Drolerie
englisch: Drollerie; französisch: Drôlerie; italienisch: Drôlerie, buffonate.
Rosy Schilling (1955)
RDK IV, 567–588
I. Begriff und Wesen
Als D. gilt in der Kunstgeschichte eine groteske, auf das Spielerische, Scherzhafte gerichtete Darstellung, deren Seltsamkeit nicht Selbstzweck ist, sondern sich im wesentlichen dekorativ auswirkt. Eine satirisch-moralische Bedeutung kann, besonders bei den D. der Frühzeit, mit eingeschlossen sein.
Das Wort D. (frz. drôlerie) ist von drôle (= „quelque chose de singulier et de plaisant“, Littré) abgeleitet, das seinerseits mit mhd. droll, trol (= Kobold, kleiner Dämon) zusammenhängt. Grimm hat drollerei: „ohne böse nebenbedeutung heißt drollerei munteres, scherzhaftes treiben, schalkstreich, närrischer schwank, engl. drollery, frz. drôlerie“ (Grimm 2. Sp. 1430). In die dt. kunsthistorische Fachsprache ist der Begriff D. erst im 20. Jh. aus dem Französischen übernommen worden.
Wir scheiden zwischen D.-Gestalten und D.-Szenen: a) Tiere, Mischwesen, Menschen, vorwiegend monströser Formung, abnorm in der Zusammensetzung oder Proportion der Glieder; b) Tierfabeln und Satiren, Mischwesen oder Tiere in menschlicher Verkleidung, seltsame und komische Szenen, Darstellungen von Gauklern und Ringern, von Spiel, Tanz und Sport, Jagden oder Szenen des täglichen Lebens, die durch ihre ornamentale Verknüpfung oder durch das Kontrastverhältnis zu dem Gegenstand, an dem sie verwendet sind, zu D. werden. Eine erhebliche Reihe von Motiven geht auf die Antike zurück: Kentauren, Sirenen, Harpyien oder die seltsamen Wesen der Wunder des Ostens und der Bestiare, Sternbilder und Tierkreiszeichen, Tierfabeln und mythologische Szenen. Aus solchen Elementen wird etwas vorher nie Dagewesenes geschaffen, das die Phantasiebildungen der antiken (und neuzeitlichen) *Grotesken weit hinter sich läßt. Es erwachsen neue Formen. In sich immer wandelnder Verbindung entstehen neue Wesen, die in seltsamen Verkleidungen Sitten und Unsitten der Zeit bloßlegen. Eine genaue Abgrenzung der D. gegen die Karikatur ist nicht in allen Fällen möglich.
II. Entwicklung
Die D. hat in der Gotik ihre reichste Entfaltung gefunden und ihre eigene Form geprägt, und der Begriff D. knüpft sich vornehmlich an diese Werke. Die Anfänge reichen bis in die Karolingerzeit zurück, doch handelt es sich hier meist um Zwischengebilde. Typische D.-Figuren und -Szenen finden sich häufiger dann in romanischer Zeit. Bernhards von Clairvaux Schilderung der „ridicula monstruositas“ und „deformis formitas“ (Migne, P.L. 182, 915f.) gibt davon ein lebendiges Bild. Seine Warnung zeigt, welche Bedeutung schon damals der D. als Reaktion auf kirchliche, moralische Gebundenheit zukam.
Die Entwicklung der D. ist international, Frankreich und Italien verwendeten sie gern in der romanischen Bauplastik, England und Flandern vornehmlich in den Illustrationen gotischer Handschriften. In Deutschland finden sich D. ähnlicher Art in bemerkenswerten Beispielen vor allem in den frühen Handschriften, am romanischen Gerät und an gotischen Chorgestühlen.
A. in vorgotischer Zeit
1. Karolingische und romanische Handschriften. Zu den frühesten Beispielen gehören die Hss. der Adagruppe mit D.-artigen Motiven von Tieren und Vögeln an den Seiten ihrer Kanonbögen. Sie sind nicht grotesk, sondern realistisch aufgefaßt, und das D.-hafte liegt in der Beobachtung ihrer besonderen Eigentümlichkeiten, der Art der Gegenüberstellung in Paaren, in ihrer dekorativen Funktion und im Kontrast zum Text; vgl. z. B. den stolzierenden Reiher des Lorscher Kodex oder die beiden um ein Huhn kämpfenden Hähne des Evangeliars aus Soissons in Paris, B.N. ms. lat. 8850 (Abb. 1; weitere Beisp. Münchner Jb. III. F. 5, 1954, 7ff.). Teils durch den Osten vermittelt, setzt sich in ihnen antike Tradition fort. Der Zusammenhang ist besonders deutlich in den illusionistischen Vogeldekorationen am Palastgewände im Lebensbrunnenbild des Evangeliars aus Soissons, die an pompejanische Malereien erinnern.
Unter anderen Hss. des 9. Jh. vgl. die mehr stilisierten Vögel des Wandalbertus-Kalenders aus St. Gallen (Bibl. Vat. Reg. lat. 438; Alb. Boeckler, Dt. Buchmalerei vorgot. Zeit, Königstein 1952, Taf. 19; s. a. Wien, Nat. Bibl. Hs. 1007). In annähernd gleicher Auswahl wie in der Adagruppe, doch in der Haltung verfestigt, kehren die Vogelpaare in Hss. der Reichenau wieder (Aachener Evangeliar Ottos III.; München, Clm. 4453 und 4454), bereichert durch figürliche Motive wie die an den Bögen arbeitenden und ruhenden Steinmetzen. Von hier wurden die Motive in die Echternacher Schule übernommen, ergänzt durch „Atlanten“, die Schrifttafeln tragen (Codex aureus im G. N. M., ehem. Gotha; Codex Escurialensis; London, B. M. Ms. Harley 2821 u. a.). Arkadenvögel finden sich vereinzelt bis ins 12. Jh.: in den Nekrologen von Zwiefalten, Prüfening und Weingarten wie im Evangeliar Heinrichs IV. in Gmunden. Ein anderes, mehr groteskes D.-Motiv ist auf die frühen Hss. der Reichenau beschränkt geblieben: seltsame Drachen, Vögel u. a. Tiere in goldener Pinselzeichnung auf Purpurgrund; zuerst und am reichsten im Egbertpsalter in Cividale, dann im Trierer Egbertkodex, vereinzelt in frühen Hss. der Liutoldgruppe (Clm. 4453, 4454; Bamberg, St. B. Ms. 76); zu vgl. sind dieselben Motive in Treibarbeit am Einband von Clm. 4454. Sie haben ihren Ursprung wohl in byzantinischen Stoffen; die Technik weist auf spätantike Hss. (z. B. Bibl. Vat. ms. gr. 1291).
Mit dem Vorherrschen gezeichneter Bildinitialen anstelle von Miniaturen in den zahlreichen Kloster-Hss. des 12. Jh. gingen auch die D.-Motive in die Initialen über. Die Entwicklung ist in Deutschland die gleiche wie in den westlichen Ländern, wo sie jedoch, in der Gestaltung reicher und entschiedener stilisiert, ihren Höhepunkt bereits gegen M. 12. Jh. erreichte (Hss. von Cîteaux u. den Zentren n und s des Kanals). Hauptmotive sind Figuren und Tiere, Buchstaben formend oder als Füllung zwischen Ranken kletternd, jagend, spielend oder kämpfend; ferner groteske und Fabelszenen wie an den Kapitellen (s. u.). In den süddt. und österr. Schulen überwiegen Initialen mit Rankenfiguren (vgl. Salzburg, Passau, Mondsee, Regensburg, auch die große gemalte Erlanger Bibel), nur vereinzelt kommen ausgesprochene D.-Szenen vor (wie der Reiter auf der Giraffe in Salzburg, St. Peter Hs. 19).
Die frühesten D.-artigen Buchstaben finden sich in Schwaben beim Hirsauer Passionale (Stuttgart, L. B. bibl. fol. 56–58): im 1. Band, um 1120, zwar nur die ersten Ansätze, doch in den beiden anderen, eine Generation späteren Bänden voll ausgeprägte groteske D.-Motive, stehende und hockende symmetrische Frontalfiguren und Tiere, die variiert in den Zwiefaltener Hss. wiederkehren (Stuttgart, L. B. brev. 121, 126; hist. fol. 418; poet. fol. 33). Verwandt sind im Alemannischen die Engelberger Hss. unter Frowin (1147–74) mit spielerisch durch die Buchstaben gesteckten Kletterfiguren und Gauklern in der Biegung der Initiale (Abb. 2). Hier wie in den nachfolgenden Berchtold-Hss., mit Traubenernte in den Ranken oder mit Baumfällern, ist die Beziehung zu französischen Hss. (z. B. Cîteaux: Ch. Oursel, La miniature du XIIe s. à l’abbaye de C, Dijon 1926; Rosy Schilling, A. S. A. 35, 1933, 117–28), auch inhaltlich, besonders deutlich. Dies gilt ferner für die Salemer Hs. (Heidelberg, Sal. X b) mit kniendem Hornbläser als Initiale L. Abgesehen von einer Hs. in Cues (Hs. 8) mit steifen Stegfiguren, zeichnen sich die Hss. vom Rhein, besonders die vom Mittelrhein, durch subtile, natürliche, wenig groteske Gestaltung aus (Bibel aus St. Simeon, Trier, Stadtbibl. Hs. 2; München, St. B. Clm. 14055; Maria Laacher Hs., Berlin, St.B. lat. fol. 270: Mönch mit Zirkel). Ihre vollendetste Gestaltung erhielt diese Art der D. in den großen Arnsteiner Hss., Bibel und Passionale (B.M. Mss. Harley 2798–2802), mit Darstellungen wie dem Jäger in der Hafenschlinge, T-Balken oder Fisch tragenden Männern oder einer seltsamen Sirene (Abb. 3); die Hss. sind stilistisch von der Maaskunst und ostfrz. Hss. beeinflußt, doch im Inhaltlichen selbständig (Rosy Schilling in: „Form und Inhalt“, Ff. für Otto Schmitt, Stg. 1950, S. 73–81).
In den großen gemalten Initialen der Psalter und Bibeln des 13. Jh. wurde die D. zu einer nebensächlichen Begleiterscheinung. Drachen, Hunde und nackte Gestalten, die in den Spiralornamenten zu rotieren scheinen, stammen – wie auch die vegetabilen Formen – von englischen und französischen Beispielen ab.
Die frühesten Initialen dieser Art sind in den thüringisch-sächsischen Hss. wie dem Landgrafen- und dem Elisabethpsalter (Stuttgart; Cividale) oder Hss. in Hamburg (in scrin. 85) und London (B. M. 874) u. a.; vgl. die seltsame, vorwiegend groteske Kampfszene im Goslarer Evangeliar. Vereinzelt kommen auch die ersten typisch gotischen D.-Motive vor wie nackte Ringer, Monstren, denen Köpfe aus dem Tierleib wachsen, manche teilweise in menschlicher Kleidung als satirische Anspielung, usw. Häufiger erscheinen diese Motive in oberdeutschen und den späten mainfränkischen Hss. um 1240–50 (Würzburger Bibel und Psalter, München, Clm. 3900 [Abb. 4], und Würzburg, theol. fol. max. 9); im ehem. Arnhold-Psalter auch einzelne Wunderwesen des Ostens, denen Beine vom Kopf wachsen. Ähnliche Gebilde finden sich in Hss. aus Seitenstetten und im ehem. Sigmaringer Psalter. Dagegen sind im Weingartener Nekrolog (Stuttgart, I, 240), 1. V. 13. Jh., an gleicher Stelle realistisch genreartige Darstellungen: Jüngling am Boden, ruhender Hirsch, Affen. Auch im Speyerer Evangelistar von 1197 (Karlsruhe, Bruchs. I) setzt sich die Tradition des 12. Jh. mit Rankenfiguren und jagenden Tieren (Stachelschwein) fort. Erst die Berthold-Hss. in Weingarten, in denen der anglisierende Stil sich in einzigartiger Weise entfaltet, gehen mit aller Entschiedenheit zu den typischen Spiralinitialen mit begleitenden nackten D.-Figuren über. In den vorwiegend gezeichneten Hss. der Nachfolge, wie Fulda Aa. 40, wurden die gotischen Monsterwesen häufiger, und zusammen mit ihnen verwendete man naturalistische Tiermotive (Eulen, Affen) wie im Nekrolog.
2. Romanische Bauplastik. Seit E. 11. Jh. finden sich Beispiele von D. an Kirchenportalen, Gewänden, Kapitellen und Friesen, zwar nur vereinzelt und meist Zwischenformen, die mehr grotesk als drôle sind, doch auch ausgeprägte D. Als solche können die figürlichen Darstellungen innerhalb des Rundbogenfrieses an der Apsis der Stiftskirche zu Königslutter gelten, wo Jäger die Jagd anblasen, Hunde das Wild – Hasen, Hirsch und Eber – jagen, ein Hase von einem Jäger heimgetragen wird, aber auf der anderen Seite zwei Hasen einem am Boden liegenden Jäger die Hände fesseln (Abb. 5). Es handelt sich hier um Werke oberitalienischen Charakters nach Art des Meisters Nikolaus von Ferrara.
Groteske Tierfiguren in Rundbogenfriesen finden sich ferner an der St. Galluskirche zu Brenz bei Heidenheim. Oberitalienischen Einfluß zeigen auch die Kapitelle mit Tier- und Menschengestalten in der Eingangshalle, an den Portalen und der Apsisgalerie der Ostseite des Mainzer Domes, die ebenfalls z. T. als D. gelten können. Dagegen haben die Tiergestalten an der Ostwand des Wormser Domes einen durchaus apotropäischen Charakter.
Im Donaugebiet finden sich meist typisch lombardische groteske Motive: in St. Emmeram in Regensburg Harpyien, in Berchtesgaden Meerweiber und Masken, ferner in Biburg, Münchsmünster, Wessobrunn (jetzt B. N. M.), vor allem aber in Reichenhall ein Relief mit Wolf und Kranich, einem damals weit verbreitetem Fabelmotiv (vgl. Autun, Saulieu, Andernach, Bonn, Frankenthal, Brauweiler; ferner Canterbury, Kapitell und Hs.; New York, Morgan Libr. 710, Weingartener Bertholdmissale). Unter dem Einfluß der Lombardei oder Südfrankreichs findet man verwandte groteske D.-Motive: in der Kirche zu Lautenbach im Elsaß einen Hasen hinter einer nackten Sitzfigur; am Querschiff des Straßburger Münsters einen Kämpferfries mit säugendem Meerweib; in der Nikolauskapelle des Freiburger Münsters eine Sirenenfamilie, den Kampf eines Helden gegen einen Greifen und einen Streit von Kentauren, die sich gegenseitig ihre Schilde zerschlagen, ferner die erfolglose Belehrung eines Wolfes durch einen Mönch; Kämpfe eines Kriegers gegen wilde Tiere sowie die Darstellungen aus der Geschichte von Pyramus und Thisbe an Kapitellen des Basler Münsters sind ebenfalls eine Art D.; besonders grotesk sind hier die Blattfriese mit verschiedenartigen Tieren in der Krypta.
Seit dem späten 12. Jh. gewinnt die figurierte Ranke, wie sie sich in der Initialornamentik entwickelt hatte, auch in der Bauplastik größere Bedeutung: eine Verbindung von Figürlichem und Vegetabilem, die – durch die Art, wie Tier und Mensch in die Ranke verflochten sind, sowie durch Ausdruck und groteske Bewegung – zur D. wird. Die Grenzen sind oft fließend, weil wie in den Handschriften mit den D.-Motiven zuweilen Monatsbilder, Paradiesesflüsse (die öfters wie D. behandelt werden) oder biblische Szenen abwechseln.
Die ältesten Beispiele der figurierten Ranke bieten die Portale von S. Ambrogio in Mailand, des Domes von Modena und von S. Michele in Pavia. Zu den frühesten Beispielen in Deutschland gehören zwei Kapitelle am Ostbau des Mainzer Domes. Ihre reichste Entfaltung hat sie in den Kirchen des Kölner Gebietes gefunden, in St. Aposteln sowie in den Kapitellen des Laacher Samsonmeisters (Abb. 6), der auch in Bonn und Andernach arbeitete. Meist liegt das Motiv des Kampfes gegen Laster zugrunde; wir finden nackte Figuren zwischen Drachen, auch Drachen säugend, Kämpfe zwischen Harpyien; in Brauweiler unter besonders vielartigen Beispielen nackte Reiterinnen auf Fabelwesen mit Menschenkopf (ähnlich in Châtelnau-Rivière); in Maria Laach sind die Figuren völlig mit den Ranken verwachsen (vgl. auch die Kapitelle in St. Andreas zu Köln, Mönchen-Gladbach, Neuß und Essen). Weitere Beispiele sind in Bonn eine Rankenleiste mit den in der Gotik häufigen Turnierreitern, in Münster i. W. am Portal ein Fries mit Musikanten, in Halberstadt eine säugende Kentaurenmutter; ferner Hildesheim (Schranken) und Magdeburg. Rankenkapitelle kommen in Südfrankreich (Toulouse, Daurade) gleichzeitig wie in Mainz vor. Die spätromanischen D.-Kapitelle gehen wahrscheinlich von Burgund aus, doch hat sicher auch die lokale Handschriftenornamentik ihre Wirkung ausgeübt.
3. Arbeiten in Elfenbein, Metall und Holz. Unter den Elfenbeinen finden sich D.-Motive, von wenigen Ausnahmen abgesehen (Brüssel, Turmreliquiar; München, Einband von Clm. 23 261; Goldschmidt, Elfenbeinskulpturen 3, Taf. 15 u. 39), nur an Kämmen und Brettsteinen: Kentauren, Harpyien, Drachenreiter und -bändiger. Wie viele von ihnen vom Rhein und nicht aus Frankreich, England und der Maasgegend kommen, bleibt umstritten.
Auch in der Emailkunst gibt es nur wenige Beispiele: einzelne Platten am Albinusschrein in St. Pantaleon und am Siegburger Mauritiusschrein, mit grotesken Tieren, die im Emailgrund ausgespart sind. Das gleiche gilt von Werken in Treibarbeit (vgl. bes. den Rankenfries am Dreikönigenschrein in Köln mit Jagd und Turnier, Kentaur und Vögeln). Dagegen bilden D.-Motive einen Hauptschmuck der Geräte in Metallguß, vor allem der Leuchter und Gießgefäße (Falke-Meyer). Der Kamm am Annoschrein in Siegburg, mit nackten Rankenfiguren, Drachenbändigern und Affen, gehört zu den feinsten Stücken dieser Technik (vgl. auch ein Fragment im V. A. M. London). In den beiden Silberleuchtern Bischof Bernwards von Hildesheim, um 1022, mit Reitern auf großen Drachen als Fuß und Rankenfiguren um den Schaft, sind bereits die Hauptmotive für die späteren Werke – auch außerhalb Deutschlands – gegeben (Leuchter v. Gloucester, A. 12. Jh.; Fragmente der großen Kandelaber in Reims und Prag; Trivulzio-Kandelaber in Mailand; s. Otto Homburger, Der Trivulzio-Kandelaber, Zürich 1949, S. 14). Doch waren Stücke von der Maas und aus Lothringen unmittelbare Vorbilder für die kleineren der Leuchter mit den gleichen Motiven in vielen Variationen. Ihre Abwandlung zur D. wird besonders deutlich bei dem zweiten Typus der Geräte, die die Gestalt von D.-Gebilden angenommen haben. Außer den gotischen Wasserspeiern sind sie die einzigen Beispiele, in denen die D. nicht mehr als Dekoration, sondern als selbständige Kunstform erscheint. Auch hier ist die Produktion in Lothringen und an der Maas führend und maßgebend für die Werkstätten am Rhein und in Sachsen, vornehmlich in Hildesheim. Am häufigsten sind die Geräte in Drachenform, mit oder ohne Reiter und mit schlankem Drachen als Griff (s. Drachenleuchter, Sp. 366 bis 369); außerdem gibt es verschiedene Abarten wie z. B. die Harpyienleuchter (Falke-Meyer Nr. 197 u. 198). Unter den Gießgefäßen ist besonders das Fabelwesen mit Mädchenkopf in Paris (Abb. 7) zu nennen, ferner der greifenartige Drache, kentaurenartige Stücke wie der Musikant und die Amme (Falke-Meyer Nr. 246, 273 u. 276) oder die im 14. Jh. häufiger werdenden Tiere (meist Löwen) mit Menschenkopf.
Das reichste unter den romanischen Minnekästchen ist der Holzkasten im Bargello zu Florenz [4, Nr. 4], mit pfeilschießendem Kentauren, harfespielendem Hund und nackter Figur zwischen Drachen (vgl. Kapitelle); andere Kästchen mit gegenständigen Fabeltieren s. [4, Nr. 6 u. 13].
B. in gotischer Zeit
1. Die D. der gotischen Malerei, die in den Handschriften der westlichen Länder am ausgeprägtesten in Erscheinung tritt, hat vornehmlich humoristisch-satirischen Charakter. In einer vorher unbekannten Vielfalt der Einzelmotive, bei denen die Mischwesen eine besondere Rolle spielen, nistete sich die D. – aus den Initialen an den Rand verdrängt – im Rankendekor ein, wo sie losgelöst vom Text und oft im Gegensatz zu ihm eine eigene Bilderwelt entfaltete. Das Unheimliche, Angsterregende der auf moralischer Symbolik beruhenden romanischen Grotesk-D. wich einer harmlos-witzigen Art der Darstellung (der Unterschied wird besonders bei gleicher Themenstellung, etwa beim Wolf und dem Kranich, deutlich). Das Lachen, das in der romanischen D. fehlte, ist jetzt zu einem wichtigen Bestandteil der D.-Szenen geworden.
Unerschöpflich ist die Erfindungskraft in der Darstellung von Fabelwesen in immer neuen Kombinationen von Tier- und Menschenformen, deren Seltsamkeit durch oftmals phantastische Kleidung noch gesteigert wird. Abrupter und doch natürlicher als vorher ist die Zusammenfügung des Wirklichen und des Phantastischen: zarte Mädchen- und schöne Jünglingsköpfe sitzen auf Körpern von Ungeheuern oder entsprießen den Ranken. Die Komik der Mischwesen ermöglicht ebenso wie die Travestie der Tierfabeln, in scheinbar harmloser Weise menschliche Schwächen bloßzustellen. Die Satire richtet sich vornehmlich gegen Kirche, Schule und Ärzte, aber auch gegen das Verhältnis der Geschlechter zueinander. Der Motivschatz der Darstellungen umfaßt ferner Genreszenen verschiedener Art, die vielfach von der gleichzeitigen Literatur angeregt sind. Unter den Tieren wurden mit Vorliebe Fuchs und Wolf, Hase und Affe dargestellt, zuweilen in Umkehrung ihrer Eigenschaften, oft auch in harmlos unanständigen Situationen.
In England und Frankreich trat die gotische D. seit M. 13. Jh. auf, in Deutschland erst gegen 1300.
Unter den ältesten deutschen Beispielen sind die beiden Kölner Chorbücher des Minoritenbruders Johann von Valkenburg (Köln, Diöz. Mus.; Bonn, U.B. Nr. 384) hervorzuheben, beide 1299 datiert. In der Zurückhaltung bei der Auswahl der Motive und in der Vermeidung karikaturhafter Übertreibungen ähneln sie den frz. Hss. (vgl. auch die Titelbordüre des Kasseler Willehalm). Die nachfolgenden Breviere und Chorbuchfragmente (Aachen, Suermondtmus.; Hannover, Kestnermus.; Brüssel, Bibl. roy. ms. 329–341; Darmstadt, St.B. Nr. 874 u. 876; Köln, Dombibl. Cod. 2 und Priesterseminar Nr. 173; Düsseldorf, Landesbibl. Nr. A 5: RDK II 494, Abb. 10; weitere Beisp. [5] Bd. 1, S. 13f.) enthalten die üblichen Darstellungen (Affengelehrte, Hasenszenen, komische Genrebilder wie z. B. ein Jüngling, der einen Fisch hinter sich herzieht: Frankfurt, Kgwb. Bibl. Es rg 4248, 16; Abb. 8); aber die Motive sind im einzelnen stärker variiert und – wie in den gleichzeitigen franko-flämischen Hss. – mit größerer Keckheit erzählt. Üppiger entfaltet sich die D. in den beiden hebräischen Hss. aus Köln (um 1296; Budapest) und Xanten (um 1300; ehem. Frankfurt, Stadtbibl., jetzt New York, Priv.bes.): nicht nur der Seitenrand, sondern das ganze Titelfeld und selbst die Buchstaben sind mit D. bevölkert.
Weit bedeutender als die Hss.-Beispiele sind die Malereien an den Kölner Domchorschranken ([5]; Paul Clemen, Von den Wandmalereien auf den Chorschranken des Kölner Domes, Wallr.-Rich.-Jb. 1, 1924, 29–61). In ganz ungewöhnlicher Weise fungieren Büsten verschiedener Fabelwesen als Schrifthalter, andere sind als Muster der Hintergründe verwendet (dieses Motiv findet sich auch in der Glasmalerei).
Unter den wenigen sonstigen deutschen Hss. des 2. V. 14. Jh. verdienen die Chorbuchfragmente aus Kaisheim (München, St. Graph.Slg., u. Priv.bes. an verschiedenen Orten) Erwähnung. In den urwüchsigen Mischwesen prägt sich fränkische Eigenart stärker aus, der Zusammenhang mit der Kunst des Westens ist geringer. In den Hss. mit gezeichnetem Dekor, zumal hebräischen, leben D., deren Motive mit Vorliebe der Tierwelt entnommen sind, bis spät ins 15. Jh. fort.
Nach M. 14. Jh. verlagerte sich das Schwergewicht der Produktion nach dem Südosten. In den von Johann von Troppau für den Reichskanzler geschaffenen Hss. (E. Trenkler, Das Evangeliar des Johannes von Troppau, Klagenfurt u. Wien 1948) finden sich neben realistisch behandelten Rand-D. der herkömmlichen Art auch D.-artige Figuren und Tiere, die in einfarbiger Malerei dem Buchstabenkörper eingefügt sind (Wien, Nationalbibliothek Nr. 1182, Evangeliar aus dem Jahre 1368). Diese Form der Dekoration könnte auf Vorbilder aus Oberitalien zurückgehen, wenn sie auch dort nur später, nämlich in den Grassi-Handschriften, zu belegen sind. Fabelwesen und Affen-D. wurden in den Hss. für König Wenzel, um 1400, mehr und mehr von Wilden Männern, die als Wappenhalter und Kämpfende dargestellt sind, verdrängt; in den Ranken erscheinen außerdem Bademädchen und ein meist gefesselter, gekrönter Mann in vielerlei Lebenslagen (RDK II 497/98, Abb. 11): man hat darin Anspielungen auf eine Liebesepisode des Königs oder symbolische Bedeutung sehen wollen. An Stelle der satirischen Travestie trat eine novellenartige, eigentümlich scherzhaft verkleidete Schilderung.
2. In der Bauplastik der Gotik hat die D. geringere Bedeutung als in den Hss.; Verwendungsmöglichkeit und Motive waren enger begrenzt. Während an Kapitellen nur noch selten D. erscheinen, wurden sie jetzt häufiger Schmuck von Konsolen und Schlußsteinen; dazu kommen noch die Beispiele auf Friesen und als Relieffüllungen. Die Wasserspeier – sie gehen auf die französischen zurück – sind vorwiegend grotesk, d. h. ein Grenzfall der D., der sie sich in späteren Beispielen (doch auch schon in Straßburg und Freiburg i. Br.) durch Wandlung in Haltung und Ausdruck sowie durch Hinwendung zu scherzhafter Drastik annähern.
Aus der Blütezeit der D. stammen die Wasserspeier am Hochchor des Kölner Domes (Chorweihe 1322; vgl. Inv. Rheinprov. 6, 3, S. 85ff., Abb. 49f., dazu die Bauhüttenzchg. Abb. 52, RDK II 629, Abb. 1). Unter die üblichen Drachentiere mischen sich ein kniender Jäger, Fabel- und Mischwesen, übereinandergetürmte Tiere u. dgl. mehr. Weitere Beispiele in Nürnberg, St. Lorenz, Xanten, Wimpfen i. T., Schwäbisch-Gmünd, Ulm, Wien und an vielen Bauten der Parlerhütte. Groteske Tiere als Wasserspeier gibt es bis ins 16. Jh. allenthalben an gotischen Kirchen, und häufig sind für denselben Zweck wohl auch D.-Motive benutzt worden.
Die D. am Straßburger Münster übertreffen durch motivischen Reichtum und vielartige Verwendungsformen die meisten deutschen Beispiele. In der Regel bestehen sie aus Szenen mit wenigen Figuren oder einzelnen Fabel- bzw. Mischwesen. Die frühesten D. dieses Baues, vor 1272 entstanden, finden sich in den Zwickeln des Triforiums (sich küssendes Sirenenpaar usw.) und am Maßwerk seiner Blendarkaden (sich jagende groteske Tiere, Szenen wie Wolf und Kranich); weitere D. am Wimperg über dem Hauptportal (Tiere und Wächter mit großem Gesicht als Leib). Wolfsschule und Tierprozession waren an zerstörten Kapitellen dargestellt; erhalten dagegen ist ein Fries mit D. am Südturm (Abb. 9): Rauf- u. Kampfszenen, ein tanzender Hund, dem ein Mischwesen aufspielt, usw.; wie früher in Remagen dürfte es sich um symbolische Darstellung der Leidenschaften handeln, doch gegenüber dem älteren Beispiel ist die Verkleidung als D. viel ausgeprägter. Ähnliche D. in Arkaden wie Straßburg besitzt die Turmvorhalle des Freiburger Münsters.
An den Baldachinen der Chorportale und den Konsolen der Langhauspfeiler in Schwäb. Gmünd, um 1330, kommen Tier-D. vor; außerdem begegnen diese auf einem Schlußstein (sich jagende Ratten mit Blattschwänzen) und auf Konsolen unter den Wasserspeiern der Marburger Elisabethkirche (Kurt Wilhelm-Kästner und Rich. Hamann, Die Elisabethkirche zu M., Bln. 1929, Bd. 1 S. 17f., Bd. 2 S. 55ff.), in der Nürnberger Sebalduskirche (Kurt Martin, Die Nürnberger Steinplastik im 14. Jh., Bln. 1927, Abb. 75f., 91f.) oder in Naumburg (Schach spielende Affen); in Norddeutschland an den Konsolen der Marienkirche in Lübeck (sündiger Mönch und Nonne) und der dortigen Jakobskirche (feiste Mönche), A. 14. Jh. und um 1400 [9, Abb. 18 u. 20f.]. Die Beispiele ließen sich erheblich vermehren, blieben jedoch, auch wenn sie vollständig verzeichnet würden, im Umfang weit hinter denen in Frankreich und England zurück.
3. Reichere Entfaltung als in der gotischen Bauplastik fand die D. im gleichzeitig entstandenen kirchlichen und profanen Mobiliar aus Holz, vor allem an Chorgestühlen, wo die D. fester Bestandteil der Ausschmückung wurde und es mit dem gleichen Programm bis zum Ende der Gotik blieb. Die späten Beispiele legten stärkeren Nachdruck auf die realistischen und volkstümlichen Szenen (zu den genannten Gestühlen s. die Lit. zu Chorgestühl, RDK III 535–37).
Zwar nicht das älteste, doch den Vorgängern und allen im 14. Jh. geschaffenen Chorstühlen weit überlegen ist das des Kölner Domes, 2. V. 14. Jh. (Abb. 10). Französische, auch englische Anregungen zugegeben, – seine Konzeption zeugt von überragender künstlerischer Phantasie und Gestaltungskraft; auch in der Feinheit der Durchführung hat es selbst außerhalb Deutschlands kaum seinesgleichen. Mit einer Vielseitigkeit der D., wie sie keine der rheinischen Hss. aufweist, ist dieses Gestühl ein „Queen Mary Psalter der Holzplastik“: mehrfach in Kontrast zu biblischen Szenen erscheinen im Blattwerk der Wangenbekrönungen solche mit Mischwesen und Fabeltieren. Ein ganzes Heer einzelner Fabelwesen ist in den Vierpässen der unteren Stuhlwände (104 Sitze) anzutreffen, ebenso an den niederen Wangen, wo sich über den Vierpässen größere Reliefs mit Figurenpaaren und Szenen finden: Liebeswerbung, streitende Spieler, Musikanten, Gaukler usw. Besonders reich entfalten sich die D. – hier wie bei den meisten Gestühlen – an den Handknäufen und den verborgenen Miserikordien. Abgesehen vom inhaltlichen Reichtum liegt das Außergewöhnliche dieser Schnitzwerke in der künstlerischen Ausnutzung der Grundformen des Dreiecks und der Kreiseinrollung als Gestaltmotiv der D., vgl. die gekrümmten Knauffiguren (Abb. 10), die zu einem Knäuel zusammengeballte Gruppe des Mönchs und der abweisenden Frau oder, an den Miserikordien, die tanzenden Mädchen, die gefährlich in der Luft schweben, und die einander zu- oder abgekehrten Paare (wie z. B. die streitenden Spieler). Kirchliche Satire tritt gegenüber den profanen Szenen zurück. Das bleibt auch bei späteren Werken so.
Dem Chorgestühl des Kölner Domes gingen das Xantener mit seinen bekrönenden Groteskfiguren (um M. 13. Jh.) und die Gestühle der Kölner Kirchen St. Severin und St. Gereon, E. 13. Jh. bzw. um 1300, voraus, letzteres mit Sirenenrelief und Köpfen, darunter viele mit Mönchskapuzen oder Gewanddrapierung: es sind scharf charakterisierte Typen, D.-haft in der Übertreibung der Formen und der Mimik, in Deutschland wohl die ersten Beispiele des später so weit verbreiteten Motivschatzes (ähnliche Köpfe an dem fast gleichzeitigen Gestühl in Haina bei Marburg a. d. L.). Auch für diesen lieferte der Westen die Vorbilder, vgl. das Gestühl von Hastière in Flandern.
Das bedeutendste Beispiel im Norden Deutschlands ist das Domgestühl in Lübeck, 1335/36, mit seinen sonst nicht vorkommenden, um einen Baum gruppierten kauernden Mischwesen als Bekrönungen und der mit Fabelwesen übersäten Wand des Levitenstuhles, 1. Dr. 14. Jh. ([9] Abb. 60 bzw. 105 u. a.). Unmittelbar nach M. 14. Jh. entstanden die Gestühle des Erfurter (Inv. Prov. Sachsen 1, S. 246 bis 250, Abb. 178–82 u. 184f.) und des Frankfurter Domes (Abb. 11). Das stark von Köln beeinflußte Magdeburger Domgestühl, um 1363, – seinerseits Vorbild für das Bremer Domchorgestühl vom A. 15. Jh. – zeigt z. B. dieselbe Tänzerin wie Abb. 10 in Rückansicht.
Aus der 1. H. 15. Jh. sind zu nennen: das (neu zusammengesetzte) Gestühl des Basler Münsters und das Breisacher mit einem Zyklus der „verkehrten Welt“, eigenartig in Ringpaare gefügt (Klistierszene). Spätere Beispiele finden sich vor allem im Südwesten: Gestühl des Konstanzer Münsters mit vielen volkstümlichen Darstellungen und – Vorboten der Renaissance – nackten Knaben in Rankengeäst (voll. nach 1470); an den Gestühlen der Syrlin in Ulm (1469–74) und Blaubeuren (1493; RDK III 523/24, Abb. 9) gibt es zwar noch die üblichen D., doch haben sie gegenüber großen Büsten und Reliefdarstellungen biblischer Themen an Bedeutung verloren. Ein Repertorium der älteren D.-Motive findet sich noch einmal am Gestühl von Bardowiek bei Lüneburg.
Die D. blieben auch in der Gotik ein Hauptschmuck der Minnekästchen.
Eines der bedeutendsten Stücke, oberdeutsch wie die meisten, ist der große Kasten des Frankfurter Mus. f. Kunsthandwerk, 13. Jh. [4, Nr. 19], mit in Ranken verwobenen Kampfszenen von Kentauren und Fabelwesen. Im 14. Jh. überwogen auch bei den D. der Minnekästchen die Mischwesen, die oft in medaillonartige, runde Rahmen eingepaßt sind: so etwa bei dem ehem. in der Sigmaringer Slg. befindlichen Kästchen mit den kampflustigen Mischwesen [4, Nr. 23] oder dem Birnbaumkästchen des S.L.M. Zürich, wo sich Mischwesen verschiedener Art gegenüberstehen [4, Nr. 34]; der Schnitzer eines anderen Minnekästchens (ehem. Berlin, Schloßmus., [4] Nr. 45) hat ein Paar seiner Mischwesen als Bischof und Nonne gekennzeichnet.
Im 15. Jh. erlahmte die Phantasie der Erfindung neuer Motive, genreartige D. setzten sich mehr und mehr durch: vgl. das Rautenkästchen des B.N.M. [4, Nr. 141 A]; dort ist u.a. ein gekrönter, sein Hinterteil spiegelnder Affe dargestellt. Einen Wilden Mann mit Jagdbeute zeigt ein Kästchen im Louvre [4, Nr. 62].
4. Textilien. Wilde Leute sind vielfach in der D. verwendet worden, doch geht es kaum an, die Teppiche mit deren Darstellung in die D. einzubeziehen; sie gehören vielmehr als Liebesteppiche und Zyklen von Romanillustrationen in andere Zusammenhänge (Kurth, Bildteppiche 1, S. 199f.; Rich. Bernheimer, Wild Men in the Middle Ages, Cambridge [Mass.] 1952). Auf einem gewirkten Teppich des 14. Jh. in der Städt. Altertümerslg. Freiburg i. Br. wechseln Darstellungen von papageienartigen Vögeln und D.-Getier miteinander ab (Kurth a.a.O. 3, Taf. 238f.). Sonst gibt es D.-Motive nur an Borten und Rahmenstreifen von Teppichen und Laken mit vorherrschend biblischen Themen. Auch hier sind es meist Medaillons mit einzelnen Mischwesen (vgl. den gestickten Wandbehang auf der Wartburg, Ebd. 1, Abb. 43), doch hielten sich vereinzelt auch romanische Groteskmotive, z. B. Drachenpaare, bis ins 15. Jh.
Beispiele vorwiegend des 14. Jh. bewahren die niedersächsischen Frauenklöster in größerer Zahl; vgl. die Wienhausener Stickereien (Schuette 1, Taf. 7, 10f., 21ff.) und das Altartuch im Kloster Drübeck (Ebd. 2, Taf. 38), aber auch die Hildesheimer Kasel mit Bildern in Drachenrahmung (London, V.A.M.; derartige Rahmen sind auch in der Druckgraphik des 15. Jh. zu belegen: Paul Heitz, Einblattdrucke d. 15. Jh., Straßburg 1930, Bd. 100 Nr. 1), das Rücklaken mit Tierfabelborte im Kloster Ebstorf, 14. Jh. (Schuette 2, Taf. 20), und das Stück in Basel (L. de Farcie, La broderie, 2. Erg .Bd., Paris 1919, Taf. 224). Aus Kloster Lüne stammen weitere Textilien, die z. T. kleine Tierborten aufweisen, und aus Kloster Isenhagen ein Laken des 15. Jh. mit eigenartigem Muster von Vierpässen mit Mädchenköpfen in den Ecken, die an die kleinen Büsten in engl. Hss. des 14. Jh. erinnern (Schuette 2, Taf. 31f.).
Weitere Beispiele für die Verwendung von D. lassen sich auf vielen Gebieten nachweisen: an kirchlichen Geräten wie Weihrauchfässern und Monstranzen (Braun, Altargerät), an Gebrauchsgegenständen wie Bestecken und Schüsseln, an Bucheinbänden, Bodenfliesen, Deckenbalken u. dgl. Vereinzelt finden sich in der Druckgraphik des 15. Jh. noch D.
C. Ausklänge
Das unberechenbare, unorthodoxe Ornament der Mischwesen war in der Gotik zu einer feststehenden Dekorationsform geworden, die man in der gleichen Weise verwendete wie etwa die Krautblattranke. Im 15. Jh. kam es kaum mehr zu wesentlichen Neuschöpfungen; es ist charakteristisch, daß die D. fast ganz aus den Hss., wo sie ihre reichste Entfaltung gefunden hatte, verschwand und durch illusionistische Blumen- und Vogeldekorationen und kleine Genreszenen (die „Einfälle“) und Putten ersetzt wurde. Als Ornament lösten in der Renaissance klassische Motive und die antikische Groteske die D. ab; die Travestie der D. wurde als Ausdrucksmittel überflüssig durch den fortschreitenden Realismus. Es ist jedoch – wenigstens in der Kunst des Nordens – zu beobachten, daß die D. nicht sogleich völlig beiseitegeschoben wurde: das Interesse für die Naturwissenschaften, das sich in besonderem Maße auch den Anomalien zuwandte, sah in den phantastischen Mischwesen der D. entsprechende „Kuriositäten“. So wurden in dem Lehrbuch der Naturgeschichte des Konrad von Megenberg (Augsburg 1475, bei Joh. Bämler) Sirenen und Mischwesen zur Wiedergabe „von den mörwundern in einer gemein“ verwendet (Abb. 12).
Im Gebetbuch des Kaisers Maximilian I. kleidete Albrecht Dürer die alten D.-Formen in neue Gewänder: er schuf in der Verbindung von Naturalismus, Ornament der Zeichnung und Strichführung – also durch die Kunstform – eine neuartige D.
Neben den Schnörkeln des Schreibmeisterornaments und inmitten von Vogel- und Rankendekoration, die genaues Naturstudium bezeugen, begegnen nicht selten auch die wohlvertrauten Tierfabeln und satirische Darstellungen (der Arzt mit Uringlas; D.-hafte Szenen wie z. B. der von Gottvater durch einen Hagel überraschte Teufel), ferner heraldisch stilisierte, in den Bereich der Groteske hineinspielende Tiere, figürliche Motive aus Volksleben oder volkstümlicher Vorstellungswelt und nicht zuletzt Mischwesen wie der drachenschwänzige Teufel mit Fledermausflügeln (Abb. 13). Ebenso neuartig wie das Zusammenfügen exakt beobachteter Naturformen zu derartigen Phantasiegeschöpfen ist die – freilich einmalige – Verbindung so verschiedenartiger Elemente zu einer D. von überquellender Vielfalt in Formen und Motiven. – Auch Cranachs Affenfamilie gehört zu den Werken, in denen die D. noch einmal in greifbarer Lebendigkeit erscheint.
Eine letzte bedeutende Neugestaltung von D. erfolgte in den Niederlanden, im Werk von Bosch und Bruegel, mit den sich öffnenden oder durchsichtig erscheinenden Monstren. In der Folgezeit dienten D.-artige Motive allein noch zur Charakterisierung teuflischer Wesen; vgl. etwa den Holzschnitt des Erhard Schoen (Geisberg, Einblattholzschnitt Nr. 1144) sowie Darstellungen von Versuchungen des hl. Antonius oder anderer Heiliger.
Zu den Abbildungen
1. Paris, B.N. ms. lat. 8850, fol. 8 v. Evangeliar aus St. Médard in Soissons, Kanonseite, Ausschnitt. Adagruppe, A. 9. Jh. Fot. B.N.
2. Engelberg, Kt. Unterwalden, Klosterbibl. Hs. 4, fol. 141. Bibel, Initial L mit Gauklerin. Engelberg, 3. V. 12. Jh. Fot. Verf.
3. London, B.M. ms. Harley 2800, fol. 27. Passionale aus Kloster Arnstein a. d. Lahn, Initial I mit Sirene. Mittelrheinisch, um 1170. Fot. B.M.
4. München, St.B. Clm. 3900, fol. 82. Psalter, Initial S mit Jonas im Walfisch und Mischwesen. Würzburg, um 1250. Fot. Marburg 101 217.
5. Königslutter Krs. Helmstedt (Braunschw.), Klosterkirche, Relief im Bogenfries der Chorapsis. Um 1150. Fot. Marburg 619 875.
6. Maria Laach, Abteikirche, Vorhallenportal, Detail vom n Kapitellfries. Um 1220, dem Laacher Samsonmeister zugeschr. Fot. Bildarchiv Maria Laach K 52/39.
7. Paris, Mus. des arts déc., Gießgefäß. Bronzeguß. Bodensee, um 1300. Nach Falke-Meyer Taf. 102 Abb. 234.
8. Frankfurt a. M., Kgwb.-Bibl. Es rg 4248, 16. Blatt aus einem Graduale, Ausschnitt. Köln, A. 14. Jh. Nach Gg. Swarzenski u. R. Schilling, Die illum. Hss. usw. in Frankfurter Priv.bes., Ffm. 1929, Taf. 33 Nr. 71.
9. Straßburg, Münster, Südturm, Relieffries an der Südseite, rechte Hälfte. Um 1300. Fot. Marburg 25 073 und 25 076.
10. Köln, Dom, Chorgestühl, Knauf des 8. Stuhls. 2. V. 14. Jh. Fot. Marburg 22 270.
11. Frankfurt a. M., Dom, Detail von einer Chorstuhlwange. 1352. Fot. Karl-August Wirth, München.
12. Holzschnitt aus Konrad von Megenberg, Buch der Natur, Augsburg (Joh. Bämler) 1475, Bl. 135 v. Nach Schramm, Frühdrucke 3, Taf. 61 Abb. 458.
13. Albrecht Dürer, Randzeichnung im Gebetbuch Kaiser Maximilians I., Bl. 37 v. München, St.B. 1515. Nach K. Giehlow, Kaiser Maximilians I. Gebetbuch, Wien 1907.
Literatur
1. L. Maeterlinck, Le genre satirique dans la peinture flamande, Brüssel 19072. – 2. Ders., Le genre satirique, fantastique et licencieux dans la sculpture flamande et wallone, Paris 1910. – 3. Ders., Les miséricordes satiriques en Belgique, Revue de l’art chrétien 53, 1910, 173–82. – 4. Heinr. Kohlhaußen, Minnekästchen im MA, Bln. 1928, S. 38. – 5. Clemen, Got.Mon.Mal. 1, S. 17 bis 19 (mit älterer Lit.). – 6. Walter Loose, Die Chorgestühle des MA, Heidelberg 1931. – 7. Nora Wißgott, Die Drolerie in europäischen Hss. vom Ende des 13. bis zu Beginn des 16. Jh., Diss. Wien 1933 (masch.). – 8. Marie-Therese Bergenthal, Elemente der Drolerie und ihre Beziehungen zur Literatur, Diss. Bonn, Bln. 1936. – 9. Carl Gg. Heise, Fabelwelt des MA, Bln. 1936. – 10. Walter Hotz, Ma. Groteskplastik, Lpz. 1937. – 11. Ulrich Conrads, Die Drolerie in der französischen Bauplastik, Diss. Marburg 1950 (masch.). – 12. Lilian M. C. Randall, Gothic Marginal Illustrations. Iconography, Style, and Regional Schools in England, North France, and Belgium, 1250–1350 A.D., Diss. Harvard 1955. – 13. Mâle I und II. – 14. Francis Bond, Wood Carvings in English Churches, I: Misericords, London 1910. – (Nr. 7, 11 u. 12 konnten nicht benutzt werden; eine Berliner Dissertation von Clara Alsten, Die Entstehung der selbständigen Drolerie in England [Diss.Liste 1933], wurde nicht ermittelt.)
Verweise
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