Allegorie
englisch: Allegory; französisch: Allégorie; italienisch: Allegoria.
Julius Held (1934)
RDK I, 346–365
Allegorie (von griech. ἄλλος = anders und ἀγορεῖν – reden, woraus schon in der Antike ἀλληγορεῖν = bildlich reden und ἀλληγορία gebildet wurde).
I. Begriff
Unter A. versteht man eine Darstellung, in der ein unanschaulicher, begrifflicher oder gedanklicher Vorstellungsgehalt (z. B. „Ungerechtigkeit“ oder „Huldigung der Künste an einen Fürsten“) durch bildliche Mittel vollständig zum Ausdruck gebracht wird. – Von den allegorischen Bildern sind die symbolischen nicht immer deutlich zu unterscheiden. Die oft genug vorgenommene Gleichsetzung der Begriffe verbietet sich aber doch. Symbolik in ihrer reinsten Form sehen wir da, wo einfache, meist dingliche Formen auf Grund einer angenommenen, rational nicht faßbaren Wesensverwandtschaft einen höheren und allgemeineren Inhalt vertreten (Kreuz – Christus; Thron Salomos – Maria). Die inhaltlichen Möglichkeiten symbolischer Darstellung sind anders und ungleich weiter als die der A.; sie umfassen als ihr eigenstes Gebiet alle religiösen Vorstellungen, deren Wiedergabe der A. nicht oder nur bedingt möglich ist. Symbolische und allegorische Darstellung gehen da ineinander über, wo ein ursprünglich symbolisches Bild zusammen mit einer Rationalisierung seines Inhalts in eine nüchterne, lehrhafte Verständlichkeit überführt wird. Die Entwicklung, die das frühchristliche Motiv des Lebensbrunnens oder das antike des Glücksrads im späten Mittelalter nimmt, ist dafür bezeichnend.
II. Formen allegorischer Darstellung
Die Formen allegorischer Darstellung. Die A. kennt ein Darstellungsmittel, das ihr spezifisch zugehört, die Personifikation: klar begrenzte rationale Begriffe werden in meist idealisierter menschlicher, seltener in tierischer Gestalt dargestellt und so behandelt, als ob sie lebende Wesen wären. Das Geschlecht ist beliebig, jedoch richtet es sich – was für die enge Verbindung mit der Sprache kennzeichnend ist – gewöhnlich nach dem Genus der lateinischen Form. Mimik, Kleidung und Attribute, von Beischriften abgesehen, geben die Bedeutung zu erkennen. – Außer der reinen Personifikation gibt es eine solche aus der Addition sinnbildlich ausgedrückter Einzelzüge. Es entstehen dabei gelegentlich abstrus-phantastische Bildungen, die keinen Anspruch auf sinnenfällige Wahrscheinlichkeit machen.
Bei komplizierteren gedanklichen Inhalten ist die A. noch auf andere Darstellungselemente angewiesen. Sie vereinigt die Personifikationen zu fiktiven Handlungen (Kampf der Tugenden und Laster; Kreuzigung Christi durch die Tugenden, Abb. 3) oder ordnet sie einem bildlichen Gesamtmotiv unter (Baum der Tugenden un. Laster, Abb. Sp. 163-164; Tugendleiter, Abb. 2; Turm der Grammatik, Abb. 5).
Die A. ist nicht auf Personifikationen als alleinige Träger der Handlung beschränkt. Sie kann gewöhnliche Figuren als typische, exemplarische Repräsentanten des Begriffs verwenden, so etwa in Altdorfers einem moralisierenden Sprichwort nachgebildeter A. der Hoffart (Berlin) oder Leinbergers Darstellung der Ungerechtigkeit (Nürnberg, Abb. 6). In vielen mittelalterlichen Gegenüberstellungen der Tugenden und Laster, so auch an dem von Ad. Goldschmidt (Jb. d. Preuß. K.-Slg. 20, 1899) rekonstruierten Magdeburger Domportal, werden die ersteren personifiziert, die letzteren durch typische Figuren und Handlungen dargestellt.
Alle diese Möglichkeiten können in den mannigfaltigsten Mischungsverhältnissen auftreten. Sie können ferner durch historische, biblische, mythologische Figuren und Szenen ergänzt (Allegorese), durch symbolische Bilder bereichert, durch Beischriften erläutert werden (Abb. 9). Darstellungen, die aus so vielen Bestandteilen zusammengesetzt sind, kann man natürlich nur so lange als A. bezeichnen, als die allegorischen Elemente für Bildwirkung und -bedeutung den Ausschlag geben.
III. Hauptsächlichste Inhalte
Die Inhalte. Die A. hat ihre natürlichen Voraussetzungen in der Sprache. Jeder substantivierte Begriff enthält den Keim zur Personifikation, jede Metapher bietet dem Künstler ein Bild. Von dieser und allen anderen bildlichen Ausdrucksweisen der Sprache, von Sprichwörtern (Altdorfer, s. oben), Gleichnissen usw. ist der gedankliche Kern der A. in der bildenden Kunst in den meisten Fällen abgeleitet, auch da, wo er eigens für die künstlerische Darstellung erdacht ist. Es ist bezeichnend, daß die A. in ihren reichsten Spielarten stets auf eine literarische Vorform (Programm) angewiesen ist und in der Darstellung selbst fast niemals des erklärenden Textes oder der Beischriften entraten kann.
Überblickt man die A. vom frühen Mittelalter bis ins 19. Jh. auch nur im deutschen Kunstgebiet, so zeigt sich, daß es kaum einen abstrakten Begriff gibt, der nicht irgendeinmal dargestellt worden wäre. Gruppiert man die Begriffe aber nach der Häufigkeit des Auftretens, so ergibt sich ein Gerippe von Inhalten, die aus den Grundtatsachen der Natur und des menschlichen Daseins abgeleitet sind. Sie entsprechen keinem philosophischen System, sondern gehören eher einer zeitlosen Lebensweisheit christlicher Färbung an. Es gehören dazu: Erscheinungsformen der Natur (z. B. Elemente, Gestirne, geographische Einheiten; die Zeit und ihre Unterteilungen), Begriffe aus dem physischen Dasein des Menschen (z. B. Leben, Tod, Vergänglichkeit, Altersstufen, Temperamente, Sinne, Affekte), ethisch-geistige Begriffe (z. B. Wahrheit, Freiheit, Gerechtigkeit, Glück, Ruhm, Tugenden, Laster), menschliche Zustände und Tätigkeiten (z. B. Künste, Wissenschaften, Reichtum, Armut, Berufe).
Diese Begriffe werden nicht nur einzeln dargestellt, sondern bilden auch die bevorzugten Elemente von weitergespannten gedanklichen Inhalten. Dabei kann man unterscheiden zwischen zeitloser und zeitgebundener A. Die erste verbindet die genannten Begriffe in Handlungen, durch die allgemeine Wahrheiten, Sentenzen, psychische Vorgänge usw. zum Ausdruck kommen. Die zweite nimmt Ereignisse und Konstellationen der zeitgenössischen Geschichte (Abb. 4) oder aus dem Leben des Einzelnen zum Anlaß, um sie entweder stimmungshaft resümierend, tendenziös predigend oder mythisch steigernd darzustellen (Abb. 10). Ein Unterschied zwischen beiden Arten besteht darin, daß die zeitgebundene, aktuelle A. von vornherein auf eine gewisse Originalität der Erfindung hingewiesen ist, während die überzeitliche A. sich Traditionen anzuschließen pflegt, die unter Umständen zu Konventionen erstarren. Es bedarf keiner Erklärung, daß die zeitgebundenen wie auch die zeitlosen Inhalte entsprechend der wechselnden geistigen Verfassung durchaus nicht gleichmäßig in allen Epochen vorkommen.
IV. Geschichte
1. die mittelalterliche A.
Die A., besonders in der Form der Personifikation, ist ein Erbe der Antike. Die römische Mythologie hatte den alten mythologischen Personifikationen eine Unzahl anthropomorph gedachter abstrakter Begriffe zur Seite gestellt. Diese Gestalten werden vom Christentum übernommen, soweit es sie ohne Schaden in das Gefüge seiner Lehre einbauen konnte. Die meiden der von der frühchristlichen Kunst verwendeten Personifikationen waren entweder schon der antiken Kunst geläufig (Sol, Luna, Tellus, Oceanus, Monatspersonifikationen, Roma usw.) oder wenigstens in der spätrömischen Literatur vorgebildet; die das mittelalterliche Moralsystem und Lehrgebäude beherrschenden Begriffsreihen der Tugenden und Laster und der freien Künste finden sich schon bei mehreren spätantiken Schriftstellern. Die wichtigste Rolle bei der Überlieferung haben ohne Zweifel die allegorischen Dichtungen des Prudentius (Psychomachia) und des Martianus Capella (De nuptiis Mercurii et Philologiae) gespielt, die als Schulbücher verwendet wurden und deren Nachwirkung in der Literatur und Kunst des ganzen Mittelalters zu spüren ist. Noch im 12. Jh. diente das „Satirikon“ Capellas als unmittelbare Unterlage für die Darstellungen der Bildteppichserie in Quedlinburg (Inv. Prov. Sachsen 33, S. 141ff.). Neuschöpfungen von Personifikationen sind in altchristlicher Zeit und im frühen Mittelalter selten. Die entwicklungsgeschichtlich bedeutendsten sind Ecclesia und Synagoge, die zuerst in der Karolingerzeit vorkommen, ihre endgültige künstlerische Formulierung aber erst wesentlich später, anscheinend unter dem Einfluß des geistlichen Schauspiels finden (P. Weber, 1894).
Im Zusammenhang mit der Absicht, aus der Kunst eine lehrhafte Bildersprache für Laien zu machen, nimmt auch die Neigung, sich allegorisch auszudrücken, im hohen Mittelalter zu. Neben der Miniaturmalerei (Hortus deliciarum) finden sich jetzt allegorische Gestalten häufiger in der monumentalen Plastik (Abb. 1). Der Themenkreis wird um moralisierende Bilder und Gestalten (Frau Welt, Fürst der Welt) erweitert. Dabei macht das typisch mittelalterliche Denken in Reihen und Antithesen seinen Einfluß auf die Komposition der A. geltend, was noch in allen späteren Entwicklungsphasen nachwirkt. Für die Gruppierung mehrerer zusammengehöriger Begriffe werden vorzüglich Formen angewandt, die einen gewissen Symbolwert besitzen, etwa Kreissysteme (vgl. die Abb. in Annus), sich in einzelne Äste verzweigende Bäume (Abb. Sp. 163 u. 164). Daneben erfährt das von der Psychomachia her geläufige Kampfmotiv (Abb. 2) und das neuauftauchende der Jagd vielfältige Anwendung. Die formale Erscheinung der A. bleibt bis zum 14. Jh. sehr einfach. Ihre Bilder sind klar und ihre Personifikationen nur mit den zur Kennzeichnung unentbehrlichsten Attributen ausgestattet. Oft ergibt sich die Bedeutung auch nur aus der Beischrift.
Seit dem 14. Jh. werden die Bilder reicher, aber auch künstlicher. Die Phantasie, von Mystik und Scholastik gleichermaßen angeregt, aus allen Quellen schriftlicher und bildlicher Überlieferung zu schöpfen, stattet alte Begriffsformeln mit einem wachsenden Aufwand figürlicher Motive aus oder ersinnt neue allegorische Bilder. Die allegorische Moralisation antiker Mythen und damit ihre Verwendbarkeit in diesen Zusammenhängen gewinnt an Bedeutung. Jetzt werden auch symbolische Bilder wie der Lebensbrunnen, die Hostienmühle, Christus in der Kelter, immer stärker gedanklich-allegorisch durchsetzt. Einen guten Begriff von dem Reichtum des späten Mittelalters an allegorischen Bildern geben die Illustrationen des Cod. Cas. 1404 [10], Abb. 3. Der allegorische Vorstellungskreis der spätmittelalterlichen höfischen Dichtung findet in der bildenden Kunst nur geringen Widerhall. Er bleibt im wesentlichen auf den Bezirk der unmittelbaren Illustrationen beschränkt, deren schönste im Umkreis der francoflämischen Miniaturmalerei entstanden sind. Viel bedeutender wird eine Richtung, die aus den moralisierenden Gedankengängen des Spätmittelalters herauswächst. In immer neuen Variationen kreist sie um einige wenige Grundideen. Die Schwäche und Vergänglichkeit des Lebens (Sp. 281/82), die Unbeständigkeit des Glücks, die Torheit und Ungerechtigkeit der Menschen, das sind die Themen, die (in Parallele zur volkstümlichen Dichtung) immer ausschließlicher in den Mittelpunkt rücken, je weiter man sich von den religiösen Voraussetzungen entfernt, die ihnen ursprünglich Sinn und Richtung gaben. Häufiger als durch Personifikationen werden sie durch Figuren des täglichen Lebens und durch drastische Bilder wiedergegeben. Dabei läßt sich eine allmählich zunehmende Neigung zu sittenbildlicher und satirischer Färbung feststellen (Boschs Heuwagen; A. auf die Vergänglichkeit, Gemälde um 1480 im Germ. Mus. Nürnberg; Ungerechtigkeits-A. Hans Leinbergers, Abb. 6). Einen Höhepunkt für diese volkstümlich moralisierende Richtung der A. bringt, besonders in Deutschland, das frühe 16. Jh. mit einer unübersehbaren Fülle von oft ebenso großartigen wie originellen Bild-Erfindungen. Von fast allen Künstlern, besonders soweit sie für die Graphik tätig waren, gibt es solche A. (Dürer, Baldung, Schäuffelein, Beham, Pencz, Schön, Weiditz, H. Vischer). In den Niederlanden schuf C. Anthonisz. ein wahres Kompendium dieser Darstellungen. – Die volkstümlich predigende Allegorie verschwand im gleichen Maße, in dem die humanistische an Boden gewann. Aber auch später noch begegnen wir einzelnen eigenwilligen Künstlern, bei denen in Form und Ausdruck etwas von der lebensvollen Originalität dieser künstlerisch schlichtesten Art der A. aufklingt (z. B. Brueghels Bosheit der Welt, Elsheimers Jagd nach dem Glück).
Aktuelle Themen finden sich seit E. 15. Jh. (Abb. 4). Sie zeichnen sich häufig durch tendenziös satirischen Vortrag aus, besonders nachdem die konfessionellen Kämpfe ihnen ein unerschöpfliches Stoffgebiet eröffneten. In der künstlerisch schon bald von der Höhe des frühen 16. Jh. herabsinkenden Flugblattproduktion lebte diese zeitkritische und politische A. fort bis zu der Karikatur unserer Tage.
2. die humanistische A.
Die wichtigste Richtung wird im Norden seit Anf. 16. Jh. die humanistische A. Sie ist grundsätzlich von der theologisch-scholastischen und der volkstümlich-moralisierenden abzuheben, wenn sie sich auch in manchen Darstellungen vermsichen mögen. In ihrem Gedankengehalt und ihrer Formgebung steht sie unter dem stärksten Einfluß Italiens. Sehr bald schon, und nicht ohne Grund stärker als andere Bildgattungen, hatte sich hier die A. mit antikem Geist und antiken Formen durchsetzt. Aber sind schon die italienischen Formen meist eben nur „antikisch“ und nicht antik, so ist die humanistische A. des Nordens eine oft genug unendlich komplizierte Mischung aus mittelalterlichen, quattrocentesken und antiken Bestandteilen. Mit dem Anschluß an Italien kommen neue allegorische Bildmotive über die Alpen, z. B. die von Alberti als klassisches Beispiel einer A. gepriesene Verleumdung des Apelles (Dürer, Flötner). Ein dem Mittelalter völlig fremder Begriff, die Personifikation des Nachruhms in der „Fama“, wird zur geläufigen Vorstellung. Gleichzeitig werden viele Gestalten der mittelalterlichen allegorischen Ikonographie durch entsprechende der klassischen Mythologie ersetzt. Die Voluptas wird zur Venus, Dieu amour zum Cupido, die 7 freien Künste zu den Musen. Auf die Bedeutung antiker oder mittelalterlicher Götterbildbeschreibungen für diese Vorgänge sei nur hingewiesen. Auch das seit Petrarca in allegorischem Zusammenhang gebrauchte Motiv des Triumphzugs erscheint jetzt im Norden, zuerst anscheinend in flämischen Bildteppichen. In der 1. H. 16. Jh. wird es in den Niederlanden und Deutschland zu reichsten Kompositionen ausgebaut (Velieri, Coecke, Dürer, Holbein). In den großen Unternehmungen zur Verherrlichung Maximilians in Dichtung und Holzschnitt wird zum erstenmal im Norden die A. in den Dienst humanistisch-höfischen Persönlichkeitskults gestellt, was im Barock eine ihrer vornehmsten Aufgaben wird. – Am reichsten sind die A. in der Graphik vertreten (Abb. 5, 7, 10). Man findet sie aber auch in der Kleinplastik (Abb. 8 u. 9), in den Niederlanden besonders in der Bildwirkerei (Coecke).
An Klarheit des allegorischen Sinns ist der humanistischen A. nicht gelegen. Sie liebt eher das gelehrt Ausgeklügelte, weit Hergeholte, attributiv Überladene. Nicht alle humanistischen A. des Nordens haben dabei die Tiefe wie die bei aller Monstrosität doch oft von einer Ahnung antiken Geistes beflügelten Schöpfungen Dürers. Den meisten dient die humanistische Bildung dazu, platte Themen mit pedantischem Eifer bis zu ihren letzten bildlich greifbaren Möglichkeiten auszuwälzen (Abb. 5). Die Neigung, aus der A. eine Geheimwissenschaft oder Rätselsprache zu machen, erhielt reichliche Nahrung, seit mit der Ausgabe der Hypnerotomachia Poliphili (1499) und Pirkheimers Horapollo-Übersetzung (1514) das Gebiet einer pseudowissenschaftlichen Hieroglyphen-Kunde sich erschloß [6]. Diese Werke hatten entscheidenden Anteil an der Ausbreitung der als Sonderform der A. zu beurteilenden Emblematik.
3. die barocke A.
Während die deutsche A. im weiteren Verlaufe des 16. Jh. handwerklich erstarrt und gedanklich austrocknet, werden in Italien die Formen geschaffen, die der barocken A. das Gepräge geben. Tizian, Tintoretto, Veronese verleihen der A. dadurch einen idealen Charakter, daß sie die ganze Darstellung in eine visionäre Sphäre erheben. Der apotheotische Zug der barocken A. hat hier seine Quelle. Die Florentiner Hofkunst entwickelt dagegen den höfisch-gezierten Stil, der über Fontainebleau in die französische Kunst und etwas später nach dem deutschen Süden ausstrahlt. Gleichzeitig wird vom internationalen Manierismus ein humanistisch-mythologischer Typenvorrat fixiert, der von nun an wie ein Setzkasten bereitsteht und bei jedem beliebigen Anlaß verwendet werden kann (Abb. 9). Als natürliche Konsequenz entstehen E. 16. Jh. Sammelbücher, in denen musterbuchartig die Erscheinung der allegorischen Begriffe festgelegt wird („Prosopographia“ des Ph. Galle, o. O., o. J., und „Iconologia“ des Caesar Ripa, Rom 1593, bis ins späte 18. Jh. vorbildlich). Ihre Vorstufen sind in emblematischen Lehrbüchern (Alciatus, Augsburg 1531) zu suchen. Diese Publikationen entsprechen durchaus einem akuten Bedürfnis. Als poetisch gesteigerte Ausdrucksweise war die A. immer schon bei festlichen Anlässen herangezogen worden (was bis in die Festspieldichtung unserer Tage fortwirkt): einem Zeitalter, dessen ganzes künstlerisches Leben von einer festlichen Stimmung getragen wird, ist sie unentbehrlich. Die unzähligen barocken Ehrenpforten sind überladen mit A. Wo es gilt, einen Menschen dem Gedächtnis der Welt zu erhalten, im Denkmal und im Grabmal, finden wir allegorische Ge- stalten. Schließlich wird überhaupt kaum eine dekorative Aufgabe mehr bewältigt, ohne daß man den allegorischen Apparat dafür mehr oder weniger in Anspruch nimmt. Wir finden A. im Wand- u. Tafelbild (Abb. 11 u. 12), als Supraporte (Schlüter), Kartuschenfüllung, in Tapisserien, als Freiplastik oder im Relief, als Schmuck von Kirchen, Schlössern, Rathäusern, Gärten, in allen kunstgewerblichen Zweigen, besonders auch im Buchschmuck [13]. Meistens liefern Gelehrte und Theologen das Programm.
Der erste, der im Norden die gequälte Gelehrsamkeit dieser Darstellungen mit Leben erfüllt, ist Rubens. Seine historisch-apotheotischen A. setzen in der künstlerischen Auffassung die venezianische Richtung fort. Er steigert noch deren heroisch-mythologisierenden Charakter, ohne aber der in ihrer Idealität so homogenen Gestaltenwelt das Geringste an allegorischem Beziehungsreichtum zu opfern. Mit dem gleichen Pathos behandelt er daneben dogmatisch-theologische Vorwürfe (Abb. 11) und eröffnet damit die Reihe der großen kirchlichen A. der Gegenreformation, die später besonders im süddeutschen Barock zu Hause sind. Rubens’ Beispiel wirkt über den Kreis seiner Schule hinaus nach Frankreich, Holland (Huis ten Boich, Amsterdamer Rathaus) und Deutschland (über van Thulden auf Willmann, Hof des Großen Kurfürsten).
In der realistischen Kunst Hollands stehen die wenigen politischen oder theologischen A. (Rembrandt, Vermeer, A. v. d. Venne) scheinbar isoliert. Dennoch ist die A. keineswegs selten. Die gerade in kalvinistischen Kreisen blühende humanistische Gelehrsamkeit und die bürgerlich moralisierende Rederijkerliteratur werden, hauptsächlich in der Graphik, von eigenwilligen, spitzfindigen Spielarten der A. begleitet. In geistesgeschichtlicher Parallele dazu Stehen in Deutschland die mystischen Strömungen, die eine weit ins 18. Jh. reichende Fülle devotionaler A. und Embleme in Büchern und Einzelblättern hervorgebracht haben.
Unter dem Einfluß der vom Frankreich Ludwigs XIV. ausgehenden Geschmackswelle verändert sich seit dem Ausgang des 17. Jh. die äußere Erscheinung der A. auch in den anderen Ländern (z. T. schon bei Willmann und Sandrart). Die Auffassung wird theatralisch, die Gestalten werden mit phantastischen Prunkkostümen behängt, und der meist sehr einfache gedankliche Kern von dem Aufgebot eines Erde und Himmel in Bewegung setzenden Apparats bis zur Unkenntlichkeit überwuchert. Damit beginnt aber auch schon die allmählich fortschreitende Zersetzung des allegorischen Ernstes. Die A. wird Maskerade (gewiß in engster Verbindung mit der Bühnenkunst); sie kann und will oft auch nicht mehr die Fiktion einer bedeutsameren Realität aufrechterhalten, wie sie etwa Rubens verwirklicht hatte. Je tiefer man ins 18. Jh. kommt, um so mehr wird die A. anmutiges Spiel, Kurzweil, Dekoration. Häufig werden Kinder- und Schäferfiguren die Träger der allegorischen Vorstellung. Motive, die sich zu festlich-bunter Ausschmückung eignen, werden vorgezogen (Erdteile; P. A. Wagner).
Am längsten hält sich der gesamte visionäre Reichtum der A. in der süddeutschen Monumentalmalerei, in der Kunst der Rottmayr, Zick, Asam, G. B. Goetz u. a. (Abb. 12). Dennoch läßt auch die im unendlichen Raum zerflatternde dekorative Pracht dieser Fresken erkennen, daß die allegorische Ausdrucksweise nur noch eine Angelegenheit der Konvenienz und hurtigen Routine ist, mag in einzelnen Fällen (bei einem Mann wie Daniel Gran etwa) noch so viel Belesenheit und hieroglyphische Originalität hineingearbeitet sein.
An Kritik gegenüber den Übertreibungen der A. hat es nie gefehlt. Eine grundsätzliche Wandlung bringt aber erst die große Erneuerung der Kunstauffassung in der 2. H. 18. Jh. Indem nicht nur neue formale Motive und Aufgaben sich darbieten, sondern ein ganz neuer Begriff von Kunst geprägt, ein neues Ethos vom Künstler gefordert wird, muß auch die Frage nach dem Sinn und den Aufgaben der A. gestellt werden. Zunächst wird nur an der willkürlichen Vermengung allegorischer, mythologischer, historischer Elemente, an der archäologischen Sorglosigkeit des Vortrags, an dem verspielten Charakter der Darstellung Kritik geübt (Winckelmann, dessen allegorisches Ideal von Oeser oder Rode vertreten wird). Man fordert – wie überall – auch von der A. größeren Ernst, gedankliche Tiefe, idealeren Ausdruck. Die A., die man bildet (Abb. 13), sind schlichter in der Erscheinung, korrekter in den ikonographischen Einzelheiten und gewöhnlich sentimentaler in der Auffassung, aber man knüpft nach wie vor an literarische oder bildnerische Traditionen an: man will im Grunde nur das ausgeleierte Begriffsvokabular in Formeln fassen, die den ästhetischen und kritischen Anforderungen der Zeit Genüge leisten. Noch einmal entstehen Ikonologien (Ramler 1788 [2]); selbst Winckelmann [1] entwirft eine solche (1766).
Auf der nächsten Stufe der Entwicklung, die schon ins 19. Jh. führt, werden die A. selten. Vor dem leidenschaftlichen Bekenntnisdrang oder der tiefen Ehrlichkeit der neuen Künstlergeneration, wird die A. nach jahrhundertelanger Anerkennung zum erstenmal als künstlerische Aufgabe an sich problematisch. Durch das ganze 19. Jh. zieht sich ein auch in der theoretischen Literatur sich spiegelnder Kampf zwischen gänzlicher Ausschaltung der A. und Versuchen, sie neu zu beleben. Aus dieser Perspektive wird z. B. das allgemeine Interesse an Runges poetischen und gedankenvollen A. der Tageszeiten oder Schinkels allegorischen Fresken verständlich. Dennoch verschwindet die A. immer mehr aus der Kunst. Nur als dekoratives Element bleibt sie, besonders an Denkmälern und öffentlichen Gebäuden geduldet (Reliefs Schadows, Abb. 14, oder Rauchs).
Zu den Abbildungen
1. Lüttich, Musée Curtius, roman. Bogenfeld: Honor zwischen Labor und Sollicitudo. Über die Deutung vgl. Paul Clemen, Belgische K.-Denkmäler I, München 1923, S. 59ff. Phot. Dr. F. Stoedtner, Berlin.
2. Hortus Deliciarum der Herrad von Landsberg, E. 12. Jh. Tugendleiter. Nach der Ausg. v. Straub-Keller.
3. Rom, Bibl. Casanat., Cod. 1404, fol. 28 r, Christus von den Tugenden gekreuzigt. Deutsch, Anf. 15. Jh. Nach Fritz Saxl [10].
4. Holzschnitt – Flugblatt, Spottbild auf die politische Lage unter Friedrich III. Vermutlich schwäbisch, um 1476–85. Nach F. M. Haberditzl, Die Einblattdrucke des 15. Jh. in der Kupferstich-Slg. der Hofbibl., Wien 1920, Taf. 116.
5. Heinrich Vogtherr d. Ä. (1490–1556), Der Turm der Grammatik, Holzschnitt, 46 × 24 cm. Nach Max Geisberg, Der deutsche Einzelblattholzschnitt in der 1. H. 16. Jh. Nr. 1430.
6. Hans Schwarz, Gerichtsgruppe, Lindenholz, ungefaßt, 1519/1520, Nürnberg, Stadtgeschichtliches Museum Fembohaus. (Die Waage, die der Richter in den Händen hält ist falsch ergänzt und auch nicht original. Vgl. Richard Kastenholz, Hans Schwarz ..., Berlin 2006, S. 116-126, Abb. 28-31) Phot. Kunstgeschichtliches Seminar Marburg.
7. Peter Flötner (um 1485–1546), Tyrannei, Wucher, Gleißnerei im Kampf mit dem Wort Gottes. Holzschnitt (Ausschnitt). Nach Max Geisberg, Der deutsche Einzelblattholzschnitt in der 1. H. 16. Jh. Nr. 813.
8. München, Bayr. Nat.-Mus., Das Mädchen und der Tod, Elfenbein, deutsch, um 1530. Phot. Mus.
9. Peter Dell d. Ä. (geb. 1501), A. der christl. Heilsordnung, Lindenholz, 61,5 × 66 cm, 1548, Berlin, Deutsches Mus., Nr. 518. Vgl. Kat. Bange, S. 44ff.
10. Bartholomäus Spranger, A. auf den Tod seiner Gattin, Stich von Egidius Sadeler, 1600. Nach Ernst Diez, Der Hofmaler Barth. Spranger, Jb. Allerh. Kaiserh. 28, 1909, S. 93ff.
11. P. P. Rubens, Triumph des Abendmahls über Unwissenheit und Verblendung, 1625–28, Madrid, Prado. Phot. Cl. Braun & Co., Dornach-Paris.
12. Meersburg (Bodensee), Gartenpavillon, Deckengemälde: „Die Monate tanzen nach der Pfeife der Zeit“, um 1760, v. J. Wolfg. Baumgartner (?). Phot. W. Kratt, Karlsruhe.
13. Johann Berger († 1774), Pallas schützt einen Jünger der Kunst und tritt den Neid zu Boden, Bleigruppe, 57 cm hoch, Berlin, Deutsches Mus. Phot. Mus, 14. Gottfried Schadow, A. auf die Schlacht bei Belle-Alliance am Blücherdenkmal in Rostock, 1815 bis 1818. Phot. E. Keilmann, Rostock.
Literatur
1. Joh. Joachim Winckelmann, Versuch einer A. besonders fuer die bild. K., Dresden 1766. 2. Karl Wilh. Ramler, All. Personen zum Gebrauch der bild. Künstler, Berlin 1788. 3. Hugo Blümner, Über den Gebrauch der A. in d. bild. Künsten, Laokoon-Studien I, Freiburg i. Br. 1881. 4. Wilh. Bornemann, Die A. in K., Wiss. u. Kirche, Freiburg i. Br. 1899. 5. Hans Tietze, Programme u. Entwürfe zu d. großen österr. Barockfresken, Jb. Kaiserh. 30, 1, 1911–12. 6. Karl Giehlow, Die Hieroglyphenkunde des Humanismus in der A. der Renaissance, Jb. Kaiserh. 32, 1, 1915. 7. Erika Tietze-Conrat, Zur höfischen A. d. Renaissance, Jb. Kaiserh. 34, 1917. S. 25ff. 8. Ludw. Volkmann, Bilderschriften d. Renaissance, Leipzig 1923. 9. Joh. Huizinga, Herbst d. Mittelalters, München 19282. 10. Fritz Saxl, „Aller Tugenden u. Laster Abbildung“, Festschr. Jul. Schlosser, Zürich-Leipzig-Wien o. J. (1927), S. 104ff. 11. Erwin Panofsky, Herkules am Scheidewege u. andere antike Bildstoffe in d. neueren K., Leipzig 1930. 12. Mâle I–IV. 13. Van Marle, Iconographie II.
Verweise
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