Aristoteles
englisch: Aristotle; französisch: Aristote; italienisch: Aristotele.
Wolfgang Stammler (1936)
RDK I, 1027–1040
1. A. im Mittelalter
Der große griechische Philosoph (384-322) war im Mittelalter wohlbekannt. In der Überlieferung hielt sich sein Name, ehrfürchtig bestaunt als der des größten Weisen; man las manche seiner logischen Schriften in lateinischen (Boëthius) und deutschen (Notker) Übertragungen. Im 12. Jh. beginnt der Haupteinfluß seiner Philosophie auf die Scholastik im Abendland durch Übersetzung neu entdeckter Schriften in das Lateinische. Albertus Magnus und Thomas von Aquino kommentieren ihn, und sein Ansehen ist unbestritten. Naturwissenschaftliche Werke, darunter manche unechte, wurden seit etwa 1250 in den christlichen Schulen Europas gelesen. Als Lehrer Alexanders des Großen (Sp. 332ff.) stand er im Rufe tiefer pädagogischer Erfahrung, als Vertreter der Dialektik feiern ihn höfische Dichtungen („Welscher Gast“ des Thomasin von Circlaria, V. 8941ff.) [1-3].
2. A. im Kreis der sieben Weisen und als Repräsentant der freien Künste
Bildlich erscheint A. vielfach im Kreise der sieben *Weisen des Altertums [15], so auf dem Gipsfußboden im Mittelschiff von St. Ludgeri zu Helmstedt (um 1150, Inv. Braunschweig I S. 26), auf einem hölzernen Offertorium im Halberstädter Domschatz (Hermes, Der Dom zu Halberstadt, 1896, S. 94f.), auf dem Steinfußboden der Kathedrale zu Siena (14. Jh.). Zweifellos befand sich seine Gestalt auch auf dem zerschnittenen romanischen Wandteppich in Halberstadt, der heute nur noch Cato und Seneca zeigt (Hermes, a. a. O., S. 108ff.). Unter den Vertretern der sieben freien Künste repräsentiert er meistens die Dialektik [14. 15J, so am Westportal der Kathedrale von Chartres, im Bibliotheksraum des Kapitels von Le-Puy (E. Jacobs, Milkau-Festschrift 1921, S. 179); auf den Holzschnitten in Gregor Reisch’s „Margarita philosophica“ (Straßburg 1504) vertritt A. die Naturwissenschaften und die Logik (Reicke, Der Gelehrte in der deutschen Vergangenheit, 1900, Abb. 41-43). Eigentümlich zusammengefaßt ist die Darstellung an der Kathedrale zu Clermont-Ferrand (13. Jh.): Bekränzt sitzen A., Cicero und Pythagoras auf einem Katheder und halten die Kennzeichen der sieben freien Künste in ihren Händen. Als naturwissenschaftlichen Lehrer mit seinen Schülern und als „philosophorum princeps“ zeigt ihn der Holzschnitt eines Augsburger Meisters um 1480 (Reicke, a. a. O., Abb. 38). In diesen Rollen erscheint er auch in Wand- und Handschriftenmalereien: als Lehrer (München cgm. 48; Brüssel, Bibl. Roy. ms. 29202); als Schriftsteller (Brüssel, Bibl. Roy. mss. 2903 u. 10367); als Vertreter der Dialektik (Fresko an der Westwand der Spanischen Kapelle im Kreuzgang von St. Maria Novella zu Florenz; München clm. 17405) und der Astrologie (Brüssel, Bibl. Roy. ms. 10319). Auch als Ethiker tritt er auf; ein Fenster im Straßburger Münster zeigt ihn mit Ezechiel neben den Tugenden und Ladern (Bruck, Elsässische Glasmalereien Taf. 4), und auf einem deutschen Einblattdruck des 15. Jh. rahmt er mit Moses und Kirchenlehrern die Allegorie des „amor carnalis“ ein, um vor der fleischlichen Liebe zu warnen (Sp. 644f.).
3. A. und Phyllis in der abendländischen Literatur
Aristoteles und Phyllis (franz. Le Lai d’Aristote). In Indien taucht zuerst die moralische Erzählung auf von dem Minister, der seinen König vor der zu großen Liebe zur Gemahlin warnte, dann selbst, ihren Lockungen willfahrend, sich von ihr als Reittier gebrauchen ließ und dem Gespött preisgegeben wurde. Schon dort wurde diese Geschichte als Beispiel für die Macht des Weibes verwertet. Von Indien wanderte sie weiter zu den Arabern und wurde durch diese dem Abendlande zugeleitet [3–8]. Hier erst erfolgte die Übertragung auf Aristoteles, da man einen berühmten Weisen brauchte, um die moralische Tendenz besonders scharf ausdrücken und ihn den Beispielen des Alten Testaments an die Seite stellen zu können. Auch der große Philosoph wird durch die sinnliche Begier nach dem Besitz einer Frau gezwungen, sein menschliches Wesen zu verleugnen und die eigenen guten Lehren in den Wind zu schlagen. Denn nun wird die Geschichte so erzählt, daß A. leinen Zögling, den König Alexander, vor der allzu heftigen Liebe zur Königin warnt; diese, traurig über die Vernachlässigung durch Alexander, bekommt Wind von dem Urheber und rächt sich an ihm auf die gedachte Weise. An die Stelle der Königin tritt bald eine Geliebte, da für das Mittelalter der „amor conjugalis“ als durchaus rechtsgemäß, ja pflichtgemäß erschien; die Geliebte hingegen verkörpert eindeutig den „amor carnalis“, der verworfen werden soll. Zur Übertragung auf A. haben wohl noch zwei Umstände beigetragen: In der großen Alexandersage schickt die indische Königin ein Mädchen als Geschenk zu Alexander, das ihn durch ihre Berührung vergiften soll; A. warnt Alexander vor dem Verkehr mit dem Mädchen und rettet ihm dadurch das Leben [2]. Ferner gab es im 13. Jh. eine dem A. zugeschriebene Schrift „Secretum secretorum“, in der ganz allgemein A. den jungen Alexander von dem „coitus mulieris“ als einer „proprietas porcorum“ abmahnt [13]. Da die Geschichte von A. und Phyllis in den älteren Alexanderromanen nirgends vorkommt, muß sie erst im Abendland auf A. übertragen worden sein.
In Westeuropa ist die Erzählung zunächst als wirkungsvolles Predigtmärlein verbreitet worden; Jakob von Vitry († 1240) hat sie zuerst in seine „Sermones feriales et communes“ aufgenommen [9]; sie steht später auch in so verbreiteten Exempelsammlungen wie in der „Scala celi“ des französischen Dominikaners Johannes Gobii iunior († 1326, Löwen 1485, Bl. i 2 a α–β; ohne Nennung des Namens Aristoteles!) oder im „Promptuarium“ des Westfalen Johannes Herolt (1418; Ausgabe der „Sermones Discipuli“ Basel, 1482 bei Amerbach, Bl. 65 b ß–66 a α). Aber schon um 1300 tauchen in der deutschen Dichtung Anspielungen auf diese Erzählung auf bei Heinrich Frauenlob, bei Hugo von Langenstein, im „Reinfrid von Braunschweig“, und im 14. und 15. Jh. setzt sich das fort (Hugo von Montfort, Oswald von Wolkenstein, Heinrich der Teichner, Liederbuch der Klara Hätzlerin, „Narrenschiff“ des Sebastian Brant). In Frankreich dichtete der Trouvère Henry d’Andely in der 1. H. des 14. Jh. ein „Lai d’Aristote“ [4. 10]; unabhängig von ihm brachte etwa 50 Jahre später ein ungenannter Alemanne den Stoff in deutsche Verse und entlehnte für das betörende Mädchen den Namen Phyllis aus Gottfrieds von Straßburg „Tristan“ (V. 17193), während sie sonst Silarin, Perrones, Candacis oder Campaspe heißt [11]. Fast zu gleicher Zeit nahm der Sudetendeutsche Ulrich von Eschenbach die Geschichte in sein Epos „Alexandreis“ auf; in deutschen Fastnachtspielen des 15. und 16. Jh. (bis zu Vigil Raber in Bozen und Hans Sachs in Nürnberg) wird A. als beschämter Weibersklave dem Gelächter des bürgerlichen Publikums preisgegeben [12]. Noch 1801 beschreibt ein französisches Buch „Le petit savant de société“ ein Pariser Pfänderspiel „Le cheval d’Aristote“, wobei ein Herr auf allen Vieren durch den Saal kriechen und dabei eine Dame auf seinem Rücken tragen muß.
4. A. und Phyllis in der abendländischen Kunst
Diese Auseinandersetzung über die literarische Verbreitung war notwendig, um die starke Beliebtheit des Motivs in der bildenden Kunst zu erklären [14-16]. Vielfach wurde die Darstellung von A. und Phyllis mit anderen vereinigt, die im Sinne des Mittelalters ebenso die alle Stärke und Weisheit bezwingende Macht der Frau versinnbildlichen, also die Paare Adam und Eva, Simson und Dalila, David und Bathseba, Salomon und die Heidenkönigin, Judith und Holofernes, Virgil und die Kaiserstochter (vgl. auch den Artikel Weibermacht), Uns beschäftigen hier lediglich die Einzeldarstellungen von A. und Phyllis.
a) Frankreich
Am frühesten können wir bildliche Darstellungen in Frankreich konstatieren und zwar an und in Kirchen [16, 337]. Dies mag vielleicht bei solchem Motiv verwunderlich erscheinen; Warnung wurde jedoch damit bezweckt. Die schädlichen Folgen der sündigen, sinnlichen Liebe sollten damit gekennzeichnet werden. Quelle war zweifellos die Verwendung der Geschichte in den Predigten, weniger das altfranzösische Lai. Anfang des 14. Jh. erscheint der gerittene A. gleich zweimal im Relief an der Fassade der Kathedrale zu Lyon [16 Abb. 158; 17 Abb. 509]. Ganz deutlich offenbart sich der paränetische Zweck an einem Pfeilerkapitell des Mittelschiffes von St. Pierre in Caen, wo der Minneheld Lanzelot das Gegenstück als Vertreter der irdischen Liebe bildet (Wright, Essays on archaeological subjects, 2, 107; Gasté, Un chapiteau de l’église St. Pierre de Caen, 1887; [17 Abb. 510]); ferner sei hingewiesen auf das Steinrelief am Portal de la Calende der Kathedrale zu Rouen, das noch aus dem späten 13. Jh. stammt (Héron, Une représentation figurée du lai d’Aristote, 1891; Revue de l’art chrétienne 1913, S. 281), auf einem Pfeiler der Kapelle im Schloß Gaillon (Revue générale de l’archit. et des trav. publ. 1, 396); einen Schlußstein im Kreuzgang zu Cadouin [6, Abb. S. 182], ein Relief am Schloßturm zu Amboise [6, S. 187]; auch das Relief im Museum zu Toulouse stammt aus einer Kirche (ebd.). Schon früh fand das Motiv auch Verwendung auf Elfenbeinarbeiten für Kästchen (Brit. Mus.; vgl. Burlington Mag. 5, 1904, S. 301, Köln, St. Ursula [17 Abb. 511], Florenz, Mus. Naz. [17 Abb. 512], ein jetzt verlorenes bei Montfaucon, L’antiquité expliquée 3, Taf. 194), für Kämme (ehem. Slg. Figdor, Wien [17]) oder für Messergriffe (London, Victoria-and-Albert-Museum; R. Köchlin Nr. 1138, Taf. 190). Vor allem aber war es sehr beliebt an den Miserikordien und Wangen von Chorgestühlen: Lausanne (Ann. archéol. 16 p. 56), Amiens (Jourdain et Duval, Stalles de la cathédrale d’Amiens, Taf. 10), Montbénoit (Doubs), Ile d’Adam (Seine et Oise), Issoudun (Rev. de l’art chrét. 1902, 327), Rouen (Langlois, Stalles de la cathédrale de Rouen); Beauvais (jetzt im Musée de Cluny zu Paris). Schließlich sei noch einer merkwürdigen Rokokodarstellung auf einem Wirkteppich aus Beauvais (um 1795) gedacht: A. kriecht nicht wie sonst, Phyllis auf dem Rücken tragend, auf allen Vieren, sondern er zieht einen Wagen, in dem die Schöne sitzt; dahinter steht Alexander und hebt erstaunt die Hände (H. Göbel, Bildteppiche II, 2, Taf. 249).
b) Deutschland
Nur wenig später lassen sich auch in Deutschland bildliche Wiedergaben des Motivs feststellen. Ebenso wie in Frankreich ist es im 14. Jh. zuerst eine Kirche, wo wir es als Wandgemälde finden, in Reichenau-Mittelzell (C. Beyerle, Kultur der Abtei Reichenau 2, 1925, S. 934; Jos. Sauer, Freiburger Diözesan-Archiv N. F. 14, 1913, S. 295). Ein Bronzerelief in französischem Privatbesitz (Bull. de la Soc. pour la conservation des mon. hist. d’Alsace 1876) stammt angeblich von den 1343 gegossenen, in der Französischen Revolution eingeschmolzenen Türflügeln des mittleren Westportals am Straßburger Münster; schließlich auch noch am Presbyterium der Marienkirche zu Krakau. Schon früh wird die Szene wie in der Dichtung so auch in der Bildkunst Deutschlands volkstümlich, und sie kehrt gerade an bürgerlichen Bauwerken und Gebrauchsgegenständen oft wieder. Zweifellos hat neben den Predigtexempeln und literarischen Anspielungen das mhd. Gedicht zu solcher Verbreitung beigetragen. Um 1360 erscheinen A. und Phyllis in einem Dreipaß an der Westwand des Hansasaales im Kölner Rathaus (Clemen, Got. Mon.-Malerei Taf. 58, Text S. 250ff.), zu gleicher Zeit auf dem Regensburger Medaillonteppich mit der Umschrift: „hie . reit . ein . tumes . weip . eines . weisen . mannes . leip.“ (v. d. Leyen u. Spamer, Die altdeutschen Wandteppiche im Regensburger Rathause, 1910, Abb. S. 5, Text S. 9), weiterhin in einem Wandgemälde des 14. Jh. im Haus Münsterplatz 5 (Leinweberhaus) zu Konstanz (nicht mehr erhalten, Inv. Baden 1, S. 291), auf einem Portalkämpfer im Rathaus zu Lübeck, in darker Abwandlung des üblichen Kompositionsschemas in einer Fensterarchivolte des Rathauses zu Frankfurt a. O. (jetzt Mus., Abb. 8), schließlich auch an einem Bürgerhaus des 16. Jh. in Zerbst (Inv. Anhalt S. 462). Um 1400 ist das Motiv auf einem elsässischen Minnekästchen in Sigmaringen verwendet [19 S. 84 Nr. 56], zur gleichen Zeit dient es als Vorwurf für Gießgefäße: in Brüssel (Mus. Roy., v. Falke-Meyer, Bronzegeräte I Abb. 548) und in der Slg. Ph. Lehmann, New York (Abb. 2). Auch an deutschen und niederländischen Chorgestühlen findet sich das dankbare Motiv: im Magdeburger Dom, in den Pfarrkirchen zu Straelen (Inv. Rheinprov. I, 2, S. 7), Hoogstraeten (Rev. de l’art chrét. 1910, 180), Dordrecht, Aerschot (Maeterlinck, Le genre satyrique dans la sculpture), Boos (ebd.), schließlich auch am Ratsgestühl im Rathaus zu Reval (Berühmte Kunststätten 42, S. 135). Ein Relief vom sog. Meister von Ottobeuren befindet sich jetzt im Bayr. Nat.-Mus. zu München [17 Abb. 519]; eine Reliquienbüchse von ca. 1500 mit zwei Emails an der Leibung (A. und Phyllis, Lot und seine Töchter – also wieder die fleischliche Liebe!) ist abgebildet im Hallischen Heiltumsbuch (Halm u. Berliner Taf. 162); eine Halleiner Kachel um 1500 befand sich in der Slg. Figdor, Wien (Walcher v. Moltheim, K. u. K.-Handwerk 12, 1909, Abb. 231).
Fast unübersehbar ist die Menge der Zeichnungen, Holzschnitte und Kupferstiche deutscher Meister aus dem 15. und 16. Jh. Zeichnungen gibt es u. a. von einem Augsburger Meister von 1477 im Kk. Berlin (Abb. 3); von H. L. Schäufelein, ebd. (Kat. Bock Taf. 108); von Hans Baldung aus dem Jahr 1503 im Louvre (Archives Alsaciennes 3, 1924, S. 19), von Urs Graf, 1521, in Dessau (Abb. 6); von einem Augsburger Anonymus in Schweizer Privatbesitz (Anz. f. schweiz. Altertumskunde N. F. 3, 60). – Holzschnitte: Hans Burgkmair (B. 73, in der Folge der Weibermacht, zusammen mit Simson und Delila, David und Bathseba, Salomos Götzendienst [18 Abb. 469; 17 Abb. 518]), Hans Baldung, 1513 (B. 48, Abb. 5), H. Holbein d. J. (P. 128), Peter Flötner (Bange, 1926, Taf. 4), Lukas v. Leyden [18 Abb. 467; 17 Abb. 520], Urs Graf, 1519 (P. 7). Kupferstiche: Hausbuchmeister (L. 54, Abb. 4), Melchior Lorch, Meister P W und nach ihm Wenzel von Olmütz (Lehrs Nr. 65), Martin Zasinger (B. 18), Georg Pencz (B. 97), Hans Brosamer (B. 18; [18 Abb. 496]), Virgil Solis (B. 266).
Die erwähnte Dessauer Zeichnung des Urs Graf diente einer Glasscheibe von 1521 im Schweizerischen Landesmus. Zürich als Vorlage (Lüthi, 1928, Abb. 75). Vermutlich ist auch das Berliner Blatt (Abb. 3) ein Scheibenriß. Im Schloßmuseum Stuttgart ist eine Wappenscheibe von 1486; sie enthält außer der A.- und Phyllisdarstellung Simson und Delila, Virgil im Korb und einen flötespielenden Narren mit der Beischrift: „Die dunt all mir gelich, und sind doch vernunftig, staryck und rich“; ein um 1520 vermutlich in Antwerpen entstandenes Glasgemälde im Germ. Nat.-Mus. Nürnberg (Kat. 18982 Nr. 161). – Der 1. H. 14. Jh. gehören zwei Teppiche aus Kloster Adelhausen im Mus. zu Freiburg i. Br. an (W. Stammler, Rep. f. Kw. 51, 1930, S. 142; Abb. 1). Das Histor. Mus. in Basel besitzt ein oberrheinisches Rücklaken aus der Zeit um 1470-80, das neben anderen Szenen der Weiberlist auch die Darstellung von A. und Phyllis enthält (Betty Kurth, Bildteppiche I S. 222); die Beischriften lauten für A.: „mich . über . kam . ein . reine . meit . dz . si . mich . als . eī . pfert . reit.“, für Phyllis: „wer . schoen . wibē . pflegē . wil . der . mūs . in . gestaten . vil.“ Ein gesticktes Leinentuch von 1558 im Germ. Nat.-Mus. Nürnberg, eine eiserne Ofenplatte des 16. Jh. (Kippenberger, Deutsche Meister des Eisengusses, Marburg 1931), ein tiroler Raitpfennig Maximilians I., jetzt im Staatl. Münzkabinett Berlin (Berliner Museen 51, 84f.) und ein Wiener Brettstein von Hans Kels (Schlosser, Kleinplastik 2, Taf. XIV, 2) zeigen die gleiche Szene. Ein Entwurf Hans Bocksbergers d. J. vom Jahr 1564 sieht sie für die Regensburger Rathausfassade vor (Max Goering, Münch. Jb. N. F. 7, 1930, S. 231); ein Gemälde von B. Spranger hat Joh. Sadeler I. gestochen (Thieme-Becker 29, S. 301). Die letzte nachweisbare Darstellung des Themas, von der Hand des Niederländers Paulus Moreelse aus dem Jahre 1618, findet sich in einem Stammbuch des Berliner Kk. (Jb. d. pr. K.slg. 57, 1936, S. 102).
In den nordischen Ländern kommt die Darstellung selten vor. Sie war einst gemalt in der alten Kirche zu Bunkeflo bei Malmö in Schweden (Aarb. f. nord. oldkyndighet og hist. 1913, 1f., 21ff.) und hat sich erhalten in der Herstedvesterkirche zu Ballerup in Dänemark (M. Petersen, Beskrivelser og afbildninger af kalkmalerier i danske kirker, Taf. XXXVIII, 4; S. 89); als kleines Metallrelief ist sie auf der Tumba Christophs II. in Sorö angebracht [6 Abb. S. 187]. – In England scheint sie sich nur an Miserikordien in Exeter und Chichester zu finden (Bond, Wood carvings 1, 82; M. D. Anderson, The medieval carver, Cambridge 1935, S. 103).
d) Italien
In Italien erscheint die Darstellung von A. und Phyllis schon im 14. Jh. auf Wandmalereien, so in Treviso, jetzt im dortigen Museum (Atti del R. Ist. Veneto di Scienze, Lettere e Arti 62, 1902-03, 267), im Bischofshof von Colle di Val d’Elsa (Hinweis H. Wentzel) und im Stadthaus von San Gimignano [17 S. 494]; natürlich ließen sich die Cassoni-Maler das dankbare Thema nicht entgehen (Schubring, Cassoni Nr. 53, 54, 198, 201, 202, 778); häufig erscheint es hier als Begleitmotiv zum Triumphwagen der Liebe. Lionardo da Vinci schuf eine Zeichnung (jetzt in der Kunsthalle zu Hamburg [17 Abb. 513]), Florentiner Stecher verwerteten das Motiv [17 Abb. 514] ebenso wie ein italienischer Bronzebildner des 16. Jh. (im Louvre zu Paris [17 Abb. 515]); noch Ende des 16. Jh. ließ sich der Besitzer des alten Palazzo Vitelli in Città di Castello (Umbrien) sein Treppenhaus damit dekorieren [17 S. 494].
e) Ikonographische Einzelheiten der deutschen Darstellungen
In den älteren Darstellungen fehlt fast niemals Alexander als Zuschauer, häufig begleitet von einem Jüngling, mit dem er sich über das beobachtete Schauspiel unterhält (Ausnahme Abb. 1). Der Augsburger Meister von 1477 (Abb. 3) vermehrt die übliche Komposition um die Königin, eine Magd und ein Liebespaar. Im 16. Jh. beschränkt man sich entweder ganz auf die beiden Hauptpersonen (Burgkmair, Meister von Ottobeuren, L. v. Leyden) oder bringt die Nebenfiguren nur ganz klein im Hintergrund, etwa auf einem Altan, unter (Baldung, Zasinger, Brosamer). – Auf dem Relief des Meisters von Ottobeuren erscheint A. als Jüngling in modischer Tracht; häufiger ist er als reifer Mann (bartlos bei Burgkmair und L. v. Leyden), in der Regel aber als Greis mit langem Bart dargestellt. Oft trägt A. einen langen Talar, bei L. v. Leyden einen Turban; Burgkmair steckt ihn in das Gewand eines Bauern.
Phyllis wird seit dem 15. Jh. in modischer Kleidung dargestellt, gelegentlich phantastisch aufgeputzt (Zasinger) und geradezu als Dirne charakterisiert (Urs Graf, Moreelse). Ganz aus der Reihe fällt Baldung, der beide Figuren völlig entkleidet (Abb. 5). Nur ausnahmsweise trägt die Frau eine Krone und wird dadurch als Königin kenntlich (Freiburg, Abb. 1). Da im lateinischen Predigtexempel die listige Heldin durch die Gemahlin Alexanders verkörpert wird, in den volkssprachlichen Versgestaltungen aber durch die Geliebte, ist möglicherweise späterhin die dichterische Fassung in die Predigt übergegangen und hat von da aus die bildliche Wiedergabe beeinflußt, oder sie hat unmittelbar, ohne Vermittlung der Predigt, diese gewandelte Darstellung hervorgerufen. Nur die ältesten Darstellungen (Lyon, Caen) zeigen Phyllis im Herrensitz. Schon im Lauf des 14. Jh. (St. Ursula, Köln) wird aber der Damensitz ein für alle Mal üblich; eine Ausnahme macht der Meister von Ottobeuren, der auch in anderer Hinsicht die Szene willkürlich umbildet (jugendlicher A., kein Zaum, Phyllis faßt ihn am Schopf; dies Motiv auch bei einem Gießgefäß, Abb. 2). Ganz ungewöhnlich und wohl durch die Ungunst des Bildfeldes (Archivolte) bedingt ist die Komposition in Frankfurt a. O. (Abb. 8), wo A. die Frau auf den Schultern trägt; trotzdem ist diese Darstellung wohl mit großer Wahrscheinlichkeit als A. und Phyllis zu deuten.
5. Umbildungen des A.- und Phyllismotivs
Wie die Geschichte von A. und Phyllis in einem französischen Prosaroman des 14. Jh. auf die bürgerliche Gegenwart übertragen [10 S. 148f.] und bei dem italienischen Novellisten Morlini obszön ausgeschlachtet wird (Novellae, Paris 1855, S. 158ff., Nr. 81), finden wir das Motiv der als Beherrscherin auf dem Manne reitenden Frau auch bildlich anders gelöst. Unter den Malereien der Chorschranken des Kölner Doms von ca. 1320 befindet sich eine Szene, wo eine Frau mit Henkelkorb und Geldbeutel auf einem häßlichen Mischwesen mit Männerkopf und Pferdefuß sitzt (Wallraf-Richartz-Jb. 1, 1924, S. 45), und eine ähnliche Darstellung ist gleich zweimal an einer Gestühlswange M. 14. Jh. der Katharinenkirche zu Lübeck angebracht (Inv. Lübeck 4 S. 109). Selbst Frau Minne thront auf dem Rücken eines auf allen Vieren kriechenden bärtigen Mannes auf einem elsässischen Minnekästchen um 1400 (Abb. 7; [19 Taf. 40, Nr. 54]). Und in einer französischen Handschrift von 1486 (München, Staatsbibliothek, cod. gall. 9) treibt eine Bürgersfrau mit erhobener Peitsche einen Mönch vorwärts, auf dem sie im Damenreitsitz sich hält. Das Chorgestühl von Walcourt in Vlandern enthält u. a. eine Miserikordie, die zwei nackte Frauen auf zwei Männern reitend zeigt. Vielleicht gehört auch in diesen Umkreis das Figurenalphabet des Meisters E. S. um 1460: Der Buchstabe g wird gebildet durch einen Mann (Mönch ?), der eine Frau (Nonne?) auf den Schultern trägt, während ein Mönch mit unanständiger Entblößung grinsend zusieht (Kunstwiss. Forschungen 2, 1933, Taf. 9 c). Zweifellos travestiert ist die antike Geschichte auf einem Holzschnitt des Erhard Schoen „Preis der frommen Weiber“ mit Versen von Albrecht Glockendon: Da zieht der Pantoffelheld (Syman) auf allen Vieren einen Karren, in dessen Deichfei er eingespannt ist; nebenher geht peitscheschwingend die Frau, die in der Linken Schwert, Hose und Tasche des Mannes als Beute trägt; rechts davon steht das „fromme“ Ehepaar (Geisberg, Einblattholzschnitt Nr. 1176). Ob dem Kartonzeichner des obenerwähnten Rokokoteppichs von Beauvais dieser Holzschnitt bekannt war? Noch der Vlame Francis von Bossuit (1635-92) hat eine Komposition geschaffen, die motivliche Anleihen bei A. und Phyllis gemacht hat: Venus reitet auf Pan, den Amor am Gängelband führt.
Zu den Abbildungen
1. Freiburg i. Br., Städt. Slgen, Wandteppich aus Kloster Adelhausen, Anf. 14. Jh. Ausschnitt. Phot. G. Röbcke, Freiburg.
2. New York, Slg. Phil. Lehmann, Gießgefäß. Norddeutsch, um 1400. 39,5 cm hoeh, 34 cm lang. Nach O. v. Falke und E. Meyer, Bronzegeräte des Mittelalters I, Berlin 1935.
3. Augsburger Meister von 1477, Federzeichnung. Berlin, Kk. Phot. Mus.
4. Hausbuchmeister, Kupferstich L. 54. Nach Reichsdruck.
5. Hans Baldung, Holzschnitt B 48, 1513. Nach Reichsdruck.
6. Urs Graf, Zeichnung, 1521. Dessau, Bibliothek. Nach M. J. Friedländer, Handzeichnungen deutscher Meister in d. Hzgl. Anhalt. Behördenbibl. zu Dessau, Stuttgart 1914.
7. Berlin, Schloßmus., Deckel eines Minnekästchens, elsässisch, E. 14. Jh. Buchenholz. Phot. Mus.
8. Frankfurt a. O., Mus., Konsole aus einer Fensterarchivolte vom Südgiebel des Rathauses, 15. Jh. Terrakotta. Höhe 25 cm, Breite 17 cm. Phot. L. Haase, Frankfurt a. O.
Literatur
(Vgl. im allgemeinen die Literatur zu Alexander d. Gr., Sp. 344.) 1. F. P. Magoun, The neests of king Alexander of Macedon, 1928. 2. W. Hertz, Aristoteles in den Alexanderdichtungen des Mittelalters, Abhandl. d. Kgl. Bayer. Akad. Bd. 19 (1889) = Ges. Abh. 1905 S. 1-155. 3. Héron, La légende d’Alexandre et d’Aristote, Rouen 1892. 4. J. Bédier, Les fabliaux, Paris 19254, S. 204-12. 5. A. Borgeid, Aristoteles en Phyllis, Een Bijdrage tot de vergelijkende Litteratuurgeschiedenis, Groningen 1922. 6. F. Moth, Aristotelessagnet eller Elskovs magt, Et bidrag til sammenlignende novelleforskning, Kopenhagen-Oslo 1916. 7. G. Sartori, Aristoteles and Phyllis, Isis 14, 1930, S. 8-19. 8. Jewish Encyclopedia 2, 1902, S. 98f.; Encyclopaedia Judaica 3, 1929, Sp. 340. 9. Des Jakob von Vitry Exempla aus den Sermones, hrsg. von Joseph Greven, Slg. mittellat. Texte 9, Heidelberg 1914, S. 15f. 10. Das altfranzösische Lai deutsch bei Ernst Tegetthoff, Märchen, Schwänke und Fabeln des Mittelalters, München 1925, S. 161-64. 11. Die mittelhochdeutsche Novelle bei Friedr. Heinr. v. d. Hagen, Gesamtabenteuer 1, Stuttgart 1850, Nr. 2; vgl. H.-F. Rosenfeld bei Stammler, Verfasserlexikon d. deutschen Mittelalters 1, 1933, Sp. 123–25; G. Josephson, Die mittelhochdeutsche Versnovelle von A. u. Ph., Diss. Heidelberg 1934. 12. A. v. Keller, Fastnachtsspiele Nr. 128; Zingerle, Sterzinger Spiele 1, Wien 1886, S. 96–117. 13. G. Kriesten, Über eine deutsche Übersetzung des pseudoaristotelischen „Secretum secretorum“ aus dem 13. Jh., Diss. Berlin 1907, S. 73.
14. Sauer, Symbolik, S. 406, 418, 436, 446. 15. Molsdorf Nr. 990, 1092, 1099. 16. Mâle II6, S. 337. 17. van Marle, Iconographie II S. 491ff. m. Abb. 509 bis 520. 18. Eugen Dieterichs, Deutsches Leben der Vergangenheit in Bildern, Jena 1908, Abb. 467-470 und 496. 19. Heinr. Kohlhaußen, Minnekästchen, Berlin 1928.
Verweise
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