Engelsturz
englisch: Fall of the rebel angels; französisch: Chute des anges rebelles; italienisch: Caduta degli Angeli rebelli.
Karl-August Wirth (1960)
RDK V, 621–674
I. Begriff
Der E. ist die Strafe für diejenigen Engel, die ihre Willensfreiheit zur Empörung gegen Gott mißbrauchten. Sie verloren die ihnen bei ihrer Erschaffung (s. Schöpfung) zugewiesenen Plätze in der Engelordnung und die Engelgestalt.
Die kunstgeschichtliche Fachliteratur pflegt eine Reihe verschiedener Darstellungen als E. zu bezeichnen, darunter vielfach auch solche, die nicht eigentlich den Vorgang des E., sondern ihm ähnliche Ereignisse schildern. Folgende Themen der Michaelslegende und des eschatologischen Bilderkreises sind häufig als E. ausgegeben: der „Streit im Himmel“, bei dem „Michael und seine Engel stritten mit dem Drachen“ und dessen Engeln (Apok. 12, 7–9); die auf den Kampf Michaels mit dem Drachen reduzierte Schilderung dieses Streits; Darstellungen von Apok. 20, 1–3: ein Engel fährt vom Himmel herab und wirft „den Drachen, die alte Schlange, welche ist der Teufel und Satan“, in den Abgrund; der Höllensturz von Verdammten, auch als Allegorie auf den Sieg der Tugend über das Laster verwendet; die Michael-Luzifergruppe, die zwar als abgekürzte Darstellung des E. anzusehen ist, häufig aber als Michaelsbild verstanden wurde. Die Bezeichnung E. wird hier also in der Art eines Sammelbegriffs angewandt. Da alle genannten Darstellungen auch zur Abbildung des E.-Themas herangezogen wurden (und wie echte E.-Bilder zur Veranschaulichung bestimmter lehrhafter Vorstellungen dienten), ist eine solche Ausweitung des Begriffes E. vom Inhalt her gerechtfertigt. Zur Bestimmung des Bildthemas im einzelnen dagegen ist er nicht brauchbar, denn man findet häufig anstelle der E.-Bilder Darstellungen aus anderen ikonographischen Themenbereichen (z. B. aus dem apokalyptischen).
Die Gruppierung nach ikonographischen Gesichtspunkten und die Übersicht über die Tradition der einzelnen Themen kann daher nur unter den Themenbezeichnungen erfolgen, die genau auf die jeweils ausschlaggebende Bildvorstellung hinweisen. Das bedeutet, daß ein großer Teil der Darstellungen, die als Abbildung des E.-Themas herangezogen wurden, im Überblick über die E.-Ikonographie nur am Rande zu berücksichtigen sind: s. Michael (für Schilderungen von Michaels Drachenkampf, der Michael-Luzifergruppe und des als Szene der Michaelslegende verstandenen „Streits im Himmel“); Apokalyptisches Weib (für Darstellungen gemäß Apok. 12); Höllen-Sturz, Tugenden und Laster, Weltgericht (für allegorische und mit dem Jüngsten Gericht in Verbindung gebrachte Schilderungen des siegreichen Kampfes der guten Engel gegen Sünder und Lasterhafte, bei denen Motive des E. in modifizierter Form wiederkehren); Teufel (für Wiedergaben der Beschließung des Teufels, Apok. 20, 1–3).
Hier ist zu erörtern, welche Vorstellungen über das E.-Geschehen bestanden (s. II), welche Stellung das E.-Thema in der bildenden Kunst einnimmt (s. III), welche Kriterien die Abgrenzung zwischen E.-Bildern im eigentlichen Sinne und ihnen nahekommenden ikonographischen Bildformeln ermöglichen (s. IV) und schließlich, welche Bildformeln für die Schilderung des E.-Vorgangs in Gebrauch kamen (s. V).
II. Quellen und Inhalt der Vorstellung
Die Bibel gibt keine Schilderung des E., doch bezeugen mehrere Textstellen, daß die Vorstellung eines solchen Geschehens geläufig war und der E. im Glauben sowohl des Spätjudentums wie der frühen Christen als unbezweifelte Tatsache galt. Nach 2. Petrus 2, 4 hat Gott sündige Engel „mit Ketten der Finsternis zur Hölle verstoßen“, und „die Engel, die ihr Fürstentum nicht bewahrten, sondern verließen ihre Behausung“ (Judasbrief 6), fielen Gottes Strafgerechtigkeit anheim. Joh. 8, 44 deutet die Ursache des E. an: der Teufel (d. h. der Anführer der abtrünnigen Engel) „ist nicht bestanden in der Wahrheit“. Schon früh wurden weitere Textstellen auf den E. bezogen, so Lk. 10, 18 und – für die Konkretisierung der E.-Vorstellung besonders folgenreich – Apok. 12, 7–9.
Die n.t. Bemerkungen über den E. sind ohne Kenntnis der spätjüdischen Vorstellungen nicht hinreichend verständlich.
Eine einheitliche Auffassung über Sünde und Bestrafung der gegen Gottes Schöpferwillen rebellierenden Engel bestand in der jüdischen Überlieferung nicht (vgl. B. J. Bamberger, Fallen Angels, Philadelphia 1952; [2] Sp. 80–82). Eine ältere Tradition, die in der Patristik viele Anhänger fand, führte den E. auf die sexuelle Vereinigung von „sündigen“ Engeln mit menschlichen Frauen zurück (Belege aus den a.t. Apokryphen bei [2], Sp. 80); diese Anschauung gründet sich auf das Verständnis von 1. Mos. 6, 2–4: die hier genannten „Söhne Gottes“ hielt man mit Recht für Engel (Gerh. von Rad, Das erste Buch Mose. Genesis Kap. 1–12, 9 [= Das A.T. Deutsch 2], Göttingen 1949, S. 93). Die Angaben über die Zahl der abtrünnigen Engel variieren; ihre Anführer haben verschiedene Namen (Semjasa, Satanael).
Die Menschen leiden unter dem Mutwillen der Engelrebellen und ihrer Nachkommen, der Riesen (Giganten), und finden schließlich in den vier Engelfürsten Michael, Uriel, Raphael und Gabriel Fürsprecher vor Gott. Dieser befiehlt, die sündigen Engel zu binden und mit Finsternis zu bedecken; Michael, der als einer der „heiligen Engel“ über den besten Teil der Menschen gesetzt ist, soll Semjasa fesseln und „unter die Hügel der Erde“ stoßen (Henochbuch 10, 12: Kautzsch Bd. 2 S. 242; dem Heer der getreuen Engel steht aber Uriel vor). Nach dieser Version ist Sünde des Fleisches die Ursache für den E., der nach dem Sündenfall der Stammeltern, aber vor der (als heilsgeschichtlich notwendige Folge der Verfehlungen von sündigen Engeln begriffenen) Sintflut stattfand.
Eine zweite, vielleicht z. T. schon christlich gefärbte Tradition [2] nimmt an, der E. sei nach der Erschaffung Adams und vor dem Sündenfall der Stammeltern erfolgt und die Strafe für Geistsünde: Gott habe durch Michael den „Ersten der Engel“, den Erstgeschaffenen und Höchsten, aufgefordert, Adam als Geschöpf nach Gottes Ebenbild anzubeten; der Engel und sein Anhang widersetzten sich dem Gebot: „Wenn er [Gott] über mich in Zorn gerät, werde ich meinen Sitz erheben über die Sterne des Himmels und Gott dem Höchsten gleich sein“ (Vita Adae et Evae Kap. 15: Kautzsch Bd. 2 S. 513; vgl. Jes. 14, 13f.). Daraufhin verbannte Gott den Empörer, entkleidete ihn seiner Herrlichkeit und warf ihn auf die Erde hinab, wo der Gestürzte sich als Urheber des Sündenfalls an den Menschen rächte. Hier erscheint Michael ausschließlich als der geistige Widersacher des Anführers der rebellischen Engel, nicht als bewaffneter Streiter.
Nach anderen Auffassungen ist der E. die Strafe für diejenigen Engel, die mit Hilfe der Schlange Adam verführten [2, Sp. 91], oder die sich weigerten, den Schöpfer anzubeten und statt dessen einen der ihren verehrten, der sich vermessen hatte, Gott gleich zu sein.
In der theologischen Literatur der ersten christlichen Jahrhunderte bilden Betrachtungen über den E. gewöhnlich Einschübe innerhalb allgemeiner Erörterungen (Streitschriften gegen Heiden und christliche Sekten, Kommentare zu biblischen Büchern); dabei wurden dem E.-Thema verschiedene Aspekte abgewonnen. Von den zahlreichen, sich z. T. gegenseitig ausschließenden Meinungen und Hypothesen in der apologetischen und patristischen Literatur haben manche maßgeblich auf die später geläufigen Vorstellungen vom E. gewirkt, während andere – auch wenn sie in ihrer Zeit von einer Mehrzahl der Autoren gebilligt wurden – für die Zukunft ohne größere Bedeutung blieben (das gilt zumal für die Einschätzung der sündigen Engel als „desertores Dei“ und „amatores feminarum“). Für die Ikonographie des E. sind naturgemäß die Bemühungen, vom Geschehen des E. eine konkrete Vorstellung zu geben, von besonderem Interesse. Der Ausbildung einer einheitlichen Anschauung vom E. stand die Vielfältigkeit der Gesichtspunkte, unter denen er gesehen werden konnte, im Wege: die Beschreibungen des E. sind jeweils auf das Argument abgestimmt, und die Auswahl der Motive fiel dementsprechend sehr verschieden aus. So kommt es, daß die E.-Ikonographie jahrhundertelang bedingt ist von der Ikonologie des E.-Themas (s. u. III). Im Rückblick von den ma. E.-Bildern sind die folgenden Feststellungen über das E.-Geschehen in der theologischen Literatur von Bedeutung.
Die Angaben entstammen Werken verschiedener Autoren und können nicht als Zusammenfassung des vorwiegend oder zeitweise Geglaubten gelten: dafür s. die Art. „Ange“ und „Démon“ im Dict. de théologie cath. ([1], Bd. 1 Sp. 1189–1271; ebd. Bd. 4 Sp. 321–409) und [2], Sp. 188–93 u. ö. Auf den Nachweis, wann die beschriebenen Auffassungen zuerst aufkamen und durch wen sie überliefert wurden, ist kein Wert gelegt. Zwischen der Sünde Satans und der Sünde der bösen Engel, die das Spätjudentum trennte, wird nicht unterschieden, da „schon seit dem 2. Jh. ... beide Fehltritte zusammengesehen und schließlich als eine von vielen Engeln begangene Ungehorsamstat aufgefaßt“ wurden [2, Sp. 191].
Die Ansichten über Zeitpunkt und Ursache des E. sind von der Einstellung zu Grundfragen der Angelologie (Lit. s. Engel, Sp. 553f.) abhängig: sie erscheinen als Konsequenz der Meinungen über den Zeitpunkt der Erschaffung der Engel (s. a. Engelchöre, Sp. 577) und über die Natur der Engel. Die Lehrmeinung, nach der Engel und Welt gleichzeitig geschaffen worden seien (4. Lateranskonzil, 1215: Heinr. Denzinger, Enchiridion symbolorum, Freiburg i. Br. 195228, S. 199 Nr. 428), hat als relativ späte Fixierung auf die überlieferte E.-Ikonologie nicht normierend eingewirkt. Die allgemeiner gehaltene Auffassung, die im einzelnen mehrere Möglichkeiten der chronologischen Präzisierung offenließ, sah in den Engeln die ersten Geschöpfe Gottes, die mit der Freiheit zur sittlichen Entscheidung begabt und „in statu viae“ geschaffen sind; sie haben eine „Prüfung“ zu bestehen mit dem Ziel, „in statu termini“ zur beseligenden Gottesanschauung zu gelangen. Die Engel, welche diese Prüfung nicht bestanden, wurden beim E. verstoßen.
Im Anschluß an spätjüdische Apokryphen erkannte man dem „Ersten der Engel“ eine Sonderstellung zu. Man glaubte ihn durch besondere Schönheit ausgezeichnet und hielt ihn für den (oder einen der) ranghöchsten Engel. Beim E. trat er als Anführer der rebellischen Engel hervor. Gemäß der Auslegung von Jes. 14, 12, die diese Textstelle auf den E. bezieht, erhielt er immer häufiger den Namen Luzifer (lat. lucifer = Lichtbringer, „Morgenstern“ = Planet Venus); gelegentlich vorkommende andere Benennungen setzten sich nicht durch. Solange Luzifer sich der Auszeichnungen würdig erwies und Gottes Wohlgefallen auf ihm ruhte, war sein Platz zur Rechten Gottes; ihm war ein Stuhl im Himmel zugeteilt, den er selbstmächtig erhöhen wollte (Jes. 14, 13f.); er stand den Engeln, die ihr Fürstentum nicht bewahrten (Judasbrief 6), vor und trug als Herrschaftszeichen eine Krone (s. Abb. 1, 11, 13), bisweilen auch Zepter und „Machtscheibe“ (Abb. 4 und 5); als ranghöchster Engel ist er mehrfach als Seraph bezeichnet (s. Abb. 13), da ja die Seraphim den höchsten und gottnächsten der Engelchöre bilden.
Die Zahl der Engel, die sich Luzifer anschlossen oder zu seinem „Fürstentum“ gehörten, ist unbestimmt und wird verschieden hoch veranschlagt. Einige sprachen von der Hälfte aller Engel, häufiger ist auf Grund von Apok. 12, 4 ein Drittel der Engel als Anhang Luzifers bezeichnet worden, oder man nahm an, mit Luzifer sei ein zehnter Engelchor verstoßen worden (vgl. Honorius Augustod., Liber duodecim quaestionibus Kap. 4f.: Migne, P.L. 172, Sp. 1180f.). Gelegentlich finden sich auch konkrete Zahlenangaben: 200 Engel oder 200 Myriaden Engel (Henochbuch, s. o.); 60–70 Engel (Origenes, Contra Celsum V, 52: Paul Koetschau, Origenes Werke Bd. 2 [= Die griech. chr. Schriftsteller der ersten drei Jhh., Bd. 3], Lpz. 1899, S. 56); usw.
Die Engel, welche die Prüfung nicht bestanden, haben sich der Geistsünde schuldig gemacht. Diese bestand in der Vermessenheit (superbia) Luzifers, der in seinem Herzen gedachte: „Ich will in den Himmel steigen und meinen Stuhl über die Sterne Gottes erhöhen; ich will mich setzen auf den Berg der Versammlung in der fernsten Mitternacht; ich will über die hohen Wolken fahren und gleich sein dem Allerhöchsten“ (Jes. 14, 13f.); auch die Weigerung, Gott als Schöpfer oder ihn in seinem Geschöpf Adam anzubeten, wird als Grund des E. bezeichnet. Jedenfalls ist Hoffart, die Mater vitiorum – nach anderer Auffassung: Neid oder Stolz auf die eigene Natur und Herrschaft –, die Sünde der empörerischen Engel; diese Auffassung, die durch zahlreiche weitere Bibelstellen (z. B. 2. Thess. 2, 4) gestützt werden konnte, spielt in systematischen Betrachtungen zur Dämonologie und in moralisch-didaktischen Schriften eine beherrschende Rolle; die älteren Meinungen wurden durch sie völlig verdrängt: „Nullo modo credendum est spiritales naturas coire cum feminis posse“ (Cassian, Collationes Buch 8, Kap. 20f.; zit. nach [1], Bd. 4 Sp. 374). – Von den übrigen Ansichten über die Art der Sünde (vgl. [2], Sp. 188–92) verdient die des Origenes hier Erwähnung. Er meinte, daß einzelne Engel den ihnen aufgetragenen Pflichten nicht gebührend nachgekommen seien (Belege bei [2], Sp. 189); da die vornehmste Aufgabe der Engel das Gotteslob ist, konnte man in dessen Vernachlässigung die Ursache des E. sehen, was zumal für die kirchlich-allegorische Interpretation des E.-Themas bedeutsam wurde.
Der Zeitpunkt der Engelsünde und des E. ist unbestimmt. Nicht alle in Vorschlag gebrachten Zeitangaben sind mit den Feststellungen des 4. Lateranense (s. o.) in Einklang zu bringen. Als Zeitpunkt des E. wurde angenommen: vor dem Beginn der Weltschöpfung (z. B. Rupert von Deutz, De victoria verbi Dei I, 25 u. 28: Migne, P. L. 169, Sp. 1238 u. 1241f.); vor der Erschaffung der materiellen Welt, zugleich mit der Erschaffung des Lichtes (1. Mos. 1, 3) oder mit der Scheidung von Licht und Finsternis (1. Mos. 1, 4f.); vor der Erschaffung Adams oder unmittelbar nach dieser; ein noch späterer Ansatz (wie ihn z. B. die ursprünglich vorherrschende Ansicht, der E. sei die Strafe für Fleischsünde, ermöglichte) findet sich immer seltener und blieb für die E.-Ikonologie ohne Bedeutung. Im übrigen s. u. III. B und C.
Die Strafe für die sündigen Engel bestand in der Vertreibung aus ihrer Wohnstätte und im Verlust der Engelsgestalt. Den Ort, an den sie verbannt wurden, erreichten sie stürzend. Je nachdem, wann man den Zeitpunkt des E. ansetzte, ergaben sich verschiedene Ortsangaben. Fand der E. vor der allgemeinen Schöpfung statt, so mußte man annehmen, die Engelrebellen seien in das Chaos vor der Weltschöpfung geworfen worden (so Rupert von Deutz s. o.); glaubte man, der E. sei nach der Schöpfung des Himmels, doch vor derjenigen der Erde erfolgt, so ließ sich die Meinung vertreten, die sündigen Engel seien „aus dem Himmel“ gestoßen worden. Bestand zum Zeitpunkt des E. die Erde schon, dann waren folgende Ansichten möglich: Luzifer und seine Engel wurden „zwischen Himmel und Erde“, „in die Lüfte“ (auch „in inferiori parte aeris“, sofern man eine Einteilung in verschiedene Zonen annahm: vgl. dazu [1], Bd. 4 Sp. 371f.), „auf die Erde“, „unter die Erde“, „in die ewige Finsternis“ oder „in die Hölle“ getrieben. Die zuletzt genannten Auffassungen führten häufig zur Kombination mit allgemein geläufigen Vorstellungen über die Hölle (Höllenrachen, Brunnen im Abgrund usw.). Der oder die Anführer der Engelempörung werden gefesselt und „beschlossen“, die über sie und ihren Anhang verhängte Strafe ist endgültig und unwiderruflich (Mt. 25, 41), bedarf jedoch der Bestätigung durch den Richter beim Weltgericht. Die sündigen Engel büßen ihre ursprüngliche Gestalt ein; Honorius Augustod. erläutert, daß sie den Ätherleib der guten Engel verlören und statt dessen einen Luftleib (corpus aerea) erhielten, der ihnen gestattet, verschiedene Gestalt anzunehmen (a.a.O. Kap. 11: Migne, P. L. 172, Sp. 1183). Luzifer, der vor dem E. der schönste Engel war, wurde nunmehr zur häßlichsten Mißgestalt. Der Wandel erfolgte bei der Verkündung – nach anderer Auffassung: beim Vollzug – des Strafurteils. Eine so anschauliche wie ausführliche Schilderung der vorherrschenden Meinung hierüber bietet das Malerbuch vom Athos (§ 74): „Und die Schlachtreihe des Luzifer hängt vom Himmel herab, und die Engel, welche höher stehen, hängen noch leuchtend, und andere tiefere Engel schwarz, und andere unten erscheinen dunkeler, und noch tiefer wieder andere, halb Teufel und halb Engel und wieder andere vollkommene Teufel, schwarz und finster. Und tiefer als alle, mitten in der Hölle, der Teufel Luzifer, finsterer und schrecklicher als alle, auf dem Bauche liegend und nach oben schauend“ (Schäfer S. 104f.). Da alle biblischen Textstellen, in denen unter verschiedenen Namen vom Widersacher Gottes die Rede ist, auf Luzifer bezogen werden konnten, ist auch die Meinung über seine Gestalt nach dem E. keine einheitliche; vgl. dazu im einzelnen Luzifer sowie Teufel. Hier ist nur daran zu erinnern, daß – gemäß der Einbeziehung von Apok. 12, 7ff. in die E.-Vorstellung – auch der apokalyptische Drache als Erscheinung Luzifers nach seiner Bestrafung angesehen werden konnte.
Mehrfach ist in den Beschreibungen des E. auch Luzifers Stuhl berücksichtigt worden; die E.-Bilder spiegeln getreu alle über ihn aufgekommenen Vorstellungen. Luzifer stürzt samt seinem Thronstuhl in die Hölle hinab: der Sitz wird zerbrochen und seine Stücke gleich Luzifer aus dem Himmel gefegt (Abb. 1); der Platz zur Rechten Gottes war für Christus bereitet, Luzifer hat ihn sich angemaßt und Gott läßt ihn vom Stuhl herabstoßen (Abb. 16): der Thron selbst aber bleibt – einstweilen leer – im Himmel stehen (Abb. 6). Die Idee vom leeren Thron im Himmel regte zu moralisierender Deutung an: Bonaventura berichtet in seiner Vita des hl. Franziskus von Assisi (Kap. 6; s. a. Legenda aurea: dt. Übers. von Rich. Benz, Heidelberg o. J., S. 772), daß einem der Gesellen des Heiligen in einer Vision der leere Thron gezeigt worden sei und eine Stimme ihm bedeutet habe: „Dieser Thron war der Fürsten einem, die da stürzten, nun ist er bereit dem demütigen Bruder Franciscus ... denn zu dem Thron, der durch Hoffart verloren ward, hebt die Demut den Niedersten empor.“ Diese Art der Gegenüberstellung von Humilitas und Superbia kommt wiederholt in anderen Heiligenlegenden und in der Erbauungsliteratur vor.
Die Ansichten über den Vollzug des Strafgerichts gehen weit auseinander, wenn auch die Strafverkündung ziemlich übereinstimmend dem Schöpfer zugeschrieben wird. Einige Male ist, gewöhnlich unter Berufung auf Joh. 3, 19 („Das ist aber das Gericht, daß das Licht in die Welt gekommen ist“), das „fiat lux“ des Christ-logos als Wortlaut der Strafverkündung ausgegeben worden. Da Gott durch sein befehlendes Wort alles vermag, ist oftmals Strafverkündung und -Vollzug als eins begriffen worden: Gott selbst ist der Richter, der die sündigen Engel verstößt. Um dies zu verdeutlichen, bediente sich die bildende Kunst – im Gegensatz zur Literatur – veranschaulichender Motive (etwa: der Christ-logos schleudert Pfeile, Abb. 1). Früh schon erscheint aber auch die Vorstellung, Gott habe sich zur Vertreibung der Engelrebellen der getreuen Engel als Gehilfen bedient. Die Anschauung von einem kämpferischen Antagonismus im Himmel hat sich seit dem frühen MA immer mehr durchgesetzt; man las „aus Apok. 12, 7 heraus, daß Satan sich mit einem Teil der Engel gegen Gott erhoben habe, Michael aber mit seinen Engeln ihn und seinen Anhang aus dem Himmel gestürzt habe“ [2, Sp. 191]. Diese Auffassung kam der bildlichen Vergegenwärtigung des E. sehr entgegen. In der theologischen Literatur freilich betonte man (im Anschluß an Gregor d. Gr., Moralia XVIII, 13: Migne, P.L. 76, Sp. 20), daß der Streit im Himmel nicht durch körperliche Anstrengung und bewaffnete Auseinandersetzung entschieden worden sei, sondern durch das Wort Gottes, durch das die Engel alles vermögen. „Satanas a Sanctis angelis gladio Verbi Dei debellatum et e coelo dejectum esse“ (Rupert von Deutz a.a.O. I, 15: ebd. Bd. 169, Sp. 1229). Demgemäß führen die getreuen Engel vielfach solche Waffen, die metaphorisch mit dem Verbum Dei verglichen wurden: Blitz(-bündel; Abb. 22–24), Flammenschwert (Abb. 20, 22, 24), Pfeile, Schwerter (Abb. 8, 12, 14–18 usw.), Fackeln („Feuer“; Abb. 24), auch bisweilen Kreuzstäbe (Abb. 16, 17, 19). Auf vorchristliche Überlieferung und Apok. 12, 7 gestützt, wies man Michael als dem Antipoden Luzifers beim E. eine besonders ausgezeichnete Rolle zu; sein Triumph über den Anführer der Engelrebellen dient in Literatur wie bildender Kunst oft als knappste Formel des E.
Die im ersten christlichen Jahrtausend fast nie systematisch behandelten Fragen der Angelologie und der Dämonologie erlangten seit dem frühen 12. Jh. besondere Bedeutung (das bis dahin zusammengekommene Wissen über Engel und Dämonen zusammengefaßt bei Honorius Augustod., Elucidarium I, 6–10: ebd. Bd. 172, Sp. 1113–1116); vielerorts setzten eingehende Betrachtungen ein. Sie standen vor allem unter dem Gesichtspunkt, welche Rolle die Gnade Gottes bei der „Prüfung“ der Engel gespielt habe, und lösten damit die ältere (auf Origenes zurückgehende) vergleichsweise historische Chronologiefrage durch die nach der Stellung des E. in der universellen Heilsgeschichte ab. Die sich durch das ganze 12. und 13. Jh. hinziehende Diskussion führte zu theologisch-dogmatischer Präzisierung (einen gewissen Abschluß der damals in Gang gekommenen Erörterungen bezeichnet erst das Werk des Francisco Suarez [1548–1617], De angelis, zuerst erschienen Lyon 1620), erbrachte aber für die Bildvorstellung des E. kaum neue Anhaltspunkte. Auf die Darlegung der theologischen Auseinandersetzungen kann hier verzichtet werden, weil ihre Auswirkung auf die E.-Darstellung fallweise an den E.-Bildern selbst abzulesen ist oder, häufiger, aus deren Beischriften oder ihrer Stellung innerhalb von Bildzyklen hervorgeht (für die theologischen Stellungnahmen vgl. [1], Bd. 4 Sp. 384–400; s. a. Michael [prot.], wo von der Einstellung der Reformation zu den einschlägigen Fragen zu handeln sein wird; siehe ferner III. E).
III. Ikonologie
Die Ikonologie des E. spiegelt in ihrer Vielfältigkeit die unterschiedlichen Aspekte, unter denen das E.-Thema gesehen werden kann. Als für sich allein stehende Darstellungen kommen E.-Bilder – von den Michaelbildern (s. u.) abgesehen – bis zur Neuzeit so gut wie nicht vor; sie dienen entweder zur Illustration bestimmter Texte oder sind Bestandteil größerer Bildzyklen, wobei es sich um Texte und Bildprogramme verschiedenen Inhalts handeln kann. Entscheidend für die Geschichte der E.-Darstellung ist das Fehlen von unmittelbaren Berichten über den E. in der Bibel und in liturgischen Texten und somit auch das Fehlen eines zwingenden Anlasses, erzählend-illustrierende E.-Bilder in die häufigsten und meistbebilderten Hss. des frühen und hohen MA aufzunehmen. So sind denn auch allein im Hinblick auf bildliche Veranschaulichung des E.-Geschehens vorgenommene Ausschmückungen lange Zeit fast ganz unterblieben; eher schon wurden E.-Bildern Szenen zugeordnet oder Motive einbeschrieben, die auf die Vorgeschichte des E. hindeuten (A).
Fast immer sind ikonologische Gesichtspunkte ausschlaggebend dafür, wann, wie und in welchem Zusammenhang E.-Bilder geschaffen wurden. Das Hauptproblem, die E.-Vorstellung mit dem biblischen Schöpfungsbericht zu harmonisieren, versuchte man durch Integration des E. in die Schöpfungsgeschichte nach 1. Mos. 1 (B) oder durch die Annahme eines Kausalzusammenhanges zwischen E. und Weltschöpfung (C) zu lösen. Unabhängig davon hat die Interpretation des E. als Entstehung des Bösen E.-Bilder in den Dienst von Moralisation und Allegorie treten lassen (D). Schließlich ist dem E. in Darstellungen der Legende des hl. Michael ein fester Platz zugewiesen worden (E).
A. Der E. und seine Vorgeschichte
Der E. ist ein markantes Ereignis in der Engelwelt; wollte man ein anschaulich-erzählendes Bild von ihm entwerfen, so war man gezwungen, Vorstellungen von der Engelwelt im allgemeinen zu konkretisieren. Dabei sah man sich außerordentlich heiklen Problemen und oft genug unklaren und widersprüchlichen Auslassungen zur Angelologie gegenübergestellt und fand wenig, was der bildlichen Vergegenwärtigung entgegenkam. Da der E. die Folge voraufgegangener Geschehnisse ist, lag es nahe, zur Ausgestaltung des E.-Bildes auf Motive zurückzugreifen, die auf die Ursache des E. hindeuten; das führte freilich nur noch tiefer in das Labyrinth der Engelvorstellungen hinein. Trotzdem ließ man es (zumal im Hoch-MA) gewöhnlich nicht bei bloßer Ausschmückung des E.-Bildes bewenden – diese tendierte zu allen Zeiten zur vielfigurigen Schilderung eines Kampfes im Himmel und zur das Groteske nicht scheuenden Wiedergabe des Gestaltwandels der verstoßenen Engel –, sondern stellte dem E. Abbildungen seiner Vorgeschichte voraus oder nahm auf diese hinweisende Motive in das E.-Bild selbst auf. Solche Versuche einer bildlich-erzählenden Erklärung des Geschehens konnten nur bei der Illustration von Genesiskommentaren und poetischen Bearbeitungen der Schöpfungsgeschichte sowie in Andachtsbüchern größeren Umfang annehmen (sog. Caedmon-Hs., Abb. 1; Hortus deliciarum; Wiener Genesis: Wien, N.B. Ms. 2721; Cursus S. Mariae: New York, Morgan Libr. ms. 739).
Als Grund für die Strafe des E. hat man entweder die Empörung Luzifers oder die Verweigerung der von Gott befohlenen Anbetung in den Vordergrund gestellt, d. h. entweder auf die Schilderung von Luzifers Schicksal oder auf die Kontrastierung von den Schöpfer anbetenden „guten“ Engeln und verstoßenen Engeln den Akzent gelegt.
Die Zuspitzung des Bildberichts auf Luzifer gründet sich auf die Tatsache, daß er der Anstifter zur Engelrebellion war, seine Rolle darin als einzige näher zu erschließen und sein Strafmaß das höchste ist. Als häufigstes Motiv erscheint die Thronerhöhung Luzifers: er bereitet sich seinen Stuhl am selbstgewählten Ort (Abb. 1) oder hebt seine Thronbank in die Höhe (Abb. 10), er thront höher als Gott (New York, Morgan Libr. ms. 739, fol. 9, 1. V. 13. Jh.: Meta Harrsen, Cursus S. Mariae, New York 1937, Taf. 4; ebd. ist S. 23 – trotz Beischrift „Ich vil sezzen meinen stul“ – der auf dem erhöhten Thron Sitzende als Gottvater bezeichnet) oder steigt in den Himmel empor (s. u.). In spät-ma. Darstellungen ist das Motiv des erhöhten Thrones oder des Stuhls in unmittelbarer Gottnähe vielfach E.-Bildern einbeschrieben: Luzifer wird von seinem Hochsitz hinabgestoßen (Abb. 14, 16) oder stürzt von diesem (Beschr.Verz. Bln. Bd. 5, S. 104), der Stuhl bleibt nach dem E. leer (Abb. 6, 16), oder der Aufwand bei der Wiedergabe des Thrones weist auf dessen besondere Bedeutung hin (Abb. 1); der Illustrator der jetzt in der Tübinger U.B. aufbewahrten bayerischen Reimbibel von 1430–40 (ehem. Berlin, St.B. Ms. germ. fol. 480, Bl. 4 v: Beschr.Verz. Bln. Bd. 5, S. 37) hat die Bezeichnung „Stuhl“ wörtlich genommen und neben den Thron Gottes einen ganz einfachen Stuhl gestellt; eine z. B. von den Hss. der Christherrechronik in München, St.B. Cgm. 4, fol. 7 v, und in Tübingen (ehem. Berlin), Ms. germ. fol. 1416, Bl. 4 v, bezeugte spät-ma. Bildformel zeigt mehrere leere Sitze zur Linken Gottes (Abb. 12). Die auf die Thronerhöhung und den unbesetzten Platz im Himmel hinweisenden Motive und Bilder kamen in der Neuzeit völlig außer Gebrauch. – Eine andere Gruppe von Darstellungen schildert die von Luzifer einberufene Versammlung der Engel, auf der er seine Auflehnung gegen Gott kundgibt und sich verehren läßt (Hortus deliciarum fol. 3 v: Straub-Keller Taf. 2; Abb. 1; Wien, N.B. Ms. 2721, fol. 1 v: Beschr.Verz. 8, 2, Taf. 29, 1). Poetische Bearbeitungen haben die Luzifergeschichte vor dem E. breiter ausgesponnen: so heißt es in der Christherrechronik in München (St.B. Cgm. 4, fol. 7), Luzifer habe sich anfangs in der Verehrung Gottes besonders hervorgetan und sei deshalb von seinem Schöpfer mit Ehren überhäuft worden und Gott der liebste unter den Engeln gewesen; das Motiv der Undankbarkeit, deren sich Luzifer schuldig machte, tritt hervor und verharmlost das ungeheuerliche Geschehen. Die bildende Kunst ist dem Beispiel der Literatur nicht gefolgt: alles Ausspinnen der Vorgeschichte des E. im späten MA fand bei ihr keinerlei Resonanz, Luzifers Empörung behandelnde Darstellungen verschwanden schon seit dem 14. Jh. so gut wie völlig aus dem Bilderkreis der christlichen Kunst und erlebten erst als poetisches Thema seit dem ausgehenden 18. Jh. eine gelegentliche Erneuerung (z. B. Satan weckt die schlafenden Engel auf: Aquarell von William Blake, Masterpieces of the V.A.M., London 1952, Nr. 179). Einige Salzburger bzw. von Salzburger Vorlagen abhängige Miniaturen des 12. und A. 13. Jh. (s.u. IV; Abb. 4) und Illustrationen zu Augustinus, De civitate Dei (Laborde, Cité de Dieu Taf. 3f.), feiern Luzifer in seiner anfänglichen Herrlichkeit. In den zuerst genannten Darstellungen steht Luzifer zur Rechten des Schöpfers und ist in derselben Darstellung ein zweites Mal als kleiner häßlicher Teufel, auf dem ein Engel steht, wiedergegeben: in Bezug auf den E. erscheint die ursprüngliche Schönheit und Würde Luzifers als Kontradiktion zu der ihm nach dem E. gegebenen Gestalt und Bleibe; zugleich repräsentiert Luzifer als erstgeschaffener Engel die Schöpfung der Engel und die Schönheit des Geschaffenen.
Eine den zuletzt genannten Luziferdarstellungen entsprechende inhaltliche Zweideutigkeit eignet auch den Gegenüberstellungen von guten und bösen Engeln: die zentrale Gestalt in diesen Bildern ist der thronende Christ-logos als Weltenschöpfer, den getreue Engel anbeten, während von ihm abgefallene Engel in die Tiefe stürzen. Die Anbetung ihres Schöpfers ist eine der Schilderungen, mittels deren die Erschaffung der Engel dargestellt wurde (s. Schöpfung); im Hinblick auf den E. besagt dieses Bildmotiv, daß diejenigen Engel, die die geforderte Anbetung Gottes leisteten, der beseligenden Gottesanschauung zuteil werden oder, nach anderer Auffassung, dieser Auszeichnung weiterhin gewürdigt bleiben. Dagegen finden die Engelrebellen im E. ihre Strafe (Abb. 2, 4, 6, 8, 9, 12).
Es fällt auf, daß die bildliche Erzählung der E.-Vorgeschichte fast immer auch auf die Engelschöpfung anspielt, die doch in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dem E.-Geschehen selbst steht (die späten Darstellungen, vornehmlich Bilder zu Milton, Paradise Lost, sind auszunehmen); auch wenn Luziferszenen dem E. vorausgehen, sind sie beinahe ausnahmslos Bestandteil von Bildzyklen, die ebenfalls eine Darstellung der Engelschöpfung enthalten, oft mit ihr beginnen. Mehrfach folgen Bilder der Engelschöpfung und des E. unmittelbar aufeinander. Das weist darauf hin, daß zwischen diesen beiden Themen ein eigenartiger Zusammenhang besteht, der durch die chronologische Abfolge der Ereignisse in der Engelwelt nicht zu begründen ist und infolgedessen auch durch bildliche Erzählung dieser Geschehnisse nicht zum Ausdruck gebracht werden kann.
B. Biblisch-historische E.-Darstellungen
Die Erklärung für den Bezug zwischen Engelschöpfung und E. liefern Schilderungen beider Themen in zyklischen Darstellungen der Schöpfungsgeschichte und des Sechstagewerkes.
Nach verbreiteter, z. B. von Augustinus vertretener Auffassung (De civitate Dei XI, 9, 32) schließt der Begriff „Licht“ die Erschaffung der Engel in sich ein (s. a. Sp. 577), entsprechend die Scheidung von Licht und Finsternis den E.: beide Ereignisse machen das Werk Gottes am ersten Tage der Weltschöpfung aus. Ob man die Geschehnisse in der Engelwelt mit den Schöpfungsvorgängen identifizieren (Beischrift zu Abb. 8: „lux id est angeli“) oder in jenen nur allegorische Hinweise auf diese sehen soll (Bible moralisée: „creatio lucis angelorum creationem significat“; Petrus Comestor, Hist. scholastica, Genesis Kap. 3: Migne, P.L. 198, Sp. 1057: „intellegitur etiam hic angelorum facta divisio: stantes lux, cadentes tenebrae dicti sunt“), darüber gingen die Meinungen auseinander; für die Ikonographie des E.-Bildes ist diese Unterscheidung ohne Bedeutung (E. Lehmann [10] betont das jeweilige Vorherrschen eines Gesichtspunktes in den germanischen bzw. romanischen Ländern).
Die entscheidende Folge der Harmonisierung von E.-Vorstellung und biblischem Schöpfungsbericht war die Aufnahme von E.-Schilderungen in zyklische Darstellungen des Sechstagewerkes und in die Bibelillustration, in denen sie als Bild des ersten Schöpfungstages dienen (älteste Beispiele: Lobbesbibel in Tournai, Abb. 2, sowie die Gebhardsbibel aus Admont, die ein mit Abb. 4 typengleiches E.-Bild enthält).
Es gibt eine Reihe von E.-Bildern, die an anderer Stelle in den Schöpfungszyklus eingefügt sind und dadurch auf abweichendes Bildverständnis zurückschließen lassen. Im Gebetbuch der Hildegard von Bingen (München, St.B. Clm. 935: Abb. 6) folgt der E. auf die Erschaffung Adams: maßgebend für diese Anordnung ist wohl die Annahme, der E. sei auf die Weigerung Luzifers, Gottes Ebenbild anzubeten, zurückzuführen; der E. setzt die Erschaffung Adams voraus, rein chronologische Erwägungen bestimmen die Stellung des E. innerhalb des Zyklus. In anderen Fällen geht der E. der Erschaffung Adams unmittelbar voraus (so z. B. Jena-Lichtenhain: [10] Taf. 2–4). Die Unterbrechung des kontinuierlichen Schöpfungsberichts durch ein E.-Bild bedeutet eine Konzession an heilsgeschichtliche Auslegungen, in denen die Erschaffung der Welt, insbesondere die des Menschen, als Folge des E. begriffen wurde (s. u. C). Es ist hervorzuheben, daß die biblisch-historische Interpretation des E. nur im Hoch-MA eine größere Rolle spielte und seit etwa 2. H. 13. Jh. – auch in der Illustration von Büchern historischen Inhalts wie Weltchroniken, Reim- und Historienbibeln – der heilsgeschichtliche Gesichtspunkt beherrschend wurde.
C. Heilsgeschichtliche E.-Darstellungen
Nach anderer Auffassung besteht zwischen E. und Weltschöpfung ein Kausalzusammenhang. Dieser ergibt sich aus der theozentrischen Deutung beider Geschehnisse: der E. bezeugt die Strafgerechtigkeit Gottes, die Schöpfung ist ein Gnadenerweis Gottes. Die im Hoch-MA viel diskutierte Frage, welche Rolle die Gnade Gottes bei der Bestrafung der Engel gespielt habe, glaubte man dadurch beantworten zu können, daß man beide Ereignisse als Kontinuum begriff und darin eine Manifestation der Heilsgeschichte sah. Gott stellt, nachdem durch der sündigen Engel Bestrafung die ursprüngliche Schöpfungsordnung gestört worden war, eine neue Ordnung auf: die Schöpfergnade rechtfertigt den Richterspruch. „Lucifer ... projectus est in infernum / Et ob hanc causam decrevit Deus genus humanum creare / Ut per ipsum posset casum Luciferi et sociorum ejus restaurare“ heißt es im Heilsspiegel, Kap. 1 (Lutz-Perdrizet S. 4). Eine Variante führt die Schöpfung (von Himmel und Erde) auf einen Beschluß des „Konzils der Dreifaltigkeit“ zurück, das entweder vor dem E. bzw. vor aller Schöpfung, auch vor derjenigen der Engel (Abb. 13; vgl. hierzu die Miniatur der Pariser Bibel vom Ende 14. Jh. in der Slg. A. S. W. Rosenbach: The Pennsylvania Mus. Bull. 26, 1931, Taf. v. S. 29), oder unmittelbar nach dem E. angesetzt wurde (Hortus deliciarum fol. 8: „sancta Trinitas post ang[e]li casum fit de homine consilium“; so Straub-Keller Taf. 3). Die durch den E. entstandene Lücke wird mit der Erschaffung der (sichtbaren) Welt, zumal derjenigen der Menschen, die sich im Gegensatz zu den Engeln vermehren können, geschlossen. Dieser Gedanke des Augustinus wurde im MA häufig aufgegriffen und stellte die wohl am weitesten verbreitete Meinung über den E. dar: „do got der engele kore vullen wolde, he begunde ses dage werken“ (sog. Sächsische Weltchronik, 2. V. 13. Jh.: M.G.H. Dt. Chroniken Bd. 2, S. 67). Dem heilsgeschichtlichen Verständnis ist der E. in erster Linie um seiner Folgen willen bedeutsam; er gab den Anstoß zu der von Gott regierten Erlösungsgeschichte, ist Auftakt zur Schöpfung, diesen ersten Akt der Heilsgeschichte bedingend.
Gemäß dieser Interpretation rückt das E.-Bild vor die Schilderung des Sechstagewerkes; gelegentlich geht es dem der Erschaffung Adams unmittelbar voraus, wodurch die kausalen Zusammenhänge zwischen E. und Schöpfung des Menschen betont werden sollen (vgl. Jena-Lichtenhain, s. o.). Aus diesem Grunde war es auch möglich, beide Themen unabhängig von Darstellungen der Schöpfungsgeschichte im ganzen zu schildern (Lyon, Kath., Glasgem. der Rose im Qusch., vor 1250: Luden Bégule, Les vitraux du moyen-âge et de la Renss. dans la région lyonnaise, Lyon 1911, S. 55f., Abb. 61; Cambridge, Trinity Coll. ms. R. 14. 5 aus dem 3. V. 15. Jh.: Montague Rhodes James, The Chaundler Mss., London 1916, S. 24f., Taf. n. S. 24).
Die Redaktion von Bildzyklen unter heilsgeschichtlichen Gesichtspunkten bestimmte die Stellung des E. in den Heilsspiegel-Hss. und in den szenenreichen didaktischen Bildzyklen der universellen Heilsgeschichte in der Wandmalerei (Jena-Lichtenhain; Dom zu Gurk: Karl Ginhart u. Bruno Grimschitz, Der Dom zu Gurk, Wien 1930, S. 97), auf Fastentüchern (etwa dem 1458 von Konrad von Friesach geschaffenen: ebd. Taf. 108), usw.; sie wurde auch für die weitaus meisten E.-Bilder in Weltchroniken, Reim- und Historienbibeln (z. B. Abb. 12 und 13) und selbst für die Bibelillustration maßgebend und liegt gewöhnlich auch den – seltenen – E.-Darstellungen in der Psalterillustration zugrunde (Paris, Arsenal ms. 1186, fol. 9 v: Henry Martin, Les joyaux de l’Arsenal Bd. 1: Psautier de St. Louis et de Blanche de Castille, Paris 1909, Taf. 15; Cambridge, Fitzwilliam Mus., um 1240 von W. de Brailes: Abb. 9; London, B.M. ms. Roy. 2 B. VII, fol. 1 v: Sir George Warner, Queen Mary’s Psalter, London 1912, Taf. 1). Enzyklopädische Darstellungen der Weltschöpfung, gleich, wo sie wiedergegeben sind (vgl. Abb. 8 und Sp. 561/62, Abb. 3; ferner New York, Morgan Libr. ms. 791, fol. 4 v: Adelheid Heimann, Warburg Journ. 2, 1938/39, S. 49 Abb. 7 c), zeigen nahezu ausnahmslos E.-Bilder an der Stelle, die ihnen die heilsgeschichtliche Redaktion zuwies. Gelegentlich sind solche E.-Darstellungen in engsten Bezug zu dem Schöpfergott gebracht und wie dessen Attribut behandelt (vgl. die zuletzt genannte Miniatur); im Credo de Joinville (Paris, B.N. ms. nouv. acq. fr. 4509/10, fol. 2: ed. Ambroise Firmin Didot, Paris 1870, S. 23) illustriert der E. den ersten Artikel des Glaubensbekenntnisses, in dem Gott als Schöpfer des Himmels und der Erde angesprochen wird. Spät-ma. geistliche Schauspiele, z. B. das Egerer (ed. Gustav Milchsack [= Bibl. des Stuttgarter Litterarischen Ver. 156], Tübingen 1881), lassen Erhebung Luzifers und E. über die Bühne gehen, während „hinter der Szene“ die Weltschöpfung stattfindet. Nach heilsgeschichtlichen Gesichtspunkten aufgebaute geistliche Schauspiele pflegen in der Regel mit dem E. und seiner Vorgeschichte zu beginnen („ordo creacionis angelorum et ruina Luciferi et suorum“: so das im Jahre 1194 in Regensburg aufgeführte Schauspiel, Bernh. Bischoff, Hist. Vj.schr. 26, 1932, 516).
Für die E.-Ikonographie hatte diese Auslegung gewichtige Folgen. Die Gestalt des Weltschöpfers wird auch zur Hauptfigur bei der Schilderung des E.-Vorganges: Christ-logos, Gottvater oder die Dreifaltigkeit verweisen die Engelrebellen von ihren Stühlen im Himmel oder greifen aktiv ein, um die sündigen Engel zu vertreiben (Heilsspiegel-Hss. aus dem Mainzer Kartäuserkloster in London, B.M. ms. Arundel 120, und in Paris, B.N. ms. lat. 511, 14. Jh. bzw. um 1400: [9] S. 85). Die Betonung der Rolle des Christ-logos beim Strafvollzug an den sündigen Engeln ist zwar im Spät-MA häufiger denn je, indessen keine Bilderfindung dieser Epoche (wie mehrfach angenommen wurde: diese Auffassung resultiert aus der Überschätzung der Michaelsverehrung für die Anfänge der E.-Ikonographie). Eine wirkliche Neuerfindung des Spät-MA hat man in dem Verzicht auf die Wiedergabe guter Engel zu sehen (Tübingen, U.B., ehem. Berlin, St.B. Ms. germ. fol. 1108, österr. [Salzburger?] Historienbibel von 1472, fol. 2 v: Beschr.Verz. Bln. Bd. 5, S. 104; vgl. auch [9], S. 85), worin sich ebenfalls das Bestreben zeigt, die Gestalt des Christ-logos hervorzuheben.
Eine zweite Konsequenz ergab sich aus dem zeitlichen Ansatz des E. unmittelbar vor der Erschaffung Adams, d. h. nach dem Werk der ersten Schöpfungstage. Waren Himmel und Erde bereits erschaffen, als der E. erfolgte, so ließ sich auch genauer beschreiben, wohin Luzifer und sein Anhang stürzten. Bis zum Ende des Hoch-MA unterließ man es, genauer auf diese Frage einzugehen (Abb. 2, 5, 7), oder deutete an, daß die Hölle der Ort des Gefängnisses sei (Abb. 1, 6, 8, 9). Im späteren MA ging man dazu über, den Schauplatz des E. zu konkretisieren: die Engel stürzen aus einer Bildzone über Wolken (= Himmel; s. Sp. 365f.) herab; der Streit im Himmel wird über einer Landschaft – sie ist bisweilen mit Pflanzen und Bäumen versehen und von Getier belebt – geschildert, in der sich eine feurige Kluft auftut (Abb. 15); usw.
Die heilsgeschichtliche Interpretation des E. ist nicht auf die Verknüpfung mit der Schöpfung beschränkt. Wenn der E. auch in den typologischen Bilderreihen des MA nicht vorkommt (im Heilsspiegel ist er in dem außerhalb der typologischen Systematik stehenden Eingangskapitel behandelt), so ist er doch in typologisierender Manier mit mehreren Darstellungen in Verbindung gebracht worden. In der Mehrzahl beruhen diese Gegenüberstellungen allerdings auf der Moralisation oder auf Exemplifikation des E.-Themas (s. daher III. D). Hier ist auf verschiedene Bezüge hinzuweisen, die bei Erörterungen zum Themenkomplex Sündenfall und Erlösung in der theologischen Literatur häufiger detailliert beschrieben worden sind. Es handelt sich dabei vornehmlich um periodisches Unterteilen der Heilsgeschichte: der E. erscheint jeweils als der Beginn des Zeitabschnittes, bestimmte andere a.t. oder n.t. Ereignisse als dessen Ende. In der bildenden Kunst äußerten sich diese – durchweg antithetischen – Kombinationen weniger in unmittelbarer Konfrontation als in der Abgrenzung von Bildfolgen: diese beginnen mit dem E. und reichen jeweils bis zu dem Thema, das zum E. in Bezug gesetzt werden soll.
So sind z. B. Schilderungen des ersten Zeitabschnitts der Heilsgeschichte mit einem E.-Bild eingeleitet und von einer Darstellung der Sintflut beschlossen (zuerst: Boulogne-s.-Mer, Bibl. mun. ms. 5, fol. 1: Bull. Soc. Repr. Mss. 7, 1923, Taf. 45 a). Hier mag auch die Vorstellung mitsprechen, der reinigende Gnadenregen der Sintflut habe die Erde reingewaschen von dem „Höllenregen“ beim E., der etwa folgendermaßen beschrieben wurde: „Do sach man von himl vallen Luzifer(um) vnd dy mit Im gewes(e)n waren. Auch wurden mit Im verstossen die zweiffler. Da regent es drey tag vnd drey nacht nicht wann [= nichts als] tewff(e)l her ze tall“ (so in der österr. Historienbibel von 1472, fol. 2 v: s.o.). Angesichts solcher Vorstellungen fühlt man sich an den E.-Bericht des Henochbuches erinnert.
Für die Gegenüberstellung Christus – Luzifer, die öfters zur Entstehung von E.-Bildern veranlaßte, boten sich zahlreiche Ansatzpunkte. Der Sturz Luzifers vom Thron zur Rechten Gottes (Abb. 16) wird mit der Erhebung Christi auf diesen verglichen (s. o. Sp. 632). Neben der hieran geknüpften Betrachtung über Tugenden und Laster (Humilitas Christi – Superbia Luciferi) steht die heilsgeschichtliche Interpretation: die Geburt Christi leitete eine neue Epoche der Erlösungsgeschichte ein, deren Auftakt der E. war. Einigen spätma. Autoren zufolge wäre der E. nach Christi Geburt erfolgt (so z. B. München, St.B. Cgm. 354). Chronologischer Betrachtung erscheint diese Auffassung zunächst als eine Umkehrung alles bis dahin Geglaubten; doch besteht nur scheinbar ein Widerspruch: Gott hat bereits vor dem E. und der Weltschöpfung beschlossen, Christus in die zu erschaffende Welt zu senden und ihn auf Luzifers Platz zu erheben. „Nach Christi Geburt“ heißt hier soviel wie „nach dem Beschluß der Geburt Christi“. Außerdem spielen bei dieser Vorstellung fraglos Interpretationen von Apok. 12 mit, in denen das apokalyptische Weib mit seinem Kind auf Maria und Christus, der Streit im Himmel auf den E. gedeutet wurden. – Die mit der Schöpfung begonnene Erlösung ist durch den Sieg Christi am Kreuz vollendet worden. Dies erklärt, warum in der Bibelillustration (Initiale I zu 1. Mos. 1) auf Bilder des E. und der Schöpfung solche der Kreuzigung folgen (eine Abart: der Zyklus reicht vom E. bis zur Opferung Isaaks, dem a.t. Vorbild der Kreuzigung Christi: London, B.M. ms. Burney 3, fol. 1 v: Bull. Soc. Repr. Mss. 7, 1923, Taf. 45 b). Der Bezug zwischen E. und Kreuzigung Christi war allen Zeiten geläufig. Noch in der Würzburger Karfreitagsprozession von 1716 (Joh. Christian Lünig, Theatrum caeremoniale historico-politicum usw., Anderer Theil, Lpz. [1720], S. 360ff.) wurde in der „sechsten Ordnung“ die Kreuzigung Christi vorgestellt, und in ihrem Gefolge erscheinen vier Engel, die „die Welt-Kugel (tragen), von welcher Luzifer mit seinem Anhang verstoßen, fället“ (es war beliebt, den E. in Prozessionen darstellen zu lassen; diese Aufgabe fiel z. B. 1462 in Viterbo Mitgliedern des Kollegiums, 1733 und 1756 in Landshut Angehörigen der Kaufleutezunft zu: Alois Mitterwieser, Gesch. der Fronleichnamsprozession in Bayern, Mchn. 1930, S. 23 u. 67). – Da der E. ein Sieg des Gotteswortes ist (vgl. Rupert von Deutz, s. o.), konnte der E. diesen Triumph veranschaulichen (München, St.B. Clm. 14055, fol. 6, Mitte 12. Jh.: Ausst.Kat. „Bayerns Kirche im MA“, München, St.B., 1960, Nr. 125, Abb. 37) und zu Darstellungen aus dem Leben Christi, in denen die Wortgewalt des Gottessohnes zum Ausdruck kommt, in Parallele gesetzt werden: wie die Häscher vor Christi Wort zu Boden stürzten, so sind die sündigen Engel bei dem Richterspruch des Christ-logos in die Grube gefahren [7, Nr. 321]. In der Conc. car., Temp. 62, rückt der E., als Scheidung von Licht und Finsternis verstanden, in Parallele zu Darstellungen von Joh. 8, 12, „Ich bin das Licht der Welt“ (RDK III 843/44). – Weitere Vergleiche zwischen Christus und Luzifer (bzw. dem E.) blieben auf die Literatur beschränkt. Besonders beliebt waren Gegenüberstellungen des E. und des Weltgerichts, Auftakt und Ende der Heilsgeschichte (so schon Baltimore, Walters Art Gall. ms. 500: Hanns Swarzenski, The Journal of the Walters Art Gall. 1, 1938, S. 66 Abb. 27f.; Heilsspiegel-Hss.). Anstelle des Weltgerichtsbildes konnten auch andere Themen des eschatologischen Themenkreises treten, zumal dann, wenn der Bildzyklus in einer Darstellung der Herrlichkeit Christi im neuen Himmel gipfelt. Als Beispiel sei das breit angelegte Bildprogramm der Fassade von St. Gilles genannt, in dem E. und Michaels Drachenkampf einander gegenüberstehen (Rich. Hamann, Die Abteikirche von St. Gilles, Bln. 1955, Bd. 1 S. 141ff. mit irriger Deutung; ebd. Bd. 2 Taf. 32ff. [= E.] und 6ff. [= Drachenkampf]).
An literarischen Belegen, die den Kontrast zwischen Maria und Luzifer im einzelnen beschreiben (etwa: Dedicatio ecelesiae academicae universitatis Benedictino-Salisburgensis, Salzburg [1708], S. 74), ist kein Mangel. Bei Darstellungen bleibt fast immer unklar, ob es sich um ein Bild gemäß Apok. 12 handelt und Maria und Michael als „Geschwisterheilige“ wiedergegeben sind (Georg Schreiber, Zs. f. Askese u. Mystik 17, 1942, 17–32) oder ob tatsächlich Maria und Luzifer konfrontiert werden sollen. Für die bildende Kunst ist der unmittelbare Zusammenhang zwischen Maria und dem E. nur selten zu erweisen und beruht dann auf Allegorisierung des E.-Themas (Engel stürzen Teufel, die Maria bedrohen, in den Abgrund: Cod. Vat. gr. 1162, fol. 92: Cosimo Stornajolo, Miniature delle Omilie di Giacomo Monaco etc. [= Codices Vaticanis selecti, ser. minor I], Rom 1910, Taf. 37).
D. Allegorie und Moralisation des E.-Themas
Voraussetzungen für Allegorisierung und Moralisation des E.-Themas bieten die Erörterungen über die Entstehung des Bösen und das allegorische Verständnis des E. als Hinweis auf die Trennung von Licht und Finsternis am ersten Schöpfungstag (s. o. Sp. 641f.). Gott kann nichts Böses erschaffen; „diabolum non per conditionem, sed per arbitrium malum esse factum credimus“ (4. Lateranense: H. Denzinger a.a.O. S. 198 Nr. 427; s. a. ebd. S. 112 Nr. 237). Luzifer wurde erst durch seine Empörung gegen Gott sündig und zur Strafe dafür im E. zum Teufel. Im Augenblick des E. leuchtete „eine unzählige Menge lebendiger Leuchten in strahlender Herrlichkeit“ auf: die getreuen, in der Gerechtigkeit gefestigten Engel; gleichzeitig ist die äußerste Finsternis entstanden, die jede Art von Strafe in sich einbeschließt (Hildegard von Bingen, Liber Scivias I, 2: Maura Böckeler, Scivias – Wisse die Wege, Graz 1954, S. 98ff.). Helligkeit und Dunkelheit werden moralisch als gut und böse verstanden, die Trennung von Licht und Finsternis bedeutet daher auch Unterscheidung zwischen Gut und Böse. Im Bild des E. kann somit die Entstehung des Bösen abgebildet werden, zugleich auch die exemplarische Bestrafung des Bösen. Mit dem E. ließen sich aus diesem Grund alle jene Strafen, die Gott über sündige Menschen verhängt hat, vergleichen; außerdem war es möglich, die Straf-ursache zu betonen und Hochmütigen und Häretikern im Bilde des E. die sie erwartende Strafe vor Augen zu stellen.
Die Gegenüberstellung von E. und Vertreibung der Stammeltern aus dem Paradies sowie von Sündenfall im Himmel und auf der Erde findet sich häufig; Hildegard von Bingen (s. o.) hat die Zusammenhänge zwischen beiden Ereignissen ausführlich kommentiert. In den Illustrationen zu ihrem Liber Scivias ist denn auch auf diese Themenverbindung besonderes Gewicht gelegt (Sp. 561/62, Abb. 3); man ging sogar so weit, E. und Sündenfall der Stammeltern gemeinsam in einem einzigen Bild vorzustellen (ehem. Wiesbaden, L.B. Cod. 1, fol. 4, 12. Jh.: M. Böckeler a.a.O. Taf. 12). Vom E. bis zur Austreibung Adams und Evas reichende Bildfolgen finden sich auch sonst im 12. Jh. (RDK I 135, Abb. 9; ebd. V 561/62, Abb. 3; Abb. 8; für spätere Beispiele vgl. etwa Abb. 21).
Für die Bildform des E. hat diese Interpretation des E.-Themas gewöhnlich zur Folge, daß die Rolle Michaels beim E. besonders betont wird: da auch bei der Vertreibung der Stammeltern ein Engel – nach allgemeiner Auffassung der Engelfürst Michael – das Strafurteil Gottes vollzieht, strebte man möglichst analoge Schilderung des E. an. – Einen weiteren Beleg für die allegorische Auslegung des E. im Hoch-MA enthält die Bible moralisée: der ehrgeizige Alcimus, der mit Gewalt Hoherpriester werden wollte (1. Makk. 7), wird mit Luzifer verglichen, sein und der Sturz der Alcimus ergebenen Juden in Bezug zum E. gesetzt (London, B.M. ms. Harley 1526, fol. 11: [5] Bd. 3 Taf. 454).
Die Bible moralisée schildert den E. außerdem als Moralisation zu Daniel 7 (Paris, B.N. ms. lat. 11 560, fol. 209 v: [5] Bd. 3 Taf. 433); hier erscheint der E. im Sinne einer Allegorie der Superbia. Diese Einschätzung des E. als Exemplum der Superbia bzw. der Bestrafung Hoffärtiger wurde in der Neuzeit bestimmend für die Masse der E.-Bilder. Im einzelnen wurde bald mehr auf die moralische Interpretation, bald mehr auf das häretische Verhalten Luzifers Wert gelegt. Durch das zuletzt genannte Verständnis konnten Bilder des E. in den Dienst der Propaganda fide treten und Gegner im Religionsstreit durch den Vergleich mit Luzifer sowie durch den Hinweis auf ihren bereits vollzogenen oder mit Sicherheit zu erwartenden Sturz diffamiert werden (s. Satire; Reformation; Kirche; Häresie; Luther). Diese Praxis hat auch auf Darstellungen von Personen und Ereignissen der politischen Geschichte übergegriffen; der Verwendung des E.-Motivs in der Allegorie sind auf diesem Gebiet kaum Grenzen gesetzt.
Als warnendes Beispiel für moralisch strafwürdiges Verhalten ist in zahllosen Exerzitien- und Erbauungsbüchern der Neuzeit der E. ausführlich behandelt, häufig auch abgebildet. An erster Stelle ist hier der Exercitia spiritualia des hl. Ignatius von Loyola (Rom 1548 [Vulgata versio]) zu gedenken, die mit der Betrachtung „circa primum angelorum peccatum“ beginnen; als Illustration des Textes erscheint regelmäßig das Bild des E. Auch in solchen Ausgaben, die auf die Bebilderung jeder einzelnen Übung verzichten, ist wenigstens eine Darstellung des E. (oder ein Michaelsbild) eingefügt. Nach dem Beispiel des hl. Ignatius von Loyola kommen in fast allen inhaltlich nicht besonders spezialisierten Erbauungsbüchern Erörterungen über den E. vor. In den Ordensgemeinschaften, die sich die Verwirklichung des restaurativen Programms der Gegenreformation besonders angelegen sein ließen, ist das E.-Thema immer wieder abgehandelt worden. Als Beispiel sei hier nur auf die bebilderte Hs. von Isabella vom Hl. Geist (Carlotta von Urquine, 1606–1675), Recreationenn unnd Geistlichen Gesprächen III. Teil, verwiesen (Karmelitinnenkirche „Maria vom Frieden“ Köln, Mchn. u. Zürich 1958, S. 27). Auch in der Ikonographie des Benediktinerordens hat der E. einen festen Platz: er erscheint als Kontradiktion zum von der Ordensregel festgelegten Gebot des Gotteslobs (z. B. Weltenburg, Entwurf von C. D. Asam): demjenigen, der sich der Lobpreisung Gottes entziehen zu können glaubt, wird es so ergehen wie Luzifer. – Die Beischriften zu den unübersehbar zahlreichen E.-Darstellungen schlüsseln die E.-Allegorien in vielfältigster Weise auf. Der Kupferstich des Dominikus Custos nach Entwurf von Friedr. Sustris – eine der zahlreichen Varianten von Christoph Schwarz’ Hochaltarblatt der Münchner Michaelskirche (Abb. 19) – ist folgendermaßen bezeichnet: „Praecipitant plenae rupta de nube procellae, / Tartareosque replet turbine grando lacus / Horrida tempestas victa cum gente Draconis: / An cadit ex summo, qui male summa subit.“ Als Fatto der Superbia-Allegorie (vgl. z. B. Hertels Ripa-Ausgabe, Augsburg um 1760: Abb. 23) konnte der E. auch in der profanen Kunst dargestellt werden.
Sah man im E. die Strafe für Häresie, so konnte man ihn als Parallele für Zweifler und Abtrünnige vom „rechten Glauben“ heranziehen oder den Vergleich einer historischen Persönlichkeit mit Luzifer dadurch konkretisieren, daß man dem stürzenden Luzifer Bildniszüge gab. Neben Darstellungen, die auf einmalige Ereignisse Bezug nehmen, kam es auch zu einem eigenen Bildthema: dem Sturz der Reformatoren (etwa: Scheer a. d. Donau, Deckengem.).
Die Anwendung der E.-Allegorie auf politische Ereignisse bezeugen vornehmlich satirische Darstellungen („Engelsturz der Lola Montez und ihres Anhangs“: Georg Jacob Wolf, Ein Jh. München, 1800 bis 1900, Mchn. 1919, Taf. n. S. 172; für Medaillen vgl. etwa Münchner Jb. III. F. 7, 1956, S. 157f. u. Abb. 18).
E. Der E. als Bestandteil der Michaelslegende
Der Antipode Luzifers und seines Anhangs ist Michael. Schon in den ältesten ausführlicheren Schilderungen des E.-Geschehens wird seine Rolle bei den Ereignissen in der Engelwelt hervorgehoben (s. o. Sp. 622f.). In dem Maße, wie die E.-Vorstellung mit dem Apok. 12, 7ff. beschriebenen Streit im Himmel verknüpft wurde, gewann die Gestalt Michaels an Bedeutung: der E. wurde immer mehr zu einer Szene aus der Michaelslegende, er feiert den Sieg Michaels. Es versteht sich, daß E.-Bilder, die auf Grund dieses Verständnisses entstanden, in erster Linie die siegreich bestandene kämpferische Auseinandersetzung schildern, Michael zur bildbeherrschenden Gestalt machen und auf Andeutung der E.-Vorgeschichte keinerlei Wert legen. Die Häufigkeit solcher Darstellungen hängt nicht mit besonderem Interesse für das E.-Geschehen zusammen, sondern ist ausschließlich ein Spiegelbild der Michaelsverehrung. Nachdem die Gegenreformation diese zum kirchenpolitischen Programm gemacht hatte, konnte das E.-Bild, sein allegorisches Verständnis mit dem als Bild des hl. Erzengels verschmolzen, recht eigentlich zum Symbol der kirchlichen Restauration werden.
Die Verwendung solcher E.-Darstellungen konzentriert sich auf die Altarbilder. In Michaelskirchen fehlen sie nur dann, wenn eines der alternativ verwendbaren Themen bevorzugt wurde. Die für diesen Zweck geschaffenen E.-Bilder haben einen Bildtypus entstehen lassen, der sehr rasch auch überall dort, wo man den E. schildern wollte, Verbindlichkeit erlangte. Die Uniformität der neuzeitlichen E.-Ikonographie (s. V. 3), die so entstand, hat in der gesamten Ikonographie kaum ihresgleichen. Nur sehr figurenreiche E.-Schilderungen vermochten sich bisweilen dem Bann der Bildformel zu entziehen. In der Neuzeit übertrugen poetische Betrachtungen über den Streit im Himmel Vorstellungen aus der Kriegskunst auf den E. In „Joh. Klay gekrönten Poetens Engel- und Drachenstreit“ (Nürnberg [Jerem. Dümler]: G.N.M. Sign. L 1083/ga 8°) ist „der Schauplatz ein heigestirntes Himmelsfeld; die Chöre der Engel sind beyderseits Kriegsleute“. In vier Handlungen wird geschildert: „Lucifer, einer auss denen Oberengeln, meutenirt wegen Ungleichheit im Himmel, fertiget demnach an den Herrn Zebaoth eine Fehde ab, welche mit ungestüm Ihn ins Feld fordert“ (1); „der Herr der Heerscharen fordert die standhaften Engel zusammen, trägt Michaeln die Oberfeldherrschaft auf, welcher selbige willer als willigst auf sich nimmt“ (2); auch die Aufrührer bilden ein Kriegsheer: Michael rückt ins Feld, läßt den Feind anblasen und auffordern und „zieht mit einem Freudengesange an“ (3); vierte Handlung: „Hierinnen wird nun die Wahlstatt dess Treffens ... entworffen, die Schlacht mit Zustreitungen der Element desto schrecklicher gemacht und mit heutiges Tags gebräuchlichen Schlachtordnungs-Anstellungen, Kriegsräncken, Schwenckungen und Zurückziehungen der Flügel, Schliessungen und Zertrennungen der Glieder, Poetisch aussgebildet. Lucifer wird geschlagen, gefesselt in das Stockhauss geführt und nach Kriegsrecht mit ewiger Gefängnuß abgestraffet. Der Ober-Feldherr Michael hält mit seinen Soldaten ein Freudenfest, dancket dem Herrn Zebaoth mit einer Himmelsmusic“ (nach der auszugsweisen Abschrift im Nachlaß von E. W. Braun, G.N.M.).
IV. Ikonographische Abgrenzung
Die ikonographische Abgrenzung von E.-Bildern gegen motivisch ihnen nahekommende Darstellungen bereitet verschiedentlich Schwierigkeiten. Es ist einzuräumen, daß die formal-ikonographischen Gesichtspunkte nicht immer zu völliger Klärung strittiger Benennungsfragen verhelfen. Diese Kriterien bestimmen nur, wann von einem E.-Bild gesprochen werden muß, wobei es gleichgültig ist, ob die betreffende Darstellung inhaltlich das E.-Thema meint oder nicht. Wann letzteres der Fall ist, geht jedoch nicht aus der Ikonographie, sondern aus der fallweisen Verwendung, dem Anbringungsort und der Stellung eines Bildes innerhalb des Bildzyklus hervor.
Die Michael-Luzifergruppe ist als abgekürzte E.-Darstellung zu verstehen (vgl. z. B. als eines der frühesten Beispiele die Initiale I zu 1. Mos. 1 in der Bibel aus St. Peter in Salzburg, 12. Jh.: RDK I 135, Abb. 9), meist aber als Michaelsbild verwendet worden (Illustrationen zum Fest oder zur Legende des hl. Michael in Stundenbüchern, Gradualen, Missalen usw.; Patronatsbilder an Fassaden von Michaelskirchen; Mittelbilder von Michaelsaltären). Im Hinblick auf diese Bestimmung gab man Luzifer häufig wesentlich kleinere Gestalt als dem hl. Erzengel und behandelte ihn wie ein Attribut Michaels. In diesen Fällen verbietet sich für die Zweifigurengruppe die Bezeichnung E. fast immer; wenn tatsächlich eine vereinfachte Darstellung des E. gemeint ist, sind Luzifer und Michael in der Regel von ebenbürtiger Gestalt (eine Ausnahme machen die Miniaturen einer südostdt. [„Salzburger“] Hss.-Gruppe des 12. Jh.: Abb. 4). Dieses Kriterium schließt indessen nicht aus, daß auch solche Gruppen als Michaelsbilder dienten (oder, dieses Verständnis voraussetzend, als Darstellung des Engelchors der Erzengel oder eines exemplarischen Exorzismus [s. Sp. 394]).
Wiedergaben Michaels, der den Drachen bezwingt, haben grundsätzlich nicht als E.-Bilder zu gelten: es sind Michaelsbilder oder vereinfachte Darstellungen des apokalyptischen Kampfes.
Treten zu den beiden Zweifigurengruppen weitere Gestalten hinzu, die eindeutig auf den E. hinweisen, werden alle genannten Kriterien hinfällig. Wenn sich z. B. stürzende Engel, Teufel oder Mischwesen von Engeln und Teufeln hinzugesellen (Abb. 8), so wird deutlich, daß nicht der apokalyptische Drache, sondern Luzifer in Drachengestalt abgebildet werden soll. Erscheint außer Michael und Luzifer Gottvater, Christus oder deren Symbole, dann hat man es – da Apok. 12 von der Mitwirkung oder Anwesenheit göttlicher Personen beim Streit im Himmel nichts meldet – ebenfalls mit einer E.-Darstellung zu tun. Umgekehrt verweist die Aufnahme des Apokalyptischen Weibes in das Bild nachdrücklich auf Apok. 12 und schließt die Benennung E. für solche Darstellungen aus.
Problematisch ist die Bestimmung vor allem in den – in der Neuzeit sehr zahlreichen – Fällen, in denen E.- und eschatologische Vorstellungen ganz bewußt vermischt sind, um zu charakterisieren, daß das im Bilde Vorgestellte auf eine Wahrheit hindeutet, die schon vor dem Anfang der Welt bestand und nach deren Ende noch gültig sein wird, die weder geschichtlich noch heilsgeschichtlich zu relativieren ist. Der Christ-logos (Gottvater, die Dreifaltigkeit) kann sowohl als Richter über die sündigen Engel wie als Weltenrichter dargestellt sein, und der Sieg Michaels kann auf den E. und auf das Endgericht hindeuten, außerdem allegorischem Verständnis als Sieg des Guten über das Böse erscheinen. Es ist nur konsequent, wenn in solchen Darstellungen unter den Verstoßenen außer sündigen Engeln auch Verdammte und Personifikationen von Lastern geschildert werden. Die Bezeichnung E. ist jedoch nur dann am Platze, wenn sämtliche Stürzenden sündige Engel sind, d. h. entweder Flügel haben, die Gestalt von Teufeln besitzen (Abb. 20; verstoßene Menschen unterliegen keinem Gestaltwandel) oder wenn auf sonstige Weise kenntlich gemacht ist, daß sich an den Stürzenden eine Umbildung der Gestalt von Engeln zu Teufeln vollzieht. Wenn neben den Engelrebellen noch Verdammte abgebildet sind, handelt es sich stets um ein Bild des Höllensturzes von Verdammten (beim Weltgericht). Daß sich unter den Verstoßenen auch Teufel befinden – und zwar Teufel, die nicht die Verdammten in Empfang nehmen, sondern selbst hinabgestürzt werden – entspricht der Auffassung, daß in der Endzeit die seit dem E. im Abgrund gefangen gehaltenen Teufel begrenzte Zeit frei werden, um dann bei der Bestätigung des E.-Urteils im Weltgericht endgültig in die Hölle beschlossen zu werden.
Streitende Gruppen von Engeln und Teufeln sind nur dann als E.-Bild zu bezeichnen, wenn solche Kampfschilderungen nicht Teil einer größeren Darstellung sind. Kommen sie z. B. in Verbindung mit Abbildungen der Seelenwägung in der Sterbestunde oder des Weltgerichts vor, so haben sie mit dem E. nichts zu tun, auch dann nicht, wenn sie sich des Motivschatzes von E.-Bildern bedienen.
Unmißverständlich ist die vereinfachte E.-Darstellung, bei der der Richter und der Gerichtete allein wiedergegeben sind (z. B. in der österr. Historienbibel von 1472, s. o.).
V. Ikonographie
In der Geschichte der E. -Darstellungen können drei Perioden unterschieden werden.
1. Der erste Zeitabschnitt reicht von den ältesten bekannten E.-Bildern aus der Zeit um 1000 bis ca. 1300. Für ihn ist das Fehlen von Bildtypen, die über enge regionale oder Schulzusammenhänge hinaus Verbindlichkeit erlangten, kennzeichnend. Die auf uns gekommenen, seit dem 12. Jh. sogar relativ zahlreichen E.-Bilder bezeugen, daß unabhängig voneinander zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten E.-Schilderungen konzipiert und in Bildzyklen verschiedenen Inhalts eingefügt wurden.
Die hier abgebildeten E.-Darstellungen des 11. Jh. fanden keine unmittelbare Nachfolge; für die Typengeschichte des E.-Bildes zwar nur ein Vorspiel, verdienen sie doch besondere Aufmerksamkeit, weil die untereinander extrem verschiedenen Schilderungen im einzelnen mit nicht oder nur selten wieder erreichter Konsequenz bestimmte Aspekte des E. bildlich zum Ausdruck bringen. Eine so ausführliche Erzählung des E. und seiner Vorgeschichte wie in der Miniatur der sog. Caedmon-Hs. (Abb. 1) gibt es kein zweites Mal (nur bei Milton-Illustrationen sowie poetischen Ausgestaltungen des E.-Themas bei Füßli und Blake sind – freilich unter völlig verschiedenen Voraussetzungen – ähnlich vielszenige Schilderungen des Stoffes anzutreffen); die Miniatur der Bibel aus Lobbes von 1084 (Abb. 2), wahrscheinlich die älteste E.-Darstellung in der Bibelillustration, bietet eine so komprimierte wie gedanklich präzise und umfassende Veranschaulichung des E.-Themas, wie sie nie wieder anzutreffen ist; das E.-Bild auf der Bronzetür von Monte S. Angelo (Abb. 3) gehört zu den ganz seltenen Beispielen, in denen der E. als Ereignis der Michaelslegende ohne Zuhilfenahme von Bildmotiven der Apokalypse (kämpferische Auseinandersetzung, Luzifer in Drachengestalt) abgebildet ist und außerdem – wie sonst nur sehr selten (z. B. Wien, N.B. Ms. 2721, fol. 2: Beschr.Verz. 8, 2, Taf. 30, 1) – Michael auf dem „Berg der Versammlung“ steht, auf den sich Luzifer Jes. 14, 14 zufolge setzen wollte.
Gruppenmäßige Zusammenhänge unter E.-Bildern lassen sich erstmals im 12. Jh. erkennen, am deutlichsten bei einigen Miniaturen, die auf ein Salzburger Vorbild (Fresko in dem 1143 geweihten Neubau von St. Peter?) zurückzuführen sind: Admont, Stiftsbibl. Cod. I, 1, Gebhardsbibel, fol. 3 v, 2. V. 12. Jh. (Swarzenski, Salzburg Abb. 92); Erlangen, U.B. Ms. 1, Gumbertsbibel, fol. 5, 3. V. 12. Jh. (ebd. Abb. 114); München, St.B. Clm. 14 399, Hexaëmeron des Ambrosius, fol. 1 v, 3. Dr. 12. Jh. (Abb. 4). In allen Beispielen illustriert das E.-Bild den ersten Schöpfungstag. Trotz der an Repräsentationsbilder gemahnenden Bildform handelt es sich um eine kontinuierliche Darstellung, die zwei klar zu trennende Vorgänge vereinigt: Luzifers anfängliche Herrlichkeit (= Schöpfung der Engel = Erschaffung des Lichts) und seine – hier bereits vollzogene – Verstoßung (= E. = Scheidung von Licht und Finsternis). Weitere Möglichkeiten einer Gruppierung von E.-Bildern sind nur andeutungsweise erkennbar. Nur bei zahlreicherer Denkmälererhaltung wäre Gewißheit darüber zu erlangen, ob die offensichtlichen Zusammenhänge zwischen den Miniaturen Stuttgart, L.B. cod. hist. fol. 415, fol. 17 (Abb. 8), und Heidelberg, U.B. Ms. Sal. X, 16, fol. 2 (Sp. 561/62 Abb. 3), auf eine schwäbisch-oberrheinische Bildtradition zurückzuschließen gestatten; als deren Eigenart hätte man die Verwendung apokalyptischer Vorstellungen anzusehen (sie äußert sich auch in den Beischriften): Luzifer erscheint in der Gestalt des apokalyptischen Drachens; Michael, der ihn besiegt, ist als Repräsentant des Engelchores der Erzengel geschildert. – Im Hortus deliciarum (fol. 3 v: Abb. 5) durchdringen sich – nach Ausweis der Beischriften – ebenfalls Vorstellungen vom E. mit solchen der Apokalypse. In der Darstellung kommt dies jedoch nur durch den Verzicht auf die Wiedergabe des Christ-logos zum Ausdruck; die in ähnlichen Fällen sonst ziemlich regelmäßig damit verbundene Betonung der Rolle Michaels beim E. unterblieb jedoch: drei gestaltgleiche Engel bekämpfen vier stürzende Engelrebellen, deren mittlerer durch Gewandung und Attribut als Luzifer charakterisiert ist. Gute und böse Engel trennt ein mondsichelförmiges Band, das vielleicht früheste Beispiel für die später häufige Aufteilung des E.-Bildes in zwei Zonen. Eine gewisse, nur wenig jüngere ikonographische Parallele zum E.-Bild des Hortus deliciarum bietet ein Fresko in S. M. in Monte Dominico zu Marcellina bei Tivoli (Guglielmo Matthiae, Cahiers archéol. 6, 1952, S. 79, Taf. 20 u. 23). Die naheliegende Vermutung, daß byzantinische Vorlagen aufgegriffen worden seien, bestätigen weder der Denkmälerbestand (vgl. z. B. das Fresko in der Trapeza des Athosklosters Dionysiou: Gabriel Millet, Monuments de l’Athos, I: Les Peintures [= Mon. de l’art byz. 5], Paris 1927, Taf. 211, 2) noch das Malerbuch vom Athos (§ 74 [s. o.] und § 442: Anweisung, den E. in der Trapeza darzustellen). Auch die byzantinische Bildformel rückt den thronenden Christlogos in den Bildmittelpunkt und umgibt ihn mit Engeln.
Im 13. Jh. sind in Deutschland E.-Bilder viel seltener als im 12. Jh., während umgekehrt in Frankreich und England E.-Darstellungen zahlreicher wurden. Während Frankreich – außer den bereits genannten Beispielen – im 12. Jh. nur noch einzelne, in ihrer Deutung z. T. umstrittene Schilderungen hervorgebracht hat (Chartres, Kath., Westfassade: [15]; Ivry-la-Bataille [Dép. Eure]: Gabriel Fleury, Études sur les portails imagés du XIIe s., Mamers 1904, Abb. 32; über ein im 19. Jh. zerst. Fresko in Provins: Marquise de Maillé, Provins. Les monuments religieux, Paris 1939, Bd. 1 Abb. 82), England wie es scheint überhaupt keine, sind die dort im 13. Jh. entstandenen Darstellungen für die E.-Ikonographie von besonderer Bedeutung: mehrfach zeigen sie Bildnispositionen, die grundsätzlich mit den im 14. Jh. geläufigsten Bildformeln übereinstimmen oder wenigstens als Grundlage für die Entstehung bestimmter Bildtypen einzuschätzen sind.
Die Miniatur auf fol. 1 der Bibel aus St. Vaast, Boulogne-s.-M. (s. o.), schildert in der Mitte des E.-Bildes den thronenden Weltenschöpfer, zu seiner Rechten gute Engel, zu seiner Linken stürzende Engelrebellen. Diese Darstellung enthält bereits die Komposition der mit Abb. 12 typengleichen deutschen Beispiele des späteren MA; lediglich im einzelnen kam es zu Motivvariationen und zur Bereicherung der ausnahmslos im Querformat gehaltenen E.-Bilder dieses Typs.
Aus dem 13. Jh. besitzen wir erstmals E.-Schilderungen, bei denen der Christ-logos als Hauptfigur nicht in der Bildmitte wiedergegeben ist. Sofern er thronend abgebildet wurde, erscheint er bisweilen in der linken oberen Ecke der im übrigen horizontal in zwei Zonen geteilten Bildfläche; neben ihm in der oberen Zone stehen getreue Engel, unter diesen die stürzenden (so im Credo von Joinville, s. o.). Später kommen halbfigurige Bilder des Weltschöpfers auf, der immer häufiger von einer Engelgloriole umgeben ist, und statt des einfachen Gegenübersteilens guter und böser Engel wird ein drastischeres Bild vom Kampfe zwischen beiden Engelparteien entworfen (vgl. Abb. 15) – die Gesamtdisposition der Darstellung aus dem 13. Jh. bleibt jedoch verbindlich.
Eine weitere ikonographische Neuerung basiert auf Angleichung des E.-Bildes an Darstellungen des Sechstagewerkes. Eine in Frankreich aufgekommene (oder dort am gebräuchlichsten gewordene) Bildformel zeigt für jeden Schöpfungstag eine Darstellung des stehenden Deus creator, mit befehlender Gebärde sich nach rechts wendend, wo das jeweilige Schöpfungswerk abgebildet ist. Statt anderer Hinweise auf die Scheidung von Licht und Finsternis (oder in Verbindung mit diesen) konnte der E. wiedergegeben werden. Eines der frühesten Beispiele für diese Anordnung bietet wohl die Miniatur fol. 10 v der zwischen 1225 und 1252 geschaffenen Bibel des Robert de Bello, London, B.M. ms. Burney 3 (E. A. Bond u. E. M. Thompson, Facsimiles of Mss. and Inscriptions [= The Palaeographical Soc. Ser. I, Bd. 3], London 1873–83, Taf. 73). Noch die Darstellung des ersten Schöpfungstages auf dem Grabower Altar Meister Bertrams (Abb. 11) folgt diesem Typus.
Auch einfachere Darstellungen wie die der Bibles moralisées (Toledo, Bibl. del Cabildo Bd. 1, fol. 2, sowie Oxford, Bodl. ms. 270b, fol. 2: [5] Bd. 4, Taf. 626, und Bd. 1, Taf. 2), durch einfache Zonenteilung des Bildes und Darstellung des Höllenrachens am unteren Bildrand charakterisiert, wurden im 14. Jh. in Deutschland wiederholt: vgl. etwa die Initiale G(loriosissimam civitatem dei) zur Vorrede von Augustinus, De civitate Dei, in der Hs. Heidelberg, U.B. cod. Sal. IX, 35, fol. 1 (Adolph von Oechelhaeuser, Die Min. der U.B. zu Heidelberg, 2. Teil, Heidelberg 1895, S. 71f., Taf. 8: hier ist zwischen die beiden Zonen eine dritte eingeschoben, die Augustinus mit seinem Werk vor Mönchen zeigt). Die Ausgestaltung des E.-Bildes zu einer Gegenüberstellung von Himmel und Hölle, die in England beliebt war (Abb. 9; s. a. Queen Mary’s Psalter: s. o.), fand in Deutschland kaum Nachfolge.
So verschieden die westlichen Bildformeln des 13. Jh. untereinander sind, stimmen sie doch darin überein, daß sie das E.-Geschehen weitgehend ohne Bezugnahme auf seine Vorgeschichte schildern und den E.-Bildern auch keine Darstellungen dieses Inhalts vorausgehen lassen. Darin hat man eine Folgeerscheinung zu sehen: gemäß der heilsgeschichtlichen Interpretation (s. o. III. C) ist der E. seinerseits als Ursache begriffen. Fortan konnten Schilderungen des E. um ihrer selbst und um der Folge des E., der Weltschöpfung, willen geschaffen werden. Damit ist zugleich auch der künftigen ikonographischen Entwicklung der Weg gewiesen: es galt Bildformeln zu prägen, die den E.-Vorgang wiedergeben und diesen innerhalb des Bildes selbst sinnfällig erklären.
2. Erst als die heilsgeschichtliche Deutung des E.-Geschehens zur allgemein bestimmenden wurde, wandte die deutsche Kunst dem Thema wieder ihre Aufmerksamkeit zu. Unter den Beispielen aus dem 14. und 15. Jahrhundert machen die E.-Bilder in Heilsspiegel-Hss. (vgl. [9]) die größte Gruppe aus. Sie sind der Schlüssel für das Verständnis der Typengeschichte und der eigentümlichen Problematik der deutschen spät-ma. E.-Ikonographie.
Der älteste E.-Typus in den Heilsspiegel-Hss. bezeugt, daß man auf engen Anschluß an den Text größeren Wert legte als auf eine Darstellungsweise, die den Tendenzen der westlichen E.-Ikonographie Rechnung trug. Der Text erwähnt Kap. 1, Vers 6f., die Erhebung Luzifers gegen seinen Schöpfer und sodann den E. (anschließend wird der Zusammenhang zwischen E. und Schöpfung erläutert; s. o. Sp. 643). In den Illustrationen wurden ebenfalls die beiden zeitlich aufeinanderfolgenden, der Weltschöpfung vorausgehenden Ereignisse behandelt. Waagerechte Teilung des Bildfeldes ermöglichte, diese jeweils als selbständige Szene zu schildern. Im oberen Streifen erscheinen der thronende Christ-logos in der Mandorla, zu seiner Linken, geflügelt und nimbiert, getreue Engel und ihm zur Rechten flügellose Engelrebellen ohne Nimbus, über denen Luzifer mit einem Spruchband (Text: „ascendam in celum et similis ero altissimo“, Jes. 14, 13 u. 14) schwebt. In der unteren Zone sind z. T. bereits in Monstren verwandelte abtrünnige Engel, die in den Rachen des Leviathan fallen, gezeigt (z. B.: München, St.B. Clm. 146: Lutz-Perdrizet Taf. 1; Göttweiger Hss.: ebd. Nr. 25–28; Köln, Hist. Archiv W. 105: [9] S. 83). Hier ist, wohl zum ersten Mal, das Motiv stürzender Engel zum Bild des E. verallgemeinert. Das war nur möglich, weil die Bildfolge den Zusammenhang zwischen Empörung und Bestrafung erschöpfend wiedergibt; die sonst erstrebte Ausgestaltung des E. zu einem in sich selbst schlüssigen Bild wurde dadurch jedoch verhindert.
Fortgesetztes Bemühen um Modifikation dieses Bildtyps im Sinne der westlichen E.-Ikonographie bestimmte seine Überlieferung. Eine „große Gruppe“ [9] von Heilsspiegel-Hss. deutete die beiden Bildstreifen als räumliches Übereinander und unterschied zwischen einem Gute-Streifen, den der Schöpfer und getreue Engel bevölkern, und einem Böse-Streifen, den stürzende Engelrebellen ausfüllen. Für die zahlreichen Kompromißlösungen vgl. E. Breitenbach [9].
Das noch immer starre Bildgefüge wurde in der Folgezeit aufgelockert, zunächst vor allem in französischen und flämischen Hss. [9].
Als hierzu besonders geeignetes Mittel erwies sich die Konzentration des Bildberichts auf den Strafvollzug an den Empörern. Dieser konnte von dem Weltenschöpfer oder von ihm ergebenen Engeln besorgt werden. Der heilsgeschichtlichen Auslegung kam die Betonung der Rolle des Schöpfers stärker entgegen als die Schilderung von Engeln, die Luzifer und seinen Anhang aus dem Himmel stoßen. Umgekehrt empfahl sich die Austreibung der Empörer durch Engel in den Fällen, in denen man eine dramatischere Vorstellung von dem E.-Geschehen geben wollte. Die deutsche Kunst hat bis zur Gegenreformation die theozentrischen Bildtypen bevorzugt (s.u. 3); die folgenreichere Neuerung war jedoch die Ausgestaltung des E.-Bildes zu breiter Schilderung des Strafvollzugs durch Engel: dieses Motiv bereitete das Aufkommen von E.-Michaelsbildern (s. u.) vor.
Liegt die Betonung auf dem aktiven Eingreifen des Schöpfers in das E.-Geschehen, so tritt dessen Gestalt aus dem Strahlenkranz heraus und vollzieht selbst die Strafe an den Empörern: er befiehlt sie in den Abgrund (so schon das E.-Bild des Genesisfensters im Erfurter Dom: Inv. Prov. Sachsen N.F. 1, S. 187, Abb. 150; s. a. Sp. 644f. und Abb. 11), vertreibt sie mit Waffengewalt (etwa: London, B.M. ms. Arundel 120, Heilsspiegel-Hs. des 14. Jh. aus dem Mainzer Kartäuserkloster) oder stößt sie mit der Hand von sich (Donald Drew Egbert, The Tickhill-Psalter and Related Mss., Princeton 1940, Taf. 1); sein handelndes Eingreifen kann sogar die Anwesenheit ihm ergebener Engel überflüssig machen (außer der genannten Londoner Speculum-Hs. vgl. Paris, Arsenal ms. lat. 593). Die getreuen Engel scharen sich oft attributartig um Christ-logos (sie bilden z. B. eine Engelmandorla um ihn) oder erscheinen, an dem Vorgang mehr oder weniger unbeteiligt, über Wolkenstreifen, als Bildmetapher zur Darstellung der himmlischen Herrlichkeit.
Die Gestalt des richtenden Gottes kann aber auch aus der Bildmitte gerückt werden, um der ausführlichen Schilderung des Strafvollzugs durch bewaffnete Engel Platz zu machen (Abb. 15). Die bis Ende 14. Jh. den Empörern zahlenmäßig meist unterlegenen getreuen Engel werden zahlreicher. Sie stoßen die Teufel nieder in den Abgrund. Das E.-Bild nimmt immer mehr den Charakter eines Kampfes zwischen zwei Engelparteien an, wobei Motive aus Bildern der apokalyptischen Engelschlacht in E.-Darstellungen aufgenommen wurden. Teufel fast ohne in der E.-Schilderung erkennbaren Grund in die Tiefe stürzen zu lassen (wie noch Paris, B.N. ms. fr. 22, fol. 8 v, um 1432: Alexandre de Laborde, La Cité de Dieu, Paris 1909, Bd. 3 Taf. 31), wurde rasch ungebräuchlich. Die Miniatur fol. 64 v der Très riches Heures des Hzg. von Berry (Chantilly, Mus. Condé ms. 1284, hrsg. von Paul Durrieu, Paris 1904, Taf. 41) zeigt schwer bewaffnete Engelkrieger, von denen aber nur ein einziger gegen die – noch als Engel dargestellten – stürzenden Engelrebellen vorgeht. Es ist charakteristisch für die deutsche E.-Ikonographie des Spät-MA, daß der völlige Verzicht auf die Darstellung des göttlichen Richters sehr selten ist und dann gewöhnlich durch einen Hinweis auf die Vorgeschichte des E. kompensiert wird: Engel stoßen Luzifer von seinem Thron (Konstanz, Münster, Wandmal. in der Margarethenkapelle, 1. Dr. 15. Jh.: Inv. Südbaden 1, S. 248, Abb. 250; Abb. 14). Das Motiv war in geistlichen Schauspielen des 14. Jh. bereits bekannt (Karl Young, The Drama of the Medieval Church, Oxford 19512, Bd 2 S. 244). Wenn ein einziger Engel als Richter der ungetreuen Engel erscheint (Abb. 12), so hat man in diesem wohl den Engelfürsten Michael zu sehen, auch dann, wenn er nicht besonders charakterisiert ist.
Die wenigsten der genannten Motive schließen sich gegenseitig aus, sie können daher gemeinsam in einem Bilde verwendet werden. Für viele Beispiele sei die Darstellung eines italienischen Meisters in einer Breviari d’amor-Hs. der Thompson Libr. genannt: hier greift Christ-logos energisch in den Strafvollzug ein, den aber Engel besorgen (Ill. from One Hundred Mss. in the Libr. of Henry Yates Thompson Bd. 7, London 1918, S. 12, Taf. 46). Es entstanden E.-Bilder von großer Vielfalt, die sich typenmäßiger Gruppierung häufig entziehen. Im allgemeinen erwiesen sich die Bilddispositionen des 13. Jh. als variabel genug, um auch für die breiter angelegten Schilderungen des Spät-MA als Grundlage dienen zu können (s. o.).
Im ausgehenden MA wurde der E. häufig über einer Landschaft geschildert (z. B. Abb. 15). Die älteren Beispiele hierfür begnügen sich in der Regel mit der Wiedergabe von kahlem Felsgebirge und Gewässern; erst im Laufe des 15. Jh. kamen öfters auch Pflanzen und Tiere hinzu (Abb. 15), Menschen jedoch nur, wenn das E.-Bild als Illustration zu Jes. 14 dient (mit dem König von Babel: Abb. 15). Es ist schwer zu entscheiden, ob mit der Landschaftsschilderung ein zeitlicher Ansatz des E. zum Ausdruck gebracht werden soll (s. darüber Sp. 646) oder ob es sich um eine Anspielung auf das durch den E. veranlaßte Schöpfungswerk handelt; daran wäre zumal dann zu denken, wenn dem E.-Bild Szenen aus der Genesis folgen, unter diesen jedoch keine Darstellungen der ersten Schöpfungstage anzutreffen sind. Literarische Zeugnisse wie Dantes Göttliche Komödie (Inferno 34, 121f.) lassen keinen Zweifel, daß im späteren MA sehr konkrete Vorstellungen über Zusammenhänge zwischen dem E. und den Vorgängen der Schöpfung bestanden, doch ist über ihre Verbreitung und die mögliche Auswirkung auf die E.-Ikonographie noch kein klares Bild zu gewinnen. Es ist auch damit zu rechnen, daß es gemäß Jes. 14, 17 zur Wiedergabe einer Wüstenlandschaft kam oder daß die Aufnahme landschaftlicher Motive hie und da lediglich eine Begleiterscheinung der Adaption von Bildvorstellungen aus der Apokalypse ist und ohne inhaltliche Begründung erfolgte. Weitergehende Konkretisierung der Landschaft (Abbildung bestimmter Städte, Abteien, Schlösser usw.) beruhen ausschließlich auf dem Verständnis des E. (des E.-Michaelsbildes) als Exorzismus bzw. als Beispiel für die Schutzengeldienste der Engel, die den Teufeln die Macht über die jeweiligen Bauten entreißen.
Bereits im Spät-MA wurde die Verknüpfung von E. und Michaelsbild eingeleitet. Im Verlaufe der Entwicklung nahm das E.-Bild immer mehr den Charakter einer Szene aus der Michaelslegende an. Seit der Frühzeit des 15. Jh. entstanden Darstellungen, die diesem tiefgreifenden Wandel der E.-Vorstellung gültigen Ausdruck verleihen; sie finden sich vornehmlich in der Kunst der Niederlande und Spaniens (bedeutsam angesichts der Tatsache, daß die neue Einschätzung des E. später für die gegenreformatorische Ikonographie grundlegend wurde).
Die Annäherung und schließlich die Durchdringung von E.- und Michaelsbild begünstigten gleichgerichtete Bestrebungen, die sich im 14. Jh. in beiden zunächst voneinander unabhängigen Bildtraditionen geltend zu machen begannen. Sie führten zur dramatischeren E.-Darstellung in Form der Engelschlacht und zur Auflockerung der statuarischen Michaelsbilder des Hoch-MA (in der Art von Sp. 378 Abb. 31) im Sinne szenischer Erzählung des Vorgangs. Der zuvor attributhaft kleine Luzifer zu Füßen Michaels wird immer häufiger ein körperlich dem Engelfürsten ebenbürtiger Gegner („quo fortior est hostis, eo laudabilior est victoria“). Der Kampf beider ist durch Hinzufügung weiterer Bildmotive als Auseinandersetzung zwischen beiden Heerführern kenntlich gemacht worden, etwa dadurch, daß noch weitere Zweikämpfe zwischen Engeln und Teufeln, in Feuerschlünde stürzende Besiegte, Michael assistierende Engelkrieger usw. geschildert sind (außer den Darstellungen des Engelkampfes aus dem Hoch-MA Der Name des Attributs „[Person“ enthält das ungültige Zeichen „[“, das nicht hierfür verwendet werden kann., Roman. Art Taf. 85, 197 u. 207, 408; E. C. Le Grice, Norwich Cath. Bd. 1, Norwich o. J., Abb. S. 28] vgl.: Georges H. de Loo, Heures de Milan, Brüssel u. Paris 1911, Taf. 17; Description of the Great Book of Hours of Henry VIII. Illuminated by Jean Bourdichon of Tours, Privatdruck 1923, Taf. 35; New York, Metrop. Mus., Mittelbild des Triptychons aus der Slg. Foulc, Valencia A. 15. Jh.: Pantheon 2, 1928, Abb. S. 496; Tafelgem. des Alforja-Meisters im Mus. zu Reus: Chandler Rathfon Post, A Hist. of Spanish Painting Bd. 12, 1, Cambridge [Mass.] 1958, Abb. 139). Um den Triumph Michaels zu betonen, ließ man den hl. Erzengel allein gegen mehrere Teufel kämpfen („quo plures hostes, tanto major honor“); in der Wiedergabe der Teufel klingen vielfach E.-Motive an (Den Haag, Mus. Meermanno-Westreenianum ms. 10 E 1, fol. 69 v: A. W. Byvanck u. G. J. Hoogewerff, La miniature hollandaise dans les mss. des 14e, 15e et 16e s., Den Haag 1922, Nr. 41, Taf. 26 C; Granada, Cap. Real, Gem. eines niederländischen Meisters: Enrico Castelli, Il demoniaco nell’arte, Mailand u. Florenz 1952, Abb. 10).
Die wichtigste Folge der Durchdringung von E.- und Michaelsbild war die Aufnahme solcher Darstellungen als Illustration auf den hl. Michael bezüglicher Texte in Stundenbücher, Gebetbücher, Antiphonare, Missale usw. Daß die Bildform dem jeweiligen Verwendungszweck entspricht, ist zwar die Regel, doch gibt es auch eine ganze Reihe Ausnahmen (E.-Bild ohne Kennzeichnung Michaels als Ill. zu Michaelstext: Abb. 16; Brüssel, Bibl.roy. ms. 11 063, Jacques le Grand, Le Livre des bonnes Moeurs, fol. 3: L. M. J. Delaissé, Miniatures médiévales de la Libr. de Bourgogne au Cabinet des Mss. de la Bibl. roy. de Belgique, Genf 1959, S. 163ff., Nr. 31). Die Umdeutung des E.-Themas hatte keinen Einfluß auf die Verwendung von E.-Bildern in Hss. mit allgemein angelologischen Texten (wie François Eximinez, Livre des Anges, 1. H. 15. Jh.: Beschr. Verz. Kk. Berlin S. 145, Abb. 144; Ill. der einschlägigen Textabschnitte des Breviari d’amor von Matfre Ermengaud); sie bedingte hingegen die Zunahme von E.-Darstellungen bei Schilderungen der Engelchöre (hier repräsentiert der E. als Michaelsbild den Chor der Erzengel) sowie auf Altarbildern von Michaelsaltären (s. o.).
3. Am Beginn der Neuzeit wurden in Deutschland zunächst die einheimischen Bildtraditionen des 15. Jh. weitergeführt. Dürers 1509 dat. Federzchg. im B.M. London (W. 468) zeigt die an Körpergröße alle sonstigen Figuren weit übertreffende Gestalt des Weltenrichters in der Mitte einer rundbogigen Lunette; Engel verehren ihn. Der Kampf zwischen getreuen Engeln und in Monstren verwandelten sündigen Engeln hat sich bereits vom Himmel, dessen Grenze eine Wolkenzone angibt, entfernt; bewaffnete Engel vertreiben die Mißgestalten. Auch Schäufeleins E.-Holzschnitt von 1534 (Abb. 17) läßt gegenüber älteren Darstellungen wie dem Holzschnitt des Schatzbehalters (Schramm, Frühdrucke Bd. 17, Abb. 319) und der von ihm abhängigen Abb. 16 eine neuerliche Betonung des Weltenherrschers erkennen, die aber weniger in der Schilderung seiner Mitwirkung beim Strafvollzug an den Engelrebellen als in hoheitsvollunbeteiligtem Thronen besteht. Diese Verselbständigung bereitet ebenso die Aussonderung seiner Gestalt aus dem E.-Bild vor wie das umgekehrte Verfahren, die Diminution.
Als Beispiel für die Diminution sei das 1515–18 vom Meister H. L. geschaffene Relief des Niederrothweiler Hochaltars genannt (RDK III 1023/24, Abb. 8): hier tritt die Engelschlacht eindeutig in den Vordergrund, der zürnende Gottvater erscheint oben als kleinfiguriges Brustbild.
Auf Michael sind die Reliefs auf dem Reisbacher Hochaltar, 1. Dr. 16. Jh. (Phil. Maria Halm, Stud. z. süddt. Plastik Bd. 2, Augsburg, Köln u. Wien 1927, Abb. 145) und von Peter Dell d. Ä. (didaktische Darstellung der christlichen Heilslehre, 1548: RDK I 355/56, Abb. 9) zugeschnitten: beide Male ist der Christ-logos nicht dargestellt; während in Reisbach getreue Engel Michael in seinem Kampf unterstützen, schilderte Dell den Engelfürsten allein als Sieger über eine ganze Schar stürzender Mißgestalten. Seine und des Meisters H. L. monströse Teufelsgestalten werden selbst von denen des älteren Breughel (Abb. 18) an Deformation kaum übertroffen. Die karikierenden Teufelsdarstellungen verlieren sich seit der 2. H. 16. Jh. und der Höllenspuk wird weniger aufdringlich geschildert (im einzelnen s. Luzifer).
Seit der Gegenreformation ist das E.-Michaelsbild die fast ausschließliche Bildform für den E. (Abb. 19, 20, 23–25). E.- Darstellungen in Zusammenhang mit Schilderungen der Weltschöpfung wurden in der Neuzeit immer seltener; sie kommen traditionell – doch durchaus nicht regelmäßig – in der Bibelillustration vor (Abb. 22), gelegentlich auch in naturkundlichen Schriften, etwa als Illustration zu Elias Ashmole, Theatrum Chemicum Britannicum, London 1652, S. 210 (der Kupferstich des William Vaughan zeigt den E. in Verbindung mit den vier Elementen und einer Darstellung des Schöpfers als Lenker des Universums). Die Lockerung des Bezugs zur Schöpfung kommt ikonographisch auch in der weiteren Zunahme von Bildmotiven aus der Apokalypse zum Ausdruck. Luzifer in Drachengestalt abzubilden wurde gebräuchlicher denn je zuvor. Als Neuerungen sind ferner einige Motive zu vermerken, die der Verherrlichung des siegreichen Michael (Engel mit Blumen und Girlanden: Abb. 25) oder der Verdeutlichung des allegorischen Zusammenhanges zwischen getreuen Engeln und kirchlichem Restaurationsprogramm dienen (das Feldzeichen der Engel trägt die Abzeichen der Propaganda fide: Abb. 24). Bisweilen hält Michael Ketten in der Hand, mit denen Luzifer gefesselt ist (nach Apok. 20, 1; Abb. 23).
Die immer mögliche Ausgestaltung des Themas zur vielfigurigen Engelschlacht ist u. a. von Elfenbeinschnitzern zur Anfertigung von Kunstkammerstücken genutzt worden (Abb. 21; Vatikan. Slgn.: Kat. Charles Rufus Morey 1936, S. 104; Dresden, Grünes Gewölbe: Sponsel Bd. 4, S. 112, Taf. 36, mit Hinweisen auf weitere Beispiele). Es kommt selten – und dann zumal bei Schilderungen des E. als Engelschlacht – vor, daß Michaels Anteil an der Vertreibung der Empörer nicht hervorgehoben wird (Abb. 22). Die Häufung der Figuren war in den Niederlanden besonders beliebt und erreichte im Manierismus ein Ausmaß, das selbst die turbulenten E.-Darstellungen der Deckenmalerei im 17. und 18. Jh. (s. u.) nur gelegentlich übertreffen (Relief in Detroit, The Inst. of Arts Inv.Nr. 39664: Ausst. Kat. „De Eeuw der Vlaamse Primitieven“, Brügge 1960, Nr. 99; Abb. 18; Windsor Castle, Inv.Nr. 7786, Zchg. des Dirck Barendsz.: Kat. Leo van Puyvelde Nr. 3). In Deutschland fand diese Art der E.-Schilderung wenig Gegenliebe; man hielt sich lieber an die stärker auf Michael zugeschnittenen Darstellungen der Niederländer (1548 dat. Kupferstich eines Lütticher Monogrammisten: Hollstein, Dutch Fl. Engr. Bd. 13, S. 49; Frans Floris, Gem. von 1554, Antwerpen, Mus. des B.-A.: Dora Zuntz, Fr. Fl. [= Zur Kg. des Auslandes H. 130], Straßburg 1929, Taf. 3). Ohne deren Vorbild ist die den Beginn einer neuen Epoche in der deutschen E.-Ikonographie bezeichnende E.-Darstellung des Christoph Schwarz (Abb. 19) kaum denkbar. Für die A. 17. Jh. gängige Bildform sei das von Nils Brahe als Kriegsbeute aus Würzburg verschleppte Gem. von Matthias Kager genannt (Inv. Schweden, Uppland I, S. 378, Abb. 408).
Rubens E.-Bild von 1622 (Abb. 20) folgt typenmäßig dem Herkömmlichen, gewinnt diesem aber eine neue Unmittelbarkeit der Bilderzählung ab, um die sich in der Folgezeit alle bedeutenderen Künstler bemühten.
Als für ihre Entstehungszeit repräsentative Beispiele seien erwähnt: Joh. Mich. Rottmayr, Gem. in der Schloßkapelle zu Tittmoning, Obb., 1697 (Ausst. Kat. „J. M. R.“, Salzburg 1954, Nr. A 21); C. J. Catione, Hochaltargem. der Passauer Jesuitenkirche, 1714 (Inv. Bayern IV, 3, S. 206); Michelangelo Unterberger, Hochaltargem. der Wiener Michaelerkirche, 1751 (Nachstich: Mitt. d. Ver. der Gesch. der Stadt Wien 1, 1919/20, Taf. 3, 2; das Gem. wurde 1781 durch ein Relief [Abb. 25] ersetzt); Franz Anton Maulbertsch, Ölskizze im Joanneum, Graz, Inv.Nr. 172. Die nach Hunderten zählenden Altargem. des 17. und 18. Jh. halten bei beträchtlichen Qualitätsunterschieden an dem einmal geprägten Typus fest, dessen sich auch die Graphik immer wieder bediente. Als Beispiel für die Variationsbreite innerhalb von lokalen Traditionen sei die Darstellung der Mittenwalder Pilgerhauskapelle genannt, die an das E.-Michaelsbild des südlichen Seitenaltars der Pfarrkirche zu Mittenwald anknüpft.
In der Deckenmalerei wurde, zumal bei kleineren Kirchen, der auf den Altargemälden übliche Typus in größeres Format umgesetzt (Weilheim, Pfarrkirche; Coburg, Schloßkapelle der Ehrenburg; München-Perlach, St. Michael; usw.). Stand für die Darstellung eine größere Fläche zur Verfügung, so ergab sich die Möglichkeit freierer Disposition und vielfiguriger Bilder (Abb. 24). Im 3. V. 18. Jh. begann man, die turbulente Schlachtenszene in eine Reihe von Figurengruppen aufzulösen, die räumlich z. T. weit auseinanderrückten; der Engelkampf spielt sich in der ganzen Weite des Himmels ab (Joh. Andreas Urlaub, Deckenmal. in Gaukönigshofen Krs. Ochsenfurt a. M., 1776: Inv. Bayern III, 1, Taf. 6 Ausschnitt). Häufiger als solches Ausbreiten der Darstellung ist jedoch die – räumlich Beschränkung auferlegende – Zuordnung des E.-Michaelsbildes zu kirchlich-didaktischen Bildprogrammen. In allen diesen Fällen steht der E. als antithetisches Exemplum zu dem, was verherrlicht werden soll.
Der Sturz Luzifers ist der Sieg der Kirche über die Häresie, des Glaubens über den Unglauben (etwa: Joh. Mich. Strichner, Maria als Schützerin des Glaubens, Deckenmal. in der Pfarrkirche Hötting, Tirol; Skizze dazu: Innsbruck, L. M. Ferdinandeum Inv.Nr. 863), usw. Dem Bild himmlischer Herrlichkeit kontrastiert der E.: „die glorie des Menschen, in welcher er per lumen gloriae anschauen wird dieses Höchste geheimnus, als finem ultimum facie ad faciem ... Kan gemahlet werden wie die Heyligste Dreyfaltigkeit in der glorie crönet B: M: V: ringßherum die Chör derer H: H: Englen und ausserwehlten Gottes in der Himmlischen glorie. Eß fliegen von dem Gottesthron Donner-Keyll, welche aus dem gewülk stürzen in dem abgrund den Lucifer in Gestalt eines Drachens“ (nicht ausgeführter Programmentwurf für Gößweinstein: Sinnreiche gedanckhen Ad modum Reverendi Patris Deinhard S.J. dahir über die Gössweinsteiner Kirchen Dekmahlerey, 1734).
Bei derartigen Darstellungen ist der Erfindung großer Spielraum gelassen, vor allem in der Beigabe von Attributen, die das jeweils Gemeinte näher erläutern. Joh. Ev. Holzers Fidesdarstellung im L.M. Ferdinandeum zu Innsbruck, Inv.Nr. 219, ist ein interessantes Beispiel für die Erfindung von Attributen, die auf der Interpretation des Namens Luzifer beruht: als lucifer = Lichtbringer hat ein Teufel eine Fackel (vgl. auch die Kerzenständer in Gestalt eines Teufels in St. Mang zu Füssen, 1724, von Joh. Seitz: Ausst.Kat. „Bayer. Frömmigkeit“, München 1960, Nr. 555/56), als Morgenstern = Planet Venus ist ihm der Pfau, das Symboltier der Venus, beigegeben. Gruppen stürzender Engelrebellen gehörten im 18. Jh. zu dem Repertoire von Bildformeln und waren vielseitig im Dienste der Allegorie verwendbar. Das Interesse an der Bedeutung des E.-Motivs überlagerte dasjenige an dem E.-Geschehen, das am unmittelbarsten noch in den Darstellungen des Höllensturzes von Verdammten – d. h. außerhalb der E.-Thematik – zum Ausdruck kommt.
Die Vermischung von E. und dem Höllensturz Verdammter ist in der barocken Deckenmalerei Roms bereits vollzogen worden (Herm. Voss, Die Mal. des Barock in Rom, Bln. 1925, S. 529, 557, 587f.).
Die Folge der häufigen und vieldeutigen Verwendung des E.-Motivs und des allegorisch verstandenen E.-Michaelsbildes war die inhaltliche Verflüchtigung. Schinkel beabsichtigte, im Hauptportaltympanon seines Deutschen Doms „das allgemeine Emblem: den Sieg des guten Prinzips – den Erzengel Michael im Kampfe“ darzustellen (Schinkelwerk Bd. 4, S. 199). Hier wie allenthalben seit dem letzten Jahrzehnt des 18. Jh. löst das knapp erzählte E.-Michaelsbild die vielfigurigen Schilderungen ab. Das 19. Jh. hat das E.-Bild nur noch als Allegorie, als Szene der Michaelslegende oder als Beispiel für das Wirken von Schutzengeln gelten lassen. Die Darstellung stürzender Teufel, auf die sich die künstlerische Phantasie jahrhundertelang konzentriert hatte, wurde auf einen für das Bildverständnis unbedingt erforderlichen Umfang reduziert. Den ziemlich farblosen E.-Michaelsbildern des spätesten 18. Jh. und des 19. Jh. steht eine Reihe von Illustrationen zu poetischen Bearbeitungen des E.-Themas gegenüber (Blake, Füßli), in denen, von theologischen Erwägungen und kirchlichen Traditionen unbeeinflußt, die künstlerischen Möglichkeiten des E.-Themas eindrucksvoll genutzt sind.
Zu den Abbildungen
1. Oxford, Bodl.Libr. ms. Junius 11, sog. Caedmon-Ms., S. 3, Empörung Luzifers und Engelsturz. England, um 1000. Fot. Oxford University.
2. Tournai, Priesterseminar, Ms. 1, Bibel aus Lobbes, fol. 6, Initiale I(n principio creavit deus; 1. Mos. 1, 1f.). Flandern, 1084 dat. Fot. Jules Messiaen, Tournai.
3. Monte S. Angelo (Apulien), S. Michele, Michael läßt die Engelrebellen stürzen. Erstes Feld vom 1. Türflügel der Bronzetür. Konstantinopel, 1076. Fot. Marburg 142 146.
4. München, St.B. Clm. 14 399, Hexaëmeron des hl. Ambrosius, fol. 1 v, Darstellung des ersten Schöpfungstages. Regensburg-Prüfening, 3. V. 12. Jh. Nach [6], Taf. 18 Abb. 22.
5. Hortus deliciarum, fol. 3 v (untere Hälfte), Engelsturz. Für die Inschriften vgl. Straub-Keller S. 3f. Oberrhein, Ende 12. Jh. Nach ebd. Taf. 2.
6. München, St.B. Clm. 935, sog. Gebetbuch der hl. Hildegard von Bingen, fol. 1 v, Darstellung des Sechstagewerkes. Mittelrhein, spätes 12. Jh. Fot. Bibl.
7. Fidenza, Kath., Engelsturz. Relief im Msch. Inschrift auf Christi Spruchband: „feci ivdicivm et ivsticiam“ (Ps. 119 [118], 121). Benedetto Antelami (Werkstatt), nach 1207. Fot. Marburg 1409.
8. Stuttgart, L.B. cod. hist. fol. 415, Chorbuch für die Prim, fol. 17, enzyklopädische Darstellung der Weltschöpfung. Für die Inschriften vgl. Abb.-Vorlage. Zwiefalten, zw. 1138 u. 1147. Nach Anton Chroust, Monumenta palaeographica. Dkm. der Schreibk. des MA, III. Serie, Lfg. 2, Bln. u. Lpz. 1927–31, Taf. 9 a.
9. Ehem. London, jetzt Cambridge, Fitzwilliam Mus., Psalterill., Christ-logos, Scharen getreuer Engel (= Himmel), Engelsturz (= Hölle) sowie Tugenden und Laster. England, W. de Brailes, um 1240. Nach Eric George Millar, The Libr. of A. Chester Beatty. A Descriptive Cat. of the Western Mss. Bd. 1, Oxford 1927, Taf. 89 a.
10. Freiburg i. Br., Münster, Christ-logos zwischen getreuem Engel (Michael) und Luzifer. Tympanonrelief des n. Chorportals. Oberrhein, zw. 1354 u. 1382. Nach Otto Schmitt, Got. Skulpturen des Freiburger Münsters, Ffm. 1926, Taf. 213 a.
11. Meister Bertram, Darstellung des ersten Schöpfungstages. Gem. a. Holz, 86 × 56 cm. Innenseite des 1. äußeren Flügels des Hauptaltars von St. Petri in Hamburg (Grabower Altar). Hamburg, K.halle Inv.Nr. 500 e, 1. 1379 dat. Fot. Mus.
12. München, St.B. Cgm. 4, Christherrechronik, fol. 7v, Engelsturz. Süddt., Ende 14. Jh. Fot. Bibl.
13. Brüssel, Bibl. roy. ms. 9001, fol. 19, Beginn der Schöpfung. Paris, um 1410. Fot. Bibl.
14. Ulm, Münster, Bessererkapelle, Engelsturz. Glasgem., 67 × 38,5 cm. Schwaben (Lukas Moser?), 2. V. 15. Jh. Fot. Dt. Ver. f. Kw., Bln.
15. New York, Morgan Libr. ms. 734, fol. 3, Darstellung des Engelsturzes als Illustration zu Jes. 14. Frankreich, Anf. 15. Jh. Fot. Bibl.
16. München, St.B. Clm. 23 042, Graduale, fol. 86, Engelsturz, Initiale B(enedicite dominum omnes angeli eius), Introitus zum Fest „In dedicatione s. Michaelis archangeli“. Nach einem Holzschnitt („3. Figur“) im Schatzbehalter, Nürnberg 1491 (Schramm, Frühdrucke Bd. 17, Abb. 319). Aus dem Münchner Klarissenkloster. Süddt., um 1494. Fot. Bibl.
17. Hans Leonhard Schäufelein, Engelsturz. Holzschnitt, 14,1 × 15,2 cm. München, St. Gr. Slg., Inv.Nr. 215629. Aus „Der Teutsch Cicero“, Augsburg (H. Steiner) 1534. Fot. Slg.
18. Pieter Breughel d. Ä., Engelsturz. Gem. a. Holz, 1,17 × 1,62 m. Brüssel, Mus. roy. des B.-A. Dat. 1562. Fot. A. C. L. Brüssel, Nr. 5992.
19. Christoph Schwarz, Engelsturz. Gem. a. Lwd. Hochaltarbild der Münchner Michaelskirche. 1586–90. Fot. Bayer. L.A. f. Dpfl, Mchn.
20. Peter Paul Rubens, Engelsturz. Gem. a. Lwd., 4,48 × 2,91 m. München, A. Pin., Inv.Nr. 3890. 1622. Fot. Mus.
21. Jakob Auer, Engelsturz. Elfenbeinrelief, 24,6 cm h. München, B.N.M., Inv.Nr. R 4518. Sign. u. 1696 dat. Fot. Mus.
22. Romeyn de Hooghe (Entw.) und Lorenz Scherni (Ausf.), Engelsturz. Kupferstich, 15 × 19,5 cm. Ill. aus Jacobus Basnage, ’T groot waerelds tafereel usw. De Historien van het Oude en Nieuwe Testament, Amsterdam 1707, fol. 1. Fot. Walter Glock, Mchn.
23. Gottfried Eichler (Entw.) und Jos. Wachsmuth (Ausf.), Personifikation der Superbia. Kupferstich, 19,5 × 12,2 cm. Aus J. G. Hertel, Des berühmten Italiänischen Ritters, Caesaris Ripae, ... Sinnbilder und Gedancken, usw., Augsburg o. J. (um 1760), Kupfer 126. Nach dem Original.
24. Jos. Fürstenprey (?), Engelsturz. Deckengem. im Msch. der (damaligen Benediktinerpropstei-)Kirche St. Michael in Paring (Ndb.). Dat. 1765. Fot. W. Glock, Mchn.
25. Karl Gg. Merville (nach Entw. von J. B. d’Avrange), Engelsturz. Stuck. Wien, Michaelerkirche. 1781. Fot. Lichtbildstelle Alpenland, Wien.
Literatur
Theologie: 1. Dict. de théologie catholique Bd. 1–15, Paris 1903–1946. – 2. Joh. Michl, Art. „Engel“, RAC Bd. 5, Sp. 53ff., bes. Sp. 80–82 und 188–94.
Kunstgeschichte: 3. Frdr. Wiegand, Der Erzengel Michael in der bild. K., Stg. 1886. – 4. Michel Engels, Die Darstellung der Gestalten Gottes des Vaters, der getreuen und der gefallenen Engel in der Malerei, Luxemburg 1894. – 5. Laborde, Bible moralisée. – 6. Boeckler, Regensburg S. 30f. – 7. Molsdorf. – 8. Künstle I, S. 257–59. – 9. Breitenbach, Spec. S. 83–86. – 10. Edgar Lehmann, Ein didaktischer Bilderzyklus des späten MA an der St. Nikolai-Kirche zu Jena-Lichtenhain (= Stud. z. dt. Kg. Heft 289), Straßburg 1932. – 11. Knipping. – 12. Otto Kletzl, Kampf gegen Teufel und Tod im Spiegel altdt. K. (= Reichsuniversität Posen, Vorträge und Aufsätze H. 3), Posen 1943. – 13. Timmers. – 14. Réau II, 1, S. 56f. – 15. Princeton Index, Kopie der Bibl. Vat., Rom.
Im übrigen s. Lit. zu Engel (Sp. 553–55); Dämonen (RDK III 1027).
Verweise
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