Alexander d. Gr.

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englisch: Alexander the Great; französisch: Alexandre le Grand; italienisch: Alessandro magno.


Wolfgang Stammler (1934)

RDK I, 332–344


RDK I, 333, Abb. 1. Innsbruck, Museum.
RDK I, 335, Abb. 2. Würzburg, Luitpold-Museum.
RDK I, 337, Abb. 3. Venedig, San Marco.
RDK I, 337, Abb. 4. Nîmes, Kathedrale.
RDK I, 339, Abb. 5. Remagen, Roman. Portal.
RDK I, 339, Abb. 6. Freiburg i. Br., Münster.
RDK I, 339, Abb. 7. H. L. Schäuffelein.
RDK I, 341, Abb. 8. Rom, Palazzo Doria.
RDK I, 343, Abb. 9. Potsdam, Gasthaus zum Einsiedler.

Die Gestalt des großen Eroberers und Begründers des griechischen Weltreichs (356-323 v. Chr.) hat Literatur und Kunst zu allen Zeiten beschäftigt. Seine ikonographische Bedeutung in der abendländischen Kunst erhält A. jedoch nicht so sehr als geschichtliche Persönlichkeit, wie als Repräsentant bestimmter moralischer Begriffe, eine Rolle, die ihm auf Grund stark sagenhafter Überlieferungen zuteil wird. Die deutsche Kunst und die mittelalterliche überhaupt unterscheidet sich dadurch von den antiken Darstellungen, die dem geschichtlichen A. gewidmet sind (Apelles, Lysippos, Philoxenos, Mosaik der A.-Schlacht, A.-Sarkophag).

I. Quellen

Urquelle für die mittelalterliche Vorstellung von A. ist der griechische A.-Roman, den um 200 v. Chr. ein Grieche in Alexandria verfaßte („Pseudo-Kallisthenes“, ed. Wilh. Kroll, 1926). Es ist ein typischer Abenteurerroman, mit sagen- und märchenhaften Zügen und Motiven aus dem spätgriechischen Roman. So geht A. als Kriegs- und Liebesheld in die Weltliteratur ein und wird zu einer Lieblingsfigur im Morgen- und Abendland.

Nach Pseudo-Kallisthenes wurden 2 lateinische Übersetzungen hergestellt, die eine von Julius Valerius um 300 n. Chr. (ed. Bernh. Kübler, 1888), die andere, die „Historia de Proeliis“, von dem Erzpriester Leo in Neapel um d. J. 950 (ed. Friedr. Pfister, Heidelberg, 1913). Die Historia bildet die Grundlage für fast alle folgenden mittelalterlichen Bearbeitungen der A.-Sage. Dazu kommen noch mehrere, für sich stehende Einzelepisoden, die besonders A.s Marsch nach Indien und zum Paradies ausschmücken.

II. A. in der m.a. Literatur

Seit einem französischen Epos des Alberich von Besançon (E. 11. Jh.) beginnen besondere A.-Dichtungen in der mittelalterlichen Literatur des Abendlandes eine Rolle zu spielen. In Deutschland lieferte die erste Poetisierung der Pfaffe Lamprecht mit seinem „Alexanderlied“ (um 1140), das verschiedene spätere Neubearbeitungen erfuhr. Dann folgten, neben verlorenen Dichtungen, Rudolf von Ems (um 1230), Ulrich von Etzenbach (um 1280), der Österreicher Seifried (um 1352) mit umfangreichen Epen, nach 1390 ferner der sog. „große A.“ (anonym). Seit dem 15. Jh. wird die A.-Geschichte auch in deutsche Prosa umgegossen. – In der deutschen Geschichtsschreibung wurde A. seit dem 12. Jh. als Begründer eines der großen Weltreiche gebührend gewürdigt (Weltchronik). Im 14. und 15. Jh. greifen die Erbauungsbücher, im 15. und 16. schließlich das Fastnachtspiel (Hans Sachs) die Gestalt A.s auf. –

Die mittelalterliche Auffassung des Makedonierkönigs ist verschiedenen Wandlungen und Schwankungen unterworfen [2 und 3]. Die geistlichen Dichter sehen in A., angeregt durch seine Charakterisierung in 1. Mach. 1,1-6, den Vertreter der Superbia, den ländergierigen Tyrannen, der kläglich endet. Ein Theolog des 12. Jh., Abt Gottfried von Admont (Homiliae in Scripturam, Migne, P. L. 174, Sp. 1130f.), steht nicht an, A. mit der teuflischen Schlange des Paradieses zu vergleichen (cf. Kapitell in Basel!) und betont, in Übereinstimmung mit 1. Mach. 1,4 (et exaltatum est et elevatum cor eius) besonders A.s Hoffahrt: ... formidine Dei contempta, in tantam elatus est mentis superbiam, ut magis sub proprio quam sub Domini dominio esse eligeret, dicens in corde suo: „Ponam sedem meam ad aquilonem, similis ero Altissimo“ (Isa. XXIV, 13-14). In vollem Gegensatz dazu bewundern die höfischen Dichter A. als Vorbild in allen herrscherlichen und ritterlichen Tugenden.

III. A. in der m.a. Kunst

Entsprechend seiner vielfachen literarischen Verwertung wurde A. auch von der Bildkunst in den mannigfachsten Situationen und mit den verschiedensten Tendenzen behandelt.

1. A. als einer der neun Helden und als Vertreter des griech. Weltreichs

A.s Wertschätzung als ritterlicher Held findet ihren künstlerischen Niederschlag in seiner Einreihung unter die 9 guten Helden oder 9 Besten, wo er – gewöhnlich zusammen mit Hektor und Cäsar – die heidnische Antike vertritt; vgl. Schreiber, Hdb. 4 Nr. 1945ff. und 7, S. 162f., sowie den Artikel Helden, neun. – Über A. als Vertreter des griechischen Weltreiches vgl. Molsdorf, Nr. 1148, Sauer, Symbolik2 S. 422f. und den Artikel Weltreiche.

2. A.s Luftfahrt

Weit häufiger ist die Darstellung von A.s Luftfahrt, die dem Mittelalter als Sinnbild der Hoffahrt gilt. (Berthold von Regensburg: „Hoffar“ = hohe vart: daz du gerne in den lüften füerest, ob du möchtest). Das Bild soll vor der Superbia warnen (Goldschmidt, Albani-Psalter S. 72; Mâle I, S. 270f.), als deren typischer Vertreter A. sich vermaß, selbst den Himmel zu erobern; in einer Miniatur des 14. Jh. im Brit. Mus. wird die Szene unmittelbar mit der „radix vitiorum superbia“ (Sauer S. 314) zusammengebracht. Auch sonst fehlt es nicht an Verbindungen, die das Verwerfliche der durch die Greifenfahrt symbolisierten Hoffahrt zum Ausdruck bringen sollen: an einem Kapitell des Baseler Münsters (s. u.) ist die Luftfahrt A.s zu Sündenfall und Vertreibung aus dem Paradies gesellt; auf dem Soester Kissen (s. u.) ist sie dem Lamm Gottes, auf einem rheinischen Email in englischem Privatbesitz (s. u.) Simson mit dem Löwen gegenübergestellt. – Diese Deutung der Luftfahrt A.s berechtigt natürlich nicht, allen vorkommenden Darstellungen eine moralisierende Tendenz unterzulegen. Die auffallend große Zahl von abgeleiteten und mißverstandenen, zum mindesten mißverständlichen Kompositionen (s. u.) weist darauf hin, daß es den mittelalterlichen Künstlern, namentlich den Steinmetzen und Bildschnitzern, in diesem wie in anderen Fällen vielfach mehr auf das kuriose Motiv als auf einen bestimmten Darstellungsinhalt ankam. Weiterhin ist daran zu erinnern (s. o.), daß die moralische Bewertung A.s im Mittelalter starken Schwankungen unterliegt.

Nach der Historia de Proeliis (ed. Pfister S. 126) berichtet A. in einem Brief an seine Mutter, er habe mit seinen Freunden überlegt, wie er zum Himmel emporfliegen könne, um festzustellen, ob das, was wir sehen, der Himmel ist: „Ich erfand ein Behältnis, in dem ich sitzen konnte, erfaßte Greifen und band sie mit Ketten an; den Greifen hielt ich Stangen vor, an deren Spitze Lockspeisen befestigt waren, und sie begannen, zum Himmel emporzufliegen. Eine göttliche Gewalt überschattete sie aber und trieb sie zur Erde hinab auf ein Feld, das weiter als 10 Tagesmärsche von meinem Heer entfernt war, doch wurde ich in meinem eisernen Behältnis nicht verletzt. Ich erreichte eine solche Höhe, daß die Erde unter mir wie eine Tenne erschien und das Meer wie ein Drache, der sie umschlingt ...“ Mit geringen Abweichungen (ein Vogelmensch erscheint am Himmel und zwingt A. zur Umkehr usw.) und mit mancherlei Ausschmückungen berichten auch die späten Fassungen der antiken A.-Romane und die mittelalterlichen Epen von der Luftfahrt ihres Helden. – Die Luftfahrt ist ein uraltes orientalisches Motiv, das schon von dem babylonischen Helden Etana erzählt wird. Später findet es sich bei den Juden (auf Salomo bezogen), bei Arabern und Persern [8 und 10]. Jüdische Vermittlung (Jerusalemischer Talmud) brachte sie in den A.-Roman hinein. Während Pseudo-Kallisthenes noch von Adlern als Flugtieren erzählt, verwandelt sie der Archipresbyter Leo in Greifen und führt damit den Typus in die Sage ein, den auch die Bildkunst fast ausnahmslos verwendet hat. (Gegenbeispiele: Würzburger Fahne und Soester Kissen, s. u.). In die deutsche Literatur ist die Episode durch den Baseler Bearbeiter von Lamprechts A.-Epos eingeführt worden (um 1150). In allen späteren Epen kehrt sie wieder. Auch Anspielungen in der lyrischen und epischen Dichtung der höfischen Zeit und des Spätmittelalters bis zu Fischarts „Geschichtsklitterung“ (1575) beweisen, wie vertraut das deutsche Publikum mit dieser Geschichte war.

Ebenso wie die A.-Sage findet auch ihre Verbildlichung den Weg vom Orient über Griechenland und Italien nach Deutschland. Die Sassaniden scheinen zuerst A.s Luftfahrt dargestellt zu haben. Sie haben dabei einen Typus geschaffen, der mit wenigen Ausnahmen so gut wie alle Darstellungen des Mittelalters beherrscht: Der König sitzt frontal in einem korbähnlichen Behältnis oder einfach auf einem Sessel; symmetrisch angeordnet streben rechts und links die Greifen in die Luft und tragen den an ihnen befestigten Korb oder Thron in die Höhe; die Köpfe wenden sie zu A. zurück, der, wiederum streng symmetrisch, jedem eine Stange mit einem Köder hinhält. Eine Kupferschmelzschale des Rukn ed daula Daud (bis 1144 Emir von Amida) im Mus. in Innsbruck (Abb. 1; vgl. O. v. Falke in Monatshefte f. Kw. 2, 1909, S. 234ff.) bietet anscheinend das älteste auf uns gekommene orientalische Beispiel dieser Komposition, die vermutlich an antike Darstellungen des Helioswagens (Herzfeld [12]) oder ähnliche Vorbilder (Wagenrennen, Triumphwagen) anknüpft. Aber schon vorher waren Thema und Komposition von der byzantinischen Kunst übernommen worden, die A.s Greifenfahrt viele Jahrhunderte hindurch in zahlreichen Denkmälern bei im wesentlichen gleichbleibender Anordnung dargestellt hat. Dem 10. Jh. wird eine byzantinische Nadelmalerei zugeschrieben, die 1266 auf die sog. Cyriakusfahne („Kilianspanier“) in Würzburg aufgenäht wurde (Luitpoldmus., Abb. 2, hier Adler!). Auch ein Regensburger Halbseidenstoff des 13. Jh. (Loomis [10] Abb. M) und ein wenig jüngeres gleichfalls byzantinisches Gewebe im Krefelder Museum geben A.s Luftfahrt. Wir nennen weiter: Reliefplatten in der Peribleptos von Mistra (Peloponnes, um 1000, Loomis [10] Abb. D; vgl. auch M. van Berchem und Jos. Strzygowski, Amida, Heidelberg 1910, S. 348ff.), im Athoskloster Dochiariu (1. H. 11. Jh., Panzer [8] S. 6) und im Museum zu Theben (Schauinsland 51-53, 1926, S. 100). Ein Elfenbeinkästchen im Landesmuseum Darmstadt (Panzer [8] Abb. 7; Loomis [10] Abb. B), das wahrscheinlich aus Unteritalien stammt, ist jedenfalls byzantinisch beeinflußt. Auch ein gesticktes Kissen des 12. Jh. in St. Patroklus in Soest, das Adler statt wie üblich Greifen verwendet, geht, obwohl deutsche Arbeit, zweifellos auf byzantinische Muster zurück (Inv. Westfalen Taf. 64; Abb. auch bei Panzer [8] S. 12 und Loomis [10] Abb. A).

Mehrfach läßt sich die Darstellung der Luftfahrt A.s in Italien nachweisen, wo sie offenbar von Byzanz aus Eingang gefunden hat: ein byzantinisches Originalrelief des 11. oder 12. Jh. an San Marco in Venedig (Abb. 3), Mosaikfußboden der Kathedrale von Otranto (1165, Loomis [10] Abb. H), Relief an der Hauptfassade der Kathedrale von Borgo San Donnino (ca. 1180, Loomis [10] Abb. N, Male I3 S. 272); auf eine noch unveröffentlichte mittelalterl. Plastik in der Sammlung der Engelsburg macht Sauer (Symbolik2 S. 439) aufmerksam. In der Geschenkliste des Papstes Bonifaz VIII. im Inventar von Anagni (vor 1303) wird eine Dalmatika erwähnt, auf der die „Historia Alexandri elevati per grifos in aërem“ gestickt war (Annales archéol. 18, 1858, S. 26). Ein italienisches Gedicht des 14. Jh. („La Intelligenzia“) beschreibt ein Zimmer mit Wandbildern, von denen eines A.s Greifenfahrt wiedergibt (Schlosser, Quellenbuch S. 347).

In Deutsch land sind Darstellungen der Greifenfahrt seit dem 12. Jh. nachweisbar; ob sie unmittelbar auf byzantinische oder auf italienische oder französische Vorbilder zurückgehen, läßt sich mit Sicherheit nicht ausmachen. Mehrfach kommt die Szene in der oberrheinischen Architekturplastik der Spätromanik vor: im Chorumgang des Baseler Münsters (Panzer [8] S. 8), am zerstörten Portal der Klosterkirche Petershausen bei Konstanz (O. Homburger, Oberrhein. K. 2, 1926/27, Taf. 79 u. R. Hamann [13] S. 53), am Eingang zur Nikolauskapelle des Freiburger Münsters (Abb. 6), vielleicht auch an einem Pfeilerkapitell im Großmünster in Zürich (s. u.), weiterhin an dem romanischen Portal zu Remagen (Abb. 5) und am Dom zu Fritzlar (s. u.). Aus dem späteren Mittelalter kenne ich nur 2 Darstellungen: am Chorgestühl des Kölner Doms (um 1340, Deutung unsicher; v. Tieschowitz, 1930, Taf. 92) und an der Decke der Weberzunftstube aus Augsburg im Bayr. Nat.-Mus., die 1457 von Peter Kaltenofer gemalt wurde; hier die Unterschrift: „Alexander füer in die höchen, Tät zwue span breit die ganz erd sechen.“ Selbstverständlich wird die Greifenfahrt auch in den Bilderhandschriften der A.-Epen und der Weltchroniken fast regelmäßig dargestellt, besonders bei Rudolf von Ems, ferner in Jansen Enikels Weltchronik und anderwärts. Diese können hier nicht einzeln aufgezählt werden. Vgl. Hübner [5], Panzer [8] und C. Dodgson [7].

Auch in den anderen westeuropäischen Ländern ist die Greifenfahrt dargestellt worden. Frankreich: Der Chronist Ayméric de Peyrac spricht in seiner Beschreibung eines Mosaikfußbodens von 1063 in Moissac von einem Bild, in dem er den König Chlodwig zwischen 2 Greifen sieht (Lagrèze-Fossat, Etudes hist. sur Moissac 3, Paris 1874, S. 197); möglicherweise handelt es sich hier um A.s Luftfahrt. Am Westportal von Oloron-Ste.-Marie (Dep. Basses-Pyrénées) bildet die Greifenfahrt das Gegenstück zu Daniel in der Löwengrube (K. Porter, Abb. 461). Weiter macht R. Hamann (mündlich) auf eine alte Zeichnung nach einem zerstörten Fries des 12. Jh. an der Kathedrale von Nîmes aufmerksam (Abb. 4). Auch auf einem der großen A.-Teppiche, die 1459 in Tournai für Philipp den Guten von Burgund hergestellt wurden (jetzt im Palazzo Doria in Rom), ist unsere Szene eingewirkt, und zwar in der außergewöhnlichen Form mit 4 Greifen (B. Kurth, Jb. Allerh. Kaiserhs. 34, 1917, Taf. 7). – In englischen Kathedralen kommt unser Thema häufig, aber vielfach mißverstanden an Misericordien von Chorgestühlen des 14. und 15. Jh. vor; vgl. Loomis [10] Abb. Y u. P-Y. Über das Tympanon von Charney Bassett s. u.

Auffallend groß ist die Zahl von Darstellungen, die eine gewisse äußere Ähnlichkeit mit der üblichen Komposition der Greifenfahrt haben, den Gegenstand aber entweder mißverstehen und so stark abwandeln und kürzen, daß er kaum mehr zu erkennen ist, oder aber in Wirklichkeit ein anderes Motiv („Tierbändiger“ usw.) darstellen. Schon die erwähnte byzantinische Stickerei auf der Würzburger Fahne gibt nicht eindeutig A.s Luftfahrt; es fehlt jede Andeutung eines Korbes oder Thrones, an dem die Adler (!) befestigt wären, und der König hält nicht Stangen mit Fleischködern, sondern Lilienszepter in den Händen. Im Mosaik von Otranto wirken die Greifen wie Seitenstützen eines nicht sichtbaren Thrones; auch in der Innsbrucker Kupferschmelzschale (Abb. 1) bleibt die Verbindung der Greifen mit dem Herrscher unklar, doch liegt in allen diesen Fällen kein Grund zu Zweifeln an der üblichen Deutung vor, am wenigsten in Otranto, wo sich die Beischrift ALEXANDER findet. Auch ein Kapitell im Dom zu Fritzlar (Anf. 13. Jh., Phot. K.geschichtl. Seminar Marburg, Nr. 8843), bei dem ein nackter Mann auf den zusammen gewachsenen Schweifen von 2 hochstrebenden Greifen sitzt, geht wohl auf das Motiv der Luftfahrt zurück, obwohl die Stangen mit den Ködern ganz fehlen, ebenso ein Pfeilerkapitell im Züricher Großmünster (Oberrhein. K. 3, 1928, Taf. 5), ein Kapitell im Kreuzgang von Moissac (1100, K. Porter Abb. 282), wo „un homme se fait emporter par des aigles“ (!), 4 Zierplättchen an einem romanischen Tragaltar im Freiburger Münsterschatz (Panzer [8] S. 9), wo über einer Königsbüste 2 drachenartige Tiere sichtbar werden, und eine hockende Figur an der Kirche von Jak in Ungarn (M. 13. Jh., Hamann [13] S. 58), unter deren Gewand 2 Drachenköpfe herausschauen. Dagegen glauben wir in diesem Zusammenhang alle diejenigen Darstellungen ausscheiden zu sollen, in denen ein (bekleideter oder unbekleideter) Mann 2 Greifen oder ähnliche Tiere an den Hälsen faßt, sie würgt oder sonstwie zu bekämpfen scheint: Kapitell im Chor von St. Paul in Worms (Phot. Staatl. Bildstelle, Berlin D 3352, 6), Tympanon der Kirche zu Charney Bassett (Berkshire, Abb. Loomis [10] K, vgl. Wegner [14] S. 69 Anm. 24), Goldemailscheibe an der Pala D’Oro in Venedig (Supka [9] Sp. 313/14) und die romanischen Brettsteine in der Eremitage zu Leningrad und Kopenhagen (Ad. Goldschmidt, Elfenbeinskulpturen 3, Abb. 195 u. 246).

Während die genannten sicheren Darstellungen der Greifenfahrt die Symmetrie und Frontalität des aus dem Orient überkommenen Grundtypus ausnahmslos beibehalten, setzt ein rheinischer (?) Emailkünstler des 12. Jh. (englischer Privatbesitz, s. Panzer [8] S. 9 u. Loomis [10] Abb. L) die ganze Szene ins Profil; A. sitzt in einem von links kommenden Wagen und hält den beiden Greifen, die im Profil hintereinander nach rechts emporstreben, eine Stange mit dem Köder hin. Häufiger wird das frontalsymmetrische Gefüge der Urkomposition in gotischer Zeit aufgelockert oder ganz aufgegeben und durch Schöpfungen eigener und freier Erfindungsgabe ersetzt (Handschriften). Doch bleibt auch im späten Mittelalter das ältere Schema die überwiegende Regel (A.-Teppich aus Tournai); selbst einem Holzschnitt von H. L. Schäuffelein († 1539/40, Abb. 7), mit dem die große Reihe der Greifenfahrtdarstellungen abschließt, liegt es noch zugrunde.

3. Sonstige Darstellungen

Die illustrierten Handschriften der verschiedenen A.-Epen, zumeist im 14. und 15. Jh. entstanden, enthalten zahlreiche weitere Szenen aus der legendären Geschichte des Helden, darunter auch das Gegenstück zur Luftfahrt, A.s Fahrt in die Tiefe des Meeres. Es ist nicht möglich, alle in den Handschriften vorkommenden Bildthemen hier aufzuzählen; wir verweisen auf die Literatur, insbesondere auf Arthur Hübner [3], der aus einem französischen Manuskript des frühen 14. Jh. im Berliner Kupferstichkabinett (78. C. 7) eine größere Anzahl von Miniaturen veröffentlicht hat, und auf die von Campbell Dodgson [7] und Panzer [8] abgebildeten Proben. Ein außergewöhnlich reicher Zyklus von Szenen des A.-Romans muß auf den 6 großen Wandteppichen dargestellt gewesen sein, die 1459 für Philipp den Guten in Tournai gewirkt wurden; 2 davon haben sich im Palazzo Doria in Rom erhalten (Betty Kurth, Jb. Allerh. Kaiserh. 34, 1918, Taf. VII u. VIII, und Got. Bildteppiche aus Frankreich u. Flandern, München 1923, Taf. 30-32). Der eine (Abb. 8) stellt eine Gerichtstagung Philipps von Makedonien dar, bei der A. verurteilt wird, den Hengst Bukephalus zuzureiten (links); in der Mitte sieht man unten A. auf dem gebändigten Pferd von Eltern und Hof begrüßt, oben von seinem Vater belobt; rechts oben Philipp auf dem Krankenlager, unten A. von seinem sterbenden Vater gekrönt. Der zweite Teppich zeigt: die Bestürmung und Eroberung einer Stadt, die Greifenfahrt A.s und seine Begrüßung bei der Rückkehr, A.s Meerfahrt und den Kampf mit den Waldmenschen. Die literarische Grundlage der beiden Teppiche bildet, wie A. Warburg (Hamb. Fremdenbl., Beilage zu Nr. 252 vom 2. März 1913) festgestellt hat, der A.-Roman des Jean Wauquelin von 1448. Weitere Teppichserien des ausgehenden Mittelalters mit A.-Darstellungen sind nachgewiesen (B. Kurth a. a. O.). Schon ein Wappenteppich des frühen 14. Jh. aus Kloster Adelhausen im Museum zu Freiburg i. Br. zeigt A. als überlisteten Gefangenen der indischen Königin Kandace (Stammler [4] S. 142); das Seitenstück bildet Aristoteles mit Phyllis. Beide Darstellungen dienen als Beispiele der Weibermacht.

Nur vereinzelt findet sich A., wiederum als Typus des rex superbus, auf dem Glücksrad. In einer Handschrift der Chronique dite la Bouquechardière des Jean de Courcy aus der M. 15. Jh. (Chantilly, Mus. Condé, Publ. de la Société franç, de reproduction de manuscrits, 14. Jg., 1930, S. 104f., Taf. 58), gibt eine blattgroße Miniatur 2 Bilder: links Fortune mit dem König Alexandre auf und unter dem Glücksrad, rechts die Dame Grudice auf dem Thron mit einem Herrscher, den sie durch einen Trank getötet hat.

IV. A. in der Kunst der Neuzeit

Mit dem Beginn der Neuzeit erfährt die Darstellung der A.-Geschichte eine grundlegende Wandlung. Die legendären Berichte des Pseudo-Kallisthenes und seiner Nachfolger und die A.-Romane des Mittelalters werden abgelöst durch die historischen Quellen. Gleichzeitig verliert die Gestalt A.s ihre symbolisch-moralisierende Bedeutung, und die A.-Darstellung mündet ein in die allgemeine Geschichte des Historienbildes. Namentlich A.s Kriegstaten sind immer wieder verherrlicht worden. Von Altdorfers Schlacht bei Arbela (1529, München) bis zu Thorwaldsens großem Fries (Kopenhagen) zieht sich eine kaum je unterbrochene Kette von Darstellungen, die im 16. und 17. Jh. einen besonders beliebten Vorwurf für Wandteppiche bilden (Heinr. Göbel, I, 1 u. 2, Leipzig 1923 passim; die neun Gobelins in den A.-Zimmern der Würzburger Residenz, Inv. Bayern III, 12, S. 442ff., gehören zu den zahlreichen Teppichkopien nach dem 1662-68 entstandenen Gemäldezyklus von Charles Lebrun im Louvre). Auch die Historienmalerei des 19. Jh. hat sich die Geschichte A.s nicht entgehen lassen (Piloty, Berlin, Nat.-Gal.). – Neben diesen historischen oder historisierenden Darstellungen spielt die A.-Anekdote in der Kunst immer wieder eine Rolle. Von H. S. Beham stammt ein Kupferstich (B. 67): A. mit Bucephalus. H. L. Schäuffelein stellt den Besuch A.s bei Diogenes dar (Holzschnitt B.90). Noch im 18. Jh. findet sich die gleiche Szene am Gasthaus zum Einsiedler, dem ehemaligen Palais Einsiedel, in Potsdam (Abb. 9).

Zu den Abbildungen

1. Innsbruck, Tiroler Landesmuseum, Mittelbild einer mesopotamischen (?) Kupferschmelzschale, vor 1144. Phot. Mus.

2. Würzburg, Luitpold-Museum, byzantinische Stickerei, vermutlich 10. Jh. Phot. Mus.

3. Venedig, San Marco, Marmorrelief, byzantinisch, 11./12. Jh. Phot. Alinari, Florenz.

4. Nîmes (Provence), Teilstück eines zerstörten Frieses des späten 12. Jh. Nach einer alten Zeichnung. Phot. K.gesch. Seminar Marburg.

5. Remagen (Rheinland), romanisches Portal bei der Pfarrkirche, E. 12. Jh. Phot. K.gesch. Seminar Marburg.

6. Freiburg i. Br., Münster, Kämpferrelief am Eingang zur ehem. Nikolauskapelle, A. 13. Jh. Phot. Georg Röbcke, Freiburg i. Br.

7. Hans L. Schäuffelein (ca. 1480/90-1539/40), Holzschnitt. Nach Max Geisberg, Der deutsche Einblattholzschnitt in der 1. H. 16. Jh. München 1930, Nr. 1063.

8. Rom, Pal. Doria, A.-Teppich, 1459 in Tournai für Philipp den Guten von Burgund gewirkt. Phot. Alinari, Florenz.

9. Potsdam, Gasthof zum Einsiedler, Hauszeichen, 18. Jh. Phot. Staatliche Bildstelle, Berlin.

Literatur

1. Hans Ernst Müller, Die Werke des Pfaffen Lamprecht nach der ältesten Überlieferung. Münchener Texte 12, München 1923 (hier die ältere Literatur zum Alexanderroman). 2. Elisabeth Grammel, Studien über den Wandel des A.-Bildes in der dt. Dichtung des 12. u. 13. Jh., Diss. Frankfurt a. M. 1931. 3. Arthur Hübner, A. d. Gr. in der dt. Dichtung d. M.A., Die Antike 9, 1933, S. 32ff. 4. Wolfg. Stammler, Stud. zu den Wechselbeziehungen zw. Literatur und Bildkunst im dt. M.A., Rep. f. K.-Wiss. 51, 1930, S. 141ff. 5. Julien Durand, Légende d’A. le Grand, Annales archéol. 25, 1865, S. 141ff. 6. A. L. Meißner, Die bildlichen Darstellungen der A.-Sage in Kirchen des M.A., Archiv f. d. Studium der neueren Sprachen, 68, 1882, S. 177ff. 7. Campbell Dodgson, Alexander’s journey to the sky: a woodcut by Schäuffelein. Burl. Mag. 1, 1904/5, S. 395ff. 8. Friedr. Panzer, Der romanische Bilderfries am südl. Choreingang d. Freiburger Münsters u. seine Deutung, Freiburger Münsterblätter 2, 1906, S. 1ff. (grundlegend! Ausführl. Literaturangaben u. zahlreiche Abb.). 9. G. Supka, Beiträge z. Darstellung der Luftfahrt A.s d. Gr., Zs. f. christl. K. 24, 1911, Sp. 307ff. 10. R. S. Loomis, Alexander the Great’s celestial Journey, Burl. Mag. 32, 1918, S. 136ff. u. 177ff. (mit vielen Abb.). 11. E. Herzfeld, Der Thron des Khosro, Jb. d. preuß. K.-Slg. 41, 1920, S. 1ff., 103ff. 12. Hans Poppen, A.s Greifenfahrt am Freiburger Münster u. die m.a. Typen der A.-Fahrt, Festschr. der Verbindung Cimbria, Dortmund 1926. 13. Rich. Hamann, Motivwanderung von West nach Osten. Wallraf-Richartz-Jahrbuch 3/4, 1926/27, S. 49ff. 14. Ingeborg Wegner, Studien zur Ikonographie des Greifen im M.A., Diss. Freiburg i. Br. 1928. 15. Mâle I3 S. 270ff. 16. Molsdorf Nr. 1087. 17. Sauer, Symbolik2 S. 439.

Verweise