel, poille (von pallium) sowie namentlich dais; zu Mailand hieß er capocielo. Der Name baldachinus kommt als Bezeichnung des Traghimmels schon im ausgehenden Mittelalter vor, als Benennung des A. aber bürgerte er sich erst in nachmittelalterlicher Zeit ein. Er leitet sich her von dem Stoffnamen baldachinus (baudequinus), mit dem man ursprünglich einen kostbaren, aus Bagdad oder aus dem Orient stammenden Seidenstoff, dann allgemein schwerere Brokate, besonders Goldbrokate, bezeichnete, indem der Name des Stoffes auf den Gegenstand überging, der aus ihm gemacht war. Von dem A. hören wir zuerst in einer Notiz eines Kartulars von Notre-Dame zu Paris aus der Mitte des 12. Jh., häufiger dann seit dem 13. Jh. Vorgeschrieben wurde er in diesem von den Synoden von Münster (1279), Köln (1281), Lüttich (1287), Exeter (1287), um die Wende des Jahrhunderts von der Synode zu Cambrai (1300), allgemein durch das Caeremoniale episcoporum von 1600 (C. 1, c, 12. n. 13) und ein Dekret der Ritenkongregation vom 27. April 1697, ohne daß er jedoch infolgedessen wirklich allgemein gebräuchlich geworden wäre.
Seiner formalen Beschaffenheit nach gab es im späten Mittelalter zwei A.-Typen, die sich beide wieder in zwei Untertypen schieden. Die Baldachine des ersten Untertypus des ersten, der, wie die vorhingenannten Münsterischen und Kölner Synodalstatuten beweisen, wenigstens zeitweilig auch in Deutschland heimisch war, bestanden in einem oberhalb des Altars ausgespannten Tuch, die des zweiten, die besonders im Norden Frankreichs beliebt gewesen sein müssen, in Deutschland aber nicht zur Verwendung gekommen zu sein scheinen, in einem an einem Seil oder einer Kette über dem Altar von der Decke oder dem Gewölbe herabhängenden, mit Zeug überspannten, rings um den Rand herum mit einem Behang versehenen, viereckigen und dann flachen oder runden und dann kegelförmigen Gerüst. Ein vierseitiger Baldachin des zweiten Untertypus ist auf einem Fresko Peruginos in der Libreria zu Siena abgebildet, ein anderer, der Prachtbaldachin der Ste. Chapelle zu Paris, war auf einer Miniatur des beim Aufstand der Kommune zu Paris 1871 verbrannten Stundenbuches des Reimser Erzbischofs Juvenal des Ursins († 1473) wiedergegeben. Kegelförmige A. des zweiten Typus finden sich auf zahlreichen nordfranzösischen Bildwerken des 15. Jh., zumal auf Miniaturen der Stundenbücher (Abb. 1). Die mittelalterlichen Baldachine des ersten Untertypus des zweiten Typus bestanden in einer quadratischen oder rechteckigen, über den Altar vorkragenden, vorn und seitlich mit Hängekamm und Bekrönung verzierten flachen Holzdecke, die mittels einer Kette oder Stützbänder unter einem rechten Winkel an der hinter dem Altar stehenden Wand oder am Retabel des Altars befestigt war, die des zweiten in einem entweder aus der Wand oberhalb des Altars oder aber aus dessen Retabel als Abschluß desselben herauswachsenden Überbau von der Form einer im Scheitel mit Kämmen und Bekrönung ausgestatteten Halbtonne. Beispiele beider Untertypen haben sich manche erhalten. Die ältesten des ersten, zugleich die ältesten noch vorhandenen mittelalterlichen A. überhaupt, sind zwei mit Malereien geschmückte Baldachine aus katalonischen Kirchen im Mus. zu Barcelona und im Bischöfischen Mus. zu Vich, von denen jener dem späten 12., dieser dem frühen 13. Jh. entstammt. Spätgotische gibt es noch in größerer Zahl in Nordfrankreich (Bretagnolles, Berville, Commeny, Moussy, Sérifontaine u. a.). A. des zweiten Untertypus haben sich erhalten in Ste. Waudru zu Mons, in der Kathedrale zu Sevilla (Hochaltar) und der Stiftskirche zu Lequeitio (Hochaltar), im Dom zu Aarhus, in Deutschland in der Johanneskirche zu Lüneburg (Abb. 2), in der Pfarrkirche zu Weeze am Niederrhein und in St. Georg zu Wismar (Abb. 3). Eine Sonderbildung des zweiten Typus zeigen A. im Mus. zu Bergen und im Universitätsmus. zu Oslo. Sie haben die Form eines im Innern reichbemalten, quer den Altar überdachenden rundbogigen, mit der hinteren Schmalseite unter einem rechten Winkel an der Wand angebrachten hölzernen Tonnengewölbes.
Die Baldachine des zweiten Typus verloren sich im 16. Jh. Von solchen des ersten Untertypus des ersten hören wir in Belgien vereinzelt noch in der Frühe des 17. Jh., wie in Kapitelilatuten der Lütticher Dekanate Fleurus (1616) und Jodoigne (1611). Behauptet haben sich bis zur Gegenwart A. des zweiten Untertypus des ersten Typus, vor allem in Italien. In Deutschland, wo diese Art von A. auch in nachmittelalterlicher Zeit nicht heimisch wurde, findet sich ein vereinzeltes Beispiel im Dom zu Prag (Abb. 4). Stilistisch standen die nachmittelalterlichen Baldachine des zweiten Untertypus des ersten Typus im Zeichen der Renaissance sowie namentlich des Barock. Selten viereckig oder rund, sind sie am häufigsten von ovaler oder mannigfach geschweifter Form. Kuppelartig (Abb. 4) sind sie nur ausnahmsweise.
Zu den Abbildungen
1. Erhebung der Hostie. Miniatur in einem Missale aus Autun. Lyon, Bibl. mun. Ms. 517, 15. Jh. Nach V. Leroquais, Les Sacramentaires et les missels manuscrits des bibliothèques de France, Paris 1924, Taf. XCV.
2. Lüneburg, Johanneskirche, A., 15. Jh. Phot. Verf.
3. Wismar, St. Jürgen, Altarschrein und Baldachin im Südquerschiff, 15. Jh. Phot. Kommission zur Erhaltung der Denkmäler, Schwerin.
4. Prag, Veitsdom, Altar und Grabmal des hl. Johann Nepomuk, 1736, nach Entwurf von J. Fischer von Erlach. Phot. Verf.
Literatur
Jos. Braun, Der christliche Altar, Freiburg i. Br. 1924, Bd. II, S. 262ff.
Verweise
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