Eisvogel

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englisch: Kingfisher; französisch: Martin-pêcheur; italienisch: Alcione.


Liselotte Stauch (1957)

RDK IV, 1181–1188


RDK III, 1213, Abb. 3. Friedrich Walther, Blockbuch 1470.
RDK III, 1217, Abb. 4. Füssen (ehem. Schleißheim), um 1450.
RDK IV, 1181, Abb. 1. Prag, Altstädter Brückenturm, 1370-90.
RDK IV, 1183, Abb. 2. Br. Anton Pelchinger, 1459, München.
RDK IV, 1183, Abb. 3. Paolo Giovio, 1561.
RDK IV, 1185, Abb. 4. Georg Flegel, um 1620-30, ehem. Berlin.

I. Name und Eigenschaften

Der E. oder Königsfischer (alcedo ispida) wurde bei den Griechen άλκυών, bei den Römern [h]alcyon oder [h]alcedo, im Mhd. îsenbart (oder auch isenbrado: Hildegard von Bingen, Physica VI, 46; Migne, P.L. 197, 1304f.) und isida (Konrad von Megenberg, Buch der Natur III, 43, hrsg. von Fr. Pfeiffer, Stg. 1861, S. 202: „wan er schreit ysi, ysi“), von Megenberg auch alk (Alcio-halcyon) genannt (zur Etymologie im einzelnen [5] Sp. 743 und Kluge-Götze, Etym. Wörterbuch, 194313, S. 128).

Infolge seines farbenprächtigen Gefieders und seiner ausgeprägten Lebensgewohnheiten wurde der E. Gegenstand der Fabulierlust der Alten. Bei Aristoteles, Plinius, Plutarch, Lukian und Aelian finden sich zahlreiche – teils zutreffende, teils fabulierte – Angaben über sein Äußeres und seine Gewohnheiten. Hier seien nur die genannt, die die Quellen für die Darstellung des E. in der bildenden Kunst abgaben (vgl. zum folgenden [2] S. 55ff. und [4]).

1. Der am Meeresufer lebende E. baut aus Gräten sein Nest so widerstandsfähig, daß es nur schwer zertrümmert werden kann, und so kunstvoll, daß nur er durch eine kleine Öffnung hineinschlüpfen kann; selbst das Meerwasser kann nicht eindringen (Aristoteles, Hist. an. IX, 14; Plinius, Nat.hist. X, 91; Plutarch, De soll. anim. c. 35, p. 983 B; Aelian, De nat. anim. IX, 17; u. a.).

2. Der E. ist nur zu Wintersanfang beim Untergang der Vergilien (= Plejaden, von denen eine Alcyone ist) zu sehen. Nestbau und Brutzeit dauern vom siebenten Tage vor bis zum siebenten Tage nach der Wintersonnenwende. Während dieser Zeit legt sich der Sturm und es tritt eine vollkommene Meeresstille ein. Diese Tage werden die halkyonischen genannt (Aristoteles, Hist. an. V, 8; Plinius, Nat.hist. X, 90; Lukian, Halcyon 2; u. a.). Über weitere literarische Quellen und verschiedene Versionen zur Brutzeit des Tieres siehe [3, S. 100f.].

3. Wenn das Männchen des E. alt und schwach geworden ist, trägt das Weibchen es auf seinen Flügeln, füttert und betreut es bis zu seinem Tode (so schon Alkman, frg. 26, Aristoph., Av. 251; Plutarch, De soll. anim. c. 35, p. 983 B; Aelian, De nat.an. VII, 17). An diese Märchen von der treuen Gattenliebe der paarweise lebenden Vögel knüpft sich die Verwandlungssage von Ceyx und Alcyone, die Ovid in seinen Metamorphosen (XI, 410ff.) überliefert. Danach wird Alcyone, untröstlich über den Tod ihres Gatten Ceyx und im Begriff, sich ins Meer zu stürzen, von den Göttern aus Mitleid in einen E. verwandelt, ebenso wie Ceyx (vgl. RDK III 403–405).

4. Das MA hat von diesen Geschichten nur die von der wunderbaren Brutzeit des E. bewahrt (Ambrosius, Hexaemeron 5, 13: Migne, P.L. 14, 224 [1882: 238]; Isidor v. Sevilla, Etym. 12, 7: Migne, P.L. 82, 462; Hrabanus Maurus, De universo 8, 6: Migne, P.L. 111, 246; Hugo von St. Victor, De bestiis et aliis rebus 3, 29: Migne, P.L. 177, 95). Eustathius (Hexaemeri metaphrasis 8: Migne, P. L. 53, 951) knüpft daran – ähnlich wie Ambrosius (a.a.O.) – das Vertrauen, daß Gott, wenn er schon um eines kleinen Vogels willen das wilde Meer besänftige, auch für den Menschen, der nach seinem Bilde gemacht ist, Wunderbares tun werde. Im Physiologus spielt der E. keine Rolle. Doch ist er innerhalb der ma. Bestiarienliteratur nicht unbekannt. Ein um die Mitte 12. Jh. in England entstandenes Bestiar deutet das plötzliche Verhalten des rauhen Meeres vor dem unerschrocken brütenden E. und die folgenden wetterstillen Tage als eine Verherrlichung der Mutterliebe dieses Tieres [6, S. 123f.].

Im Hinblick auf die emblematischen Darstellungen seit dem 16. Jh. (s. II 4) ist zu beachten, daß über den Brutort des Vogels zwei unterschiedliche Versionen existierten. In der Antike glaubte man, der E. stoße sein Nest auf das Meer hinaus, um in ihm schwimmend zu brüten. Im MA setzte sich demgegenüber die Anschauung durch, das Tier brüte am Ufer ([2] S. 58 und [6] S. 124 Anm. 1).

5. Albertus Magnus (De anim. 23, 123, 61), der „junge Meißner“ (ed. in: „Minnesinger“, hrsg. von Friedr. Heinr. von der Hagen, Lpz. 1838, II, S. 222), Konrad von Megenberg (a.a.O.) und Konrad Gesner (Vogelbuch 27 b) erzählen, daß das dem toten E. abgezogene und an die Wand geheftete Federkleid sich alljährlich erneuere. „Gemain läut waenent, wer dem tôten vogel die haut abzieh mit den federn und spanne si an ain want, sô mauze sich diu haut all jâr, reht als an dem lebentigen eisvogel“ (Konrad von Megenberg, a.a.O.).

6. Der Volksaberglaube, daß der E. die Geldschätze mehre, wird von Albertus Magnus (De anim. 23, 123, 61) und Konrad Gesner (Vogelbuch 28 a) überliefert. In Böhmen wird er als Glücksbringer im Käfig gehalten, und anderwärts wurden in älterer Zeit tote E. in seidene Tücher gewickelt und mit goldenen Ringen um den Hals aufbewahrt, damit sie Ehren und Reichtum brächten [5].

II. Darstellungen

1. Darstellungen des E. aus der Antike sind bisher nicht nachgewiesen worden. Ein naturgetreues Abbild ist aus dem 6. Jh. erhalten in der griech. sog. Dioskurides-Hs. der Wiener Nat.Bibl., cod. Vindob. med. graec. 1, fol. 479 v (Beschr.Verz. 8, 4, 1, Taf. 19, 4 und S. 59). Ein Bestiar des 12. Jh. [6, Abb. S. 123] überliefert allenfalls in dem langen Schnabel ein Charakteristikum des Tieres. Sehr gut beobachtet findet es sich bereits wieder in der böhmischen Buchmalerei der 2. H. des 14. Jh. (s. II 2), und ebenso dann auf mehreren Studienblättern von der Hand Pisanellos bzw. aus seinem Umkreis (Cod. Vallardi, Paris, Louvre, Nr. 2473, 2507 v und 2509: J. Guiffrey, Les dessins de Pisanello etc., 4 Bde., Paris 1911ff., Nr. 56, 64 und 141). Georg Flegel (1563–1638) hat seine schönen Farben liebevoll wiedergegeben und es durch Beigabe von kleinen Fischen und Muscheln als Meeresvogel charakterisiert (Abb. 4). Kändler (1735), Eberlein (1739) u.a. bildeten den E. in Meißner Porzellan (Carl Albiker, Die Meißner Porzellantiere im 18. Jh., Berlin 1935, Abb. 122, 123). Friedrich Karl Lang (1766–1822) hat ihn auf einem schönen Deckfarbenblatt im G.N.M. (Ausst.Kat. „Gefieder in alter und neuer Zeit“, Lpz. 1936, Nr. 109 m. Abb.) dargestellt.

2. In der böhmischen Kunst zur Zeit König Wenzels I. spielt der E. als Symbol eine Rolle. Er kommt im Schmuck der Wenzels-Handschriften häufig vor (Abb. s. [1] und RDK II 497/98, Abb. 11): auf Ranken sitzend, mit einem sog. Liebesknoten, einem kunstvoll geschlungenen Tuch zusammen, ein e im Schnabel haltend, rechts und links von einer Gekrönten, auf der Schulter eines Bademädchens und auf der Pfote eines Affen sitzend, mit einem Spruchband im Schnabel, nach einer Männergestalt hackend, in der Hand einer knienden Frau, ferner mit dem Liebesknoten zusammen als Relief am Eingang der Altstädter Rathauskapelle [1, S. 278 Abb.], am Altstädter Brückenturm („Prager Entlein“, Abb. 1) und auf den Fresken seiner Tordurchfahrt [1, S. 277 Abb.]. Julius von Schlosser hat überzeugend nachgewiesen, daß sich der E., der Liebesknoten und der Buchstabe e nicht auf eine angebliche Liebesgeschichte König Wenzels mit einem Bademädchen beziehen, sondern, der Bedeutung des E. als Symbol der treuen Gattenliebe (s. I 3) gemäß, auf seine Gattin Sophie Euphemia von Bayern, mit der er in glücklicher Ehe lebte ([1] bes. S. 293ff.; s.a. RDK IV 782).

Diese Auffassung des E. mag auch dazu geführt haben, daß der E. als Rahmenmotiv in einer italienischen Hs. vom Ende 15. Jh. dem „Symposium de virginitate et pudicitia conjugali“ des Antonius Bonfinius beigegeben wurde (Wien, Nat.Bibl., cod. 2365, fol. 1: Beschr.Verz. 8, 6, 4, Taf. 11). Darüber hinaus begegnet man ihm zusammen mit verschiedenen anderen Vögeln im Rahmenschmuck von Hss. des 14. und 15. Jh., ohne daß eine spezifische symbolische Bedeutung zu vermuten wäre (z. B.: französische Hs. des Rosenromans, Chantilly, Musée Condé 1480, fol. 1; um 1350: Jb. Kaiserh. 31, 1913/14, S. 21 Abb. 5. – Pariser Stundenbuch, 15. Jh., Wien, Nat.Bibl., cod. 1840, fol. 27: Beschr.Verz. 8, 7, 3, Taf. 39, 1).

3. Im Defensorium inviolatae virginitatis beatae Mariae benutzt der Dominikaner Franz von Retz um 1400 die Geschichte von der Mauser des toten E. (s. I 5) zum Beweis für die Glaubwürdigkeit der jungfräulichen Geburt Christi: „Hispida si mortua se plumare valet, cur absque viri copula virgo non generaret?“ (Abb. 2; RDK III 1206ff., Abb. 1, 3, 4).

4. Das 16. und 17. Jh. bedienten sich der durch das Studium der Antike wieder aufgefrischten Geschichte vom E., um ihre Gedanken auszudrücken. In den „Hieroglyphica“ des Giov. Pierio Valeriano (Basel 1556; zit. nach der Ausg. Venedig 1604, S. 253) steht das Nest des Vogels, Zeichen der wetterstillen Brutzeit, für „Tranquillitas“; das Tier selbst wird, unter Hinweis auf einen antiken Brauch während der halkyonischen Tage, als Signum des Justitiums, des Gerichtsstillstands, beschrieben; es kann andererseits, weil es selten zu sehen sein soll, einen zurückgezogen lebenden Menschen bedeuten.

P. Giovio zeigt in „Le sententiose imprese“, Lyon 1561, S. 107, ein Nest mit zwei E. auf dem Meere schwimmend (Abb. 3). Lemma und Beivers lauten: „Nous sauons bien le temps“ und „San gl’Alcionij augei il tempo eletto, / Ch’al nido, e all’ oua lor non nuoca il mare. / Infelice quell’huom, Ch’el di aspettare / Non sa, per dare al suo disegno effetto“; ähnlich Joachim Camerarius in seinen „Symbolorum et emblematum centuriae quatuor“ (1. Ausg. 1593–1604): „Nobis sunt tempora nota“ und „Ne via tuta maris, navem ne credito ventis, / Provide ut exemplo te monet Alcyone“ (Centur. III Nr. 55; zit. nach der Ausg. Mainz 1668). – In Daniel Meißners „Thesaurus Philopoliticus“, II/7, Ffm. 1631, heißt es zu der Darstellung des Tieres, „daß man alles zu rechter zeit, / Tractiren soll und ohne streit“ (zit. nach der Neuausgabe von F. Herrmann und L. Kraft, Heidelberg 1927, S. 793).

Filippo Picinelli hat im „Mondo simbolico“ (1. Ausg. 1653) unter der Gestalt des E. nicht weniger als 13 Embleme subsummiert. Die vom Wetter begünstigte Brutzeit des Tieres ist im Sinne des Friedens, der Sicherheit und Ruhe, aber auch (wie bei Giovio und Camerarius) der Voraussicht gedeutet; als Signum der Unerschrockenheit des Gerechten wird das Nisten nahe dem zunächst noch wilden Meer verstanden. Die opferbereite Treue des Weibchens soll Freundschaft und Gattenliebe bezeichnen, das Nest, das in seiner Festigkeit der See Halt gebietet, die siegreich überwundene Versuchung. Die stark hervortretende theologische Auslegung führt hier zugleich auch auf die jungfräuliche Muttergottes, sie weist in mehreren der zuvor genannten Embleme ebenfalls auf Maria oder auf Christus hin (z. B. Versuchung Christi, Christus als Friedensbringer). (Nach der lat. Ausg. Köln 1681, S. 258f.).

Im zweiten Sommerzimmer Max Emanuels in der Münchner Residenz (1685) sah man den am winterlichen Strand nistenden E. als emblematische „Vorbildung“ zur Personifikation der „Müdigkeit“ (Clementia). Als Lemma war gegeben: „Ventos custodit et arcet“ („Triumphierendes Wunder-Gebäw der Churfürstlichen Residentz zu München“, München 1685, S. 241 bis 243).

Cesare Ripa gibt der Personifikation der ehelichen Liebe (benevolenza ed unione matrimoniale) einen E. als Attribut mit dem Hinweis auf Plutarch (s. I 3) u. a. und die Sage von Ceyx und Alcyone (Iconologia, Venedig 1645, I S. 63ff.; desgl., Perugia, Bd. 1, 1764, S. 228ff.; in der deutschen Übersetzung Ffm. 1669: T. 1, S. 113ff. – Dazu jeweils eine Abb.). Vgl. auch Sp. 779f. – Die Personifikationen des Friedens (Iconologia, Rom 1603, S. 376f.; Venedig 1645, II S. 471; Perugia, Bd. 4, 1766, S. 331) und ebenso die der Ruhe (desgl., Rom 1603, S. 491; Venedig 1645, II S. 628; Perugia, Bd. 5, 1767, S. 289) sind nach ihm mit einem E. zusammen darzustellen, weil das Meer während der Brutzeit des Tieres ruhig und voller Frieden ist. – Ripas Verbildlichung der „benevolenza ed unione matrimoniale“ ist von Hubert Korneliszoon Poot in „Het Groot Natuur- en zedekundigh Werelttoneel of Woerden boek ...“, Bd. 2, Delft 1743, S. 49ff., übernommen worden (s. Sp. 783/84, Abb. 4).

Im Programm des Grottenzimmers der Münchner Residenz (um 1674) fand sich – unzweifelhaft als eine Auswirkung Ripas – der E. als Attribut der Concordia maritale (R. Pallavicino, I Trionfi dell’ Architettura nella sontuosa Residenza di Monaco, Augsburg 1680, S. 61f.).

5. Der Volksaberglaube vom glückbringenden E. (s. I 6) hat seinen Niederschlag in dem bei Martin Flach in Basel (o. J. – um 1485) gedruckten Losbuch, einem scherzhaften Wahrsagebuch, gefunden. Die auf den E. bezüglichen und mit seinem Holzschnitt gezierten Verse verheißen „Groß ere“, „noch manche jor“ und „alzyt ... frewden“ (Schramm, Frühdrucke Bd. 21, S. 14 und Taf. 103 Nr. 578).

Zu den Abbildungen

1. Prag, Relief am Altstädter Brückenturm. Werkstatt Peter Parlers, um 1370–90. Nach [1] S. 278.

2. München, St.B. Clm. 18 077, fol. 51 r. Defensorium-Hs. des Bruders Anton Pelchinger von Tegernsee, dat. 1459. Dm. ca. 9,3 cm. Fot. RDK.

3. Imprese der Signori Fieschi, aus „Le Sententiose Imprese di Monsignor Paulo Giovio“ etc., Lyon 1561, S. 107. Nach d. Original.

4. Georg Flegel, Stilleben mit Eisvogel. Wasser- und Deckfarbenmalerei, ca. 17 × 23 cm. Ehem. Berlin, Kk. Inv.Nr. 7497 (1945 verbrannt). Um 1620–30. Nach Frdr. Winkler, Georg Flegel. Sechs Aquarelle, Bln. 1954, Taf. 2.

Literatur

1. Julius von Schlosser, Die Bilderhandschriften Königs Wenzel I., Jahrb. Kaiserh. 14, 1893, 214–317. – 2. Otto Keller, Die antike Tierwelt Bd. 2, Lpz. 1913. – 3. Max Wellmann, Der Physiologus. Eine religionsgeschichtlich-naturwissenschaftliche Untersuchung, in: Philologus, Suppl. Bd. 22, 1, Lpz. 1930. – 4. Pauly-Wissowa 1, 1579–81 (Wernicke); ebd. 5, 2152f. (M. Wellmann). – 5. Bächtold-Stäubli 2, 742ff. (Hoffmann-Krayer). – 6. T. H. White, The Book of Beasts, London (1954).

Verweise